VwGH vom 18.04.2012, 2008/10/0308
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Mag. Nussbaumer-Hinterauer und Dr. Hofbauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der mj. L R, vertreten durch den Kindesvater G R, beide in K, vertreten durch Dr. Johann Lutz, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bozner Platz 1/IV, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. Va-459-36987/1/8, betreffend Kostenübernahme für Rehabilitationsmaßnahmen, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Tiroler Landesregierung den Antrag der Beschwerdeführerin auf Kostenübernahme für eine Therapie bei einer bestimmt genannten Rehabilitationseinrichtung gemäß § 2 Tiroler Rehabilitationsgesetz (TRG), LGBl. Nr. 58/1983, abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde aus, aufgrund der von den Eltern beigebrachten medizinischen Unterlagen habe der medizinische Sachverständige der Landesregierung "festgestellt", dass keine Behinderung im Sinne des TRG vorliege.
Grundvoraussetzung für die Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen sei jedoch gemäß § 2 TRG das Vorliegen einer Behinderung.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen. In der Gegenschrift wurden Zweifel am Vorliegen einer Vollmacht des Beschwerdeführervertreters geäußert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Im Hinblick auf die vom Beschwerdeführervertreter mit Schriftsatz vom vorgelegte, ihm vom Kindesvater erteilte Spezialvollmacht zur Erhebung einer Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid hegt der Verwaltungsgerichtshof keine Zweifel an der Zulässigkeit der Beschwerde (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2008/10/0137 und 0138).
Die Beschwerdeführerin bringt zusammengefasst vor, sie habe Befunde und medizinische Gutachten vorgelegt, aus denen sich die Voraussetzungen für einen Anspruch auf die begehrte Heilbehandlung nach dem TRG ergäben. Mit diesen Unterlagen habe sich die belangte Behörde nicht in nachvollziehbarer Weise auseinander gesetzt. Sie habe keine Feststellungen getroffen und ihre Ansicht, die Beschwerdeführerin sei nicht behindert, nicht begründet.
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des TRG lauten auszugsweise:
"§ 1
Aufgaben
Rehabilitation im Sinne dieses Gesetzes bedeutet die Anwendung zusammenwirkender Maßnahmen, durch die die physischen, psychischen, sozialen, beruflichen und wirtschaftlichen Fähigkeiten eines Behinderten entfaltet und erhalten werden mit dem Ziel, den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern oder wieder einzugliedern.
§ 2
Personenkreis
Behinderte im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die wegen eines physischen oder psychischen Leidens oder Gebrechens in ihrer Fähigkeit dauernd wesentlich beeinträchtigt sind, ein selbständiges Leben in der Gesellschaft zu führen, insbesondere eine angemessene Erziehung, Schulbildung oder Berufsausbildung zu erhalten oder eine ihnen auf Grund ihrer Schul- und Berufsausbildung zumutbare Beschäftigung zu erlangen oder zu behalten.
§ 3
Anspruch
(1) Voraussetzung für die Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen ist, dass der Behinderte
Tabelle in neuem Fenster öffnen
a) | die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, |
b) | in Tirol seinen Hauptwohnsitz hat, |
c) | rehabilitationsfähig ist, |
d) | rehabilitationswillig ist, |
e) | keine Möglichkeit hat, nach anderen Rechtsvorschriften gleichartige oder ähnliche Leistungen zu erhalten. |
(2) Der Behinderte ist rehabilitationsfähig, wenn bei Gewährung von geeigneten Rehabilitationsmaßnahmen seine physische, psychische, soziale, berufliche und wirtschaftliche Eingliederung in die Gesellschaft zu erwarten ist.
...
(5) Auf Leistungen nach diesem Gesetz, mit Ausnahme von Leistungen nach § 14 und § 15 Abs. 1 und 2, besteht ein Anspruch. Ein Anspruch auf Gewährung einer bestimmten Rehabilitationsmaßnahme besteht nicht.
