TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 21.11.2018, Ra 2018/09/0121

VwGH vom 21.11.2018, Ra 2018/09/0121

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rosenmayr und die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer und Mag. Feiel sowie die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schachner, über die außerordentliche Revision des Dipl. Ing. B E in B, vertreten durch Dr. Roland Neuhauser, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Brahmsplatz 7/7, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW-171/083/3097/2018/E-20, betreffend Versehrtenrente nach dem Unfallfürsorgegesetz 1967 (belangte

Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien - Magistratsdirektion Personalstelle Wiener Stadtwerke; weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Stadt Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der im Jahr 1954 geborene Revisionswerber ist Dienstnehmer der Stadt Wien. Am geriet er auf dem Weg zu seinem Arbeitsort in einen Verkehrsunfall, bei welchem er schwer verletzt wurde. Zur weiteren Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom , Ra 2017/09/0053, verwiesen.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien wurde die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht, mit dem festgestellt wurde, dass der Verkehrsunfall vom keinen Dienstunfall im Sinne des § 2 Z 10 Unfallfürsorgegesetz 1967 (UFG 1967) darstelle und dem Revisionswerber daher weder eine Versehrtenrente noch ein Versehrtengeld nach § 6 und 16 UFG 1967 zuzuerkennen sei, im zweiten Rechtsgang neuerlich als unbegründet abgewiesen und die ordentliche Revision für unzulässig erklärt.

3 Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit für den Revisionsfall von Bedeutung - zusammengefasst aus, maßgeblich für die Klärung der Frage, ob es sich beim verfahrensgegenständlichen Verkehrsunfall um einen Dienstunfall im Sinne des § 2 Z 10 UFG 1967 handle, sei, ob das Haus in X, von wo aus der Revisionswerber am den Weg zu seinem Arbeitsplatz angetreten sei, als ständiger Aufenthaltsort des Revisionswerbers zu beurteilen sei. Dies sei zu verneinen.

4 Zentrales Element für die Begründung eines ständigen Aufenthaltes sei der deutlich erkennbare Wille, tatsächlich einen zweiten Wohnsitz begründen und nicht nur vorübergehend eine Wohnung oder ein Haus benützen zu wollen. In der mündlichen Verhandlung hätten alle Zeugen angegeben, dass sich die Familie des Revisionswerbers in der schönen Jahreszeit im (gemieteten) Haus in X aufgehalten habe. Die zeitlichen Angaben dazu differierten (von Anfang April/Mai bis Ende September/Oktober), aber selbst nach den Angaben des Revisionswerbers (Anfang April bis zum Unfallzeitpunkt) sei nicht von einem Überwiegen des Aufenthaltes in X auszugehen. Es sei kein Nachsendeauftrag eingerichtet gewesen, die gesamte Post sei an die Adresse der Wohnung in Y, den gemeldeten Hauptwohnsitz, geschickt worden und die Umleitung des Zeitungsabonnements sei erst mit erfolgt. Die Eigentümerin des Hauses in X, die dort auch hauptgemeldet sei, habe noch ihre eigenen Sachen im Haus aufbewahrt, das Mobiliar sowie der Hausrat gehörten ihr und seien im Falle einer Beschädigung vom Revisionswerber zu ersetzen. Auch die Dokumente des Revisionswerbers seien in der Wohnung in Y verblieben. Darüber hinaus habe der Revisionswerber das Haus in X nicht einmal der Dienstbehörde als Zweitwohnsitz gemeldet.

5 Es könne daher, so das Verwaltungsgericht weiter, nicht von einem deutlich erkennbaren Willen, dauerhaft einen Wohnsitz in X begründen zu wollen, ausgegangen werden. Vielmehr sei von einer vorübergehenden Benützung des Hauses auszugehen. Auch die Nichtmeldung des Wohnsitzes gegenüber dem Dienstgeber deute darauf hin, dass gerade kein solcher Wille vorgelegen sei. Das Vorliegen eines Dienstunfalles im Sinne des § 2 Z 10 UFG 1967 sei daher zu verneinen gewesen, weshalb sich auch die Prüfung etwaiger Ansprüche aus dem UFG 1967, für deren Entstehen das Vorliegen eines Dienstunfalles notwendige Voraussetzung sei, erübrige.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht machte von der im Vorverfahren eingeräumten Möglichkeit der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Gebrauch.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Die Revision ist zulässig, wenn darin unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , 95/12/0333, ein Abweichen von der hg. Rechtsprechung moniert wird; sie ist auch berechtigt.

10 § 2 Z 10 lit. c Unfallfürsorgesetz 1967 (UFG 1967), LGBl. Nr. 08/1969, bzw. § 175 Abs. 2 Z 1 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, in der jeweils maßgeblichen Fassung lauten auszugsweise wie folgt:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. Im Sinne dieses Gesetzes gilt als

1. ...

