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VwGH vom 22.01.2014, 2012/22/0246

VwGH vom 22.01.2014, 2012/22/0246

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der Landespolizeidirektion Tirol gyegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom , Zl. uvs- 2012/17/157-3, betreffend Aufenthaltsverbot (mitbeteiligte Partei:

A, vertreten durch Mag. Laszlo Szabo, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Claudiaplatz 2), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die vorliegende Amtsbeschwerde richtet sich gegen einen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol, mit dem das mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom erlassene auf fünf Jahre befristete Aufenthaltsverbot gegen die Mitbeteiligte, eine ungarische Staatsangehörige, behoben wurde.

In der Bescheidbegründung stellte die belangte Behörde fest, dass sich die Mitbeteiligte in unregelmäßigen Abständen in Österreich aufhalte und seit im Bundesgebiet gemeldet sei. Sie sei wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 14 lit. b Tiroler Landespolizeigesetz sowie § 12 Abs. 2 Geschlechtskrankheitengesetz rechtskräftig zu zwei Geldstrafen verurteilt worden. Den Anzeigen des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes sei zu entnehmen, dass die Mitbeteiligte angesichts der Anhaltungen durch die Polizei auch hinsichtlich ihrer Untersuchungen nach dem Aids-Gesetz bzw. dem Geschlechtskrankheitengesetz kontrolliert worden sei. Eine Auskunft des Stadtmagistrates I habe ergeben, dass sich die Mitbeteiligte (an näher genannten Tagen) Untersuchungen nach dem Geschlechtskrankheitengesetz und dem Aids-Gesetz unterzogen habe. Außerdem sei sie (wiederum an bestimmt genannten Tagen) im Sinn der Verordnung auf Grund des § 11 Geschlechtskrankheitengesetz untersucht worden.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, dass dem gegenständlichen Aufenthaltsverbot zum Zeitpunkt der Entscheidung der ersten Instanz ein Straferkenntnis wegen einer Übertretung nach dem Tiroler Landespolizeigesetz wegen der verbotenen Anbahnung der Prostitution außerhalb behördlich bewilligter Bordelle sowie einer Übertretung nach § 12 Abs. 2 Geschlechtskrankheitengesetz wegen der Nichtvorlage des Nachweises über die erforderlichen Untersuchungen zugrunde gelegen sei. "Weitere Straferkenntnisse liegen trotz einer Vielzahl von Anzeigen gegen die Berufungswerberin derzeit nicht vor, auch strafrechtliche Verurteilungen liegen keine vor."

Gegen die Mitbeteiligte als freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürgerin sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet sei. "Den Verwaltungsübertretungen" nach dem Tiroler Landespolizeigesetz lägen Sachverhalte zugrunde, die einen Verstoß gegen die Vorschriften begründeten, mit denen die Prostitution in Tirol geregelt sei. Es treffe nun zweifellos zu, dass diese Übertretungen im Katalog des § 53 Abs. 2 (konkret in der Z 5) FPG enthalten seien. Darauf allein könne allerdings noch keine Gefährdungsprognose im Sinn des § 67 Abs. 1 FPG gestützt werden. Die Unterlassung der geforderten regelmäßigen ärztlichen Untersuchung stelle zwar eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Gesundheitswesens dar. In diesem Zusammenhang liege eine Bestrafung mit Tatzeit vor dem Oktober 2011 vor. Allerdings habe sich die Mitbeteiligte bereits seit Oktober 2011 wieder regelmäßig den Untersuchungen nach § 4 des Aids-Gesetzes sowie im Sinn der Verordnung BGBl. Nr. 314/1974 unterzogen, wie die eingeholte Auskunft des Stadtmagistrates I ergeben habe. Insgesamt könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Mitbeteiligte weiterhin die Prostitution ausüben werde, ohne ihrer Verpflichtung zu einer amtsärztlichen Untersuchung nachzukommen. Eine negative Zukunftsprognose bzw. eine Gefährlichkeitsprognose könne in diesem Zusammenhang nicht getroffen werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die vorliegende Amtsbeschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde und Erstattung einer Gegenschrift durch die Mitbeteiligte erwogen:

Eingangs ist anzumerken, dass angesichts der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Oktober 2012 die Bestimmungen des FPG idF BGBl. I Nr. 50/2012 anzuwenden sind.