§ 25
Behörden und Verfahren
(1) Der Landesregierung obliegt die Entscheidung und Verfügung in allen Angelegenheiten dieses Gesetzes.
(2) Rehabilitationsmaßnahmen dürfen nur auf Antrag gewährt werden. Anträge auf Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen sind schriftlich beim Amt der Landesregierung oder bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in der der Antragsteller seinen Hauptwohnsitz hat, einzubringen.
(3) Vor der Entscheidung über einen Antrag nach Abs. 2 sind der Amtsarzt und bei Bedarf weitere Sachverständige zu hören. Die Sachverständigen können ein gemeinsames Gutachten (Gesamtplan) erstellen.
..."
Nach der Aktenlage hat die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen nach dem TRG gestellt. Im Zuge des Verfahrens hat sie u.a. einen psychodiagnostischen Befund und eine Stellungnahme eines Facharztes für Kinderheilkunde vorgelegt.
Der psychodiagnostische Befund der Psychologen Dr. S. und Mag. W vom gelangt zu dem Ergebnis, bei der Beschwerdeführerin lägen Entwicklungsstörungen vor. Die grundlegenden rechnerischen Fertigkeiten seien deutlich unterdurchschnittlich ausgeprägt. Weitere Schwächen seien hinsichtlich der unmittelbaren auditiven Aufmerksamkeitspanne und der Reihenbildungsfähigkeit, Realitätssicherheit und dem Zeitkonzept fassbar. Betreffend die motorische Entwicklung lägen Probleme im vestibulären, taktil-kinästhetischen und propriozeptiven Bereich sowie Auffälligkeiten in der Bewegungssteuerung und -planung, sowie in der Bewegungskoordination vor. Das Ergebnis betreffend die Visuomotorik sei nicht altersentsprechend. Weiters lägen Verhaltensprobleme und Hyperaktivität vor.
Die Stellungnahme des Facharztes für Kinderheilkunde Dr. Kü. vom gelangt zum Ergebnis, dass es sich bei den im oben angeführten Befund diagnostizierten Beeinträchtigungen um einen eher chronischen Leidensverlauf mit voraussichtlicher Besserung in mehreren Jahren handle.
Mit Schreiben vom teilte die Bezirkshauptmannschaft I., Jugendwohlfahrt, mit, dass es keine Unterstützung der Erziehung für die Beschwerdeführerin gebe. Ein Therapiebedarf könne seitens der Jugendwohlfahrt nicht abgeklärt werden.
Im Aktenvermerk vom wurde festgehalten, dass der Fall mit Dr. Ka. besprochen worden sei. Aus den vorliegenden Befundberichten und aus der Stellungnahme der Jugendwohlfahrt sei keine Behinderung im Sinne des TRG ableitbar. Daher sei die Landeszuständigkeit für die beantragte Maßnahme nicht gegeben.
Der Inhalt dieses Aktenvermerkes wurde dem Kindesvater mit Schreiben vom mitgeteilt.
Die belangte Behörde traf im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen über das Vorliegen einer Behinderung der Beschwerdeführerin. Sie stützte ihre Ansicht, die Beschwerdeführerin sei nicht behindert im Sinne von § 2 TRG, ausschließlich darauf, dass dies der medizinische Sachverständige auf Grundlage der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen "festgestellt" habe. Die Erwägungen des Sachverständigen, aus welchen Gründen die in diesen Unterlagen dargestellten Entwicklungsstörungen nicht auf eine Behinderung im Sinne von § 2 TRG zurückzuführen seien, sind dem angefochtenen Bescheid - und im Übrigen auch dem Verwaltungsakt - in keiner Weise zu entnehmen. Aus diesem Grund ist der Verwaltungsgerichtshof nicht in der Lage, die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Einschätzung des Sachverständigen auf ihre Schlüssigkeit und daher den angefochtenen Bescheid auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/10/0098).
Aufgrund des aufgezeigten Begründungsmangels war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.
Wien, am
Fundstelle(n):
GAAAE-77586