VwGH vom 21.03.2013, 2012/23/0035
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Robl, Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landesgerichtsstraße 18/1/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/131.349/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der 1992 geborene Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, befindet sich seit August 2002 in Österreich; seit ist er im Besitz eines Niederlassungsnachweises.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt, wobei ein Teil von 14 Monaten bedingt nachgesehen wurde. Der Verurteilung lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit zwei Mittätern am eine Frau von ihrem Fahrrad gestoßen, sie mit einem Butterflymesser bedroht, ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen und anschließend ihr Mobiltelefon sowie einen MP3-Player geraubt hatte. Das Opfer erlitt dadurch neben anderen Verletzungen einen Knochensprung im linken Kahnbein.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Die belangte Behörde begründete dies damit, dass im Hinblick auf die Verurteilung und der dieser zu Grunde liegenden Tathandlungen der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG verwirklicht sei, sodass die Voraussetzungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 FPG - im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG gegeben seien.
Der Beschwerdeführer leite seine Aufenthaltstitel von einer - inzwischen geschiedenen - "Scheinehe" seiner Mutter mit einem österreichischen Staatsbürger ab. Gegen die Mutter des Beschwerdeführers sei aus diesem Grund ein Aufenthaltsverbot erlassen worden. Der Beschwerdeführer sei ledig und ohne Sorgepflichten. Familiäre Bindungen würden zur Mutter und zu zwei Geschwistern im Alter von 18 und 21 Jahren bestehen. Der Beschwerdeführer habe in Österreich die allgemeine Schulpflicht beendet und werde derzeit zum Maurer ausgebildet. Die belangte Behörde ging deshalb von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers aus. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Verhinderung weiterer Straftaten sowie zum Schutz des Eigentums und der körperlichen Unversehrtheit Dritter, dringend geboten sei. Wer - so führte die belangte Behörde weiter aus - wie der Beschwerdeführer bereits im jugendlichen Alter einen schweren Raubüberfall begehe, lasse seine Geringschätzung maßgeblicher österreichischer Rechtsvorschriften erkennen. Eine zu seinen Gunsten ausfallende Verhaltensprognose sei daher nicht möglich; der nach der Entlassung aus der Strafhaft in Freiheit verbrachte Zeitraum an Wohlverhalten sei auch noch zu kurz. Vielmehr wiege die von ihm ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit schwer. Zwar seien seine privaten und familiären Lebensumstände "keinesfalls zu unterschätzen". Es sei jedoch auch zu berücksichtigen, dass sich sein bisheriger Aufenthalt auf die Scheinehe der Mutter gestützt habe und die einer jeglichen Integration zu Grunde liegende soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich in ihrem Gewicht gemindert werde. Eine nachhaltige Integration in Österreich sei daher nicht feststellbar. Dass einer Ausreise - allenfalls gemeinsam mit der Mutter - unüberwindliche Hindernisse entgegenstünden, sei nicht aktenkundig. Dem Beschwerdeführer sei auch eine Reintegration in seiner Heimat, in der er aufgewachsen sei und einen nicht unerheblichen Teil seiner Sozialisation erfahren habe, zuzumuten. Den Kontakt zu seinen volljährigen Geschwistern könne er allenfalls auch vom Ausland aus wahrnehmen. Diese Einschränkung habe er im öffentlichen Interesse zu tragen. Die privaten Interessen des Beschwerdeführers würden daher nicht derart schwer wiegen, dass demgegenüber das hohe öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbots in den Hintergrund zu treten habe. Auch wenn der Beschwerdeführer über einen Niederlassungsnachweis (nunmehr: "Daueraufenthalt - EG") verfüge, sei "kein Sachverhalt des § 61 (FPG) oder der §§ 55 oder 56 leg.cit. gegeben" gewesen, der die Erlassung des Aufenthaltsverbots unzulässig gemacht hätte. Mangels besonderer zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände sei auch nicht im Rahmen des Ermessens von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand zu nehmen.