Weiters sind, soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Gemäß § 53 Abs. 2 Z 5 FPG kann ein Einreiseverbot insbesondere dann erlassen werden, wenn der Fremde wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist.

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Die Amtsbeschwerde zeigt einen dem angefochtenen Bescheid anhaftenden Rechtsirrtum auf.

Im angefochtenen Bescheid zitiert die belangte Behörde zwar die (zutreffende) Rechtsmeinung, dass bei der Prognosebeurteilung nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten abzustellen sei. In der weiteren Begründung hob die belangte Behörde jedoch hervor, dass nur ein Straferkenntnis wegen zweier Verwaltungsübertretungen gemäß Tiroler LandespolizeiG bzw. GeschlechtskrankheitenG vorliege, und sich die Mitbeteiligte bereits seit der Tatzeit wieder regelmäßig gesundheitlichen Untersuchungen unterzogen habe.

Wie aus dem eingangs zitierten Teil der Bescheidbegründung hervorgeht, verkennt die belangte Behörde, dass ein Fehlverhalten auch dann zur Beurteilung der Gefährdungsprognose herangezogen werden kann, wenn dieses nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0890, sowie schon zur Rechtslage nach dem Fremdengesetz 1997 jenes vom , 99/21/0357). Im letztgenannten Erkenntnis wurde die Beschwerdemeinung verworfen, dass eine solche Vorgangsweise gegen die gesetzliche Unschuldsvermutung und gegen Art. 6 EMRK verstoße. Selbstverständlich bedarf es in einem solchen Fall - sofern das Fehlverhalten bestritten wird - in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren getroffener Feststellungen. Aufgrund dieser unrichtigen Rechtsansicht unterließ die belangte Behörde Feststellungen, ob strafbare Handlungen vorliegen, die in weiteren - Zeiträume nach der Bestrafung im Oktober 2011 betreffenden - Anzeigen vorgeworfen wurden.

Die belangte Behörde argumentierte zwar zutreffend, dass die Unterlassung der geforderten regelmäßigen Untersuchungen eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Gesundheitswesens darstellten und ein Grundinteresse der Gesellschaft an der Bekämpfung ansteckender und zum Tod führender Krankheiten verletzt werde, wenn aus dem gesamten Verhalten der Fremden abzuleiten sei, dass sie weiterhin die Prostitution ausüben werden, ohne ihrer Verpflichtung zu einer amtsärztlichen Untersuchung nachzukommen. In diesem Zusammenhang meinte die belangte Behörde, dass sich die Mitbeteiligte wieder regelmäßig gesundheitlichen Untersuchungen unterzogen habe. Auch wenn dabei - ungeachtet der Frage vorliegender Bestrafungen - auf ein zu prüfendes Fehlverhalten abgestellt wird, ist der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie völlig den Inhalt der vorgelegten Anzeigen ignoriert, denen zufolge die vorgeschriebenen wöchentlichen Untersuchungen nicht gemacht bzw. die vorgesehenen Zeiträume nicht eingehalten worden seien.

Unter der Annahme, dass die Mitbeteiligte ihr Fehlverhalten auch nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes in erster Instanz fortgesetzt und dadurch sowohl die öffentliche Ordnung als auch die Gesundheit anderer Personen gefährdet hat, ist nämlich nicht auszuschließen, dass bei Feststellung eines solchen Fehlverhaltens die Gefährdungsprognose nach § 67 Abs. 1 FPG zu treffen gewesen wäre (vgl. zu diesem Thema das hg. Erkenntnis vom , 2012/18/0098).

Demnach war der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am