VwGH vom 31.01.2013, 2012/23/0002
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der D in W, vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landesgerichtsstraße 18/1/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/485.344/2007, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die 1972 geborene Beschwerdeführerin, eine bosnische Staatsangehörige, wurde, nachdem sie über die Gültigkeitsdauer der ihr bis erteilten Sichtvermerke hinaus unrechtmäßig in Österreich verblieben war, mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom rechtskräftig aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.
Im Zuge dieses Verfahrens stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit ihrer Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina, der im Instanzenzug mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Zl. 97/18/0146, als unbegründet ab.
Zuletzt reiste die Beschwerdeführerin mit einem bis befristeten Besuchsvisum nach Österreich ein. Sie setzte ihren Aufenthalt nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Visums fort, ohne über einen Aufenthaltstitel zu verfügen.
Im Hinblick auf die gerichtlich bewilligte Adoption der Beschwerdeführerin durch ein österreichisches Ehepaar stellte sie am einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG". Nachdem ein wegen Vorliegens einer sogenannten "Schein-Adoption" erlassenes Aufenthaltsverbot vom von der Berufungsbehörde mit Bescheid vom behoben worden war, wurde der nach Inkrafttreten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) am als Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gewertete Antrag mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom rechtskräftig abgewiesen.
In der Folge wurde die Beschwerdeführerin mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.
Der dagegen erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid vom keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei nach Ablauf ihres Visums in Österreich verblieben und halte sich seither unrechtmäßig in Österreich auf, zumal sie zu keiner Zeit über einen Aufenthaltstitel verfügt habe. Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG für die Erlassung einer Ausweisung lägen somit vor.
Bei der sodann vorgenommenen Interessenabwägung nach § 66 FPG berücksichtigte die belangte Behörde neben der Aufenthaltsdauer die familiären Bindungen der Beschwerdeführerin zu ihrem Bruder und ihrer Schwägerin, die für das "leibliche Kind" der Beschwerdeführerin obsorgeberechtigt seien, und die Beziehungen zu ihren Adoptiveltern. Sie ging daher von einem durch die Ausweisung bewirkten Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin aus, der jedoch wegen des hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens dringend geboten sei.
Der von der Beschwerdeführerin erlangten Integration komme deshalb kein entscheidendes Gewicht zu, weil sie ausschließlich auf einen unrechtmäßigen Aufenthalt zurückzuführen sei. Außerdem hätten die Adoptiveltern für die Beschwerdeführerin keine Haftungserklärung abgegeben. Dazu komme, dass die Beschwerdeführerin den Großteil ihres Lebens in ihrer Heimat verbracht habe, dort nach wie vor über soziale Kontakte und Bindungen verfüge und ausreichende Sprachkenntnisse habe. Ihrem Interesse an einem Verbleib in Österreich hielt die belangte Behörde aber vor allem entgegen, dass die Beschwerdeführerin durch ihren unrechtmäßigen Aufenthalt nach Ablauf des Visums und auch noch nach rechtskräftiger Ablehnung ihres Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels die Fremdenrechtsordnung in gravierender Weise missachtet habe, was eine Beeinträchtigung des hoch zu bewertenden öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens bewirke. Diesem öffentlichen Interesse liefe es grob zuwider, wenn ein Fremder bloß aufgrund von ihm geschaffener Tatsachen - Nichtausreise trotz Visumsablaufs - den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet erzwingen könnte. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf das Fehlen besonderer zugunsten der Beschwerdeführerin sprechender Umstände könne ihr weiterer Aufenthalt selbst unter Berücksichtigung ihrer familiären Situation auch im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens nicht in Kauf genommen werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der angefochtene Bescheid vom Verwaltungsgerichtshof auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen ist. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im November 2009 geltende Fassung des genannten Gesetzes.
Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In der Beschwerde wird nicht bestritten, dass sich die Beschwerdeführerin seit dem Ablauf der Gültigkeitsdauer des ihr erteilten Visums mit nicht mehr rechtmäßig in Österreich aufhält. Die behördliche Annahme, der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei verwirklicht, ist daher zutreffend.
