VwGH vom 29.03.2011, 2008/11/0051
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner sowie Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des R B in D, vertreten durch Winkler - Heinzle Rechtsanwaltspartnerschaft in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom , Zl. BHDO-VI-1201.01-2008/0017, betreffend Ladung in einer Angelegenheit des Suchtmittelgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Ladungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn wurde der Beschwerdeführer für den , 8.30 Uhr zur belangten Behörde (Abteilung Gesundheitswesen) vorgeladen. Zum Gegenstand der Ladung wurde angeführt: "Sie stehen im Verdacht Suchtgift missbraucht zu haben. Wir fordern Sie auf, zur amtsärztlichen Untersuchung … zu erscheinen. Wir müssen die Frage klären, ob Sie einer Therapie oder Behandlung bedürfen." Es wurde ihm unter anderem aufgetragen, einen Lichtbildausweis mitzubringen, für den Fall der Nichtbefolgung der Ladung wurde die Verhängung einer Zwangsstrafe angedroht. Als Rechtsgrundlagen wurden § 19 AVG und § 12 SMG genannt.
Diesem Ladungsbescheid lag gemäß § 19 AVG zugrunde, dass nach dem Abschlussbericht der Polizeiinspektion Lustenau vom 8. Feber 2008 der Beschwerdeführer verdächtigt wurde, im Feber 2007 und davor Suchtgift missbraucht zu haben. Dazu wurde in diesem Bericht Folgendes ausgeführt:
"(Der Beschwerdeführer) wurde bis dato vier Mal wegen eines Vergehens oder Verbrechens nach dem Suchtmittelgesetz an die Staatsanwaltschaft Feldkirch angezeigt. Die letzte Anzeige erfolgte am nach § 28 SMG.
(Der Beschwerdeführer) ist verdächtig 0,5 Gramm Cannabiskraut erworben und besessen zu haben.
(Der Beschwerdeführer) wurde am , gegen 05.30 Uhr, in Lustenau … als Gast einer Goa-Party kontrolliert und im Besitz von 0,5 Gramm Cannabis-Kraut betreten."
Gegen den genannten Ladungsbescheid der belangten Behörde richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde. Hierauf hat der Beschwerdeführer die Äußerung vom erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes (SMG) lauten auszugsweise:
"Gesundheitsbezogene Maßnahmen bei Suchtgiftmißbrauch
§ 11. (1) Personen, die wegen Suchtgiftmißbrauchs oder der Gewöhnung an Suchtgift gesundheitsbezogener Maßnahmen gemäß Abs. 2 bedürfen, haben sich den notwendigen und zweckmäßigen, ihnen nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen gesundheitsbezogenen Maßnahmen zu unterziehen. Bei Minderjährigen haben die Eltern oder anderen Erziehungsberechtigten im Rahmen ihrer Pflicht zur Pflege und Erziehung dafür zu sorgen, daß sie sich solchen Maßnahmen unterziehen.
(2) Gesundheitsbezogene Maßnahmen sind
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1. | die ärztliche Überwachung des Gesundheitszustands, |
2. | die ärztliche Behandlung einschließlich der Entzugs- und Substitutionsbehandlung, |
3. | die klinisch-psychologische Beratung und Betreuung, |
4. | die Psychotherapie sowie |
5. | die psychosoziale Beratung und Betreuung |
durch qualifizierte und mit Fragen des Suchtgiftmißbrauchs hinreichend vertraute Personen. | |
... |
§ 12. (1) Ist auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, daß eine Person Suchtgift mißbraucht, so hat sie die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde der Begutachtung durch einen mit Fragen des Suchtgiftmißbrauchs hinreichend vertrauten Arzt, der erforderlichenfalls mit zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Angehörigen des klinischpsychologischen oder psychotherapeutischen Berufes zusammenzuarbeiten hat, zuzuführen. Die Person hat sich den hiefür notwendigen Untersuchungen zu unterziehen.
(2) Ergibt die Begutachtung, daß eine gesundheitsbezogene Maßnahme gemäß § 11 Abs. 2 notwendig ist, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde darauf hinzuwirken, daß sich die Person einer solchen zweckmäßigen, ihr nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen Maßnahme unterzieht. ...
...
§ 14. (1) Steht eine Person, die Suchtgift missbraucht, im Verdacht, eine Straftat nach § 27 Abs. 1 oder 2 begangen zu haben, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde nur dann Strafanzeige zu erstatten, wenn sich die Person den notwendigen, zweckmäßigen, ihr nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen gesundheitsbezogenen Maßnahmen gemäß § 11 Abs. 2 nicht unterzieht. Besteht Grund zur Annahme, dass die Voraussetzungen des § 35 vorliegen, so hat sie statt einer Strafanzeige sogleich eine Stellungnahme nach § 35 Abs. 3 Z 2 zu erstatten.
