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VwGH 12.08.2010, 2008/10/0304

VwGH 12.08.2010, 2008/10/0304

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
SchPflG 1985 §11;
SchPflG 1985 §24 Abs1;
SchPflG 1985 §24 Abs3;
RS 1
Eltern und Erziehungsberechtigte haben ihrer Verpflichtung gemäß § 24 Abs. 1 Schulpflichtgesetz, für die Erfüllung der Schulpflicht durch ihre schulpflichtigen Kinder zu sorgen, nicht bereits dadurch entsprochen, dass sie alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel eingesetzt haben, um diesen den Besuch einer bestimmten Schule zu ermöglichen. Vielmehr sind sie, insoweit ein Besuch dieser Schule - aus welchen Gründen immer - dennoch nicht stattfindet bzw. stattfinden kann, verpflichtet, alles Weitere ihnen Mögliche zu unternehmen, damit die Schulpflicht durch ihre Kinder erfüllt wird, dh sie haben für die Teilnahme der Kinder am Unterricht einer anderen für die Erfüllung der Schulpflicht geeigneten Schule bzw. für häuslichen Unterricht zu sorgen. Das Gesetz verpflichtet die Eltern und Erziehungsberechtigten dazu, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln für "die Erfüllung der Schulpflicht" durch ihre Kinder zu sorgen (vgl. E , 93/10/0005). Kann ein schulpflichtiges Kind eine bestimmte Schule daher nicht besuchen, so haben die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten für den Besuch des Kindes in einer anderen für die Erfüllung der Schulpflicht geeigneten Schule zu sorgen bzw. für häuslichen Unterricht gemäß § 11 Schulpflichtgesetz.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Petritz, über die Beschwerde des MF in Wien, vertreten durch Dr. Thomas Romauch, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS- 06/31/9896/2007, betreffend Übertretung des Schulpflichtgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (UVS) vom wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er sei als Erziehungsberechtigter in der Zeit vom bis seiner Verpflichtung, für den regelmäßigen Schulbesuch seiner Töchter Frieda, geb. , Rezi, geb. , Esther, geb. , und Giti, geb. , zu sorgen, nicht nachgekommen, indem er die vom Stadtschulrat für Wien angebotenen Schulplätze an öffentlichen Schulen (Volksschule in 1020 Wien, Darwingasse 14, und kooperative Mittelschule in 1020 Wien, Pazmanitengasse 26) aus religiösen Gründen nicht in Anspruch genommen habe, sodass die schulpflichtigen Schülerinnen keine zur Erfüllung der Schulpflicht geeignete Schule und auch keinen zur Erfüllung der Schulpflicht genehmigten häuslichen Unterricht besucht hätten und daher kein Nachweis des Schulbesuches über das Sommersemester des Schuljahres 2006/2007 erbracht worden sei. Er habe dadurch § 24 Abs. 1 erster Satz des Schulpflichtgesetzes verletzt. Über ihn wurden vier Geldstrafen zu je EUR 49,-- (insgesamt EUR 196,--, im Nichteinbringungsfall vier Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von je 8 Stunden verhängt).

Begründend wurde nach Darstellung des Verfahrensganges und der angewendeten Rechtsvorschriften im Wesentlichen ausgeführt, die genannten schulpflichtigen Kinder des Beschwerdeführers seien, was von ihm gar nicht bestritten werde, im angeführten Zeitraum dem regelmäßigen Schulbesuch nicht nachgekommen. Der Beschwerdeführer habe das Angebot des Stadtschulrates für Wien, die Kinder die erwähnten öffentlichen Schulen besuchen zu lassen, nicht in Anspruch genommen. Er habe auch von der Möglichkeit, die Schulpflicht durch Besuch eines genehmigten häuslichen Unterrichts zu erfüllen, keinen Gebrauch gemacht. Vielmehr habe er sich auf den Standpunkt zurückgezogen, er habe alles ihm Mögliche getan, um den Anspruch seiner Kinder auf Besuch der von ihnen vor Ende des Wintersemesters des Schuljahres 2006/2007 besuchten Privatschule durchzusetzen. Der Schulerhalter, ein Verein, habe nämlich die Ausbildungsverträge gekündigt, der Beschwerdeführer habe eine Klage auf Zuhaltung der Verträge und Ermöglichung des weiteren Schulbesuches eingebracht. Mit einstweiliger Verfügung des Oberlandesgerichtes Wien sei den Kindern der ungestörte Schulbesuch in der bisherigen Art und im bisherigen Umstand gestattet worden und zwar bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteiles. Allerdings sei den Kindern eine Teilnahme am Unterricht vom Schulerhalter bis dato verweigert worden, obwohl über diesen auf Grund von Exekutionsanträgen des Beschwerdeführers Beugestrafen in Höhe von insgesamt EUR 500.000,-- verhängt worden seien.

