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VwGH vom 29.01.2013, 2012/22/0227

VwGH vom 29.01.2013, 2012/22/0227

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der D, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/187.290/2008, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Usbekistan, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus.

Zur Begründung verwies die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass die Beschwerdeführerin im Mai 2003 illegal eingereist sei und am einen Asylantrag gestellt habe. Dieser sei in erster Instanz mit Bescheid vom abgewiesen worden. Der unabhängige Bundesasylsenat habe der dagegen erhobenen Berufung keine Folge gegeben; diese Entscheidung sei am in Rechtskraft erwachsen. Seit "rechtskräftig negativem Abschluss" des Asylverfahrens halte sich die Beschwerdeführerin unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung seien gegeben.

Die Beschwerdeführerin verfüge über keine familiären Bindungen in Österreich. Nach der Aktenlage habe sie einen Freundeskreis und werde von einem namentlich genannten österreichischen Bekannten finanziell unterstützt. Nach ihren Angaben spreche sie sehr gut die deutsche Sprache; sie habe jedoch ein entsprechendes Zeugnis nicht vorgelegt. Der überwiegende Teil ihres Aufenthaltes habe auf einem Asylantrag beruht, der sich letztendlich als unberechtigt erwiesen habe. Ein von ihr am gestellter Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung sei im Instanzenzug abgewiesen worden. Sie habe ihre privaten Bindungen im Bundesgebiet zu einem Zeitpunkt aufgebaut, als sie sich ihres unsicheren Aufenthaltes habe bewusst sein müssen. Weiters könne nicht von strafrechtlicher Unbescholtenheit gesprochen werden, weil die Beschwerdeführerin am wegen versuchten Diebstahls rechtskräftig zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt worden sei.

Es liege keine überwiegende Schutzwürdigkeit des Privatlebens der Beschwerdeführerin vor. An dieser Beurteilung vermöge auch der Umstand, dass sie sich in Österreich einer psychotherapeutischen Behandlung unterziehe, nichts zu ändern, zumal sie nicht geltend gemacht habe, dass eine derartige Behandlung in ihrem Heimatland unmöglich sei.

Der Befolgung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens ein sehr hoher Stellenwert zu. Dieses öffentliche Interesse habe die Beschwerdeführerin seit Abschluss ihres Asylverfahrens beeinträchtigt. Ihre privaten Interessen seien nicht höher zu bewerten als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise der Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist anzumerken, dass angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im Dezember 2010 die Bestimmungen des FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 anzuwenden sind und sich nachstehende Zitierungen auf diese Rechtslage beziehen.

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass ihr Asylverfahren rechtskräftig beendet wurde und sie bringt auch nicht vor, über eine Aufenthaltsberechtigung für Österreich zu verfügen. Somit bestehen keine Bedenken gegen die behördliche Annahme, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG verwirklicht ist.

Die Beschwerde bekämpft das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung nach § 66 FPG. Dazu bringt die Beschwerdeführerin vor, dass sie in einer auf Dauer angelegten Beziehung zu einem früheren irakischen Staatsangehörigen lebe, der seit kurzem Österreicher sei. Sie hätten einen gemeinsamen Haushalt gegründet. Die Beschwerdeführerin verfüge über sehr gute Deutschkenntnisse, über einen großen Freundeskreis und sie sei selbsterhaltungsfähig. Sie werde von ihren österreichischen Freunden "faktisch und finanziell unterstützt" und habe eine verbindliche Einstellungszusage. In Österreich befinde sie sich in psychotherapeutischer Behandlung. Zu ihrem Herkunftsland habe sie nach mehr als siebeneinhalbjähriger Abwesenheit keine Bindungen mehr und es wäre dort ihr Fortkommen ernstlich gefährdet. Eine familiäre und soziale Unterstützung könne sie nicht in Anspruch nehmen, zumal sie wegen der drohenden gewaltsamen Übergriffe durch einige Familienmitglieder Usbekistan habe verlassen müssen. Ihr sei trotz mehr als zweieinhalbjähriger Verfahrensdauer des Berufungsverfahrens kein Parteiengehör zu den privaten und familiären Bindungen in Österreich gewährt worden.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerdeführerin einen dem angefochtenen Bescheid anhaftenden Verfahrensmangel auf.

Zu Recht weist die Beschwerde darauf hin, dass das Berufungsverfahren über zweieinhalb Jahre gedauert hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass bei einem längeren Berufungsverfahren die Behörde nicht ohne Weiteres das Fehlen jeglicher familiärer Bindungen zu Grunde legen dürfe, ohne vor der Entscheidung noch Gelegenheit zu einer Stellungnahme einzuräumen (vgl. das Erkenntnis vom , 2011/23/0139, sowie vom , 2007/18/0917). Dieser Verfahrensmangel ist wesentlich, hätte doch andernfalls die Beschwerdeführerin auf ihre Lebensgemeinschaft mit einem österreichischen Staatsbürger verweisen können. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer Bindung zu einem österreichischen Staatsbürger maßgebliche Bedeutung zu (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2011/23/0301). Es ist somit nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde in der Sache zu einem für die Beschwerdeführerin günstigen Ergebnis gelangt wäre.

Zu Recht wirft die Beschwerdeführerin der belangten Behörde auch vor, dass sie in der Bescheidbegründung zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass ein Verfahren über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung rechtskräftig abgewiesen (richtig: zurückgewiesen) wurde. Aus dem Verwaltungsakt geht hervor, dass dieses Verfahren jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch offen war. (Mit hg. Erkenntnis vom , 2010/22/0141, war der die Zurückweisung nach § 44b Abs. 1 Z 3 NAG bestätigende Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben worden.)

Ein wesentlicher Verfahrensmangel liegt auch darin, dass die belangte Behörde nicht geprüft hat, ob der Beschwerdeführerin eine Rückkehr einschließlich einer Wiedereingliederung in ihrem Heimatland möglich und zumutbar ist. Die Beschwerdeführerin hat nämlich in ihrer in den Verwaltungsakten erliegenden Berufung vom gegen die erstinstanzliche Zurückweisung ihres Antrages auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in ihr Heimatland vorgebracht, dass sie gegen den Willen der Familie ihren Mann verlassen habe, der dann Selbstmord begangen habe. Aus diesem Grund werde sie von den Brüdern des verstorbenen Mannes bedroht. Somit kann - bezogen auf den hier relevanten Blickwinkel nach Art. 8 EMRK - nicht unterstellt werden, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in ihr Heimatland familiäre Unterstützung bei der Wiedereingliederung in Anspruch nehmen könne. Mit dieser Frage hat sich die belangte Behörde in keiner Weise befasst, sondern nur auf ein fehlendes Vorbringen zur Möglichkeit einer therapeutischen Behandlung im Heimatland abgestellt.

Wegen der aufgezeigten Verfahrensmängel ist es dem Verwaltungsgerichtshof derzeit nicht möglich, das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung nach § 66 FPG iVm Art. 8 EMRK auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG Abstand genommen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
TAAAE-77492