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VwGH vom 31.01.2013, 2012/23/0004

VwGH vom 31.01.2013, 2012/23/0004

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des N in W, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/305.113/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1986 geborene Beschwerdeführer, ein moldawischer Staatsangehöriger, reiste seinen Angaben zufolge am im Alter von 16 Jahren aus der Slowakei nach Österreich ein. Er stellte unter dem (falschen) Namen D einen Asylantrag.

Der Beschwerdeführer hatte bereits im August 2002 versucht, von der Slowakei nach Österreich zu gelangen, war jedoch von Grenzüberwachungsposten aufgegriffen worden. Damals hatte der Beschwerdeführer seine Identität mit I, geboren am , angegeben. Anschließend war er nach erkennungsdienstlicher Behandlung in die Slowakei zurückgeschoben worden.

Der in Österreich gestellte Asylantrag wurde vom Bundesasylamt im Februar 2004 abgewiesen und die Zulässigkeit (u.a.) seiner Abschiebung in die Republik Moldau festgestellt. Die dagegen erhobene Berufung wies der Asylgerichtshof im Mai 2009 ab.

Hierauf wurde der Beschwerdeführer mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.

Die belangte Behörde stellte fest, der (unter Aliasidentitäten aufgetretene) Beschwerdeführer sei mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wegen §§ 127, 129 Z 1, 130 zweiter Satz StGB (Verbrechen des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch) und wegen § 229 Abs. 1 StGB (Vergehen der Urkundenunterdrückung) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Dem Schuldspruch sei zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer in der Nacht zum im Zusammenwirken mit zwei Mittätern mittels Schlossstichs in vier Fahrzeuge eingebrochen und (v.a.) Autoradios gestohlen habe, wobei er in der Absicht gehandelt habe, sich durch die wiederkehrende Begehung der Taten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Überdies habe er auf diese Weise erlangte Urkunden (Studentenausweis, Bankomatkarte) unterdrückt.

Vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien sei im Juli 2009 in einem gegen den Beschwerdeführer wegen §§ 12, 223 StGB (Beteiligung am Vergehen der Urkundenfälschung) geführten Strafverfahren mit einer diversionellen Maßnahme vorgegangen worden. Diesem Verfahren sei zugrunde gelegen, dass sich der Beschwerdeführer einen gefälschten moldawischen Führerschein verschafft habe. Der Beschwerdeführer habe sich schuldig bekannt und in der Verhandlung (unter anderem) dazu ausgeführt, über Vermittlung eines moldawischen Freundes zu einem ihm nicht bekannten Mann gebracht worden zu sein, der für EUR 800,- den gefälschten Führerschein besorgt habe.

Gegen den Beschwerdeführer sei wegen § 299 StGB (Vergehen der Begünstigung) ein weiteres Strafverfahren anhängig gewesen, in dem das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom ebenfalls mit einer diversionellen Maßnahme vorgegangen sei. Hintergrund dieses Verfahrens sei gewesen, dass der Beschwerdeführer und drei Mittäter einen flüchtigen Justizhäftling in ihrer gemeinsamen Wohnung in Wien 20 im Zeitraum bis verborgen gehalten hätten.

Schließlich sei der Beschwerdeführer von der Bundespolizeidirektion Wien am wegen des Verdachtes der Sachbeschädigung zur Anzeige gebracht worden.

In der rechtlichen Beurteilung ging die belangte Behörde davon aus, dass sich der Beschwerdeführer seit dem Abschluss seines Asylverfahrens unrechtmäßig in Österreich aufhalte und daher die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG gegeben seien.

