VwGH vom 23.04.2014, 2010/13/0016

VwGH vom 23.04.2014, 2010/13/0016

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2010/13/0017 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ebner, über die Beschwerde des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zlen. RV/3270-W/08, RV/3271-W/08 und RV/3544-W/08, in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom , betreffend Umsatzsteuer für 2003 bis 2005 und Einkommensteuer für 2003 bis 2006 (mitbeteiligte Partei: F in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte war im Streitzeitraum Taxiunternehmer.

Im Rahmen einer abgabenbehördlichen Prüfung der Jahre 2003 bis 2005 wurde u.a. festgestellt, dass Grundaufzeichnungen vernichtet worden seien. Mit den einzelnen Fahrern seien monatliche bzw. zweiwöchentliche Termine vereinbart worden, um die Abrechnung für diesen Zeitraum durchzuführen. Die Losung ergebe sich aus den Taxameter- bzw. Kilometerständen, die im Auto abgelesen und auf kleinen Zetteln notiert worden seien. Diese Zettel seien nach Übertragung auf "Standardabrechnungen" vernichtet worden. Der Mitbeteiligte habe weiter angegeben, dass er nicht überprüfe, wenn die einzelnen Fahrzeuge zwischen den Fahrern getauscht würden; er überlasse den Wechsel komplett seinen Mitarbeitern. Die einzige Überprüfungsmöglichkeit der Erlöse ergebe sich nur aus den im Nachhinein erstellten Aufzeichnungen des Mitbeteiligten. Für etliche Fahrzeuge sei jedoch über Monate keine Abrechnung erstellt worden. Kreditkartenerlöse seien nicht erfasst worden. Bei an Versicherungen gemeldeten Schadensfällen würden nichtgemeldete Fahrer aufscheinen. Der Mitbeteiligte habe überdies bei Versicherungsfällen eine "Doppelbesetzung" erklärt. Bei einigen Schadensfällen seien überdies Fahrzeuge festgestellt worden, für die zum Unfallzeitpunkt keine Abrechnungen vorgelegen seien. Aus den in den Versicherungsakten erliegenden Sachverständigengutachten hätten Kilometerstände eruiert werden können, welche mit den in der Buchhaltung erklärten Kilometerständen nicht übereinstimmten. Bei einer Zeitreihenanalyse habe festgestellt werden können, dass mehrfach derselbe Betrag als Tageslosung ausgewiesen worden sei. Der Mitbeteiligte habe, obwohl er hiezu im Rahmen der Prüfung aufgefordert worden sei, die Taxameterdaten nicht in elektronischer Form vorgelegt.

Ausgehend von einer von der Taxiinnung genannten durchschnittlichen Kilometerleistung (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , 89/13/0280: 67.500 bis 81.000) werde unter Berücksichtigung der Argumente des Mitbeteiligten, dass es sich zum größten Teil um ältere Fahrzeuge handle und unter den Fahrern nicht arbeitswillige Lenker vorhanden seien, eine durchschnittliche Kilometerleistung von 45.000 pro Jahr angenommen. Der Kilometerertrag werde mit 1,25 EUR (im Jahr 2003) bis 1,28 EUR (2004 bis 2006) pro Kilometer angesetzt. Es seien hiezu auch höhere Aufwendungen (Lohnaufwand, Treibstoffaufwand, Reparaturaufwand) sowie dazu Vorsteuerbeträge zu berücksichtigen.

Das Finanzamt setzte - zum Teil nach Wiederaufnahme der Verfahren - mit Bescheiden vom Umsatzsteuer und Einkommensteuer für die Jahre 2003 bis 2005 (neu) fest. Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt Einkommensteuer für das Jahr 2006 fest. Begründend verwies das Finanzamt jeweils auf die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen seien.

Der Mitbeteiligte erhob gegen diese Bescheide Berufungen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde den Berufungen teilweise Folge und änderte die erstinstanzlichen Bescheide ab.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, mangels vollständiger Aufzeichnungen habe eine Überprüfung der Losungsaufzeichnungen nicht vorgenommen werden können. Vom Mitbeteiligten seien mit den einzelnen Fahrern monatliche oder zweiwöchige Abrechnungen durchgeführt und Taxameterablesungen vorgenommen worden. Weiters sei der Tausch der einzelnen Fahrzeuge zwischen den Fahrern ermöglicht worden, sodass sich keine Überprüfungsmöglichkeit aus den im Nachhinein erstellten Aufzeichnungen ergebe; Übernahmebestätigungen der Fahrzeuge existierten ebenfalls nicht. Darüber hinaus seien die Beträge aus den Kreditkartenabrechnungen auf ein privates Konto überwiesen worden. Aufzeichnungen über die Taxameterstände seien laut Buchhaltung aber erstellt worden. Der Mitbeteiligte habe diese Mängel nicht bestritten, jedoch seine Aufzeichnungen unter Hinweis auf eine Stellungnahme der Fachgruppe für Beförderungsunternehmen als ausreichend qualifiziert.

