VwGH vom 26.04.2010, 2008/10/0127
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Schick und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Petritz, über die Beschwerde des T M in Wien, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Kiechl, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Lerchenfelderstraße 115/9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-SOZ/53/1571/2008-12, betreffend Sozialhilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom wurde ausgesprochen, dass
1) die dem Beschwerdeführer zuletzt mit Bescheid vom zuerkannte wiederkehrende monatliche Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes mit eingestellt werde und dass
2) der Beschwerdeführer verpflichtet sei, die für den Zeitraum vom bis für Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhaltes aufgewendeten Kosten in Höhe von EUR 19.001,54 binnen festgesetzter Frist zu ersetzen.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer verfüge laut Schreiben seines Sachwalters auf Grund einer finanziellen Zuwendung von Verwandten per über ein verwertbares Vermögen in Höhe von EUR 30.349,81. Sein Einkommen und sein verwertbares Vermögen reiche aus, um seinen Lebensunterhalt zu sichern, und zwar gemessen an den derzeit anwendbaren Richtsätzen für die Dauer von ca. 30 Monaten. Die Voraussetzungen für einen Kostenersatz im Sinne des § 26 Wiener Sozialhilfegesetz (WSHG) seien erfüllt; durch die vorgeschriebene Ersatzleistung werde der Erfolg der Hilfeleistung nicht gefährdet.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung und brachte vor, er leide, wie sich aus dem gleichzeitig vorgelegten Gutachten ergäbe, seit seinem 14. Lebensjahr an einer paranoiden Psychose. Seit der Beigebung eines Sachwalters im Jahre 2001 habe er sich medizinisch, sozial und gesellschaftlich weitgehend rehabilitieren können. Er sei sogar in der Lage, eine Maturaschule zu besuchen, um seinen sozialen Aufstieg zu fördern. Der Schulbesuch mache allerdings monatlich Aufwendungen in Höhe von ca. EUR 150,-- erforderlich. Die ihm von Verwandten freiwillig und einmalig zugewendeten Mittel benötige er für seine berufliche Weiterbildung, um am Arbeitsmarkt bestehen zu können. Um seinen notwendigen Unterhalt nicht zu gefährden, benötige er überdies Reserven. Hiezu möge sein Sachwalter einvernommen werden. Müsste der Beschwerdeführer den vorgeschriebenen Kostenersatz leisten, wäre er bald wieder auf Sozialhilfe angewiesen. Im Übrigen sei er Behinderter im Sinne des Wiener Behindertengesetzes. Er habe als solcher einen Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt und auf Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung und Erziehung. Das Wiener Behindertengesetz sei eine lex specialis zum Wiener Sozialhilfegesetz und sehe, anders als das Wiener Sozialhilfegesetz, eine Rückforderung von Leistungen nicht vor. Es könne dem Beschwerdeführer daher rechtens keine Rückzahlungsverpflichtung auferlegt werden.
Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (UVS) vom wurde die Berufung abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei nach der Aktenlage als erwerbsunfähig und als Behinderter im Sinne des Wiener Behindertengesetzes anzusehen. Wie er in seiner Berufung selbst dargelegt habe, sei das Wiener Behindertengesetz eine lex specialis zum Wiener Sozialhilfegesetz:
Eine Belassung des verwertbaren Vermögens unter dem Titel der "Hilfe zur Erwerbsbefähigung" gemäß § 18 WSHG komme daher nicht in Betracht. Der Beschwerdeführer hätte vielmehr Leistungen nach dem Wiener Behindertengesetz beantragen müssen, die seine Eingliederung ins Erwerbsleben ermöglichten. Eine erstmalige Zuerkennung solcher Leistungen sei der Berufungsbehörde verwehrt. Die Höhe des vorgeschriebenen Rückersatzes werde vom Beschwerdeführer nicht bestritten, dem Grunde nach bezögen sich seine Einwendungen jedoch auf die Belassung von verwertbarem Vermögen als Hilfe zur Erwerbsbefähigung und seien daher - wie dargelegt - nicht berechtigt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen, sah im Übrigen aber von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 8 Abs. 1 Wiener Sozialhilfegesetz (WSHG) hat Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen dieses Abschnittes, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält.
Gemäß § 10 Abs. 1 WSHG ist Hilfe nur insoweit zu gewähren, als das Einkommen und das verwertbare Vermögen des Hilfe Suchenden nicht ausreichen, um den Lebensbedarf (§ 11) zu sichern.