(2) Die Sicherheitsbehörden haben der Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde die von ihnen wegen des Verdachts einer Straftat nach den §§ 27, 28 oder 28a an die Staatsanwaltschaft erstatteten Berichte unverzüglich mitzuteilen.
..."
Im Hinblick auf die im angefochtenen Bescheid enthaltene Androhung einer Zwangsmaßnahme für den Fall des Nichterscheinens vor der Behörde zum angegebenen Zeitpunkt besteht kein Zweifel, dass es sich dabei um einen Ladungsbescheid im Sinne des § 19 AVG handelt. Gemäß § 19 Abs. 4 AVG war dagegen kein Rechtsmittel zulässig. Die Voraussetzungen für die Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof liegen vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit § 12 SMG bereits mehrfach die Auffassung vertreten, dass dann, wenn der Verdacht gegeben ist, eine Person missbrauche Suchtgift, im Hinblick auf allenfalls zu setzende ärztliche Maßnahmen Raschheit geboten sei. Im Regelfall könne daher nicht gesagt werden, dass es gleichgültig sei, ob der Betreffende früher oder später bei der Behörde erscheine, weshalb der Behörde eine Überschreitung des Auswahlermessens hinsichtlich der Form der Ladung nicht vorzuwerfen sei, wenn sie sich für einen Ladungsbescheid entscheidet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/11/0061, mit weiteren Nachweisen).
In der Beschwerde wird unter anderem geltend gemacht, es fehlten Gründe für die Annahme, der Beschwerdeführer missbrauche (aktuell) Suchtgift. Der einzige von der Behörde ihm angelastete Vorfall vom 18. Feber 2007 - bei welchem im Übrigen lediglich ein vor ihm auf dem Boden liegendes Säckchen mit Cannabiskraut, welches nicht ihm gehört habe, vorgefunden worden sei - biete dafür keine ausreichende Grundlage.
Schon dieses Vorbringen ist zielführend.
Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Ladungsbescheides zur Verfolgung der im § 12 Abs. 1 SMG umschriebenen gesundheitspolizeilichen Zwecke ist, dass bestimmte Tatsachen zur Annahme zwingen, dass "eine Person Suchtgift missbraucht"; im Hinblick auf den Regelungsgegenstand ist als tatbestandsmäßig anzusehen, dass der Suchtgiftmissbrauch in der Person des Betreffenden selbst gelegen sein muss. Das Vorhandensein derartiger "bestimmter Tatsachen" muss im Zeitpunkt der Ladung (hier: Erlassung des Ladungsbescheides) gegeben sein, wobei "der Verdacht eines aktuellen Suchtmittelmissbrauchs in einer bestimmten Dichte gegeben sein muss" (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/11/0037, sowie das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/11/0061, je mit weiteren Nachweisen). Diese Voraussetzungen sind im Beschwerdefall jedoch nicht erfüllt.
Im Beschwerdefall beruft sich die belangte Behörde für ihre Annahme, der Beschwerdeführer missbrauche Suchtmittel, allein auf den bereits erwähnten Abschlussbericht der Polizeiinspektion Lustenau, der einen Vorfall vom 18. Feber 2007 betrifft, wonach "bei (dem Beschwerdeführer) ca. 0,5 Gramm Cannabiskraut aufgefunden und sichergestellt" worden seien.
Dieser im Zeitpunkt der Erlassung des Ladungsbescheides bereits mehr als ein Jahr zurückliegende Vorfall konnte ohne das Hinzutreten weiterer Umstände aber nicht begründen, dass im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides ein hinreichender Verdacht auf aktuellen Suchtmittelmissbrauch bestand oder auch nur kurze Zeit zurückliegend Suchtgift tatsächlich missbraucht wurde. Auch der im polizeilichen Abschlussbericht aufgenommene Hinweis, dass der Beschwerdeführer "bis dato vier Mal wegen eines Vergehens oder Verbrechens nach dem Suchtmittelgesetz … angezeigt" worden sei, wobei die letzte Anzeige am 6. Feber 2006 erfolgt sei, bezieht sich ebenfalls auf weit zurückliegende Vorfälle, der Hinweis ist außerdem völlig unbestimmt und schon deshalb als Grundlage für die hier in Rede stehende Ladung nach der genannten Rechtslage nicht geeignet. Fehlt aber die entscheidende Voraussetzung für einen Ladungsbescheid, so erweist sich die vorgenommene Ladung als rechtswidrig.
Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden müsste.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG Abstand genommen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am