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VwGH vom 26.04.2010, 2008/10/0069

VwGH vom 26.04.2010, 2008/10/0069

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2008/10/0112 E

2008/10/0155 E

2008/10/0156 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Schick und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Petritz, über die Beschwerde des MW in W, vertreten durch Dr. Johann Lutz, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bozner Platz 1/IV, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. Va-459-36338/1/9, betreffend Kostenübernahme für Rehabilitationsmaßnahmen, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom hat die Tiroler Landesregierung den Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenübernahme für eine Therapie bei einer bestimmt genannten Rehabilitationseinrichtung gemäß § 2 Tiroler Rehabilitationsgesetz, LGBl. Nr. 58/1983 (TRG), abgewiesen.

Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, der medizinische Sachverständige habe auf Grundlage der vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Unterlagen "festgestellt", dass keine Behinderung des Beschwerdeführers im Sinn von § 2 TRG vorliege. In einem solchen Fall liege die Finanzierung von Therapien bei der Tiroler Gebietskrankenkasse.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt zusammengefasst vor, dass er Befunde und medizinische Gutachten vorgelegt habe, aus denen sich die Voraussetzungen für einen Anspruch auf die begehrte Heilbehandlung nach dem TRG ergebe. Mit diesen Unterlagen habe sich die belangte Behörde nicht in nachvollziehbarer Weise auseinandergesetzt. Sie habe keine Feststellungen getroffen und ihre Ansicht, der Beschwerdeführer sei nicht behindert, nicht begründet.

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des TRG lauten

(auszugsweise:)

"§ 1

Aufgaben

Rehabilitation im Sinne dieses Gesetzes bedeutet die Anwendung zusammenwirkender Maßnahmen, durch die die physischen, psychischen, sozialen, beruflichen und wirtschaftlichen Fähigkeiten eines Behinderten entfaltet und erhalten werden mit dem Ziel, den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern oder wieder einzugliedern.

§ 2

Personenkreis

Behinderte im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die wegen eines physischen oder psychischen Leidens oder Gebrechens in ihrer Fähigkeit dauernd wesentlich beeinträchtigt sind, ein selbständiges Leben in der Gesellschaft zu führen, insbesondere eine angemessene Erziehung, Schulbildung oder Berufsausbildung zu erhalten oder eine ihnen auf Grund ihrer Schul- und Berufsausbildung zumutbare Beschäftigung zu erlangen oder zu behalten.

§ 3

Anspruch

(1) Voraussetzung für die Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen ist, dass der Behinderte


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a)
die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt,
b)
in Tirol seinen Hauptwohnsitz hat,
c)
rehabilitationsfähig ist,
d)
rehabilitationswillig ist,
e)
keine Möglichkeit hat, nach anderen Rechtsvorschriften gleichartige oder ähnliche Leistungen zu erhalten.

(2) Der Behinderte ist rehabilitationsfähig, wenn bei Gewährung von geeigneten Rehabilitationsmaßnahmen seine physische, psychische, soziale, berufliche und wirtschaftliche Eingliederung in die Gesellschaft zu erwarten ist.

...

(5) Auf Leistungen nach diesem Gesetz, mit Ausnahme von Leistungen nach § 14 und § 15 Abs. 1 und 2, besteht ein Anspruch. Ein Anspruch auf Gewährung einer bestimmten Rehabilitationsmaßnahme besteht nicht.

§ 4

Rehabilitationsmaßnahmen

Rehabilitationsmaßnahmen im Sinne dieses Gesetzes sind:

a) medizinische Rehabilitationsmaßnahmen:

1. Heilbehandlung,

...

§ 5

Heilbehandlung

(1) Die Heilbehandlung umfaßt ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe sowie Pflege und Behandlung in Krankenanstalten, Kuranstalten oder sonstigen geeigneten Anstalten oder Einrichtungen, soweit dies im Zusammenhang mit der Rehabilitation des Behinderten erforderlich ist.

(2) Zur Heilbehandlung gehören auch die notwendigen Untersuchungen, Befunde und Gutachten.

§ 25

Behörden und Verfahren

(1) Der Landesregierung obliegt die Entscheidung und Verfügung in allen Angelegenheiten dieses Gesetzes.

(2) Rehabilitationsmaßnahmen dürfen nur auf Antrag gewährt werden. Anträge auf Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen sind schriftlich beim Amt der Landesregierung oder bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in der der Antragsteller seinen Hauptwohnsitz hat, einzubringen.

(3) Vor der Entscheidung über einen Antrag nach Abs. 2 sind der Amtsarzt und bei Bedarf weitere Sachverständige zu hören. Die Sachverständigen können ein gemeinsames Gutachten (Gesamtplan) erstellen.

..."

Zunächst ist auszuführen, dass § 3 Abs. 5 TRG zwar ein Recht auf Gewährung von Leistungen nach diesem Gesetz einräumt, das durch die im vorliegenden Fall gegebene gänzliche Antragsabweisung verletzt werden kann, jedoch kein Recht auf Gewährung einer bestimmten Rehabilitationsmaßnahme (vgl. zu letzterem das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/10/0131).

