VwGH vom 12.09.2012, 2012/23/0016
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des Mahabir S in W, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 668/04, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist indischer Staatsangehöriger und reiste am in das Bundesgebiet ein. Sein am folgenden Tag gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen. Gleichzeitig wurde gemäß § 8 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien für zulässig erklärt. Das Verfahren über die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung war bei Erlassung des hier gegenständlichen Bescheides der belangten Behörde noch anhängig.
Am heiratete der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin. Im Hinblick darauf beantragte er am die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung.
Erhebungen wegen des Verdachts des Vorliegens einer Scheinehe ergaben, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau getrennte Wohnsitze führten und an unterschiedlichen Adressen gemeldet waren. Im Rahmen einer am erfolgten niederschriftlichen Vernehmung gab die Ehefrau des Beschwerdeführers an, diesen kurz vor der Eheschließung kennengelernt zu haben, damals in einer finanziellen Notlage gewesen zu sein und von ihm für die Eheschließung EUR 2.500,-- oder EUR 3.500,-- erhalten zu haben. Es habe kein gemeinsamer Wohnsitz bestanden; es sei vereinbart worden, dass die Ehe mindestens 18 Monate bestehen solle und der Beschwerdeführer "das Aufenthaltsrecht" bekomme. Seit der Eheschließung habe sie den Beschwerdeführer lediglich ca. fünfzehnmal gesehen. Sie lebe derzeit in einer Lebensgemeinschaft (mit einem anderen Mann). Sie habe bereits eine Ehe mit einem Fremden geführt, die vor ca. zwölf Jahren aufgelöst worden sei, nachdem sie das Eingehen einer Scheinehe zugegeben habe.
Daraufhin erließ die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer nach den Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der dagegen erhobenen Berufung keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass gegen den Beschwerdeführer gemäß § 62 Abs. 1 und 2 iVm § 87 iVm § 86 Abs. 1 und § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein Rückkehrverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen werde.
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, es gebe keinen Grund, an der Richtigkeit der Zeugenaussage der Ehefrau des Beschwerdeführers zu zweifeln. Diese habe nachvollziehbar begründet, dass sie sich in die Aufenthaltsehe auf Grund einer finanziellen Notlage eingelassen habe. Sie sei Notstandshilfebezieherin gewesen und habe Sorgepflichten für ein minderjähriges Kind gehabt.
Der Beschwerdeführer habe bestritten, für die Eheschließung Geld bezahlt zu haben, und vorgebracht, bereits bei der Antragstellung zur Erteilung eines Aufenthaltstitels darauf hingewiesen zu haben, dass er von seiner Ehefrau so lange getrennt leben werde, bis eine geeignete Wohnung gefunden werde. Lediglich für den Fall, dass sich seine "Interessen" mit jenen seiner Ehefrau nicht vereinbaren lassen würden, sei nach seinen Angaben eine Scheidung im Einvernehmen vereinbart worden. Diese Behauptungen - so die belangte Behörde - stünden im krassen Widerspruch zu den schlüssigen und glaubwürdigen Aussagen seiner Ehefrau und würden als Schutzbehauptungen gewertet, zumal der Beschwerdeführer ein großes Interesse an der Aufrechterhaltung der Ehe habe.
Gestützt auf diese beweiswürdigenden Überlegungen sah die belangte Behörde den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG als erfüllt an. Der Missbrauch des Rechtsinstitutes der Ehe zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Rechte stelle eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch im Sinne des § 86 Abs. 1 FPG rechtfertige. Diese Gefährdung der öffentlichen Ordnung sei trotz eines Zeitablaufes von mehr als fünf Jahren seit der rechtsmissbräuchlichen Eheschließung nach wie vor gegeben. In einem solchen Fall könne gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot (§ 62 FPG) erlassen werden, wenn dem nicht die Bestimmung des § 66 FPG entgegenstehe.
Die Zulässigkeit des Rückkehrverbotes sei auch im Rahmen der gemäß § 66 FPG gebotenen Interessenabwägung zu bejahen. Der Beschwerdeführer sei seit mehr als acht Jahren in Österreich aufhältig und verfüge im Bundesgebiet über keine familiären Bindungen. Nur auf Grund seiner Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin und seiner daraus resultierenden bevorzugten Stellung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz habe er ab eine Beschäftigung als Arbeiter eingehen können, wobei sich diese "auf Grund der geänderten gesetzlichen Bestimmungen" seit als unrechtmäßig erweise. Das Gewicht der durch seinen Aufenthalt erzielten Integration des Beschwerdeführers werde daher wesentlich geschmälert. Seine persönlichen Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet würden keinesfalls schwerer wiegen als das öffentliche Interesse an der Erlassung der fremdenrechtlichen Maßnahme.
Mangels sonstiger, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe die belangte Behörde von der Erlassung des Rückkehrverbotes auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können.
Im Hinblick auf das dargelegte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers könne ein Wegfall des für die Erlassung des Rückkehrverbotes maßgeblichen Grundes nicht vor dem Verstreichen des spruchgemäß festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (September 2009) maßgebliche Fassung.
Gemäß § 125 Abs. 1 FPG sind Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes (am ) anhängig sind, nach dessen Bestimmungen weiter zu führen. In Anbetracht des zum genannten Zeitpunkt anhängigen Verfahrens über die Berufung gegen das erstinstanzliche Aufenthaltsverbot und das im Entscheidungszeitpunkt noch anhängigen Asylverfahrens des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde zutreffend geprüft, ob die Voraussetzungen zur Erlassung eines Rückkehrverbotes im Sinne des § 62 FPG vorliegen.
Gemäß § 62 Abs. 1 FPG kann gegen einen Asylwerber bei Vorliegen der dort umschriebenen Gefährdungsannahme ein Rückkehrverbot erlassen werden.
