VwGH vom 22.11.2012, 2012/23/0029
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des Y in W, vertreten durch Dr. Gerfried Höfferer, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Praterstern 2/1. DG, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/481.269/2007, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am nach Österreich ein und stellte - nachdem er nach seinen Angaben im Asylverfahren in der Zwischenzeit ca. ein Jahr bei Verwandten in Deutschland gelebt hatte und im August 2002 nach Österreich zurückgekehrt war - im September 2002 einen Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom unter gleichzeitiger Feststellung, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 Asylgesetz 1997 zulässig sei, abgewiesen. Auf Grund der Zurückziehung der vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung erwuchs der Bescheid am in Rechtskraft. Am heiratete der Beschwerdeführer in Wien eine österreichische Staatsbürgerin.
Mit Bescheid vom erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen diesen wegen Mittellosigkeit ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes rechtskräftig gewordenes Aufenthaltsverbot.
Im Hinblick auf das bestehende Aufenthaltsverbot wurde ein vom Beschwerdeführer am gestellter, von seiner Ehefrau abgeleiteter Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom abgewiesen.
In weiterer Folge wurde das gegen den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom von Amts wegen mit dem Hinweis auf die Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin aufgehoben.
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom wurde ein vom Beschwerdeführer am neuerlich gestellter Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abgewiesen. Die in weiterer Folge gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom abgewiesen.
Der Beschwerdeführer lebt mit seiner Ehefrau und der gemeinsamen, am geborenen Tochter, die beide österreichische Staatsbürger sind, in Wien.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.
In ihren Erwägungen hielt die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum vom bis zum rechtskräftigen negativen Abschluss seines Asylverfahrens im Besitz einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1997 gewesen sei und sich seit beinahe drei Jahren mangels Besitzes eines Einreise- oder Aufenthaltstitels unrechtmäßig im Bundesgebiet befinde. Die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG lägen daher vor.
Im Rahmen der gemäß § 66 FPG durchzuführenden Interessenabwägung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei nach wie vor mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und habe mit dieser "einen gemeinsamen Sohn" (richtig: Tochter) mit österreichischer Staatsbürgerschaft. Unter Bedachtnahme auf den mehrjährigen, jedoch seit einem langen Zeitraum unrechtmäßigen inländischen Aufenthalt sei von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privatbzw. Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiete des Fremdenwesens - dringend geboten sei. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu.
Der Beschwerdeführer sei trotz des rechtskräftig negativ abgeschlossenen Asylverfahrens, eines für den Zeitraum von etwa einem Jahr und drei Monaten bestehenden Aufenthaltsverbotes sowie der Abweisung seiner Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen. Die Erlassung der Ausweisung sei daher dringend geboten und im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG zulässig.
Mangels besonderer, zugunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe von der Erlassung der Ausweisung auch im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens nicht Abstand genommen werden können, zumal der Beschwerdeführer rechtens nicht in der Lage sei, seinen Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren. Zum einen bestünden nämlich keine nachvollziehbaren Gründe, welche die Familie hindern könnten, den Beschwerdeführer in das Ausland zu begleiten bzw. ihn dort zu besuchen. Zum anderen vermöge auch das Vorbringen, der Beschwerdeführer müsste in seinem Heimatland den Militärdienst ableisten, keinen berücksichtigungswürdigen Umstand darzustellen.
Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , B 807/08-7, wurde die Behandlung der vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid der belangten Behörde erhobenen Beschwerde abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetreten. Über die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im April 2008 geltende Fassung.
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Unstrittig wurde das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig negativ abgeschlossen. Der Beschwerdeführer behauptet auch nicht, dass ihm ein Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet erteilt worden sei. Die belangte Behörde ist somit zutreffend davon ausgegangen, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die Ausweisung darf nach dem - auch bei Ausweisungen gemäß § 53 Abs. 1 FPG zu beachtenden - § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthalts und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.
Die Beschwerde wendet sich gegen die von der belangten Behörde durchgeführte Interessenabwägung und verweist auf die familiären Bindungen des Beschwerdeführers zu seiner österreichischen Ehefrau und der gemeinsamen - ebenfalls österreichischen - Tochter. Nach Einbringung der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof sei die zweite Tochter des Beschwerdeführers geboren worden. Er habe "von 2001 bis Ende 2005" (richtig: vom bis ) über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung verfügt und während dieser Zeit seine Ehefrau kennengelernt. Seine Ehefrau befinde sich in Karenz, seine Familie sei auf sein Einkommen angewiesen. Die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, dass seine Ehefrau mit einem Kleinkind in der Türkei nicht leben könnte. Er sei unbescholten, "seit sieben Jahren" in Österreich aufhältig und integriert. Auch zu seiner langjährigen Erwerbstätigkeit im selben Unternehmen habe die belangte Behörde keine Feststellungen getroffen.
Mit diesen Ausführungen zeigt die Beschwerde im Ergebnis einen relevanten Begründungsmangel des angefochtenen Bescheides auf.
Die belangte Behörde hat zwar zutreffend den hohen Stellenwert der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betont. Allerdings hat sie vor allem die aufrechte Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin und die familiäre Bindung zu seiner Tochter nicht im erforderlichen Ausmaß berücksichtigt und sich nicht näher mit den konkreten Auswirkungen der Ausweisung auf seine Situation und auf die seiner österreichischen Ehefrau und des gemeinsamen Kindes mit österreichischer Staatsbürgerschaft auseinandergesetzt. Dazu wäre es auch notwendig gewesen, nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Beschwerdeführers und seiner Familie zu treffen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0287, mwN). So blieb in der von der belangten Behörde durchgeführten Interessenabwägung etwa auch das vom Beschwerdeführer in der Berufung erstattete Vorbringen, seine Ehefrau befinde sich in Karenz und verfüge über kein bzw. nur über ein geringes Einkommen, und er selbst könnte in der Türkei nicht für den Unterhalt der Familie sorgen, unberücksichtigt. Zur Gänze ausgeblendet blieb im Rahmen der im angefochtenen Bescheid durchgeführten Interessenabwägung auch die bereits mehrjährige Berufstätigkeit des Beschwerdeführers beim selben Arbeitgeber, auf die jener bereits in seiner Stellungnahme vom hingewiesen hatte.
Im Übrigen hat die belangte Behörde dem gegen den Beschwerdeführer vorübergehend bestehenden Aufenthaltsverbot bei ihrer Interessenabwägung ein zu großes Gewicht beigemessen. Sie hat dabei nämlich nicht einbezogen, dass das Aufenthaltsverbot zunächst zwar für die Dauer von fünf Jahren erlassen worden war, jedoch bereits nach etwas mehr als einem Jahr mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom mit dem Hinweis auf die Ehe des Beschwerdeführers - von Amts wegen - wieder aufgehoben wurde.
Aus den dargelegten Gründen ist der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie die gebotene Interessenabwägung nach § 66 FPG vor dem Hintergrund der in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hervorgestrichenen Kriterien im vorliegenden Fall nur unzureichend vorgenommen hat (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0126, mwN).
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
IAAAE-77769