Trotz Vorliegens der einstweiligen Verfügung sei der Schulbesuch in der betreffenden Privatschule faktisch nicht möglich gewesen. Bestehe für den Beschwerdeführer aber weder die Möglichkeit, seine Kinder in eine Privatschule zu schicken, noch die Möglichkeit, dass sie am häuslichen Unterricht teilnehmen, so könne die Schulpflicht nur durch den Besuch einer öffentlichen Schule erfüllt werden. Der Wunsch, den Kindern eine bestimmte religiöse Ausbildungsinstitution zur Verfügung zu stellen, berechtige nicht, sie der allgemeinen Schulpflicht zu entziehen, wenn eine adäquate Institution nicht zur Verfügung stehe. Diesfalls müssten schulpflichtige Kinder in eine öffentliche Pflichtschule geschickt werden.

Die gegen diesen Bescheid an den Verfassungsgerichtshof erhobene Beschwerde wurde, nachdem dieser deren Behandlung mit Beschluss vom , B 482/08, abgelehnt hatte, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor, sah im Übrigen aber von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 24 Abs. 1 Schulpflichtgesetz sind die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten verpflichtet, für die Erfüllung der Schulpflicht, insbesondere für den regelmäßigen Schulbesuch und die Einhaltung der Schulordnung durch den Schüler zu sorgen.

Die Nichterfüllung dieser Pflichten stellt gemäß § 24 Abs. 3 Schulpflichtgesetz eine Verwaltungsübertretung dar und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu EUR 220,--, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu zwei Wochen zu bestrafen.

Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zu Grunde, der Beschwerdeführer sei seiner Verpflichtung, für die Erfüllung der Schulpflicht durch seine schulpflichtigen Töchter zu sorgen, nicht nachgekommen. Obwohl es den Kindern tatsächlich nicht möglich gewesen sei, die von ihnen zuvor besuchte Privatschule weiterhin zu besuchen, habe der Beschwerdeführer die ihm vom Stadtschulrat für Wien angebotenen Schulplätze an öffentlichen Schulen nicht in Anspruch genommen, sodass die Schülerinnen während des Sommersemesters des Schuljahres 2006/2007 weder eine zur Erfüllung der Schulpflicht geeignete Schule, noch einen für die Erfüllung der Schulpflicht geeigneten häuslichen Unterricht besucht hätten.

Der Beschwerdeführer bestreitet, nicht sämtliche ihm zu Gebote stehenden Mittel eingesetzt zu haben, um den Schulbesuch seiner schulpflichtigen Töchter zu sichern. Die Privatschule, an der seine Töchter eingeschrieben gewesen seien, hätte diesen wegen der politischen Ansichten bzw. Betätigung des Beschwerdeführers den weiteren Schulbesuch verweigert, obwohl sie nicht zuletzt auf Grund der vom Beschwerdeführer erwirkten einstweiligen Verfügung verpflichtet gewesen wäre, diesen den ungestörten Schulbesuch zu ermöglichen. Die vom Exekutionsgericht verhängten Zwangsmaßnahmen (Beugestrafen) hätten zwar nicht ausgereicht, um den Widerstand des Schulerhalters zu brechen. Auch entziehe sich der Kenntnis des Beschwerdeführers, aus welchen Gründen das Exekutionsgericht nicht unmittelbaren physischen Zwang eingesetzt habe, um die einstweilige Verfügung umzusetzen. Der Beschwerdeführer jedenfalls habe alles in seiner Macht Stehende getan, um seinen Kindern den Besuch der erwähnten Privatschule zu ermöglichen. Eine Teilnahme der Kinder am Unterricht hätte durch Einsatz der im Gesetz vorgesehenen Exekutionsmittel (unmittelbarer physischer Zwang) verwirklicht werden können, die im angefochtenen Bescheid unterstellte faktische Unmöglichkeit des Schulbesuches müsse "unstreitig verneint" werden. Eine Alternative zum Besuch der Privatschule habe nicht bestanden, weil keine weitere Schule mit dieser spezifischen religiösen Ausrichtung im Bereich Wiens existiere. Die an einer strengen orthodoxen Glaubensausrichtung orientierte, nach Geschlechtern getrennte Erziehung sei für das weitere Leben der Kinder prägend. Die Folgen einer auch nur vorübergehenden Aufhebung der Geschlechtertrennung wären nicht oder nur äußerst schwer reversibel gewesen. Dem Interesse des Beschwerdeführers, nicht in seiner Freiheit, seine Töchter im streng orthodoxen Glauben zu erziehen, beschränkt zu werden, hätte ungleich höheres Gewicht zuerkannt werden müssen, als dem öffentlichen Interesse an der Sicherstellung eines Schulabschlusses der Kinder. Den Beschwerdeführer treffe jedenfalls kein Verschulden an einer allfälligen Zuwiderhandlung gegen § 24 Abs. 1 Schulpflichtgesetz.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer keine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Rechtswidrigkeit auf:

