VwGH vom 19.12.2012, 2012/22/0216
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des L, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/309133/2010, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 iVm § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.
Zur Begründung verwies die belangte Behörde neben zwei inländischen Verurteilungen aus dem Jahr 2005 zu einer bedingten Geldstrafe bzw. einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Monat auf das Urteil des "Großinstanzengerichtes P" (Frankreich) vom , demzufolge der Beschwerdeführer wegen "illegalen Rauschgiftimports, illegalen Rauschgiftbesitzes, des Schmuggels von Banngut und des nicht angemeldeten Imports von Banngut" zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden sei. "Der Verurteilung lag zugrunde, dass Sie als Beifahrer eines Zugfahrzeuges gemeinsam mit einem Komplizen, der der Lenker war, am um 17.10 Uhr in Frankreich … im Zuge einer Zollkontrolle angehalten wurden. Im Sattelanhänger befand sich eine Sporttasche mit ca. 18 Kilogramm Kokain als Inhalt …"
Der Beschwerdeführer habe - so die weitere Bescheidbegründung - die Rechtskraft des maßgeblichen französischen Strafurteils nicht bestritten. Er habe angegeben, dass zwar im Fahrzeug eine Tasche mit ca. 18 Kilogramm Kokain gefunden worden wäre, allerdings wären die Türen des LKW-Zuges nie verschlossen gewesen, sodass bei dessen Abstellen auf Parkplätzen für jedermann ein Zugang möglich gewesen wäre; er hätte seine Unschuld nicht beweisen können.
Nach § 60 Abs. 3 FPG - so die weitere Bescheidbegründung - liege (auch dann) eine Verurteilung gemäß § 60 Abs. 2 FPG vor, wenn sie durch ein ausländisches Gericht erfolgt sei und den Voraussetzungen des § 73 StGB entspreche. Diese Voraussetzungen lägen vor. Das der oben dargestellten Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten lasse die Annahme als gerechtfertigt erscheinen, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit gefährde und überdies anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Der Beschwerdeführer habe weder die Rechtskraft der Verurteilung bestritten noch begründend behauptet, dass dieses Strafurteil in einem nicht Art. 6 EMRK entsprechenden Verfahren ergangen sei. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes sei anzunehmen, dass ein ausländisches Urteil in einem den Grundsätzen des Art. 6 EMRK entsprechenden Verfahren ergangen sei, wenn dieses Land der Konvention beigetreten sei.
In weiterer Folge bejahte die belangte Behörde nach einer Interessenabwägung nach § 66 FPG bzw. Art. 8 EMRK die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist anzumerken, dass im Blick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides im Oktober 2010 die Bestimmungen des FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 anzuwenden sind und sich nachstehende Zitierungen auf diese Rechtslage beziehen.
Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte Tatsache für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG u. a. insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist. Gemäß § 60 Abs. 3 FPG liegt eine Verurteilung im Sinn des § 60 Abs. 2 leg. cit. auch dann vor, wenn sie durch ein ausländisches Gericht erfolgte und den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die Tat, derentwegen er in Frankreich verurteilt worden ist, auch nach österreichischem Recht strafbar ist und dass das Verfahren vor den französischen Gerichten den Erfordernissen des Art. 6 EMRK entspricht.
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0630). Der bloße Hinweis auf den Tatbestand der strafgerichtlichen Verurteilung reicht dafür aber nicht aus. Die behördlichen Feststellungen entsprechen, ungeachtet dessen, dass das Ausmaß der Freiheitsstrafe auf gravierendes Fehlverhalten hindeutet, dem Erfordernis einer Darlegung des maßgeblichen Fehlverhaltens in keiner Weise, wird doch nicht einmal der Spruch des Strafurteils zur Gänze zitiert.
Schon deswegen ist der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Dazu kommt, dass die belangte Behörde zwar die Voraussetzungen der Gleichstellung des französischen Urteils mit einer inländischen strafgerichtlichen Verurteilung geprüft und die Voraussetzungen des § 73 StGB untersucht hat.
Sie hat aber übersehen, dass die den inländischen Verurteilungen zukommende Bindungswirkung bei ausländischen Urteilen nur insoweit besteht, als diese kraft staatsvertraglicher Regelung im Inland entweder anerkannt oder vollstreckt werden können und ihnen auch nach dem Recht des Staates, in dem die Verurteilung erfolgte, die Wirkung zukommt, dass sich ein rechtskräftig Verurteilter in einem nachfolgenden Verfahren nicht darauf berufen kann, die Tat nicht begangen zu haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/18/0575). Frankreich ist dem Europäischen Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen (BGBl. Nr. 249/1980) nicht beigetreten.
Nun hat der Beschwerdeführer eindeutig seiner Meinung Ausdruck verliehen, dass er "unschuldig" verurteilt worden sei und das französische Gericht im Zweifel für ihn hätte entscheiden müssen. Demnach hätte die belangte Behörde zu prüfen gehabt, ob dem Urteil im genannten Sinn Bindungswirkung auch in Österreich zukommt; erst dann hätte sie das dem Urteil zu Grunde liegende Fehlverhalten ohne Weiteres für die Prüfung der Gefährdungsprognose heranziehen dürfen. Der Vollständigkeit wegen sei hinzugefügt, dass ein Fehlverhalten auch ohne strafgerichtliche Verurteilung Grundlage für ein Aufenthaltsverbot sein kann (vgl. auch dazu das bereits zitierte Erkenntnis 2008/22/0630). Die Feststellungen über das Fehlverhalten müssen aber schlüssig und nachvollziehbar sein.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen vorrangig wahrzunehmender inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben, ohne das behördliche Ergebnis der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK einer Prüfung zu unterziehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
UAAAE-77444