VwGH vom 29.03.2007, 2005/16/0258
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Höfinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde der H GmbH in W, vertreten durch die Prof. Dr. Thomas Keppert Wirtschaftsprüfung GmbH, 1060 Wien, Theobaldgasse 19, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Stadt Wien vom , Zl. ABK-492, 493 und 494/04, betreffend Abweisung von Berufungen in einer Angelegenheit der Getränkesteuer, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet angewiesen.
Die beschwerdeführende Gesellschaft hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt ergibt sich Folgendes:
Mit Bescheid vom hat der Magistrat der Stadt Wien als Abgabenbehörde erster Instanz Anträge der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Rückzahlung von Getränkesteuer abgewiesen und für die Jahre 1995 bis 2000 Getränkesteuer in der Höhe von insgesamt EUR 7.421,28 vorgeschrieben. Dieser Bescheid wurde der steuerlichen Vertretung der beschwerdeführenden Gesellschaft am zugestellt.
Mit einem am beim Magistrat der Stadt Wien eingelangten Schreiben vom beantragte die steuerliche Vertretung der beschwerdeführenden Gesellschaft "unter Bezugnahme auf das Schreiben vom ... Fristverlängerung gemäß § 191 Abs. 3 WAO zur Einbringung einer Berufung gegen den Getränkesteuerbescheid vom ..." bis Ende August 2003.
Mit Schreiben vom , der steuerlichen Vertretung der beschwerdeführenden Gesellschaft am zugestellt, teilte der Magistrat der Stadt Wien unter anderem mit, dass die Berufungsfrist gegen den Bescheid vom mit Ablauf des geendet habe. Der vorliegende Antrag um Verlängerung der Berufungsfrist sei am , somit nach Ablauf der einmonatigen Berufungsfrist eingebracht worden und sei somit verspätet. Im Antrag vom werde auf ein Schreiben vom (nach den Ausführungen im vorliegenden Schreiben - schloss die Behörde - offensichtlich bereits ein erstmaliger Antrag auf Fristverlängerung) sowie auf eine am eingebrachte Berufung Bezug genommen. Die genannten Schriftsätze seien bei der Abgabenbehörde nicht eingegangen. Es werde daher Gelegenheit geboten, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen und Nachweise zur Einbringung der genannten Schriftstücke vorzulegen.
Mit Telefax vom übermittelte die steuerliche Vertretung der beschwerdeführenden Gesellschaft dem Magistrat der Stadt Wien die Kopie eines Schreibens vom , in dem um Verlängerung der Berufungsfrist gegen den Getränkesteuerbescheid vom bis Ende Juni 2003 ersucht wurde.
Mit Bescheid vom hat der Magistrat der Stadt Wien den Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Erstreckung der Berufungsfrist vom als verspätet zurückgewiesen. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass ein Antrag auf Erstreckung der Berufungsfrist der beschwerdeführenden Gesellschaft vom beim Magistrat der Stadt Wien nicht eingelangt sei. Der Antrag auf Verlängerung der Berufungsfrist vom sei nach Ablauf der Berufungsfrist, somit verspätet, eingelangt.
Mit Schriftsätzen jeweils vom , jeweils eingelangt beim Magistrat der Stadt Wien am , erhob die beschwerdeführende Gesellschaft gegen die Bescheide vom und vom jeweils Berufung, beantragte die Aussetzung der Einhebung und stellte einen "Eventualantrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand".
In dem - hier noch interessierenden - Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung einer Berufung gegen den Getränkesteuerbescheid vom brachte die beschwerdeführende Gesellschaft vor, sie habe mit Einschreiben vom 4. April und vom Anträge auf Verlängerung der Frist zur Einbringung einer Berufung gegen den Bescheid vom eingebracht. Es sei in dieser Zeit das Urteil des EuGH in Getränkesteuersachen erwartet worden. Da dieses Anfang Juni 2003 noch nicht ergangen sei, sei vorsorglich ein neuerlicher Antrag auf Verlängerung der Rechtsmittelfrist eingebracht worden. Der Verlängerungsantrag vom sei an diesem Tag von einem namentlich genannten Steuerberater geschrieben, in die Unterschriftenmappe von Dr. K. gelegt und von diesem am selben Tag unterfertigt worden. Von einer namentlich genannten Sekretärin sei eine Kopie dieses Schreibens angefertigt und im Steuerakt abgelegt worden. Von dieser Sekretärin seien auch die Eintragungen im Postbuch der Kanzlei vorgenommen und die Beilage des Rückscheins vom erstellt worden. An diesem Tag seien insgesamt 13 Einschreibesendungen mit rund 20 Schriftstücken zur Post gebracht worden, darunter ein Kuvert an den Magistrat der Stadt Wien mit einer Berufung in einer anderen Rechtssache. Daneben gab es mehr als 50 weitere Briefsendungen. Der Verlust des Schriftstückes kann in der Kanzlei der steuerlichen Vertretung oder bei der Behörde passiert sein. Die bisherigen Erhebungen und Nachforschungen in der Kanzlei der steuerlichen Vertretung hätten keinen Aufschluss über den Verbleib des Antrages vom gebracht. Sollte der Mitarbeiterin tatsächlich der Fehler unterlaufen sein, den Antrag vom nicht in das beim Magistrat der Stadt Wien eingelangte Kuvert gegeben zu haben, handelt sich um einen minderen Grad des Versehens. Bislang seien sämtliche der Mitarbeiterin übergebenen Schriftstücke ordentlich kuvertiert und zur Post gebracht worden. Sie sei seit dem Jahre 1994 in der Kanzlei beschäftigt und seit annähernd neun Jahren für den Posteingang und Postausgang hauptverantwortlich und persönlich zuständig.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufungen der beschwerdeführenden Gesellschaft gegen die Zurückweisung des Antrages auf Erstreckung der Berufungsfrist vom (Spruchpunkt I.), gegen die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und die Zurückweisung der Berufung vom (Spruchpunkt II.) sowie gegen die Abweisung des Ansuchens um Aussetzung der Einhebung (Spruchpunkt III.) abgewiesen.