In der Beschwerde wird allerdings gerügt, die belangte Behörde habe übersehen, dass die Beschwerdeführerin im Aufenthaltstitelverfahren gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben habe. Die belangte Behörde habe diesen Umstand übergangen, "obgleich das Verfahrensergebnis des genannten Beschwerdeverfahrens durchaus Relevanz im gegenständlichen Verfahren entfaltet".
Dem ist zu erwidern, dass für die vorliegend bekämpfte Ausweisung lediglich entscheidend war, dass im Zeitpunkt ihrer Erlassung der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtskräftig abgewiesen worden war. Im Übrigen wurde die diesbezügliche Verwaltungsgerichtshofbeschwerde mit Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0398, als unbegründet abgewiesen, weil unbestritten blieb, dass die Adoptiveltern der Beschwerdeführerin weder eine Haftungserklärung abgegeben noch für sie im Herkunftsstaat Unterhalt geleistet hatten.
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (siehe etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0233).
Unter diesen Gesichtspunkten werden in der Beschwerde zur Frage der Integration vor allem Feststellungsmängel geltend gemacht. In diesem Zusammenhang wird allerdings nur auf "die familiären Verhältnisse und den langjährigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin" verwiesen. Mit diesen nur pauschal gehaltenen Ausführungen gelingt es nicht, einen wesentlichen Begründungsmangel aufzuzeigen, weil von der Beschwerdeführerin nicht dargetan wird, welche konkreten Feststellungen die belangte Behörde in Bezug auf ihre Integration zu treffen gehabt hätte. Die angesprochenen "familiären Verhältnisse" - insbesondere die Bindungen zu ihrem Bruder und ihrer Schwägerin, in deren Obsorge sich die Tochter der Beschwerdeführerin befindet, und die Adoption durch ein österreichisches Ehepaar - sowie die Dauer des Aufenthalts von knapp siebeneinhalb Jahren wurden von der belangten Behörde aber ohnehin ausreichend berücksichtigt.
Der Beschwerdeführerin ist zwar diesbezüglich zuzugestehen, dass - wie sie der Sache nach vorbringt - eine während unsicheren Aufenthalts erworbene Integration schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz hat, dass ihr bei der Interessenabwägung überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre. Die Beschwerdeführerin räumt aber im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes selbst ein, dass das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen. In diesem Sinn ordnet § 66 Abs. 2 Z 8 FPG auch an, dass bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens des Fremden die Frage zu berücksichtigen ist, ob es in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (vgl. zum Ganzen das schon genannte Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0233, mwN).
Das trifft aber im vorliegenden Fall in besonderer Weise zu, weil die Beschwerdeführerin von Anfang an über keinen Aufenthaltstitel verfügte. Da sie nicht einmal die rechtskräftige Abweisung ihres nach der Adoption gestellten Aufenthaltstitelantrages veranlasste, ihrer Ausreiseverpflichtung nachzukommen, durfte die belangte Behörde das Verhalten der Beschwerdeführerin zu Recht als gravierenden Verstoß gegen die Fremdenrechtsordnung qualifizieren. Es ist der belangten Behörde aber auch darin beizupflichten, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. unter vielen etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0443, mwN).
Im Ergebnis ist es im vorliegenden Fall somit nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Ausweisung der Beschwerdeführerin zur Wiederherstellung eines geordneten Fremdenwesens für dringend geboten im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG erachtete. Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Umstände stellen sich nämlich auch unter Einbeziehung ihrer Unbescholtenheit nicht als so außergewöhnlich dar, dass von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Verhalten - wie schon einmal in den Jahren 1993 bis 1996 - versucht, in Bezug auf ihren Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen. Bei dieser Beurteilung hatte die belangte Behörde im Sinne des § 66 Abs. 2 Z 5 FPG auch auf die Bindungen zum Heimatstaat Bedacht zu nehmen, deren Bestehen in der Beschwerde nicht bestritten wird.
In der Beschwerde werden schließlich auch keine Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt wäre.
Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
JAAAE-77679