VwGH vom 29.10.2019, Ra 2018/09/0147
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rosenmayr sowie die Hofräte Dr. Doblinger und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa, über die außerordentliche Revision des Dr. X Y in Z, vertreten durch Mag. Markus Lechner, Rechtsanwalt in 6911 Lochau, Althaus 10, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom , Zl. VGW-172/008/15326/2017, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer Disziplinarangelegenheit nach dem Ärztegesetz 1998 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Vorsitzender der Disziplinarkommission für Oberösterreich und Salzburg; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Der im Jahr 1973 geborene Revisionswerber ist als Arzt für Allgemeinmedizin sowie als Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde in die Ärzteliste eingetragen und gehört als ordentlicher Kammerangehöriger der Ärztekammer für Wien an. 2 Mit Schreiben vom ersuchte der Disziplinaranwalt beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer den Revisionswerber, zu einer Disziplinaranzeige der Ärztekammer für Wien Stellung zu nehmen.
3 Mit Schreiben vom erklärte der Revisionswerber daraufhin, den Disziplinaranwalt Dr. M. sowie sämtliche Mitglieder des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Wien, Niederösterreich und Burgenland, "insbesondere" Dr. N., Dr. H. und Dr. M., "als ausgeschlossen und befangen abzulehnen".
4 Mit Beschluss des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, Vorsitzender der Disziplinarkommission für Oberösterreich und Salzburg, vom wurde über den Ablehnungsantrag dahin entschieden, dass die Mitglieder der Disziplinarkommission für Wien, Niederösterreich und Burgenland Dr. N., Dr. H. und Dr. M sowie der Disziplinaranwalt Dr. M. nicht befangen seien.
5 Mit dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom wurde eine dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen und gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei. 6 Begründend führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges und Wiedergabe der maßgeblichen Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, aus § 167d Abs. 3 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998) ergebe sich die Anwendbarkeit des § 7 AVG sowie des § 63 Abs. 2 AVG. § 7 AVG räume den Parteien - anders als § 146 Abs. 3 ÄrzteG 1998 - kein Antrags- oder Ablehnungsrecht in Bezug auf befangene Organwalter ein. Dass ein Parteienantrag auf Ablehnung nach den Verfahrensbestimmungen des ÄrzteG 1998 zulässig sei, bedeute jedoch nicht, dass es sich bei der Entscheidung über den Ablehnungsantrag um keine bloße Verfahrensanordnung handeln könne. So stelle auch die Entscheidung über einen gemäß § 53 Abs. 1 AVG ausdrücklich zulässigen Ablehnungsantrag in Bezug auf einen nichtamtlichen Sachverständigen eine bloße Verfahrensanordnung iSd § 63 Abs. 2 AVG dar.
7 In § 146 Abs. 5 ÄrzteG 1998 finde sich nunmehr - anders als vor Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012 - keine ausdrückliche Bestimmung mehr, wonach gegen die Entscheidungen über Ablehnungsanträge kein (abgesondertes) Rechtsmittel zulässig sein solle. Daraus k��nne jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass dadurch "ein Ausbau des Rechtsschutzes des Disziplinarbeschuldigten durch eine Bekämpfbarkeit der Entscheidung über den Ablehnungsantrag" erfolgen sollte. Derartiges ergebe sich auch nicht aus den Materialien zur genannten Novelle. Es sei zudem von "keinem Rechtsschutznachteil" auszugehen, wenn der gegenständliche Beschluss nicht abgesondert vor dem Verwaltungsgericht bekämpfbar sei, da die Behörde sich in der das Verfahren abschließenden Entscheidung ohnehin mit der geltend gemachten Befangenheit auseinanderzusetzen habe und diese verfahrensabschließende Entscheidung mit Beschwerde bekämpfbar sowie durch das Verwaltungsgericht überprüfbar sei.
8 Seinen Ausspruch nach § 25a VwGG begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen mit einem Verweis auf den Wortlaut des Art. 133 Abs. 4 B-VG.
