VwGH vom 20.12.2012, 2012/23/0007

VwGH vom 20.12.2012, 2012/23/0007

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des F in W, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/86.171/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, reiste Ende Juni 2001 nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom abgewiesen wurde. Dagegen erhob er Berufung.

Am heiratete der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin. Im Hinblick auf diese Ehe stellte er am einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom (unbekämpft) zurückgewiesen, weil der Beschwerdeführer über eine vorläufige asylrechtliche Aufenthaltsberechtigung verfügte. Hierauf zog der Beschwerdeführer die im Asylverfahren eingebrachte Berufung zurück und stellte am unter Berufung auf seine Ehe neuerlich einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung.

Bereits davor waren von der Bundespolizeidirektion Wien zur Frage des Bestehens eines gemeinsamen Familienlebens zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau Erhebungen an ihrer Wohnadresse geführt worden, deren Ergebnis in einem Bericht vom näher dargestellt wurde. Hierauf wurden der Beschwerdeführer und seine Ehefrau am zum Verdacht des Bestehens einer Scheinehe, deren Vorliegen sie bestritten, niederschriftlich befragt.

Nachdem die Staatsanwaltschaft Wien, die am um die Übersendung des Fremdenpolizeiaktes ersucht hatte, mit Schreiben vom mitgeteilt hatte, dass keine Ehenichtigkeitsklage gemäß § 23 EheG erhoben werde, wurde der Beschwerdeführer vom Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme verständigt. Dazu erstattete er mit Schriftsatz seines Rechtsvertreters vom eine Stellungnahme. Unter anderem meinte er, seine Einvernahme habe nur geringen Beweiswert, weil sie ohne Dolmetscher erfolgt sei. Wie die Behörde zur Ansicht habe gelangen können, dass ein Dolmetscher nicht erforderlich sei, obwohl in der Niederschrift mit dem Beschwerdeführer gleichzeitig festgehalten worden sei, dass eine Verständigung äußerst schwierig sei, wäre nicht nachvollziehbar. Er erhob daher gegen die Niederschrift Einwendungen gemäß § 15 AVG.

Mit Bescheid vom erließ die Bundespolizeidirektion Wien sodann gegen den Beschwerdeführer ein auf § 87 iVm § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG gestütztes, mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Im Rahmen der Beweiswürdigung wurde zum erwähnten Einwand des Beschwerdeführers ausgeführt, in der Niederschrift sei auch festgehalten, dass er gegenüber der Sachbearbeiterin beteuert habe, jede Frage zu verstehen. Auch am Ende der Niederschrift habe der Beschwerdeführer bestätigt, alles verstanden zu haben. Mit der Unterschrift habe er seine Aussagen bestätigt, die somit sehr wohl bei der Beweiswürdigung heranzuziehen seien. Bei deren Bestreitung handle es sich nach der behördlichen Ansicht lediglich um "Schutzbehauptungen", da die Eingehung der Scheinehe durch die Erhebungen der "ha. Einsatzgruppe" und durch die "Vergleichsniederschriften" eindeutig bewiesen worden sei. Aufgrund der markanten und nicht erklärbaren Widersprüche in den beiden Niederschriften vom , die im Bescheid schlagwortartig umschrieben wurden, werde die Annahme bestätigt, dass es sich in diesem Fall "um kein gemeinsames Eheleben handeln kann". Es bestehe somit kein Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer eine Scheinehe zur Erlangung aufenthaltsrechtlicher und arbeitsrechtlicher Vorteile geschlossen habe.

Dem wurde in der Berufung unter anderem mit dem Hinweis auf die in der Stellungnahme vom vorgebrachten Einwendungen gegen die mit dem Beschwerdeführer aufgenommene Niederschrift entgegen getreten. In dieser Niederschrift sei von der Behörde festgehalten worden, dass ein Dolmetscher nicht erforderlich sei. Gleichzeitig sei, unmittelbar nachdem dem Beschwerdeführer der Gegenstand der Verhandlung zur Kenntnis gebracht worden sei, protokolliert worden, dass "eine Verständigung äußerst schwierig ist". Demnach sei es "für jeden objektiven Beobachter logisch", dass sämtliche weitere Angaben, wie auch die Beteuerung, jede Frage zu verstehen, "von diesen Verständigungsschwierigkeiten erfasst" seien. Die Annahme hinreichender Sprachkenntnisse iSd § 39a AVG sei nur dann gerechtfertigt, wenn die Gewissheit bestehe, dass die zu vernehmende Person alle Fragen verstehe und daher zweckentsprechend beantworten könne, die für die rechtliche Beurteilung der Sache von Bedeutung seien. Gerade diese Voraussetzung sei zum Zeitpunkt der Einvernahme des Beschwerdeführers am nicht erfüllt gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (die belangten Behörde) der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.