Damit sei festzustellen, dass auf Grund der gravierenden Aufzeichnungsmängel (monatliche bzw. zweiwöchige Abrechnungen) eine Überprüfung der Aufzeichnungen nicht habe vorgenommen werden können. Somit sei nicht den Kriterien einer materiell und formell ordnungsmäßigen Buchführung entsprochen worden. In Ermangelung entsprechender Grundaufzeichnungen sei eine Schätzungsberechtigung gegeben.

Strittig sei auch die Schätzung der Umsätze der Höhe nach. Die Betriebsprüfung sei auf Basis der Einsichtnahme in Schadensmeldungsakten bei verschiedenen Versicherungen, woraus sich ergeben habe, dass Unfalllenker nicht beim Mitbeteiligten gemeldet gewesen seien und Stehzeiten für die doppelte Besetzung beantragt und auch ausbezahlt worden seien, bei der Schätzung von einer Jahreskilometerleistung bei Einfachbesetzung bzw. teilweiser Doppelbesetzung ausgegangen. Bezüglich Doppelbesetzung sei jedoch festzustellen, dass die Angaben über eine doppelte Besetzung überwiegend gegenüber einzelnen Versicherungsunternehmen gesetzt worden seien. Die von der Betriebsprüfung geschätzten Jahreskilometerleistungen erschienen insofern nicht plausibel. Zum Teil glaubwürdige Jahreskilometerleistungen seien daher bei einfacher Besetzung für jedes Taxi zu schätzen.

Da Losungsaufzeichnungen fehlten, habe die Betriebsprüfung selbst Ermittlungen (Schadensakten der Versicherungsgesellschaften; Prüfberichte gemäß § 57a KFG) angestellt, um die Anzahl der eingesetzten Taxis, die Jahreskilometerleistung sowie den damit erzielten Umsatz zu ermitteln. Zumindest bei einem Fahrzeug habe ein Vergleich der Kilometerstände eine Jahreskilometerleistung von mehr als 50.000 ergeben. Somit sei es zumindest betreffend dieses Fahrzeug aus "versicherungstechnischen Gründen" zu Manipulationen gekommen; dies berechtige zur Schätzung der Höhe der Jahreskilometerleistung mit rund 30.000. Da sich für ein anderes Fahrzeug jedoch eine Jahreskilometerleistung von rund 20.800 errechne und diese von der Betriebsprüfung als "gesichert" beurteilt worden sei, würden die zum Teil glaubwürdigen Jahreskilometerleistungen für die Jahre 2004 bis 2006 daher mit 20.800 bei einfacher Besetzung für jedes Taxi geschätzt.

Das Finanzamt sei in den angefochtenen Bescheiden von einem durchschnittlichen Bruttokilometererlös von 1,25 EUR bzw. 1,28 EUR ausgegangen. Demgegenüber werde in der Berufungsentscheidung "ausgehend von den Ergebnissen durchschnittlicher Erhebungen im Raum Wien" ein Bruttoumsatz von 1,13 EUR bzw. 1,20 EUR je km herangezogen. Angemerkt werde, dass damit die private Nutzung der Taxifahrzeuge durch den Mitbeteiligten als auch Urlaubs- und Nichtleistungszeiten durch die Arbeitnehmer berücksichtigt würden; ebenso der Einwand des Mitbeteiligten, dass die älteren Fahrzeuge oft spät oder nicht abgemeldet und für diese keine Fahrer gefunden worden seien.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde des Finanzamtes, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde, Erstattung einer Gegenschrift durch den Mitbeteiligten sowie Einbringung einer Stellungnahme des beschwerdeführenden Finanzamtes erwogen hat:

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Berufungsbescheid nach Beschwerdeerhebung mit Bescheid vom gemäß § 293 BAO berichtigt. Sie hat damit Beschwerdeeinwendungen zur Höhe des zusätzlichen Reparaturaufwandes Rechnung getragen, auf die daher nicht mehr eingegangen werden muss, weil der Verwaltungsgerichtshof seiner Entscheidung den angefochtenen Bescheid in der Fassung, die er durch die - unbekämpft gebliebene -

Berichtigung erfahren hat, zu Grund zu legen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2006/13/0154, mwN).

Gemäß § 184 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde, soweit sie die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, diese zu schätzen, wobei alle Umstände zu berücksichtigen sind, die für die Schätzung von Bedeutung sind.

Dass im vorliegenden Fall die Schätzungsberechtigung dem Grunde nach gegeben ist, ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbestritten (vgl. im Übrigen etwa - ebenfalls ein Taxiunternehmen betreffend - das hg. Erkenntnis vom , 2003/13/0087, mwN).

Ist eine Schätzung zulässig, so steht die Wahl der anzuwendenden Schätzungsmethode der Abgabenbehörde im Allgemeinen frei, doch muss das Schätzungsverfahren einwandfrei abgeführt werden, müssen die zum Schätzungsergebnis führenden Gedankengänge schlüssig und folgerichtig sein und muss das Ergebnis, das in der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen besteht, mit der Lebenserfahrung im Einklang stehen. Das gewählte Verfahren muss stets auf das Ziel gerichtet sein, diejenigen Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, welche die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. Hiebei muss die Behörde im Rahmen des Schätzungsverfahrens auf alle vom Abgabepflichtigen substantiiert vorgetragenen, für die Schätzung relevanten Behauptungen eingehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2010/15/0088, 0089, mwN).