9 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
10 Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor. Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Das ÄrzteG 1998, BGBl. I Nr. 169 in der Fassung BGBl. I Nr. 37/2018, lautet auszugsweise:
"§ 146. (1) Von der Teilnahme am Disziplinarverfahren ist ein Mitglied des Disziplinarrates ausgeschlossen, wenn
1. das Mitglied durch das Disziplinarvergehen selbst betroffen oder Anzeiger oder
2. gesetzlicher Vertreter des Betroffenen oder des Anzeigers ist oder
3. der Beschuldigte, der Anzeiger oder der Betroffene Angehöriger des Mitglieds im Sinn des § 72 StGB ist.
(2) Mitglieder des Disziplinarrates und deren Stellvertreter sowie der Disziplinaranwalt und seine Stellvertreter, gegen die ein Verfahren nach der StPO wegen einer oder mehrerer Vorsatzstraftaten, die mit Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe von zumindest 360 Tagessätzen oder einer Geldstrafe von mehr als 36 340 Euro bedroht sind, oder ein Disziplinarverfahren nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz eingeleitet worden ist, dürfen bis zur Beendigung des Verfahrens ihr Amt nicht ausüben. Der Disziplinarrat kann jedoch nach Anhörung des Betroffenen und, sofern ein Mitglied des Disziplinarrates betroffen ist, auch des Disziplinaranwaltes, unter Bedachtnahme auf Art und Gewicht des Verdachts beschließen, dass der Betroffene sein Amt weiter ausüben kann, sofern keine Suspendierung nach § 146 Abs. 1 des Richterdienstgesetzes verfügt oder in einem gegen den Betroffenen anhängigen Disziplinarverfahren kein Einleitungsbeschluss gefasst worden ist.
(3) Der Beschuldigte und der Disziplinaranwalt sind darüber hinaus berechtigt, einzelne Mitglieder der Disziplinarkommission wegen Befangenheit abzulehnen, wenn sie Gründe anzugeben vermögen, die geeignet sind, die volle Unbefangenheit des Abzulehnenden in Zweifel zu setzen (§ 44 Abs. 3 1. Satz StPO).
(4) Die Mitglieder der Disziplinarkommission und der Disziplinaranwalt haben sie betreffende Ausschließungs- oder Befangenheitsgründe dem Vorsitzenden der Disziplinarkommission unverzüglich bekanntzugeben.
(5) Über das Vorliegen von Ausschließungs- oder Befangenheitsgründen entscheidet der Vorsitzende der Disziplinarkommission. Ist hievon der Vorsitzende der Disziplinarkommission selbst betroffen, so entscheidet der an Lebensjahren älteste Vorsitzende aller anderen Disziplinarkommissionen. Nach Beginn der mündlichen Verhandlung entscheidet die Disziplinarkommission durch Beschluss.
...
Sinngemäße Anwendung von anderen gesetzlichen Bestimmungen
§ 167d. (1) ...
(3) Im Übrigen sind die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der § 2 bis 4, 12, 42 Abs. 1 und 2, 51, 57, 63 Abs. 1 und 5 erster und zweiter Satz zweiter Halbsatz, 64 Abs. 2, 64a, 68 Abs. 2 und 3 und 75 bis 80, sowie die Bestimmungen des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982, insoweit sinngemäß anzuwenden, als sich aus den Bestimmungen des dritten Hauptstückes dieses Bundesgesetzes nichts anderes ergibt."
12 § 146 Abs. 5 ÄrzteG 1998, in der Fassung vor der Novellierung durch das 1. Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz - Bundesministerium für Gesundheit, BGBl. I Nr. 80/2013, lautete:
"(5) Über das Vorliegen von Ausschließungs- oder Befangenheitsgründen entscheidet der Vorsitzende der Disziplinarkommission. Ist hievon der Vorsitzende der Disziplinarkommission selbst betroffen, so entscheidet der Vorsitzende des Disziplinarsenates. Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig. Nach Beginn der mündlichen Verhandlung entscheidet die Disziplinarkommission durch Beschluß, gegen den ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig ist.
..."
