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VwGH vom 19.12.2012, 2012/22/0212

VwGH vom 19.12.2012, 2012/22/0212

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2012/22/0213

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerden 1. der J und 2. des M, beide in W, vertreten durch Maga. Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunner Straße 26/3, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien je vom , Zl. E1/261.954/2010 (ad 1., protokolliert zu hg. 2012/22/0212) und Zl. E1/261.971/2010 (ad 2., protokolliert zu hg. 2012/22/0213), jeweils betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die belangte Behörde die beschwerdeführenden Parteien, Geschwister und serbische Staatsangehörige, gemäß § 54 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus.

Zur Begründung verwies die belangte Behörde im Wesentlichen gleichlautend darauf, dass den beschwerdeführenden Parteien über Antrag vom auf Grund der Ehe ihrer Mutter mit einem österreichischen Staatsbürger Aufenthaltstitel, ab unbefristet, erteilt worden seien. Gegen die Mutter sei mit Bescheid vom wegen des Eingehens einer "Scheinehe" ein befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Solcherart sei nachträglich ein Versagungsgrund eingetreten oder bekannt geworden, der der Erteilung (nicht nur) des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre. Die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung seien daher im Grunde des § 54 Abs. 1 FPG gegeben.

In der weiteren Bescheidbegründung erachtete die belangte Behörde den mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privatleben der beschwerdeführenden Parteien für zulässig. Es verstoße gegen öffentliche Interessen, wenn Aufenthaltstitel durch das Eingehen einer Scheinehe erwirkt würden. Auch wenn die beschwerdeführenden Parteien damals minderjährig gewesen seien, hätten sie ihr Aufenthaltsrecht und in weiterer Folge den Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt lediglich dadurch erlangt, dass ihren Anträgen die Scheinehe der Mutter zu Grunde gelegen sei. Die beschwerdeführenden Parteien müssten sich diesen Versagungsgrund und das Fehlverhalten ihres gesetzlichen Vertreters zurechnen lassen. Sie wären nicht in den Besitz der ihnen erteilten Aufenthaltstitel gekommen, wären die Scheinehe und der damit verbundene Versagungsgrund bereits vor Erteilung des ersten Aufenthaltstitels offenbar geworden.

Letztlich verneinte die belangte Behörde einen Verfestigungstatbestand nach § 55 oder § 56 FPG.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden nach Aktenvorlage samt Gegenschrift durch die belangte Behörde und nach ihrer Verbindung zur gemeinsamen Entscheidung erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass im Blick auf die Zustellung der angefochtenen Bescheide im August 2010 die Bestimmungen des FPG idF BGBl. I Nr. 135/2009 anzuwenden sind und sich nachfolgende Zitierungen auf diese Rechtslage beziehen.

Gemäß § 54 Abs. 1 FPG können Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verlängerungsverfahrens im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre (Z 1) oder der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht (Z 2).

Die belangte Behörde ging davon aus, dass ein Versagungsgrund im Sinn des § 54 FPG dadurch verwirklicht worden sei, dass die Mutter der beschwerdeführenden Parteien eine Scheinehe eingegangen sei.

Damit hat sie die Rechtslage verkannt.

Grundsätzlich handelt es sich bei einem zur Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1 FPG führenden "Versagungsgrund" nur um das Fehlen einer allgemeinen Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2006/18/0301). Aus der Bescheidbegründung ist erkennbar, dass die belangte Behörde auf den Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 4 NAG (Vorliegen einer Aufenthaltsehe) und das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG abstellt. Dabei übersieht sie aber, dass den beschwerdeführenden Parteien ein Fehlverhalten ihrer Mutter bei Eingehen einer Aufenthaltsehe nicht angelastet werden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2011/23/0175). Die Ansicht der belangten Behörde, die beschwerdeführenden Parteien hätten sich das Fehlverhalten ihres gesetzlichen Vertreters zurechnen zu lassen, entbehrt einer gesetzlichen Grundlage. Soweit die belangte Behörde im Übrigen auf die Beantragung eines Niederlassungsnachweises (richtig: einer Verlängerung des Aufenthaltstitels) am beim Fremdenpolizeilichen Büro der BPD Wien abstellt, wurde dieser Antrag (ebenso wie jener bei der genannten Behörde am eingelangte und auf Erteilung eines Niederlassungsnachweises gerichtete) nicht von den beschwerdeführenden Parteien selbst gestellt, sondern in ihrer Vertretung von ihrer Mutter.

Nach dem Gesagten waren die angefochtenen Bescheide wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne die Interessenabwägung der belangten Behörde nach § 66 FPG iVm Art. 8 EMRK einer Beurteilung zu unterziehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
RAAAE-77432