VwGH vom 06.03.2019, Ra 2018/08/0253
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des DDr. W E in K, vertreten durch die Dr. Alexander Klaus Rechtsanwalts GmbH in 9020 Klagenfurt, Villacher Ring 19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W255 2180499- 1/81E, betreffend Kündigung eines Einzelvertrages nach § 343 Abs. 4 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:
Landesschiedskommission für Kärnten; mitbeteiligte Partei:
Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, vertreten durch Dr. Bernhard Fink, Dr. Peter Bernhart, Mag. Klaus Haslinglehner, Dr. Bernd Peck, Mag. Kornelia Kaltenhauser, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Bahnhofstraße 5; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht ausgesprochen, dass die von der mitbeteiligten Versicherungsanstalt mit Schreiben vom zum ausgesprochene Kündigung des zwischen der mitbeteiligten Versicherungsanstalt und dem Revisionswerber am abgeschlossenen Einzelvertrages wirksam ist.
2 Das Verwaltungsgericht traf Feststellungen zu wiederholten nicht unerheblichen bzw. zu schwerwiegenden Vertragsbzw. Berufspflichtverletzungen iSd § 343 Abs. 4 ASVG durch den Revisionswerber. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass die Kündigung durch die mitbeteiligte Versicherungsanstalt auf neun Themenkomplexen beruhe. Es sei zu 20 Vertragsbzw. Berufspflichtverletzungen bei der Behandlung von 63 Patientinnen gekommen. Dazu kämen "massive Abweichungen von Durchschnittswerten", für die "zigtausende Zahlenwerte" hätten aufgearbeitet und verglichen werden müssen. Der Revisionswerber habe die Vertrags- bzw. Berufspflichtverletzungen, insbesondere die "Falschverrechnung von Leistungen", über einen längeren Zeitraum hinweg fortgesetzt. Die mitbeteiligte Versicherungsanstalt habe die Vertragsbzw. Berufspflichtverletzungen rechtzeitig iSd § 343 Abs. 4 ASVG geltend gemacht.
3 Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. 4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche
Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie das im angefochtenen Erkenntnis thematisierte Verhalten des Vorsitzenden der belangten Behörde rechtfertigte. Die mitbeteiligte Versicherungsanstalt erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG unter anderem vor, das Verwaltungsgericht habe die Verhandlung am für geschlossen erklärt, obwohl eine ihm bis zum gewährte Schriftsatzfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei. Damit weiche das Verwaltungsgericht von der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 95/06/0052, ab, wonach der Schluss der Verhandlung erst nach erfolgter Erstattung des gesamten Parteivorbringens erfolgen dürfe. Der Senat des Verwaltungsgerichts habe - ungeachtet der noch laufenden Schriftsatzfrist - das angefochtene Erkenntnis am beraten und beschlossen. Dessen Vorsitzender habe schon während des laufenden Verfahrens und vor Ablauf der gewährten Schriftsatzfrist an der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung gearbeitet. Die Entscheidung einer Senatssache durch einen Vorsitzenden (als Einzelperson) sei untragbar.
7 Die Revision ist zulässig und im Ergebnis auch berechtigt:
8 Zunächst begegnet die von der Revision beanstandete Arbeitsweise des Vorsitzenden des verwaltungsgerichtlichen Senates, verfahrensbegleitend den Prozessstoff bzw. die Ermittlungsergebnisse zu ordnen und Teile des von ihm später auszuarbeitenden Erkenntnisses zu konzipieren, keinen Bedenken. Sie ermöglicht es dem Vorsitzenden, sich insbesondere bei umfangreichem Vorbringen und Beweisaufnahmen gezielt auf die mündliche Verhandlung vorzubereiten, eine vollständige Berücksichtigung des Prozessstoffes sicher zu stellen, allfällige Lücken der Beweisaufnahme zu schließen, die mündliche Verhandlung umsichtig und zielgerichtet zu leiten und einen qualitativ gut abgesicherten Beschlussantrag im Senat (§ 9 Abs. 1 BVwGG) zu stellen. Eine auf eine solche vorbildliche Prozessvorbereitung aufbauende rasche Entscheidungsfindung (auch auf Grund vorbereiteter schriftlicher Entwürfe) lässt im Allgemeinen keine Hemmung einer unparteiischen Entschließung durch unsachliche psychologische Motive erkennen. Entgegen der Annahme der revisionswerbenden Partei kann daraus auch noch nicht geschlossen werden, dass der zuständige Richter nicht bereit gewesen wäre, aufgrund neuer Beweisergebnisse in der Verhandlung zu anderen Schlüssen zu kommen (, 0123).
