VwGH vom 21.02.2019, Ra 2018/09/0132

VwGH vom 21.02.2019, Ra 2018/09/0132

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rosenmayr sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Mag. Feiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schachner, über die außerordentlichen Revisionen

1. des Bundesministers für Finanzen, 2. des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , LVwG- 2017/28/2206-8, betreffend Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (mitbeteiligte Partei: M S in G, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bürgerstraße 20), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde vom wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit als das gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufene Organ der C GmbH zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin die kroatischen Staatsangehörigen DP in der Zeit von bis und PP in der Zeit von bis beschäftigt habe, obwohl für diese keine der im Einzelnen aufgezählten arbeitsmarktrechtlichen Bewilligungen erteilt oder Bestätigungen ausgestellt gewesen seien. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a in Verbindung mit § 3 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) begangen, weshalb über ihn zwei Geldstrafen in der Höhe von je 1.000 Euro (im Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafen von je 36 Stunden) verhängt wurden.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Tirol der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde Folge, behob das behördliche Straferkenntnis und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG ein. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.

3 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zu Grunde (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

"Der (Mitbeteiligte) war vom Juni 2013 bis Oktober 2016 handelsrechtlicher Geschäftsführer der Firma C GmbH mit Sitz in (...).

Der (Mitbeteiligte) selbst hat die beiden Arbeitnehmer, Herrn DP und Herrn PP in der GmbH beschäftigt. Herr DP war vom bis als Küchenhilfe und Herr PP vom bis als Abräumer in der Firma C GmbH beschäftigt.

Nach dem Einstellungsgespräch mit Herrn PP hat der (Mitbeteiligte) die Daten an sein Lohnbüro weitergegeben, welches sodann diese Daten geprüft hat und für gut befunden hat, weshalb dem (Mitbeteiligten) die zwei Arbeitsverträge übermittelt worden sind und auch unterfertigt wurden. Beide Arbeitnehmer sind kroatische Staatsangehörige und war der (Mitbeteiligte) fälschlicherweise der Meinung, dass beide Arbeitnehmer als EU-Bürger auch in Österreich arbeiten dürfen.

Beide Arbeitnehmer wurden zur Sozialversicherung angemeldet."

4 Rechtlich beurteilte das Landesverwaltungsgericht den Sachverhalt dahingehend, dass der Mitbeteiligte der Meinung gewesen sei, beide Arbeitnehmer dürften in Österreich aufhältig sein und als EU-Bürger auch arbeiten. Der Mitbeteiligte habe die Übertretung zugestanden und erklärt, dass ihm die Angelegenheit leid tue. Dennoch hätte er als Geschäftsführer und damit verantwortlicher Beauftragter nach § 9 VStG die rechtlichen Bestimmungen für kroatische Staatsangehörige am österreichischen Arbeitsmarkt nachprüfen müssen.

5 Der Mitbeteiligte habe mit seinem Verhalten den Tatbestand der ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretung erfüllt. Allerdings sei die Übertretung lediglich daraus erfolgt, weil er fälschlicherweise vermeint habe, dass die ausländischen Arbeitnehmer als EU-Bürger in Österreich hätten arbeiten dürfen. Es sei keinesfalls in der Intention des Mitbeteiligten gelegen, die Arbeitnehmer nicht nach den geltenden Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes zu beschäftigen. Beide Arbeitnehmer seien bei der Gebietskrankenkasse angemeldet gewesen. Gegen den Mitbeteiligten schienen keine Strafvormerkungen auf. Damit könne im gegenständlichen Fall von einem geringen Verschulden im Sinn des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG gesprochen werden. Bei dieser Bestimmung handle es sich um die Nachfolgebestimmung des § 21 Abs. 1 VStG. Bei Vorliegen der Voraussetzungen sei jedoch nicht bloß von einer Bestrafung abzusehen, sondern - bei Verneinung der Notwendigkeit einer Ermahnung - das Verfahren gänzlich einzustellen.

6 Die Unzulässigkeit einer Revision begründete das Verwaltungsgericht ohne Bezugnahme auf den konkreten Fall mit dem Fehlen einer grundsätzlichen Rechtsfrage.

7 Gegen dieses Erkenntnis richten sich die außerordentlichen Revisionen des Bundesministers für Finanzen und der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts bzw. auch wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzungen von Verfahrensvorschriften. Der Mitbeteiligte erstattete Revisionsbeantwortungen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Revisionen erwogen:

8 Der Bundesminister für Finanzen macht zur Zulässigkeit seiner Revision geltend, das Landesverwaltungsgericht sei von der (näher dargestellten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 45 Abs. 1 Z 4 VStG abgewichen. Die Anwendung dieser Bestimmung setze ein kumulatives Vorliegen der genannten Bedingungen voraus. Sie komme schon dann nicht mehr in Betracht, wenn auch nur eine dieser Bedingungen nicht gegeben sei.