Im Beschwerdefall steht zunächst unbestritten fest, dass die schulpflichtigen Kinder des Beschwerdeführers im erwähnten Zeitraum weder an einer für die Erfüllung der Schulpflicht geeigneten Schule, noch im Rahmen des so genannten häuslichen Unterrichts (§ 11 Schulpflichtgesetz) unterrichtet wurden. Der Beschwerdeführer ist jedoch der Auffassung, dass ihm daraus kein Vorwurf zu machen sei, weil er alles in seiner Macht Stehende unternommen habe, um einen Schulbesuch seiner Kinder an der erwähnten Privatschule gegen den Willen des Schulerhalters durchzusetzen.

Er übersieht dabei, dass Eltern und Erziehungsberechtigte ihrer Verpflichtung gemäß § 24 Abs. 1 Schulpflichtgesetz, für die Erfüllung der Schulpflicht durch ihre schulpflichtigen Kinder zu sorgen, nicht bereits dadurch entsprochen haben, dass sie alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel eingesetzt haben, um diesen den Besuch einer bestimmten Schule zu ermöglichen. Vielmehr sind sie, insoweit ein Besuch dieser Schule - aus welchen Gründen immer - dennoch nicht stattfindet bzw. stattfinden kann, verpflichtet, alles Weitere ihnen Mögliche zu unternehmen, damit die Schulpflicht durch ihre Kinder erfüllt wird, d.h. sie haben für die Teilnahme der Kinder am Unterricht einer anderen für die Erfüllung der Schulpflicht geeigneten Schule bzw. für häuslichen Unterricht zu sorgen. Das Gesetz verpflichtet die Eltern und Erziehungsberechtigten nämlich dazu, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln für "die Erfüllung der Schulpflicht" durch ihre Kinder zu sorgen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/10/0005). Kann ein schulpflichtiges Kind eine bestimmte Schule daher nicht besuchen, so haben die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten für den Besuch des Kindes in einer anderen für die Erfüllung der Schulpflicht geeigneten Schule zu sorgen bzw. für häuslichen Unterricht gemäß § 11 Schulpflichtgesetz.

Im vorliegenden Fall wurde es den schulpflichtigen Töchtern des Beschwerdeführers verwehrt, die von ihnen besuchte Privatschule weiter zu besuchen. Es war ihnen daher im vorgeworfenen Zeitraum nicht möglich, die Schulpflicht an dieser Schule zu erfüllen. Dennoch hat der Beschwerdeführer die Schulplätze, die an einer anderen für die Erfüllung der Schulpflicht geeigneten Schule zur Verfügung gestellt wurden, nicht in Anspruch genommen, sondern sich darauf beschränkt, exekutionsrechtliche Schritte gegen den Erhalter der Privatschule zu setzen, mit denen das Ziel des Besuches dieser Schule durch seine Töchter jedoch im Zeitraum vom 13. Februar bis nicht erreicht wurde. Er hat daher nicht alles in seiner Macht Stehende getan, um für die Erfüllung der Schulpflicht durch seine schulpflichtigen Töchter zu sorgen.

Daran vermag der Hinweis auf die Bedeutung der speziellen religiösen Ausrichtung der Privatschule nichts zu ändern, weil ein Besuch dieser Schule den Kindern des Beschwerdeführers trotz seiner Bemühungen im vorgeworfenen Zeitraum eben nicht möglich war, sodass sie ihre Schulpflicht an dieser Schule nicht erfüllen konnten. Dass in einem solchen Fall, in dem eine schulische Ausbildung, die bestimmte religiöse Zielsetzungen berücksichtigt, nicht Platz greifen kann, von der Erfüllung der Schulpflicht überhaupt abgesehen werden könne, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen den angefochtenen Bescheid wegen behaupteter Grundrechtsverletzung erhobenen Beschwerde abgelehnt, weil von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten sei.

Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, es liege ihm kein Verschulden zur Last, weil die an öffentlichen Pflichtschulen fehlende Geschlechtertrennung für seine Töchter nicht oder nur schwer reversible Folgen gehabt hätte, hat er konkrete Umstände, denen zufolge sein Verhalten durch Notstand entschuldigt oder gerechtfertigt gewesen wäre (vgl. nochmals das zitierte Erkenntnis vom ), nicht aufgezeigt.

Die sich somit als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
SchPflG 1985 §11;
SchPflG 1985 §24 Abs1;
SchPflG 1985 §24 Abs3;
Sammlungsnummer
VwSlg 17948 A/2010
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2010:2008100304.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
IAAAE-77581