Die Dauer des Aufenthaltsverbots begründete die belangte Behörde abschließend näher damit, dass im Hinblick auf das Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers und seine aktenkundige Lebenssituation nicht erwartet werden könne, dass die für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Gründe vor Ablauf dieser Frist weggefallen sein würden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Jänner 2010) geltende Fassung.
Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Nach § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte - die erwähnte Gefährdungsprognose rechtfertigende - Tatsache u.a. zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.
Der Beschwerdeführer weist unstrittig die eingangs dargestellte strafgerichtliche Verurteilung auf. Im Hinblick darauf hat er nicht nur den allgemeinen Aufenthaltsverbotstatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG verwirklicht. Es sind - was die belangte Behörde im Ergebnis zutreffend bejahte -
in seinem Fall auch die im Hinblick auf den ihm erteilten Niederlassungsnachweis maßgeblichen Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 Z 1 (erster Fall) FPG erfüllt, weil er wegen eines Verbrechens (des schweren Raubes) rechtskräftig verurteilt worden ist. Dies indiziert jedenfalls, dass vom Beschwerdeführer eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinn des § 56 Abs. 1 FPG ausgeht (vgl. zu den unterschiedlichen Gefährdungsmaßstäben grundlegend das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0603).
Die Beschwerde wendet gegen die Gefährdungsprognose zunächst ein, dass dem Beschwerdeführer aus einer von seiner Mutter allenfalls eingegangenen Scheinehe kein Vorwurf gemacht werden könne, sondern es sei auf sein Persönlichkeitsbild abzustellen. Beim Beschwerdeführer habe es sich um einen jugendlichen Ersttäter gehandelt, dem die Rechtswohltat der bedingten Strafnachsicht zuteil geworden sei. Die "Strafverfolgungsbehörden" seien daher davon ausgegangen, dass sowohl aus spezial- als auch aus generalpräventiver Sicht die vollständige Verbüßung der verhängten Freiheitsstrafe nicht erforderlich sei. Nach der Tat habe der Beschwerdeführer seine Schulausbildung abgeschlossen und einen Lehrberuf ergriffen. Die belangte Behörde habe sein Persönlichkeitsbild - für das sie auch sein sonstiges Umfeld/Verhalten zu berücksichtigen gehabt hätte - nur völlig unzureichend dargestellt. Da die Straftat vom Beschwerdeführer vor geraumer Zeit als Jugendlicher begangen worden sei, hätte die belangte Behörde zu einer positiven Zukunftsprognose gelangen müssen.
Dem Beschwerdeführer ist vorweg zwar zuzugestehen, dass ihm ein Fehlverhalten seiner Mutter bei Eingehen einer Aufenthaltsehe nicht angelastet werden kann (vgl. dazu auch das in der Sache der Ausweisung seiner Geschwister ergangene Erkenntnis vom , Zlen. 2012/22/0212, 0213). Daraus ist für den Beschwerdeführer fallbezogen jedoch nichts zu gewinnen, hat sich die belangte Behörde - wie auch die Beschwerde erkennt - bei der Gefährdungsprognose tragend ohnedies nur auf seine Verurteilung und das dieser zu Grunde liegende Fehlverhalten gestützt.