Gemäß § 26 Abs. 1 Z. 1 WSHG ist der Empfänger der Hilfe zum Ersatz der für ihn aufgewendeten Kosten verpflichtet, soweit er über hinreichendes Einkommen oder Vermögen verfügt oder hiezu gelangt. Der Ersatz darf insoweit nicht verlangt werden, als dadurch der Erfolg der Hilfeleistung gefährdet würde.
Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zu Grunde, dem Beschwerdeführer sei Sozialhilfe zur Sicherung seines Lebensunterhaltes gewährt worden und es seien dem Sozialhilfeträger dadurch im Zeitraum vom bis Kosten in Höhe von EUR 19.001,54 erwachsen. Durch Zuwendung seiner Verwandten verfüge der Beschwerdeführer nunmehr über ein verwertbares Vermögen von EUR 30.349,81. Aus diesem Vermögen könne er sowohl seinen Unterhalt für eine bestimmte Zeit bestreiten, als auch die aufgelaufenen Kosten ersetzen, ohne dass dadurch der Erfolg der Hilfeleistung gefährdet würde. Ob der Beschwerdeführer als Behinderter einen Anspruch auf Hilfe nach dem Wiener Behindertengesetz gehabt habe, sei nicht entscheidend, weil er Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Wiener Behindertengesetz nicht beantragt habe.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass dem Sozialhilfeträger im Zeitraum vom bis für Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhaltes Kosten in Höhe von EUR 19.001,54 entstanden seien und dass sein verwertbares Vermögen infolge einer Zuwendung von Verwandten per EUR 30.349,81 betragen habe. Er wendet gegen die spruchgemäß erfolgte Einstellung der ihm zuerkannten monatlichen Sozialhilfeleistung sowie gegen die Verpflichtung, die für letztere aufgelaufenen Kosten zu ersetzen im Wesentlichen ein, er habe als Behinderter Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Wiener Behindertengesetz. Dieses Gesetz sehe eine Rückforderung gewährter Leistungen nicht vor. Die Auffassung der belangten Behörde, es seien ihm Geldleistungen nach dem WSHG zugesprochen worden und es bestehe daher ein Rückforderungsanspruch nach dem WSHG, sei in seinem Fall unzulässig, weil das Wiener Behindertengesetz anzuwenden sei. Gemäß § 45 WSHG würden die Vorschriften des Wiener Behindertengesetzes durch das WSHG nicht berührt. Im Übrigen sei für den Beschwerdeführer nur relevant, dass er Leistungen des Sozialhilfeträgers erhalten habe. Wenn dieser "falsche Rechtsquellen" herangezogen habe, könne das nicht zu seinen Lasten gehen. Es seien aber ohnehin keine Feststellungen getroffen worden, welche Leistungen der Beschwerdeführer wann und aus welchem Titel erhalten habe. Unrichtig sei jedenfalls, dass er bisher keine Leistungen nach dem Wiener Behindertengesetz beantragt habe. Hätte ihm die Behörde rechtliches Gehör eingeräumt, hätte er darauf hinweisen können, dass er Anträge nach dem Wiener Behindertengesetz gestellt habe und dass ihm mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom Beschäftigungstherapie gewährt worden sei. Weiters hätte er "auf die Wiedereingliederungshilfe und die Berufsausbildung hinweisen" können. Trotz des in seiner Berufung gestellten Antrags, seinen Sachwalter einzuvernehmen, habe die belangte Behörde keine mündliche Verhandlung durchgeführt; die beantragte Einvernahme des Sachwalters wäre nur in einer mündlichen Verhandlung möglich gewesen. Der Sachwalter hätte u.a. den Mittelbedarf des Beschwerdeführers und die Zweckwidmung der finanziellen Zuwendung darlegen können. Die belangte Behörde habe auch keine Feststellungen zur Frage seiner Ausbildung und der damit verbundenen Kosten getroffen, obwohl die bisher absolvierte Ausbildung und die Perspektive für seine soziale Integration und Erwerbsbefähigung von zentraler Bedeutung seien und die Zuwendung seiner Verwandten mit der Zweckwidmung der Berufsausbildung erfolgt sei. Auch zur Frage, ob durch den Entzug der Sozialhilfe und durch die auferlegte Ersatzpflicht der Zweck der bisher geleisteten Hilfe gefährdet werde, sei über die "formelhafte Wiedergabe" des Gesetzestextes hinaus keine Feststellung getroffen worden. Der Entzug der Sozialhilfe stehe schließlich im Widerspruch zum Recht auf Privat- und Familienleben, zum Gemeinschaftsrecht und zum verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichbehandlungsgebot.
Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer im Ergebnis eine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Rechtswidrigkeit auf:
Gemäß § 67d Abs. 1 AVG hat der unabhängige Verwaltungssenat auf Antrag oder, wenn er dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Die Verhandlung kann gemäß § 67d Abs. 2 AVG in den hier genannten, im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommenden Fällen entfallen. Ungeachtet eines Parteienantrages kann der unabhängige Verwaltungssenat gemäß § 67d Abs. 4 AVG von einer Verhandlung absehen, wenn er einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erlassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt, und dem nicht Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entgegensteht.
Im vorliegenden Fall hat der - unvertretene - Beschwerdeführer in seiner Berufung den erstbehördlich festgestellten Sachverhalt als unvollständig gerügt und die Einvernahme seines Sachwalters zum Beweis des ihm aus seiner Behinderung erwachsenden Bedarfes beantragt. Diese Erklärung war unter den Umständen des vorliegenden Falles als Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu deuten.
Die belangte Behörde ist auf der Grundlage ergänzender Sachverhaltsfeststellungen zwar zur Auffassung gelangt, der Beschwerdeführer sei Behinderter iSd Wiener Behindertengesetzes (WBHG). Eine "Belassung des verwertbaren Vermögens" sei aber nicht möglich, weil das WBHG eine lex specialis zum WSHG sei und der Beschwerdeführer keine Leistungen nach dem WBHG, die eine Eingliederung ins Berufsleben ermöglichen, beantragt habe. Ohne sich weiter mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinander zu setzen, er habe als Behinderter besondere Bedürfnisse, und ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen, in der ein auf Grund der Behinderung erhöhter Unterhaltsbedarf des Beschwerdeführers gegebenenfalls unter Beiziehung von Sachverständigen sowie seines Sachwalters hätten geklärt werden können, hat die belangte Behörde schließlich - der Erstbehörde folgend - angenommen, der Lebensbedarf des Beschwerdeführers sei nach dem Maßstab der "anwendbaren Richtsätze" gesichert; der erstbehördliche Bescheid sei zu bestätigen.
Gründe, die es der belangten Behörde iSd § 67d Abs. 2 bzw. Abs. 4 AVG erlaubt hätten, trotz des Antrages des Beschwerdeführers von einer mündlichen Verhandlung abzusehen, liegen nicht vor. Die belangte Behörde hat das Absehen von der Verhandlung auch nicht begründet.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Durchführung der beantragten Verhandlung zu einer anderen Beurteilung der Bedarfsituation des Beschwerdeführers und damit zu einem im Ergebnis anders lautenden Bescheid gelangt wäre, erweist sich der angefochtene Bescheid als mit einem wesentlichen Verfahrensmangel iSd § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG belastet. Er war daher schon aus diesem Grunde aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden musste.
Aus Gründen der Verfahrensökonomie sieht sich des Verwaltungsgerichtshof für das fortzusetzende Verfahren jedoch zum Hinweis veranlasst, dass ein Behinderter iSd WBHG, dessen Einkommen die Höhe des Richtsatzes nicht erreicht, Anspruch auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach diesem Gesetz hat, "solange er Eingliederungshilfe nach § 5 Z. 3 oder 4 erhält" (vgl. § 10 WBGH). "Hilfe zur beruflichen Eingliederung" iSd § 5 Z. 4 WBHG darf allerdings weder mit persönlicher Hilfe gemäß § 25 WBHG, noch mit Beschäftigungstherapie gemäß § 22 WBHG verwechselt werden. Wäre dem Beschwerdeführer "Eingliederungshilfe" idS. aber nicht gewährt worden, wäre er mit seiner Behauptung, er habe Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem WBHG gehabt, schon aus diesem Grunde nicht im Recht.
Weiters ist auf die hg. Judikatur hinzuweisen, wonach die "Zweckwidmung" des Vermögens, das einem Hilfe Suchenden zugewendet wurde, dessen Verwertung zur Bestreitung seines Lebensbedarfes grundsätzlich nicht entgegen steht (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2002/10/0181, und vom , Zl. 2006/10/0196).
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.
Wien, am
Fundstelle(n):
MAAAE-77425