Auch die belangte Behörde kam zu dem Ergebnis, der Beschwerdeführer sei "eine Scheinehe eingegangen", um einen Aufenthaltstitel zu erlangen. In der diesbezüglichen Beweiswürdigung stützte sich die belangte Behörde in tragender Weise auch auf die (im angefochtenen Bescheid näher dargestellten) Widersprüche in den Einvernahmen der Eheleute, die ein Indiz dafür seien, dass ein gemeinsames Ehe- und Familienleben lediglich vorgetäuscht werden sollte. Dass demgegenüber auch (im angefochtenen Bescheid nicht wiedergegebene) gleichlautende Angaben gemacht worden seien, ändere daran nichts, liege es doch gerade im Wesen einer Scheinehe, durch übereinstimmende Angaben "ein aufrechtes Eheleben glaubhaft zu machen". Soweit der Beschwerdeführer in der Berufung bemängelt habe, ohne Dolmetscher vernommen worden zu sein, sei dies nicht stichhältig. Er sei in der Ladung ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht worden, eine sprachkundige Vertrauensperson mitzubringen, wenn er der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sei. Außerdem habe er zu verstehen gegeben, der Einvernahme folgen zu können. Der Beschwerdeführer lege auch nicht dar, in welchen Punkten seine Einvernahme "allenfalls falsch protokolliert worden sei bzw. wie seine Antworten denn richtig gelautet hätten". Die belangte Behörde habe daher keine Veranlassung gesehen, die niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers nicht auch als Beweismittel zu verwerten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

In der Beschwerde werden (unter anderem) die wiedergegebenen, in der Berufung vorgetragenen Einwände wiederholt, die sich gegen die Verwertung der Aussagen des Beschwerdeführers in der Niederschrift vom bei der Beweiswürdigung richten. Mit dieser Verfahrensrüge ist die Beschwerde im Recht:

Aus § 39a Abs. 1 AVG ergibt sich, dass der Vernehmung einer der deutschen Sprache nicht hinreichend kundigen Partei erforderlichenfalls der der Behörde beigegebene oder zur Verfügung stehende Dolmetscher (Amtsdolmetscher) beizuziehen ist. In der Niederschrift über die Befragung des Beschwerdeführers wurde vor der Protokollierung seiner Generalien festgehalten: "Ein Dolmetsch war nicht erforderlich." Dem Inhalt der Niederschrift zufolge wurde dem Beschwerdeführer danach der "Gegenstand der Verhandlung:

Einvernahme - Niederschrift" zur Kenntnis gebracht. Daran anschließend wurde in kursiver Schrift "vorerst" festgehalten, "dass eine Verständigung äußerst schwierig ist".

Bei dieser Ausgangslage ist es aber tatsächlich nicht nachvollziehbar, dass die Beiziehung eines Dolmetschers für nicht erforderlich gehalten wurde. Das lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass der Beschwerdeführer (nach dem weiteren Inhalt der der Protokollierung seiner Angaben vorangestellten Anmerkungen des Leiters der Amtshandlung) "mehrfach beteuert" habe, "jede an ihn gerichtete Frage zu verstehen". Der Wert einer solchen "Beteuerung" hätte nämlich vor dem Hintergrund der "äußerst schwierigen" Verständigung mit dem Beschwerdeführer entscheidend relativiert werden müssen. Das gilt sinngemäß auch für die am Ende der Niederschrift enthaltene formelhafte Wendung "Ich habe alles verstanden und nichts mehr hinzuzufügen". Demnach hätte nicht angenommen werden dürfen, es bestehe die Gewissheit, dass der Beschwerdeführer auch tatsächlich alle maßgeblichen Fragen verstehen und daher zweckentsprechend beantworten könne, zumal es offenbar schon "äußerst schwierig" war, dem Beschwerdeführer den Gegenstand seiner Vernehmung verständlich zu machen. Eine solche Gewissheit wäre aber notwendig gewesen, um die Beiziehung eines Dolmetschers für nicht erforderlich zu halten (vgl. idS das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/08/0146, und daran anschließend das Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0028).

Richtig ist, dass die Ladung eine Aufforderung enthielt, sollte der Beschwerdeführer der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sein, so möge er zur Vernehmung "bitte" in Begleitung einer sprachkundigen Vertrauensperson kommen. Auch wenn der Beschwerdeführer dann ohne eine sprachkundige Vertrauensperson bei der Behörde erschienen ist, war daraus allerdings - anders als die belangte Behörde offenbar meint - für die Frage der ausreichenden Deutschkenntnisse und der Erforderlichkeit der Beiziehung eines Dolmetschers nichts zu gewinnen. Diese Frage ist nämlich von der Behörde an Hand der tatsächlichen Verhältnisse zu beurteilen. Nach § 39a AVG ist dann erforderlichenfalls eben ein Amtsdolmetscher beizuziehen.

Der Einwand des Beschwerdeführers in Bezug auf die Verwertung seiner ohne Beiziehung eines Dolmetschers gemachten Angaben durfte aber von der belangte Behörde auch nicht deshalb für unbeachtlich gehalten werden, weil er nicht dargelegt habe, in welchen Punkten seine Einvernahme "allenfalls falsch protokolliert worden sei bzw. wie seine Antworten denn richtig gelautet hätten". Vor dem Hintergrund der beweiswürdigenden Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid war nämlich evident, dass der Beschwerdeführer in der Berufung den Standpunkt vertrat, dass bei einer gesetzeskonformen Einvernahme keine (gravierenden) Widersprüche zu den Angaben seiner Ehefrau aufgetreten wären.

Da den Angaben des Beschwerdeführers von der belangten Behörde für ihre Beweiswürdigung wesentliche Bedeutung zugemessen wurde, wäre eine dem Gesetz in jeder Hinsicht entsprechende Einvernahme des Beschwerdeführers - angesichts der dokumentierten mangelhaften Kenntnisse der deutschen Sprache: unter Beziehung eines Dolmetschers - somit unerlässlich gewesen. Der Verstoß gegen § 39a AVG ist im vorliegenden Zusammenhang insofern relevant, als er die Verlässlichkeit eines wesentlichen Beweismittels und damit auch die Beurteilung der Schlüssigkeit der behördlichen Beweiswürdigung beeinträchtigt (vgl. neuerlich die schon genannten Erkenntnisse).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der in der Beschwerde beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG abgesehen werden.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am