Auch Schätzungsergebnisse unterliegen der Begründungspflicht. Die Begründung hat die für die Schätzungsbefugnis sprechenden Umstände, die Schätzungsmethode, die der Schätzung zugrunde gelegten Sachverhaltsannahmen und die Ableitung der Schätzungsergebnisse darzulegen. Die Begründung muss in einer Weise erfolgen, dass der Denkprozess, der in der behördlichen Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabepflichtigen als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2007/15/0226, mwN).

Die Begründung des angefochtenen Bescheides hält diesen Anforderungen an eine Bescheidbegründung nicht stand:

Strittig sind im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowohl die Höhe der Jahreskilometerleistung als auch die Höhe des Kilometerertrages.

Zur Jahreskilometerleistung führte die belangte Behörde (für das Jahr 2003) aus, zumindest bei einem Fahrzeug würden sich Kilometerleistungen von mehr als 50.000 ergeben; es sei zumindest bezüglich dieses Fahrzeuges aus "versicherungstechnischen Gründen" zu Manipulationen gekommen. Die belangte Behörde legt aber nicht offen, wie sie ausgehend von diesen Umständen zu einer Jahreskilometerleistung - für alle Fahrzeuge - für das Jahr 2003 von 30.000 gelangt. Betreffend die Jahre 2004 bis 2006 verweist die belangte Behörde darauf, dass betreffend ein Fahrzeug (aus einer "gesicherten" Ermittlung der gefahrenen Kilometer für den Zeitraum vom 9. Juni bis ) eine Jahreskilometerleistung von 20.800 zu errechnen sei. Daraus schließt die belangte Behörde darauf, dass für alle Fahrzeuge für diesen Zeitraum die Jahreskilometerleistung mit 20.800 "bei einfacher Besetzung" zu schätzen sei. Dabei setzt sich die belangte Behörde nicht damit auseinander, dass - auch nach ihrer Annahme - zumindest zum Teil eine doppelte Besetzung der Fahrzeuge vorlag. Auch wäre von der belangten Behörde in ihre Überlegungen einzubeziehen gewesen, ob (im Hinblick auf die festgestellten Manipulationen an einem anderen Fahrzeug) die ermittelte Kilometerleistung (Juni bis September 2004) frei von Manipulationen war (welche bei einer Ablesung der Kilometerstände durch Versicherungsgutachter nicht erkennbar sein mussten). Weiter wäre zu prüfen gewesen, aus welchen Gründen sich eine Reduktion der Jahreskilometerleistung gegenüber dem Jahr 2003 ergeben hätte.

Zu verweisen ist anderseits aber auch darauf, dass im (vom Finanzamt herangezogenen) hg. Erkenntnis vom , 89/13/0280, welches sich auf Abgaben für die Jahre 1980 bis 1985 bezieht, lediglich bei der Schilderung des dort angefochtenen Bescheides eine Auskunft der "Taxiinnung" über eine durchschnittliche Fahrleistung eines Taxis von 67.500 bis 81.000 km genannt wurde. Eine inhaltliche Stellungnahme des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Auskunft (sowie zu der darin genannten Jahreskilometerleistung) erfolgte nicht, zumal die Schätzung auch nicht auf dieser Auskunft, sondern auf den Verhältnissen des dort geprüften Betriebes selbst beruhte (vgl. Punkt IV.5 des genannten Erkenntnisses). Auch wäre nicht - ohne weitere Begründung - abzuleiten, dass die für jenen Zeitraum (1980 bis 1985) genannte Jahreskilometerleistung auch im Streitzeitraum angenommen werden könnte.

Zum Kilometerertrag verwies die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nur pauschal auf "Ergebnisse durchschnittlicher Erhebungen im Raum Wien". In der Gegenschrift nannte sie hiezu zwei Entscheidungen der belangten Behörde, welche veröffentlicht seien. Die belangte Behörde ist insoweit zunächst daran zu erinnern, dass eine Begründung in der Gegenschrift nicht nachgeholt werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2007/15/0226, mwN). Aber auch die Begründung in der Gegenschrift (samt Verweis auf weitere Entscheidungen der belangten Behörde) könnte die Feststellung über den Kilometerertrag im Streitzeitraum nicht stützen, bezogen sich die verwiesenen Bescheide doch auf einen früheren Zeitraum (1995 bis 1998 bzw. 2000 bis 2002). Es könnte daher - ohne nähere Begründung - nicht davon ausgegangen werden, dass die in jenen Entscheidungen ermittelten Kilometererträge im hier zu beurteilenden Zeitraum noch aktuell waren. Soweit schließlich die belangte Behörde auf private Nutzungen, Urlaubs- und Nichtleistungszeiten sowie auf den Umstand, dass ältere Fahrzeuge verwendet worden seien, verweist, ist nicht ohne weiters erkennbar, in welcher Weise sich daraus verringerte Kilometererträge (und nicht allenfalls verringerte Jahreskilometerleistungen) ergeben sollten.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.

Wien, am