...

10. Dienstunfall: ein Unfall, der sich ereignet

a) ...

...

c) auf einem mit dem Dienstverhältnis zusammenhängenden Weg

von oder nach dem ständigen Aufenthaltsort, wenn der Beamte wegen der Entfernung seines ständigen Aufenthaltsortes vom Ort der Dienstverrichtung an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat;

..."

"Arbeitsunfall

§ 175. (1) ...

(2) Arbeitsunfälle sind auch Unfälle, die sich ereignen:

1. auf einem mit der Beschäftigung nach Abs. 1 zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte; hat der Versicherte wegen der Entfernung seines ständigen Aufenthaltsortes von der Arbeits(Ausbildungs)stätte auf dieser oder in ihrer Nähe eine Unterkunft, so wird die Versicherung des Weges von oder nach dem ständigen Aufenthaltsort nicht ausgeschlossen;

..."

11 Wie das Verwaltungsgericht zu Beginn seiner rechtlichen Beurteilung zutreffend ausführt, hat der Verwaltungsgerichtshof zur Regelung des § 2 UFG 1967 wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass diese im Wesentlichen § 175 ASVG entspricht und damit die Rechtsprechung und Lehre zum Begriffsumfang des Arbeitsunfalls auch für den Dienstunfall im Sinne des UFG 1967 maßgeblich ist (vgl. etwa , mwN).

12 Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass "ständiger Aufenthaltsort" im Sinne des § 175 Abs. 2 Z 1 ASVG nach Rechtsprechung und Lehre jener Ort ist, den der Versicherte tatsächlich zum Mittelpunkt seiner privaten Lebensinteressen macht und an dem er sich tatsächlich häufig und regelmäßig aufhält (vgl. ). Ob eine Wohnung als Mittelpunkt der privaten Lebensinteressen der betroffenen Person angesehen werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. ). In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof auch darauf abgestellt, wo die "Wohnfunktionen", wie etwa Wohnen, Schlafen, Essen, die Aufbewahrung und das Waschen von Wäsche, in Anspruch genommen werden (vgl. ; , 10 ObS 60/93).

13 Ausnahmsweise können auch zwei Wohnungen Mittelpunkt der Lebensinteressen der betroffenen Person sein. Es kann einem Versicherten nämlich nicht verwehrt werden, sich mehrere Wohnungen (Aufenthaltsorte) einzurichten, wenn nur der Wille deutlich erkennbar wird, dass auch die zweite Wohnung tatsächlich als zweiter ständiger Aufenthaltsort des Versicherten anzusehen ist und diese nicht nur vorübergehend, etwa aus Gründen der Erholung oder für sonstige Gelegenheiten benützt wird (vgl. ).

14 Im Sinne der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem hg. Erkenntnis vom , 95/12/0333, geprüft, welcher Aufenthaltsort "zum damaligen Zeitpunkt" als Mittelpunkt der Lebensinteressen des Beschwerdeführers anzusehen war. Der Verwaltungsgerichtshof hat dabei darauf abgestellt, dass sich der Beschwerdeführer während der Woche "nahezu regelmäßig" in der Wohnung seiner Freundin aufgehalten hatte und dort auch seine persönlichen Gegenstände aufbewahrte. Außerdem hat der Verwaltungsgerichtshof darauf hingewiesen, dass die Problematik einer "ständigen Zweitwohnung", die nicht zum Ausschluss des Schutzes beim Dienstweg führen muss, in die Beurteilung miteinzubeziehen ist.

15 Im vorliegenden Revisionsfall hat das Verwaltungsgericht festgestellt, der Revisionswerber habe das Haus in X gemeinsam mit seiner Frau im entscheidungsrelevanten Zeitraum im Jahr 2014 "zumindest" von 14. Juli bis zum Unfallzeitpunkt am 18. September bewohnt und ist in weiterer Folge zum Ergebnis gelangt, dass das Haus in X nicht als ständiger Aufenthaltsort des Revisionswerbers anzusehen sei. Diese Ansicht stützte das Verwaltungsgericht darauf, dass der Revisionswerber erst ab eine Umleitung des Zeitungsabonnements vorlegen habe können. Ein quantitatives Überwiegen der Verweildauer im Jahr 2014 liege sohin nicht vor, ein solches liege aber auch den Angaben der Zeugen bzw. des Revisionswerbers zufolge nicht vor.