9 Begründend führt die erstrevisionswerbende Partei weiter aus, dass sich das Landesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall sachverhaltsbezogen weder mit der Bedeutung des durch die maßgebenden Bestimmungen strafrechtlich geschützten Rechtsguts noch mit der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat auseinandergesetzt habe. Es liege auch nicht die von ihm angenommene Geringfügigkeit des Verschuldens des Mitbeteiligten vor. Keine der drei Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG sei im angefochtenen Erkenntnis einer begründenden näheren Betrachtung unterzogen worden. Bei zwei sei nicht einmal deren Vorliegen konstatiert worden.

10 Die zweitrevisionswerbende Partei führt zur Zulässigkeit ihrer Revision aus, dass ihr als belangter Behörde des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens weder Parteiengehör eingeräumt worden sei noch sei sie zur mündlichen Verhandlung geladen worden. In der Begründung der Revision rügt auch sie ferner das Fehlen einer näheren Auseinandersetzung mit den eine Einstellung gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG tragenden Umständen.

11 Die Revisionen sind zulässig. Sie sind auch begründet. 12 Gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG hat die Behörde (bzw. gemäß § 38 VwGVG das Verwaltungsgericht) von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsguts und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind.

13 Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Neuregelung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013, BGBl. I Nr. 33, zu dessen Auslegung auf die gesicherte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 1 VStG in der Fassung vor der genannten Novellierung zurückgegriffen werden kann (vgl. etwa ).

14 Eine Einstellung des Verfahrens nach § 45 Abs. 1 Z 4 VStG setzt demnach voraus, dass die in dieser Bestimmung genannten Umstände kumulativ vorliegen (; , Ra 2015/09/0004).

15 Wie die revisionswerbenden Parteien zutreffend ausführen, enthält das angefochtene Erkenntnis keine Begründung, weshalb das Landesverwaltungsgericht vom Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen für eine Anwendung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG ausging. Während es - ohne nachvollziehbare Begründung - dem Mitbeteiligten ein geringes Verschulden attestierte, fehlt eine Auseinandersetzung mit den weiteren Bedingungen für eine Einstellung des Verfahrens nach dieser Bestimmung (der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsguts und der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat) gänzlich. Für ein Absehen von der Verhängung einer Strafe müssen jedoch sämtliche Vorbedingungen dieser Norm kumulativ gegeben sein. Liegt auch nur eine der Voraussetzungen nicht vor, ist die Anwendbarkeit dieser Bestimmung nicht gegeben.

16 Da sich das Landesverwaltungsgericht in Verkennung der Rechtslage mit den weiteren erforderlichen Umständen für eine Einstellung des Verfahrens nicht auseinandersetzte, war das angefochtene Erkenntnis schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

17 In diesem Zusammenhang ist ergänzend auszuführen, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, dass die Folgen von Übertretungen des § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a AuslBG nicht unbedeutend sind, weil es Schutzzweck des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ist, einerseits inländische Arbeitsuchende vor einem unregulierten, wettbewerbsverzerrenden Einströmen ausländischer Arbeitskräfte zu schützen, und andererseits den Interessen der heimischen Wirtschaft dadurch Rechnung zu tragen, dass unter Vorgabe von Kontingentierungen und staatlichen Kontrollen eine Deckung des Arbeitskräftebedarfs insbesondere in jenen Branchen, in welchen erfahrungsgemäß inländische Arbeitskräfte schwer zu vermitteln sind, sichergestellt wird (vgl. auch dazu etwa , mwN). Im Hinblick darauf, dass dem Mitbeteiligten die Beschäftigung zweier ausländischer Arbeitnehmer über Zeiträume von mehr als zweieinhalb Jahren bzw. mehr als sechs Monaten zur Last gelegt werden, ist zudem nicht ersichtlich, aus welchem Grund von einer in ihrer Intensität geringen Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts ausgegangen werden könnte. Diese Umstände wären in gleichem Maße bei Beurteilung der Frage zu berücksichtigen, inwiefern das tatbildmäßige Verhalten des Mitbeteiligten als hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückgeblieben zu qualifizieren wäre (siehe ).

18 Da das angefochtene Erkenntnis somit bereits wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war, genügt es im Hinblick auf den von der zweitrevisionswerbenden Partei geltend gemachten Verfahrensmangel darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde gemäß § 18 VwGVG Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist. Sie hat daher auch das Recht auf Parteiengehör und Ladung zur Verhandlung (vgl. ; siehe zu den subjektiven prozessualen Rechten der Formalpartei auch ).

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018090132.L00
Schlagworte:
Besondere Rechtsgebiete Parteibegriff - Parteienrechte Allgemein diverse Interessen Rechtspersönlichkeit Parteiengehör Verwaltungsstrafverfahren Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

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