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VwGH vom 26.09.2019, Ra 2018/10/0108

VwGH vom 26.09.2019, Ra 2018/10/0108

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision des M N in R, vertreten durch Mag. Johannes Aigner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Leopoldstraße 3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichte s Tirol vom , Zl. LVwG-2017/17/2581-2, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Innsbruck), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom wurde dem Revisionswerber - im Beschwerdeverfahren - gemäß § 5 und 9 Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG) für den Zeitraum vom bis eine Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes in der Höhe von monatlich EUR 475,01 und im September 2017 eine einmalige Sonderzahlung in der Höhe von EUR 76,-- zuerkannt. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2 Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges und der maßgeblichen Rechtsvorschriften zunächst aus, die erkennende Richterin habe hinsichtlich des Revisionswerbers bereits ein näher genanntes Verfahren geführt und mit Erkenntnis vom rechtskräftig abgeschlossen, das "genau die gleiche Thematik zum Inhalt" gehabt habe. In weiterer Folge gab das Verwaltungsgericht dieses Erkenntnis wörtlich wieder.

3 Sodann führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, auch in einem (weiteren) Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom (wie zu ergänzen ist: das mit hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/10/0119, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben wurde) sei festgehalten worden, dass kein Zweifel daran bestehen könne, dass beim Revisionswerber, der bereits über zwei Jahre arbeitslos sei, nicht nur eine vorübergehende Arbeitslosigkeit vorliege. Es werde darauf hingewiesen, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Revisionswerbers seit diesem Erkenntnis (gemeint: vom ) bis zum heutigen Tag nicht geändert hätten. Er verfüge zwar über eine abgeschlossene Berufsausbildung, jedoch über kein Beschäftigungsverhältnis. Die Voraussetzungen für die Gewährung des Alleinstehenden-Richtsatzes gemäß § 5 Abs. 2 lit. a TMSG lägen nicht vor, weil der Revisionswerber mit seiner unterhaltsverpflichteten Mutter im gemeinsamen Haushalt lebe und daher nicht als "alleinstehend" iSd § 2 Abs. 4 TMSG bezeichnet werden könne. Zusammenfassend sei festzuhalten, dass in Ermangelung etwaiger Eigenmittel des Revisionswerbers und aufgrund der sich ergebenden Unterhaltsverpflichtung der Mutter, die diese u.a. dadurch (zumindest zum Teil) erfülle, dass sie dem Sohn die Miete bezahle, dem Revisionswerber lediglich der Mindestsatz nach § 5 Abs. 2 lit. b TMSG zuzusprechen sei. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

4 Die Revision gegen dieses Erkenntnis ließ das Verwaltungsgericht im Wesentlichen mit einem Verweis auf den Wortlaut des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zu.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6 Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

7 Die Revision macht in ihrer Zulässigkeitsbegründung unter anderem geltend, die vorliegende Entscheidung weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (Verweis auf ; , Ro 2014/10/0037). 8 Die Revision ist zulässig und begründet:

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat im - den Revisionswerber betreffenden - hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/10/0037, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, Folgendes ausgeführt:

"Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Unterhaltsanspruch des Kindes gegenüber einem Elternteil nach § 140 ABGB (aF) bzw. dem am in Kraft getretenen inhaltsgleichen § 231 ABGB idF BGBl. I Nr. 15/2013 entfällt die elterliche Unterhaltspflicht grundsätzlich mit Erreichung der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes. Selbsterhaltungsfähigkeit bedeutet die Fähigkeit zur eigenen angemessenen Bedarfsdeckung auch außerhalb des elterlichen Haushalts. Selbsterhaltungsfähig ist ein Kind somit dann, wenn es die zur Deckung seines Unterhalts erforderlichen Mittel selbst erwirbt oder aufgrund zumutbarer Beschäftigung zu erwerben imstande ist. Eine einmal eingetretene Selbsterhaltungsfähigkeit kann unabhängig vom jeweiligen Alter des Kindes aus den unterschiedlichsten Gründen - etwa infolge längerfristiger Unmöglichkeit der Berufsausübung wegen Krankheit, unverschuldeter Arbeitslosigkeit oder ähnlichen Gründen bei Fehlen ausreichender sozialer Absicherung - auch wieder wegfallen, wenn der Unterhaltsberechtigte außerstande ist, die Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Gänze oder auch nur teilweise durch eigene Erwerbstätigkeit zu verdienen. Dies hat zur Folge, dass die Unterhaltspflicht der Eltern wiederauflebt. Eine bloße Einkommensminderung hat aber noch nicht den Verlust der einmal eingetretenen Selbsterhaltungsfähigkeit und das Wiederaufleben der Unterhaltspflicht zur Folge. Das grundsätzlich selbsterhaltungsfähige erwachsene Kind verliert im Falle der (unverschuldeten) Arbeitslosigkeit seine Selbsterhaltungsfähigkeit somit nur dann, wenn es aufgrund fehlender sozialer Absicherung nicht mehr in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die soziale Absicherung des erwachsenen Kindes ist im Falle einer Langzeitarbeitslosigkeit jedenfalls dann gegeben, wenn es Arbeitslosengeld bezieht. Aber auch durch den Bezug der Notstandshilfe ist das selbsterhaltungsfähige erwachsene Kind sozial abgesichert, dient doch die Notstandshilfe dazu, dem in Notlage befindlichen Arbeitslosen die Befriedigung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse zu ermöglichen (vgl. zum Ganzen etwa das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom , 9 ObA 15/16w, mwN).