16 Der Feststellung, dass der Revisionswerber das Haus erst ab bewohnt habe, stehen jedoch die - im Wesentlichen gleichlautenden - Aussagen des Revisionswerbers selbst und sämtlicher einvernommener Zeugen entgegen. Diesen Aussagen zufolge hat der Revisionswerber das Haus in X (nicht nur im Jahr 2014, sondern auch schon in den Jahren davor) bereits beginnend mit April/Mai bis September/Oktober bewohnt und dies sohin im Jahresverlauf betrachtet jedenfalls in einem erheblichen Ausmaß. Dass oder weshalb das Verwaltungsgericht den Aussagen der Zeugen und des Revisionswerbers, woraus ein Zeitraum des Aufenthalts an dieser Adresse resultierte, welcher zumindest quantitativ ein gleichwertiges Ausmaß gegenüber dem gemeldeten Hauptwohnsitz darstellte, keinen Glauben schenkt, hat es nicht ausgeführt.

17 Allein aus dem Zeitpunkt der Umleitung eines Zeitungsabonnements kann nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf das "Wohnen" im Haus in X geschlossen werden. Nicht zuletzt führt das Verwaltungsgericht selbst im Widerspruch zu seinen Feststellungen in seiner rechtlichen Beurteilung aus, dass die Umbestellung des Zeitungsabonnements, welches bis dauerte, "kein ausreichendes Element" für die Begründung eines ständigen Aufenthaltes sei.

18 Aus diesen Gründen ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar, wie das Verwaltungsgericht zur Feststellung gelangt, der Revisionswerber habe das Haus erst ab bewohnt, weshalb das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit belastet hat.

19 Darüber hinaus fehlen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes dazu, wo im Revisionsfall im entscheidungsrelevanten Zeitraum die Wohnfunktionen (Essen, Schlafen, Wäsche waschen, Aufbewahrung der persönlichen Gegenstände etc.) in Anspruch genommen wurden. Wie bereits ausgeführt, hängt es von den Umständen des Einzelfalles ab, ob eine Wohnung als Mittelpunkt der privaten Lebensinteressen der betroffenen Person angesehen werden kann (vgl. ). Eine abschließende Überprüfung der Beurteilung, ob das Haus in X tatsächlich einen "ständigen Aufenthaltsort" im Sinne des § 2 Z 10 lit. c UFG 1967 darstellte, vermag der Verwaltungsgerichtshof daher nicht vorzunehmen. Auch aus diesem Grund hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit Rechtwidrigkeit belastet. An dieser Stelle ist noch einmal auf das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom zu verweisen, wonach auch die Problematik einer "ständigen Zweitwohnung" nicht außer Acht gelassen werden darf.

20 Soweit das Verwaltungsgericht darauf verweist, die Nichtmeldung des Wohnsitzes in X gegenüber dem Dienstgeber deute darauf hin, dass gar kein Wille des Revisionswerbers vorgelegen sei, in X einen ständigen Aufenthalt zu begründen, ist zu entgegnen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die polizeiliche Meldung nichts Entscheidendes über den "wahren Wohnort" aussagt (vgl. noch einmal ). Wenn aber schon die polizeiliche Meldung nichts Entscheidendes über den wahren Wohnort aussagt, kann das umso weniger für die Meldung gegenüber der Dienstbehörde gelten. Auch aus den Umständen, dass die Eigentümerin des Hauses in X noch Gegenstände im Haus aufbewahrte und der Revisionswerber beschädigtes Mobiliar zu ersetzen hatte, kann nicht geschlossen werden, dass deshalb kein ständiger Aufenthaltsort im Sinne des § 2 Z 10 lit. c UFG 1967 vorlag.

21 Das Verwaltungsgericht führt in seiner rechtlichen Beurteilung auch aus, dass bei Aufenthalten zur "Sommerfrische" nach der Rechtsprechung ein ständiger Aufenthalt verneint werde. Dazu ist auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hinzuweisen, wonach ein Wochenendhaus "wohl nur an arbeitsfreien Tagen" aufgesucht werden wird (vgl. ). Nichts anderes kann für Aufenthalte zur "Sommerfrische" gelten. Aus dem Verhandlungsprotokoll der vor dem Verwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung ergibt sich aber gerade nicht, dass der Revisionswerber das Haus in X nur in seinem Urlaub aufgesucht hätte.

22 Dem Umstand, dass der Wohnsitz in X (mit einem Distanzunterschied von 6 km) geringfügig weiter von der Arbeitsstätte entfernt lag als der gemeldete Hauptwohnsitz, kann in diesem Fall keine Bedeutung zukommen (vgl. dazu ).

23 Das vom Verwaltungsgericht außerdem zitierte hg. Erkenntnis vom , 2012/16/0008, ist zum Familienlastenausgleichsgesetz ergangen und sohin für den Revisionsfall nicht einschlägig.

24 Aus den angeführten Gründen hat das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis mit (prävalierender) Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

25 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018090121.L00
Schlagworte:
Besondere Rechtsgebiete

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.