Nach der Aktenlage hat der Beschwerdeführer am einen Antrag auf Gewährung der Rehabilitationsmaßnahme der Heilbehandlung gestellt. Im Zuge des Verfahrens hat er u.a. folgende Urkunden vorgelegt:

Einen Bericht des Logopäden und Physiotherapeuten Mag. Dr. G. vom , wonach der Beschwerdeführer Schwierigkeiten im Bereich der Sprachentwicklung im Sinn eines Dysgrammatismus mit Dyslalie, im Bereich des Sprachverständnisses und Sprachgedächtnisses sowie im Bereich der kognitiven Entwicklung (Zahlen- und Mengenbegriff) habe. Durch eine abgeschlossene logopädische Therapie habe die Aussprache und Verständlichkeit wesentlich gebessert werden können, es habe sich jedoch herausgestellt, dass die der Sprachentwicklung vorgelagerten Bereiche therapiert werden sollten, weshalb Ergotherapie dringend indiziert sei;

einen psychodiagnostischen Befund der Psychologen MMag. Dr. S. und Mag. P. vom , in dem u.a. auf den vorgenannten Bericht von Mag. Dr. G. verwiesen wird. Zur Vorgeschichte wird weiters festgehalten, dass der Entwicklungsstand des Beschwerdeführers bereits im Alter von sieben bis neun Monaten auffällig gewesen sei. Im aktuellen Befund halten diese beiden Psychologen fest, dass beim Beschwerdeführer eine deutliche Schwäche in der auditiven und seriellen Wahrnehmungsverarbeitung, eine deutliche Schwäche in den grundlegenden rechnerischen Fertigkeiten und ein Problem im Zusammenspiel beider Körperhälften vorliege. Im Wortschatztest habe der Beschwerdeführer einen Prozentrang von 5 erreicht, wozu eine ausgeprägte Artikulationsstörung komme. Im Sprachverständnis erreiche der Beschwerdeführer einen Prozentrang von 8. Die fein- und grobmotorische Leistung sei nicht altersentsprechend, was anhand des Ergebnisses verschiedener Versuche dargestellt wird;

eine Stellungnahme des Facharztes für Kinderheilkunde Dr. R. vom , die zum Ergebnis kommt, dass es sich bei den im oben angeführten Befund diagnostizierten Beeinträchtigungen um einen "eher chronischen Leidensverlauf mit voraussichtlich relevanter Besserung in ein bis zwei Jahren" handle.

Im Aktenvermerk der Behörde vom ist Folgendes festgehalten:

"Der Fall wurde in der Clearingsitzung vom besprochen.

Es besteht Vorbezug von Logopädie bei der TGKK. Aus den vorliegenden Befundberichten ist keine Behinderung i.S.d. TRG ableitbar. Die Landeszuständigkeit ist daher nicht gegeben.

Die TGKK übernimmt weitere 15 EH Logopädie."

Mit Schreiben der belangten Behörde vom wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass "im durchgeführten Ermittlungsverfahren keine Behinderung im Sinn des Tiroler Rehabilitationsgesetzes" habe festgestellt werden können.

Auf die Bitte des Beschwerdeführers vom , die schriftliche amtsärztliche Stellungnahme mit Begründung zu übermitteln, antwortete die belangte Behörde mit Schreiben vom , dass im Akt kein amtsärztliches Gutachten vorliege, sondern ein Aktenvermerk der Sozialarbeiterin, die mit dem amtsärztlichen Sachverständigen die Angelegenheit besprochen habe. Eine Übermittlung dieses Aktenvermerkes an den Beschwerdeführer sei nicht möglich.

Mit "Einspruch" vom ersuchte die im Antrag des Beschwerdeführers erwähnte Therapieeinrichtung, dem Antrag des Beschwerdeführers stattzugeben und legte dazu u.a. eine Stellungnahme der Kindergartenpädagogin vor, wonach die sprachliche und motorische Entwicklung des Beschwerdeführers nicht altersgemäß sei. In dieser Stellungnahme wird u.a. festgehalten, dass der Beschwerdeführer "nicht behindert ist und er auch nicht als Integration eingestuft werden muss", aber dennoch dringend einer Therapie bedürfe.

Im Aktenvermerk der Behörde vom ist festgehalten, dass der Fall noch einmal mit dem amtsärztlichen Sachverständigen besprochen worden sei. Bei nochmaliger Durchsicht sämtlicher Unterlagen habe kein Hinweis auf eine Behinderung des Beschwerdeführers gefunden werden können.

Die belangte Behörde traf keine Feststellungen über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers. Sie stützte ihre Ansicht, der Beschwerdeführer sei nicht behindert im Sinn von § 2 TRG, ausschließlich darauf, dass dies der medizinische Sachverständige auf Grundlage der vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen "festgestellt" habe. Die Erwägungen des Sachverständigen, aus welchen Gründen die in diesen Unterlagen dargestellte Entwicklungsverzögerung im sprachlichen und motorischen Bereich nicht auf eine Behinderung im Sinn von § 2 TRG zurückzuführen sei, sind aus dem angefochtenen Bescheid - und im Übrigen auch aus dem Verwaltungsakt - in keiner Weise ersichtlich. Aus diesem Grund ist der Verwaltungsgerichtshof nicht in der Lage, die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Einschätzung des Sachverständigen auf ihre Schlüssigkeit und daher den angefochtenen Bescheid auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

Aus der - von der belangten Behörde in der Gegenschrift ins Treffen geführten - Ansicht der Kindergartenpädagogin, dass der Beschwerdeführer nicht behindert sei, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass keine Behinderung im Sinn von § 2 TRG vorliege.

Aufgrund des aufgezeigten Begründungsmangels war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am

Fundstelle(n):
KAAAE-77323