Dem angefochtenen Bescheid sind Feststellungen, die die Beurteilung der belangten Behörde, der Revisionswerber sei nicht mehr als selbsterhaltungsfähig anzusehen, tragen könnten, nicht zu entnehmen. Der bloße Umstand, dass der 1971 geborene Revisionswerber, obwohl EDV-Techniker, seit Oktober 2010 arbeitslos ist, besagt noch nicht, dass es ihm (längerfristig) unmöglich (gewesen) wäre, einer Arbeit nachzugehen. Da das grundsätzlich selbsterhaltungsfähige erwachsene Kind seine Selbsterhaltungsfähigkeit nur im Falle der unverschuldeten Arbeitslosigkeit verliert, bedarf es einer Beurteilung unter diesem Aspekt. Dem angefochtenen Bescheid fehlen aber Feststellungen über Umstände, aus denen klar ersichtlich wird, dass der Revisionswerber aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen nicht im Stande ist, die zur Deckung seines Unterhaltes erforderlichen Mittel selbst zu erwerben."

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters im - ebenfalls den Revisionswerber betreffenden - hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/10/0119 (mit dem jene Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom aufgehoben wurde, auf die die Begründung des nunmehr angefochtenen Erkenntnisses ausdrücklich verweist), nach Wiedergabe der oben zitierten Passage aus dem hg. Erkenntnis Ro 2014/10/0037 u. a. Folgendes ausgeführt:

"Nach der ... Begründung des angefochtenen Erkenntnisses geht

das Verwaltungsgericht davon aus, dass beim Revisionswerber keine bloß vorübergehende Arbeitslosigkeit vorliege und ‚sich dem Akteninhalt nicht entnehmen' lasse, dass der Revisionswerber ‚schuldhaft arbeitslos geworden' sei.

Mit diesen Ausführungen werden allerdings keine Feststellungen über Umstände, aus denen klar ersichtlich wird, dass der Revisionswerber aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen nicht im Stande ist, die zur Deckung seines Unterhaltes erforderlichen Mittel selbst zu erwerben, getroffen. Wie bereits im genannten Erkenntnis zu Zl. Ro 2014/10/0037 ausgeführt, besagt der bloße Umstand, dass der 1971 geborene Revisionswerber, obwohl EDV-Techniker, seit Oktober 2010 arbeitslos ist, noch nicht, dass es ihm (längerfristig) unmöglich (gewesen) wäre, einer Arbeit nachzugehen. Der Hinweis darauf, dass ‚sich dem Akteninhalt nicht entnehmen' lasse, dass der Revisionswerber ‚schuldhaft arbeitslos geworden' sei, vermag derartige Feststellungen nicht zu ersetzen."

11 Auch dem hier angefochtenen Erkenntnis lassen sich Feststellungen über Umstände, aus denen klar ersichtlich wird, dass der Revisionswerber aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen nicht im Stande ist, die zur Deckung seines Unterhaltes erforderlichen Mittel selbst zu erwerben, nicht entnehmen. Das Verwaltungsgericht geht lediglich davon aus, dass im Falle des Revisionswerbers nicht nur eine vorübergehende Arbeitslosigkeit vorliege und er zwar über eine abgeschlossene Berufsausbildung, jedoch über kein Beschäftigungsverhältnis verfüge. Auch dem in der Begründung wörtlich wiedergegebenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom ist darüber hinaus lediglich der Hinweis zu entnehmen, dass "sich dem Akteninhalt nicht entnehmen" lasse, dass der Revisionswerber "schuldhaft arbeitslos geworden" sei.

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

13 Der Vollständigkeit halber ist aus verfahrensökonomischen Gründen auf Folgendes hinzuweisen: Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung (in einem Fall, in dem es um die Frage des Wiederauflebens der Unterhaltspflicht der Eltern eines 60-jährigen "Kindes" ging), bereits festgehalten, dass sich aus der Judikatur zur Frage des Verlusts der Selbsterhaltungsfähigkeit folgende Grundsätze ableiten lassen: Ein Verschulden des "Kindes" am Verlust des Arbeitsplatzes allein hindert grundsätzlich nicht das Wiederaufleben der Unterhaltspflicht der Eltern. Nachhaltiges Unterlassen von zumutbaren Bemühungen in Richtung einer Berufsausübung bzw. Zukunftsvorsorge löst aber die Rechtsfolge einer bleibenden, nur hypothetischen Selbsterhaltungsfähigkeit aus und führt zur Rechtsmissbräuchlichkeit der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen die Eltern. Wann von einer derartigen Nachhaltigkeit auszugehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls und kann nicht generell beantwortet werden (). Zudem kann das unterhaltsberechtigte Kind auch auf Hilfsarbeitertätigkeiten verwiesen werden, wenn es nach abgeschlossener Berufsausbildung längere Zeit keine entsprechende Arbeitsmöglichkeit findet, insbesondere dann, wenn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen gering ist (vgl. die bei Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 (2019), Rz 793, zitierte Judikatur).

14 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018100108.L00
Schlagworte:
Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete

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