VwGH vom 08.08.2018, Ra 2018/08/0043

VwGH vom 08.08.2018, Ra 2018/08/0043

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der P GmbH in G, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Joanneumring 6/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , G308 2013112-1/10E, betreffend Beitragsnachverrechnung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Steiermärkische Gebietskrankenkasse), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Steiermärkische Gebietskrankenkasse hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wurde die revisionswerbende Partei gemäß § 44 Abs. 1, § 49 Abs. 1 und 2 und § 54 Abs. 1 ASVG verpflichtet, für den Prüfzeitraum von bis allgemeine Beiträge, Nebenumlagen, Sonderbeiträge und Zuschläge sowie Verzugszinsen in einer Höhe von insgesamt EUR 30.971,72 zu entrichten.

2 Die revisionswerbende Partei betreibe ein Pflegeheim.

Es handle sich um eine Pflegeeinrichtung zur Betreuung alter und gebrechlicher Menschen, die ständiger Pflege, jedoch bloß fallweiser ärztlicher Betreuung bedürften. Über allgemeine Pflegeleistungen hinaus würden keine Leistungen erbracht. Die revisionswerbende Partei habe ihre Dienstnehmer nach dem "Kollektivvertrag für die DienstnehmerInnen der Privatkrankenanstalten Österreichs" (in der Folge: PKA-KV) entlohnt. Die Anwendbarkeit des PKA-KV schließe eine solche des (gesatzten) "Kollektivvertrags für ArbeitnehmerInnen, die bei Mitgliedern der Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe" (in der Folge: BAGS-KV) beschäftigt seien, aus. Der PKA-KV finde jedoch lediglich auf Dienstnehmer Anwendung, die bei Mitgliedern des Verbands der Privatkrankenanstalten Österreichs beschäftigt seien, von denen Einrichtungen betrieben würden, in denen besondere Pflegeleistungen erbracht würden und bei denen der Tätigkeitsschwerpunkt der Leistungen auf der ärztlichen Betreuung liege. Diese Voraussetzungen seien beim gegenständlichen Pflegeheim nicht erfüllt. Es handle sich nicht um eine Krankenanstalt.

3 Der BAGS-KV vom , Stand , sei mit Verordnung des Bundeseinigungsamts beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit vom (bzw. entsprechenden Nachfolgeverordnungen) zur Satzung erklärt worden. Jeder Dienstnehmer habe einmalig das Recht, sich innerhalb von sechs Monaten nach In-Kraft-Treten der Satzung zu entscheiden, ob er in die Bestimmungen des BAGS-KV optiere oder in seinen bisherigen Entgeltbestimmungen verbleibe (§ 41 Z 2/B BAGS-KV in der durch die Satzungserklärung modifizierten Form). Gebe der Dienstnehmer keine Optierungserklärung ab, so verbleibe er in seinen bisherigen Entgeltbestimmungen. Als Grundlage für die Optierungsentscheidung seien alle Dienstnehmer fiktiv in die Verwendungsgruppen und Gehaltsstufen nach den Bestimmungen des BAGS-KV einzustufen. Der Arbeitgeber sei verpflichtet, die Dienstnehmer binnen vier Monaten nach In-Kraft-Treten der Satzung schriftlich über die fiktive Einstufung, die Ist-Vergleichssumme und die Vergleichssumme nach den BAGS-KV zu informieren.

4 Von den Dienstnehmern der revisionswerbenden Partei seien keine Erklärungen abgegeben worden, in die Bestimmungen des BAGS-KV zu optieren. Die revisionswerbende Partei habe ihren Dienstnehmern keine entsprechende Information ausgehändigt. Die revisionswerbende Partei habe daher ihre in § 41 des gesatzten BAGS-KV konkretisierte Informationspflicht verletzt und sei dafür nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen haftbar. Dass die revisionswerbende Partei "darüber nicht Bescheid wusste", sei weder behauptet worden, noch durch etwaige Anhaltspunkte indiziert gewesen. Es wäre nach § 1298 ABGB Sache der revisionswerbenden Partei gewesen, ihr mangelndes Verschulden an der Verletzung der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht darzutun.Der erlittene Schaden sei mit jenen Entgeltdifferenzen gleichzusetzen, die den Dienstnehmern infolge der unterbliebenen Optierungserklärungen entgangen seien. Die revisionswerbende Partei habe nicht behauptet, es lägen besondere Umstände vor, die einzelne Dienstnehmer aus nachvollziehbaren Gründen veranlasst haben würden, trotz der entgeltmäßigen Besserstellung von einer Optierung Abstand zu nehmen. Der maßgebliche Sachverhalt könne aufgrund der Aktenlage als "hinreichend" geklärt angesehen werden. Von der Durchführung einer Verhandlung sei daher abzusehen gewesen.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision. Die Steiermärkische Gebietskrankenkasse hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die Abweisung der Revision beantragt. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6 Die revisionswerbende Partei führt zur Zulässigkeit der Revision aus,das Verwaltungsgericht habe die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen, obwohl die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 und 4 VwGVG nicht gegeben gewesen seien. Die Vertreter der revisionswerbenden Partei seien kein einziges Mal einvernommen worden. Die revisionswerbende Partei treffe kein Verschulden, weil aus begründeter ex ante Sicht die Ansicht, es sei der PKA-KV anzuwenden gewesen, vertretbar gewesen sei.

7 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

8 Der vorliegende Revisionsfall gleicht in den für seine Erledigung wesentlichen Umständen sowohl hinsichtlich des Sachverhalts als auch in Ansehung der zu lösenden Rechtsfragen jenem, über den der Verwaltungsgerichtshof mit dem Erkenntnis vom , Ra 2017/08/0141 bis 0143, entschieden hat. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird auf die Begründung dieses Erkenntnisses verwiesen. Aus den dort genannten Gründen lagen die Voraussetzungen für den Entfall der Verhandlung nicht vor.

9 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

10 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war im Hinblick auf die auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehende sachliche Gebührenfreiheit gemäß § 110 ASVG abzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018080043.L00

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