Bei der sodann vorgenommenen Interessenabwägung nach § 66 FPG berücksichtigte die belangte Behörde neben der Aufenthaltsdauer seit Oktober 2002 das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Integration und zu den intensiven Bindungen in Österreich, zu den Sprachkenntnissen sowie zu der absolvierten bzw. geplanten Aus- und Fortbildung und ging demzufolge von einem durch die aufenthaltsbeendende Maßnahme bewirkten Eingriff in sein Privatleben aus. In der weiteren Begründung befasste sich die belangte Behörde ausführlich mit den vom Beschwerdeführer geltend gemachten integrationsbegründenden Umständen, hielt diesen aber insbesondere relativierend einerseits den unsicheren Aufenthaltsstatus während des Asylverfahrens und vor allem nach dessen Beendigung sowie andererseits das - mag der Beschwerdeführer auch als unbescholten gelten - nicht gegebene Wohlverhalten in Bezug auf strafrechtliche Normen entgegen. Der Beschwerdeführer sei zwar im jugendlichen Alter eingereist, habe jedoch die maßgebliche Sozialisation und Prägung in seiner Heimat erfahren. Dort lebten auch nach wie vor seine Eltern. Mit der österreichischen "Patenfamilie" - S und H hätten im Rahmen des Projektes "connecting people" im September 2003 die "unentgeltliche Patenschaft" für den Beschwerdeführer übernommen - habe nie ein Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt bestanden, was die zugestandenen und als erheblich angesehenen Bindungen relativiere. Dem über Deutschkenntnisse (Niveau B 1) verfügenden Beschwerdeführer sei zuzubilligen, dass er über Phasen bemüht gewesen sei, sich "in gewisser Weise" ausbzw. fortzubilden. Die Bemühungen des Beschwerdeführers zur Erlangung einer Ausbildung hätten jedoch nur bis 2006 (Qualifizierungslehrgang für Hauptschulabsolventen; Praktikum in den Bereichen "Eventtechnik" und "EDV"; Mitwirkung an einer Theateraufführung im Rahmen der Wiener Festwochen 2004) bestanden und seien erst nach Beendigung des Asylverfahrens wieder intensiviert worden (Besuch eines ECDL-Startkurses ab März 2009; HTL-Besuch ab Herbst 2009). Der ledige Beschwerdeführer sei ohne Einkommen und Beschäftigung; sein Unterhalt sei aktuell (außer durch unbewiesene Unterstützungen durch die "Pateneltern") nur über die staatliche Grundversorgung gewährleistet. Zusammenfassend ging die belangte Behörde daher davon aus, dass im vorliegenden Fall "keine besonderen Umstände im Sinn des Art. 8 EMRK" gegeben seien, die eine Ausreise des Beschwerdeführers unzumutbar machten. Demgegenüber komme dem öffentlichen Interesse an der Befolgung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens ein sehr hoher Stellenwert zu. Dieses öffentliche Interesse habe der Beschwerdeführer nachhaltig beeinträchtigt, sodass seine gegenläufigen privaten und familiären Interessen nicht höher zu bewerten seien. Die Ausweisung sei daher im Sinne des § 66 FPG dringend geboten.

Überdies seien - so die belangte Behörde abschließend - keine besonderen Umstände ersichtlich, die sie zu einer Abstandnahme von der Ausweisung im Rahmen des Ermessens veranlassen müssten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der angefochtene Bescheid vom Verwaltungsgerichtshof auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen ist. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im November 2009 geltende Fassung des genannten Gesetzes.

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In der Beschwerde wird nicht bestritten, dass sich der Beschwerdeführer seit der Beendigung des Asylverfahrens im Mai 2009 nicht mehr rechtmäßig in Österreich aufhält. Die behördliche Annahme, der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei verwirklicht, ist daher zutreffend.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (siehe etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0233).

Unter diesen Gesichtspunkten wird in der Beschwerde - wie schon im Verwaltungsverfahren - neuerlich ins Treffen geführt, dass der Beschwerdeführer bereits im Alter von 16 Jahren nach Österreich gekommen und somit ein Drittel seines Lebens hier aufhältig sei. Der überwiegende Teil des Aufenthalts, der erst seit Mai 2009 unrechtmäßig sei, wäre rechtmäßig gewesen. Zu den "Pateneltern", die er seit 2003 kenne und die ihn auch finanziell unterstützten, habe er äußerst intensive Bindungen; es handle sich um eine "Eltern-Kind-ähnliche Beziehung". Der Beschwerdeführer habe zwar mit ihnen nie im gemeinsamen Haushalt gelebt, was allerdings daran liege, dass der Beschwerdeführer beim Kennenlernen beinahe volljährig gewesen sei. Er habe hier jedenfalls eine "Ersatzfamilie" gefunden, während er den Kontakt zu den Eltern im Heimatland abgebrochen habe. Er sei dort "sozial völlig entwurzelt". In Österreich habe der Beschwerdeführer seinen gesamten Freundes- und Bekanntenkreis. Hier habe er den Hauptschulabschluss absolviert und danach weitere Bildungsmaßnahmen, wie den Besuch von EDV-Kursen, ergriffen. Seit Herbst 2009 besuche er einen Lehrgang an einer HTL in Wien. Außerdem verfüge er über ausgezeichnete Deutschkenntnisse, die ihm diesen Schulbesuch auch ermöglichten. Der Beschwerdeführer sei sohin bestrebt, seine eigene Existenz aufzubauen. Gegenteiliges könne aus den mangelnden beruflichen Bindungen, deren Erwerb ihm während des Asylverfahrens nicht möglich gewesen sei, nicht abgeleitet werden. Der Beschwerdeführer bestreite auch nicht, 2004 strafgerichtlich verurteilt worden zu sein. Er bereue aber diese bereits getilgte Tat zutiefst und habe seither bewiesen, ein straffreies Leben führen zu können. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet stelle daher keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar. Zusammenfassend sei somit davon auszugehen, dass außergewöhnliche Umstände vorlägen, die eine Ausweisung auf Dauer unzulässig machten.

Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass die belangte Behörde die geltend gemachten Umstände in ihre Abwägung ausreichend einbezogen hat und ihr auch bei deren Gewichtung kein entscheidungswesentlicher Fehler unterlaufen ist. Vor allem hat die belangte Behörde auf die besondere Situation im Hinblick auf die Einreise des Beschwerdeführers im jugendlichen Alter Bedacht genommen und auch seine Bestrebungen zur Erlangung einer schulischen Bildung berücksichtigt. Den Integrationsbemühungen durfte sie aber im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Recht entgegenhalten, dass das dadurch erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen. In diesem Sinn ordnet § 66 Abs. 2 Z 8 FPG auch an, dass bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens des Fremden die Frage zu berücksichtigen ist, ob es in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren; das gilt in gewisser Weise auch dann, wenn den Fremden an der langen Dauer des Asylverfahrens kein Verschulden trifft (vgl. zum Ganzen das schon zitierte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0233, mwN).

Dazu kommt im vorliegenden Fall, dass bei der Interessenabwägung nicht nur auf den (nunmehr) unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers, der das hoch zu bewertende öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen beeinträchtigt, sondern auch auf sein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten Bedacht genommen werden durfte. Insbesondere kann - entgegen der Auffassung in der Beschwerde - trotz eines "straffreien Lebens" nicht davon die Rede sein, der Beschwerdeführer habe sich nach seiner Verurteilung im Jahr 2004 wohlverhalten, wenn gegen ihn zwei (erst kurz vor Erlassung der gegenständlichen Ausweisung) im Jahr 2009 mit diversionellen Maßnahmen beendete Strafverfahren geführt werden mussten. Die diesen Verfahren zugrundeliegenden, bereits im Erwachsenenalter begangenen Straftaten - Fluchthilfe für einen Justizhäftling über einen mehr als einen Monat umfassenden Zeitraum und entgeltliche Beschaffung eines gefälschten moldawischen Führerscheins - können aber keineswegs als vernachlässigbare Bagatelldelikte angesehen werden und rechtfertigten daher die Annahme, der Beschwerdeführer gefährde auch in dieser Hinsicht die öffentliche Ordnung.

Im Übrigen hat die belangte Behörde auch auf die Beziehungen des Beschwerdeführers zu seinen "Pateneltern" ausreichend Bedacht genommen; ob sie ihn auch finanziell unterstützen, ist dabei nicht entscheidungswesentlich. Andererseits leben im Heimatland des Beschwerdeführers noch seine leiblichen Eltern. Auch wenn die Kontakte zu ihnen abgebrochen wurden, ist allerdings nicht zu sehen und wird vom Beschwerdeführer auch nicht näher dargetan, aus welchen Gründen deren Wiederaufnahme nicht möglich sein sollte.

Im Ergebnis ist es im vorliegenden Fall somit nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Ausweisung des Beschwerdeführers zur Wiederherstellung eines geordneten Fremdenwesens für dringend geboten im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG erachtete. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Umstände stellen sich - entgegen der in der Beschwerde geäußerten Meinung - bezogen auf den hier maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt insgesamt noch nicht als so außergewöhnlich dar, dass von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen.

In der Beschwerde werden schließlich auch keine Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt wäre.

Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Von der in der Beschwerde beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am