Entgegen den Beschwerdeausführungen vermag der Umstand, dass der Beschwerdeführer zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, eine Rechtswidrigkeit der - von den Fremdenbehörden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von gerichtlichen Erwägungen vorzunehmenden - Prognosebeurteilung nicht aufzuzeigen. Es lässt sich nämlich schon den Tatbeständen des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG die gesetzgeberische Wertung entnehmen, dass die (teil-)bedingte Strafnachsicht einem Aufenthaltsverbot nicht entgegensteht (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0311, mwN). Unter dem Blickwinkel des hier maßgeblichen Fremdenrechts ist ein allfälliger Gesinnungswandel eines Straftäters überdies in erster Linie daran zu messen, innerhalb welchen Zeitraums er sich nach der Entlassung aus der Strafhaft in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom ). Da die Straftat des Beschwerdeführers bei Erlassung des angefochtenen Bescheides erst etwa zweieinhalb Jahre zurücklag und die Entlassung aus der Strafhaft zudem erst am erfolgt war, war der Zeitraum bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides noch zu kurz, als dass die belangte Behörde daraus hätte schließen müssen, die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung sei bereits weggefallen. Zudem war im entscheidungsmaßgeblichen Zeitpunkt auch die vom Strafgericht festgesetzte Probezeit noch nicht abgelaufen. Die Prognosebeurteilung ist auch angesichts des - im angefochtenen Bescheid ohnedies berücksichtigten - jugendlichen Alters des Beschwerdeführers und des Umstands, dass es sich um seine erste strafgerichtliche Verurteilung handelte, nicht zu beanstanden. Die belangte Behörde durfte dabei nämlich auch berücksichtigen, dass die Tat unter Verwendung einer Waffe und mit (erheblicher) körperlicher Gewaltanwendung gegen eine zufällig ausgewählte Passantin ausgeübt wurde. Soweit die Beschwerde auch im Rahmen der Gefährdungsprognose darauf verweist, dass der Beschwerdeführer nach der Haftentlassung seinen Schulbesuch fortgesetzt und eine Maurerlehre begonnen habe, ist ihr zu entgegnen, dass diese Lebensumstände den Beschwerdeführer auch nicht von der Begehung der Straftat abgehalten haben. Die Beschwerde zeigt schließlich aber auch keine weiteren - von der belangten Behörde noch nicht berücksichtigten - Umstände im Umfeld des Beschwerdeführers oder in seinem Verhalten auf, aus denen zu schließen gewesen wäre, dass weitere Straftaten in Zukunft auszuschließen wären.
Aber auch die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung nach § 66 FPG ist nicht zu beanstanden. So wurde auf die in der Beschwerde angeführten Umstände im angefochtenen Bescheid bereits ausreichend eingegangen. Die belangte Behörde hat etwa berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer im Alter von zehn Jahren nach Österreich kam. Auch seine Aufenthaltsdauer sowie seine schulische und berufliche Ausbildung sind in die Interessenabwägung eingeflossen. Ebenso wurden seine familiären Bindungen an seine - volljährigen - Geschwister und seine Mutter miteinbezogen. In diesem Zusammenhang hat die belangte Behörde aber zu Recht darauf abgestellt, dass auch gegen die Mutter des Beschwerdeführers eine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wurde. Der belangten Behörde kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausging, dass sich der Beschwerdeführer in seiner Heimat, in der er zehn Jahre lang aufgewachsen war und einen nicht unerheblichen Teil seiner Sozialisation erfahren hatte, wieder zurechtfinden werde. Der Annahme, dass der Beschwerdeführer im Hinblick auf das gegen seine Mutter verhängte Aufenthaltsverbot auch in seinem Herkunftsland nicht ohne familiären Rückhalt sein werde, tritt die Beschwerde nicht erfolgreich entgegen. Das in diesem Zusammenhang erstattete unkonkrete Vorbringen, dass im Herkunftsland "eine familiäre Struktur im weitesten Sinne nicht mehr vorhanden" sei, ist schon deshalb nicht stichhaltig. Angesichts dessen tritt der Umstand, dass es sich beim Beschwerdeführer - wie die Beschwerde mehrfach betont - um einen jugendlichen Ersttäter handelt, in den Hintergrund. Die Trennung von den - bereits volljährigen - Geschwistern hat der Beschwerdeführer im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen.
Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht nämlich das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentums- und Gewaltkriminalität gegenüber. Es kann daher die Ansicht der belangten Behörde, dass das gegen den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten sei und die persönlichen Interessen die gegenläufigen öffentlichen Interessen nicht überwiegen würden, nicht als rechtswidrig erkannt werden.
Schließlich werden auch keine Gründe aufgezeigt, wonach das Ermessen durch die belangte Behörde nicht in gesetzmäßiger Weise ausgeübt worden wäre. Gegen die ausgesprochene Dauer des Aufenthaltsverbots wendet sich die Beschwerde nicht.
Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
RAAAE-77792