13 Die Revision macht in ihrer Zulässigkeitsbegründung (unter anderem) geltend, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob der Beschluss eines dienstältesten Vorsitzenden einer Disziplinarkommission gemäß § 146 Abs. 5 ÄrzteG 1998 abgesondert anfechtbar sei. 14 Die Revision erweist sich im Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig, aber nicht begründet:
15 Die Bestimmung des § 146 Abs. 5 ÄrzteG 1998, in der Fassung vor der Novellierung durch das 1. Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz - Bundesministerium für Gesundheit, BGBl. I Nr. 80/2013, sah vor, dass gegen eine Entscheidung über das Vorliegen von Ausschließungs- oder Befangenheitsgründen (des Vorsitzenden der Disziplinarkommission bzw., sofern dieser selbst betroffen war, des Vorsitzenden des Disziplinarsenates) "ein Rechtsmittel nicht zulässig" ist. Weiters sah diese Bestimmung vor, dass gegen einen nach Beginn der mündlichen Verhandlung diesbezüglich gefassten Beschluss der Disziplinarkommission "ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig" ist.
16 In den Materialien (ErlRV 2166 BlgNR 24. GP, 9) zur genannten Novelle BGBl. I Nr. 80/2013 wird diesbezüglich Folgendes ausgeführt:
"Zu Z 32, 36, 39, 40 und 42 (§ 146 Abs. 5 letzter Satz, § 147 Abs. 4 letzter Satz, § 152 letzter Satz, § 154 Abs. 2 zweiter Satz, § 155 Abs. 3 letzter Satz):
Gemäß § 7 Abs. 1 erster Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgese tz (VwGVG) ist gegen Verfahrensanordnungen im Verwaltungsverfahren eine abgesonderte Beschwerde nicht zulässig. Die Beschwerdemöglichkeit gegen Verfahrensanordnungen ergibt sich somit hinkünftig aus dem VwGVG, sodass die § 146 Abs. 5 letzter Satz, § 147 Abs. 4 letzter Satz, § 152 letzter Satz, § 154 Abs. 2 zweiter Satz sowie § 155 Abs. 3 letzter Satz entsprechend anzupassen sind und die Bestimmungen, dass abgesonderte Rechtsmittel nicht möglich sind, zu entfallen haben."
17 Wie sich aus den Materialien klar ergibt, hat der Gesetzgeber mit der Novelle BGBl. I Nr. 80/2013 an der bisherigen Regelung des Ausschlusses einer (abgesonderten) Bekämpfbarkeit der Entscheidung über das Vorliegen von Ausschließungs- oder Befangenheitsgründen gemäß § 146 Abs. 5 ÄrzteG 1998 festgehalten und die zuvor in § 146 Abs. 5 ÄrztG 1998 enthaltenen ausdrücklichen Verweise auf die Unzulässigkeit von (abgesonderten) Rechtsmitteln lediglich deshalb entfallen lassen, weil sich die fehlende (abgesonderte) Beschwerdemöglichkeit gegen Verfahrensanordnungen bereits aus dem VwGVG ergibt. 18 Die gegenteilige Ansicht des Revisionswerbers, die ohne jegliche Bezugnahme auf die genannte Novellierung des § 146 Abs. 5 ÄrzteG 1998 eine Bekämpfbarkeit aus "allgemeinen Rechtsgrundsätzen" bzw. aus dem Umstand, dass den Parteien ein Antragsrecht auf Ablehnung eingeräumt sei, abzuleiten versucht, trifft daher nicht zu. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers ist auch die vom Gesetzgeber getroffene Regelung, die - nicht abgesondert bekämpfbare - Entscheidung über das Vorliegen von Ausschließungs- oder Befangenheitsgründen, sofern der Vorsitzende der Disziplinarkommission selbst betroffen ist, (früher) dem Vorsitzenden des Disziplinarsenates bzw. (nunmehr) dem an Lebensjahren ältesten Vorsitzenden aller anderen Disziplinarkommissionen zu übertragen, keineswegs als "mit allgemeinen Grundsätzen des Rechtsmittelrechts nicht vereinbar" anzusehen, lässt der Revisionswerber doch gänzlich außer Acht, dass die Frage des Vorliegens von Ausschließungs- oder Befangenheitsgründen im Rechtsmittel gegen den die Sache erledigenden Bescheid bekämpft werden kann und die in § 146 Abs. 5 ÄrzteG 1998 genannte Entscheidung über das Vorliegen von Ausschließungs- oder Befangenheitsgründen (bloß) eine Verfahrensanordnung darstellt, die nicht der Rechtskraft fähig ist (vgl. zu derartigen, nicht der Rechtskraft fähigen Verfahrensanordnungen und deren mangelnder Bindungswirkung etwa bis 0218, mwH).
19 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018090147.L00 |
Schlagworte: | Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 |
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