Die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung zugrunde gelegt, dass der Beschwerdeführer nach wie vor mit der österreichischen Staatsbürgerin verheiratet ist. Davon ausgehend hat sie richtig erkannt, dass für diesen Fall die Erlassung eines Rückkehrverbotes gegen den Beschwerdeführer nur unter den Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG in Betracht kommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0160, mwN). Nach § 86 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (bzw. wie hier eines Rückkehrverbotes) nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass diese Voraussetzungen gegeben sind, wenn der Fremde iSd Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat (vgl. erneut das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2009/21/0160, mwN).
Angesichts dessen kommt dem in der Beschwerde behaupteten Umstand, dass die Ehe bereits am geschieden worden sei, keine Bedeutung zu, weil dies lediglich die direkte Heranziehung des § 60 Abs. 2 Z 9 (iVm § 62 Abs. 1 und 2) FPG zur Folge gehabt hätte.
Der Beschwerdeführer bestreitet zunächst die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG. Er habe sich nämlich bei seinem Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nicht wirksam auf die damals geschlossene Ehe berufen, weil ihm der beantragte Aufenthaltstitel nach seiner Ehefrau auf Grund der bestehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG ohne Zurückziehung des Asylantrages gar nicht erteilt hätte werden dürfen.
Dieses Vorbringen ist im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht zielführend, weil es nach § 60 Abs. 2 Z 9 FPG genügt, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung auf die Scheinehe zu berufen, was der Beschwerdeführer unbestritten bei seiner Antragstellung am gemacht hat.
Die Beschwerde wendet sich auch gegen die Gefährdungsannahme und bringt vor, dass das dem Aufenthaltsverbot zugrunde liegende Fehlverhalten "rund 7 Jahre" zurückliege, der Beschwerdeführer sich seither stets wohlverhalten habe und Änderungen in seinen Lebensumständen nicht ausgeklammert werden dürften. Die belangte Behörde habe dazu keine Ermittlungen durchgeführt und dem Beschwerdeführer kein Parteiengehör gewährt.
Soweit der Beschwerdeführer mit diesem Vorbringen auf die zum Fremdengesetz 1997 ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt, wonach die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht mehr geboten sei, sofern der Rechtsmissbrauch des Eingehens einer Scheinehe bereits fünf Jahre zurückliege, ist ihm zu entgegnen, dass diese Judikatur im Anwendungsbereich des FPG nicht aufrecht erhalten wurde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/23/0022, mwN). Ferner trifft es nach dem vorgelegten Verwaltungsakt zwar zu, dass die belangte Behörde seit Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides vom bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides, somit über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren, offensichtlich keine weiteren erkennbaren Ermittlungen getätigt hat. Dies führt aber nicht zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, weil sich die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Umstände, die im angefochtenen Bescheid nicht berücksichtigt worden seien, im Wesentlichen auf den Hinweis auf sein Wohlverhalten sowie auf einen gemeinsamen Haushalt mit seinem - volljährigen - Bruder beschränken und im Ergebnis nicht relevant sind.
Ebenso wenig legt die Beschwerde konkret dar, zu welchem der behördlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhaltselement dem Beschwerdeführer kein Parteiengehör gewährt worden wäre.
Nicht zu beanstanden ist daher im Ergebnis auch die behördliche Interessenabwägung nach § 66 (iVm § 62 Abs. 3) FPG. Der Beschwerdeführer verweist in diesem Zusammenhang zu Unrecht auf einen "beinahe 10 Jahre" (richtig: acht Jahre und fünf Monate) dauernden Aufenthalt in Österreich, ferner auf seine Beschäftigung, sein enges familiäres Verhältnis zu seinem volljährigen Bruder und auf gute Kenntnisse der deutschen Sprache.
Damit zeigt die Beschwerde aber keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, hat die belangte Behörde doch sowohl den mehr als achtjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet als auch seine Berufstätigkeit ausreichend berücksichtigt. Die in der Beschwerde vorgebrachte familiäre Bindung des Beschwerdeführers zu seinem Bruder ist bereits auf Grund der Volljährigkeit der Beteiligten nicht geeignet, eine maßgebliche Verstärkung der persönlichen Interessen herbeizuführen. Die Beurteilung der belangten Behörde, angesichts des Schließens einer Aufenthaltsehe sei das öffentliche Interesse an der Erlassung eines Rückkehrverbots derart gewichtig, dass die aus dem bisherigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers und seiner beruflichen Tätigkeit abzuleitenden gegenläufigen Interessen zurückzutreten haben, ist nicht als rechtswidrig zu erkennen.
Schließlich bemängelt die Beschwerde die im angefochtenen Bescheid festgelegte Dauer des Rückkehrverbotes mit der Begründung, die belangte Behörde habe durch ihre fünfeinhalb Jahre nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides getroffene Entscheidung das "Aufenthaltsverbot" de facto auf zehn Jahre erstreckt. Dabei übersieht die Beschwerde jedoch, dass der erstinstanzliche Bescheid, mit dem die damals nach § 39 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 zulässige Höchstdauer von fünf Jahren ausgeschöpft wurde, auf Grund der vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung nicht rechtswirksam geworden war und die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG berechtigt war, ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Gemäß § 63 Abs. 1 FPG kann ein Rückkehrverbot u.a. im Fall des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Mit der Festsetzung einer fünfjährigen Dauer des Rückkehrverbotes hat die belangte Behörde den seit der Verwirklichung des genannten Tatbestandes vergangenen Zeitraum angemessen berücksichtigt. Die Beschwerde zeigt nicht konkret auf, aus welchen Gründen die belangte Behörde eine kürzere Dauer des Rückkehrverbotes hätte festlegen müssen.
Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
PAAAE-77732