In der Begründung zur abweisenden Entscheidung den - hier noch interessierenden - Wiedereinsetzungsantrag betreffend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der von ihr als maßgeblich erachteten Rechtsvorschriften aus, es mangle in der Kanzlei der steuerlichen Vertretung der beschwerdeführenden Gesellschaft an einem geeigneten Kontrollsystem. Der Mangel bestehe auch darin, dass die mit dem Postversand betraute Mitarbeiterin, der das Versehen passiert sei, den Postversand alleine durchgeführt habe und dabei keinerlei Kontrolle durch andere Personen ausgeübt werde. Die Kontrolle ihrer Tätigkeit beschränke sich darauf, dass sie den Postversand zwei bis drei Mal im Monat gemeinsam mit der Kanzleileiterin durchführe. Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen daher nicht vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die beschwerdeführende Gesellschaft erachtet sich in ihren Rechten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und auf Erledigung ihrer Berufung in der Sache verletzt.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die beschwerdeführende Gesellschaft geht in ihrer Beschwerde von dem Umstand aus, dass der Antrag auf Verlängerung der Berufungsfrist vom nicht bei der Behörde eingelangt ist und die Berufungsfrist daher versäumt wurde. Die Beschwerdeausführungen beschränken sich demgemäß im Hinblick auf die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages auf die Behauptung der Geringfügigkeit des Verschuldens der Mitarbeiterin beim Kuvertieren.
Bei ihrer Entscheidung nahm die belangte Behörde das Vorbringen der beschwerdeführenden Gesellschaft als Sachverhalt an und ging davon aus, dass in der Kanzlei der beschwerdeführenden Gesellschaft die Kontrolle des Postversandes mangelhaft erfolgt sei.
Gemäß § 240 Abs. 1 der im Beschwerdefall anzuwendenden Wiener Abgabenordnung (WAO) ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Ein minderer Grad des Verschuldens hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht. Nach Abs. 3 leg. cit. muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen Monatsfrist nach Aufhören des Hindernisses bei der Abgabenbehörde eingebracht werden, bei der die Frist wahrzunehmen war. Gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag hat der Antragsteller die versäumte Handlung nachzuholen.
Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist die Abgabenbehörde, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war, bei Versäumung einer Berufungsfrist die Abgabenbehörde erster Instanz berufen (§ 242 Abs. 1 WAO). Gegen die Ablehnung eines Antrages auf Wiedereinsetzung durch die Abgabenbehörde erster Instanz steht dem Antragsteller das Recht der Berufung zu (Abs. 3 leg. cit.).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Das Versehen einer Kanzleiangestellten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes ist dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) dann als Verschulden anzulasten, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht gegenüber der Kanzleiangestellten verletzt hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2001/16/0479).
Ein berufsmäßiger Parteienvertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von - mit Präklusion sanktionierten - Prozesshandlungen, etwa die fristgerechte Einbringung von Rechtsmitteln oder von Beschwerden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, gesichert erscheint. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen u.a. dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Das, was der Wiedereinsetzungswerber in Erfüllung seiner nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht vorgenommen hat, hat er im Wiedereinsetzungsantrag substantiiert zu behaupten (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 92/15/0100).
Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer ansonsten verlässlichen Kanzleikraft überlassen (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Zl. 98/01/0243). Solche Vorgänge sind etwa die Kuvertierung, die Beschriftung eines Kuverts oder die Postaufgabe, also manipulative Tätigkeiten (vgl. das schon zitierte Erkenntnis vom und das Erkenntnis vom , Zl. 2004/16/0204).
Es trifft zu, dass eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, dem Parteienvertreter nicht zuzumuten ist, will man seine Sorgfaltspflicht nicht überspannen (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2001/14/0021).
Wenn allerdings - wie im Beschwerdefall - im Wiedereinsetzungsantrag in keiner Weise dargelegt wird, ob irgendwelche Kontrolleinrichtungen vorgesehen sind oder ob jemals eine Kontrolle des Vorganges oder der Kanzleiangestellten erfolgte, kann von einer wirksamen Überwachung keine Rede sein. Nach der dargestellten Judikatur hat der Parteienvertreter nämlich durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Solches Vorbringen - etwa dahin, dass jeder abzusendende Schriftsatz gesondert zu kuvertieren war, was das organisatorische Risiko einer Falschkuvertierung deutlich eingeschränkt hätte - wurde nicht erstattet. Fehlt es aber schon an einem entsprechenden Vorbringen, liegt jedenfalls kein minderen Grad des Versehens vor. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist von der belangten Behörde zu Recht abgewiesen, erweist sich auch die Zurückweisung der damit verbundenen Berufung bzw. des Fristerstreckungsantrages als rechtmäßig. Zu Punkt III. des angefochtenen Bescheides enthält die Beschwerde keine Ausführungen.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abzusehen, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, dem nicht entgegensteht.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am