VwGH vom 16.12.2014, 2012/22/0206

VwGH vom 16.12.2014, 2012/22/0206

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lechner, über die Beschwerde der T in G, vertreten durch Dr. Johannes Eltz, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 48/1/7, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 161.027/2- III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die Bundesministerin für Inneres (in der Folge kurz als "Behörde" bezeichnet) den persönlich beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung gestellten Antrag der Beschwerdeführerin, einer mongolischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung einer "Aufenthaltsbewilligung - Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" gemäß § 11 Abs. 1 Z 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin sei mit einem bis gültigen Aufenthaltstitel ("Au-Pair-Kraft") für die Bundesrepublik Deutschland nach Österreich eingereist und habe am den gegenständlichen Antrag gestellt. Die erstinstanzliche Behörde sei bemüht gewesen, das Verfahren vor Ablauf der Gültigkeit des deutschen Aufenthaltstitels abzuschließen, die (bereitgehaltene) Aufenthaltskarte sei jedoch von der Beschwerdeführerin nicht bis zum abgeholt worden. Da sich die Beschwerdeführerin somit nur bis zum Ablauf des deutschen Aufenthaltstitels am rechtmäßig in Österreich aufgehalten habe, sei eine Aufenthaltskarte nach diesem Datum im Inland nicht mehr auszufolgen gewesen.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der dagegen zunächst bei ihm erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom , B 820/12-4, gemäß Art. 144 Abs. 2 B-VG abgelehnt und die Beschwerde zur Entscheidung dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die nach Aufforderung ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die Behörde erwogen:

Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Juni 2012 sind die Bestimmungen des NAG idF des BGBl. I Nr. 112/2011 anzuwenden.

Gemäß § 11 Abs. 1 Z 5 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nicht erteilt werden, wenn eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 NAG vorliegt.

§ 21 NAG lautet auszugsweise:

"§ 21. (1) Erstanträge sind vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.

(2) Abweichend von Abs. 1 sind zur Antragstellung im Inland berechtigt:

...

5. Fremde, die an sich zur visumfreien Einreise berechtigt sind, während ihres erlaubten visumfreien Aufenthalts;

....

(6) Eine Inlandsantragstellung nach Abs. 2 Z 1 und Z 4 bis 8, Abs. 3 und 5 schafft kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht. Ebenso steht sie der Erlassung und Durchführung fremdenpolizeilicher Maßnahmen nicht entgegen und kann daher in fremdenpolizeilichen Verfahren keine aufschiebende Wirkung entfalten."

Drittstaatsangehörige, die im Besitz eines einheitlichen Sichtvermerks einer Vertragspartei des Schengenraumes sind, können sich gemäß Art. 19 Abs. 1 und Abs. 2 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), BGBl. III Nr. 90/1997, während der Gültigkeitsdauer des Sichtvermerks, höchstens jedoch bis zu drei Monate vom Datum der ersten Einreise an, wenn sie weitere in Art. 5 Abs. 1 SDÜ genannte Voraussetzungen erfüllen, frei im Hoheitsgebiet aller Vertragsparteien des Durchführungsübereinkommens bewegen.

Die Beschwerdeführerin reiste gemäß den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid am mit einem bis gültigen Aufenthaltstitel der Bundesrepublik Deutschland nach Österreich ein und stellte am den gegenständlichen Antrag.

Sie bestreitet nicht, dass ihr Aufenthalt in Österreich mit Ablauf des bis gültigen deutschen Aufenthaltstitels unrechtmäßig geworden ist. Gemäß § 21 Abs. 6 NAG schafft auch eine zulässige Inlandsantragstellung kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht. Nach dem lag somit das allgemeine Erteilungshindernis des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG für den beantragten Aufenthaltstitel vor.

Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass ihr von der erstinstanzlichen Behörde am ein "positiver Bescheid für ihre Aufenthaltsbewilligung mündlich verkündet" worden sei. Und zwar sei ihr anlässlich ihrer Vorsprache an diesem Tag von der Sachbearbeiterin gesagt worden, dass die "Aufenthaltsgenehmigung genehmigt" werde und sie den "Ausweis Aufenthaltstitel" am abholen müsse.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