9 Der in den Verwaltungsakten erliegenden Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom ist zu entnehmen, dass der Revisionswerber im Hinblick "auf den am Donnerstagnachmittag der vorigen Woche () übermittelten Schriftsatz der BMP (des Vertreters der mitbeteiligten Versicherungsanstalt), mit diesem Schriftsatz übermittelten Beilagen, den Antrag auf Einräumung einer angemessenen Äußerungsfrist" gestellt hat,
"zumal es unmöglich war sich in den zwischen der Zustellung dieses Schriftsatzes und dem Verhandlungsbeginn liegenden 1 1/2 Arbeitstagen mit dem genannten Schriftsatz, vor allem aber mit den umfangreichen Beilagen detailliert auseinanderzusetzen und inhaltlich darauf gezielt erwidern zu können."
10 Der Revisionswerber verwies darauf, dass die "Beilage 33 schätzungsweise 20.000 einzelne Zahlenwerte" aufweise. Soweit in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit eine Überprüfung habe erfolgen können, habe sich gezeigt, dass die nunmehr vorgelegte Statistik genauso wenig stimmen könne wie die zuvor vorgelegte. Der Vertreter des Revisionswerbers untermauerte sein Vorbringen in der mündlichen Verhandlung mit einer Reihe von weiteren Argumenten.
11 Das Verwaltungsgericht räumte dem Revisionswerber daraufhin "eine Frist zur Abgabe einer weiteren Stellungnahme bis " ein. Das entspreche einer zweiwöchigen Frist.
12 Der Vertreter der mitbeteiligten Versicherungsanstalt bestritt das oben referierte Vorbringen des Revisionswerbers. Der vermeintliche Widerspruch bzw. die vermeintliche Unschlüssigkeit lägen nicht vor. Die ursprünglich übermittelte Statistik Beilage ./31 basiere auf monatlicher Fallzählung, die nunmehr vorgelegte Statistik Beilage ./33 auf quartalsweiser Fallzählung. Im weiteren Verlauf dieser mündlichen Verhandlung vom wurden Beweisaufnahmen durchgeführt und Vorbringen erstattet. In der Niederschrift heißt es schließlich:
"Schluss der Verhandlung (...) Die Verkündung der Entscheidung entfällt gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG. Den Parteien wird eine schriftliche Ausfertigung der Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt zugestellt. Ende: 20:15 Uhr".
13 Des Weiteren findet sich im Verwaltungsakt ein "Senatsberatungs- und Beschlussprotokoll" vom , wonach über den Spruch des angefochtenen Erkenntnisses sowie über seine wesentliche Begründung eine Beschlussfassung im Senat erfolgt sei. Gemäß § 9 BVwGG übernehme der vorsitzende Richter die Ausarbeitung der Entscheidung. In der Folge übermittelte der Revisionswerber dem Verwaltungsgericht sowohl über ERV als auch auf dem Postweg eine mit datierte "aufgetragene Stellungnahme mit ergänzenden Anträgen". Auf diesen Schriftsatz replizierte die mitbeteiligte Versicherungsanstalt mit Schriftsatz vom unter Vorlage umfangreicher Urkundenkonvolute. Die mit datierte Ausfertigung des Erkenntnisses wurde dem Revisionswerber am zugestellt. Die Begründung des Erkenntnisses setzt sich sowohl mit dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen, mit datierten Schriftsatz der revisionswerbenden Partei als auch mit dem replizierenden Schriftsatz der mitbeteiligten Versicherungsanstalt vom auseinander. Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom gestellten Beweisanträge werden mit ausführlicher Begründung abgewiesen (Seite 181 ff des angefochtenen Erkenntnisses).
14 Das Verwaltungsgericht hat sein Erkenntnis mit einem Verfahrensmangel belastet, weil sich der Vorsitzende bei Ausarbeitung des Erkenntnisses auf der Grundlage der Senatsberatung vom nicht auf jenen Prozessstoff beschränkte, der dem Senat vorlag, sondern auch auf die erst später eingelangten Schriftsätze Rücksicht genommen und insbesondere die darin gestellten Beweisanträge abgewiesen hat.
15 Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
16 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwanderatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018080253.L00 |
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