Die Erteilung eines Aufenthaltstitels im NAG ist im Grundsatz dahin geregelt, dass der Bundesminister für Inneres gemäß § 8 Abs. 2 NAG das Aussehen und den Inhalt der Aufenthaltstitel nach Abs. 1 durch Verordnung festlegt. Gemäß § 1 der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (im vorliegenden Fall i.d.F. BGBl. II Nr. 201/2011) werden Aufenthaltstitel als Karte erteilt und sind nach einem festgelegten Muster auszustellen. Demnach bewirkt die Ausfolgung (tatsächliche Übergabe und Entgegennahme) des Aufenthaltstitels - im Erteilungsfall - in der Regel gleichzeitig den Akt der Zustellung und es entsteht die rechtliche Wirkung des Bescheides erst durch diesen Akt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0882). Dieses (geplante) Vorgehen der Erstinstanz ist durch den im Verwaltungsakt erliegenden Aktenvermerk dokumentiert, wonach die Beschwerdeführerin am anlässlich ihrer Vorsprache, bei der sie noch ausstehende Unterlagen vorlegte, darauf hingewiesen wurde, dass der "Aufenthaltstitel" bis spätestens am abzuholen sei. Aus der Zusage, den Aufenthaltstitel bei Abholung bis auszufolgen, ergibt sich nicht die (mündliche) Erlassung eines Bescheides. Die von der Erstinstanz bereitgehaltene Karte wurde von der Beschwerdeführerin nicht abgeholt. Das Vorbringen, wonach die Beschwerdeführerin dazu keine Möglichkeit gehabt hätte, ist für die Beurteilung, dass kein Aufenthaltstitel erteilt wurde, nicht relevant.

Die Beschwerde moniert weiters eine unzulässige Ungleichbehandlung von Drittstaatsangehörigen, die über einen österreichischen Aufenthaltstitel verfügen, gegenüber jenen, die einen Aufenthaltstitel aus einem anderen Mitgliedstaat haben. Dabei übersieht sie, dass im gegenständlichen Fall ein Erstantrag in Österreich gestellt wurde und die Bestimmungen über das Verlängerungsverfahren nach § 24 NAG lediglich auf Verfahren betreffend von österreichischen Behörden ausgestellten Aufenthaltstitel anzuwenden sind. Die Rechtstellung der Beschwerdeführerin wäre dieselbe, wäre sie nicht aufgrund des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts von bis zu drei Monaten, sondern aufgrund eines österreichischen Visums eingereist. Inwiefern die Bestimmung des § 21 Abs. 6 NAG dem Unionsrecht widerspreche, wird in der Beschwerde nicht dargelegt.

Auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie sei in ihrem "Recht auf humanitäres Bleiberecht gem. § 11 Abs. 3 NAG" verletzt worden, verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Auch eine Interessenabwägung nach Art. 8 MRK iVm § 11 Abs. 3 NAG ergäbe kein Recht auf Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels. Die Beschwerdeführerin reiste gemäß ihren Angaben erst Anfang November 2011 nach Österreich ein. Sie verfügt über kein Privat- und Familienleben in Österreich, sondern arbeitete als Au-pair Kraft. Den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, dass sich die gesamte Familie im Herkunftsstaat befinde, wird in der Beschwerde nicht entgegengetreten.

Weiters bringt die Beschwerdeführerin vor suizidgefährdet zu sein. Die Beschwerdeführerin sei in ärztlicher Therapie und befinde sich auf dem "Weg der Besserung". Dieser "Weg der Besserung" sei durch den nunmehr angefochtenen Bescheid "gehemmt". Gemäß dem im Verwaltungsverfahren vorgelegten ärztlichen Befund samt Gutachten vom sei eine "Therapie zur Stabilisierung des psychischen Zustandes" der Beschwerdeführerin "medizinisch dringend erforderlich" und betrage "eine hierfür durchschnittliche Behandlungsdauer (...) mindestens fünf bis sechs Monate". Die Beschwerdeführerin leide an einer "Belastungsdepression mit wiederkehrender Suizidgefahr" und einem "Cervicalsyndrom", nachdem sich - gemäß dem Beschwerdevorbringen - der Bruder der Beschwerdeführerin im Oktober 2011 das Leben genommen hätte und sie im November 2011 von ihrer Gastfamilie in Graz "sklavenartig" behandelt und eingesperrt worden wäre.

Dazu ist zunächst auf die - vom Verwaltungsgerichtshof übernommene - Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu verweisen, wonach im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat gibt. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich auch schon ausgesprochen, dass es dem Fremden obliegt, substantiiert dazulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und dass diese nur in Österreich erfolgen könne. Denn nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse iSd Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich - auch in seinem Gewicht - beurteilbar (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2013/22/0115, mwN).

Die Beschwerdeführerin bringt allerdings nicht vor, dass die erforderliche Behandlung in ihrer Heimat nicht verfügbar wäre. Ein den dargestellten Anforderungen entsprechendes Vorbringen ist damit nicht erfolgt.

Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtsverletzung nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am