VwGH vom 16.06.2009, 2008/10/0007
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Schick und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Petritz, über die Beschwerde der Steiermärkischen Krankenanstalten Gesellschaft m.b.H. in Graz, vertreten durch Dr. Johannes Liebmann, Rechtsanwalt in 8200 Gleisdorf, Gartengasse 7, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. FA11A- 32-1323/07-2, betreffend Kostenersatz durch den Sozialhilfeträger, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom hat die Steiermärkische Landesregierung den Antrag der Beschwerdeführerin auf Rückersatz der durch den stationären Aufenthalt von Felicia R. im Landeskrankenhaus Graz vom bis erwachsenen Kosten abgewiesen.
Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, die Aufnahmediagnose für den gegenständlichen Krankenhausaufenthalt sei "vorzeitiger Blasensprung, Partus" gewesen. Felicia R. sei rumänische Staatsangehörige. Ihr Mann sei im Zeitpunkt der Behandlung als Erntehelfer bzw. Saisonarbeiter in Österreich aufhältig gewesen. Ein Versicherungsanspruch habe nicht festgestellt werden können. Eine Rechnungslegung an den Ehegatten sei erfolglos geblieben.
Die Beschwerdeführerin habe am einen Antrag auf Spitalskostenrückersatz mit der Begründung gestellt, dass auf Grund der durchgeführten Erhebungen das Vorliegen finanzieller Hilfsbedürftigkeit schlüssig anzunehmen sei. Nach dem übermittelten Datenerhebungsblatt habe Felicia R. als Kellnerin ein monatliches Einkommen von EUR 100,-- angegeben; der Gatte sei als Erntehelfer in Österreich beschäftigt; eine Reiseversicherung sei abgeschlossen worden.
Die Behörde erster Instanz habe die Abweisung des Antrages im Wesentlichen damit begründet, dass eine Geburt keine Notfallsbehandlung sei und man bei Abschluss einer Reiseversicherung über den Leistungsanspruch informiert werde.
In der dagegen gerichteten Berufung habe die Beschwerdeführerin u.a. vorgebracht, bei ordnungsgemäßen Ermittlungen (medizinischer Sachverständiger, Einvernahme der Patientin) wäre hervorgekommen, dass es sich bei der Behandlung um einen Notfall gehandelt habe und der zuständige Sozialhilfeträger nicht vor Hilfegewährung verständigt habe werden können.
Der Rückersatzanspruch desjenigen, der einem Hilfsbedürftigen Hilfe geleistet habe gemäß § 31 Steiermärkisches Sozialhilfegesetz, LGBl. Nr. 29/1998 (StmkSHG), sei vom Gesetzgeber für solche Ausnahmefälle geschaffen worden, in welchen auf Grund der Dringlichkeit eine Verständigung des Sozialhilfeträgers vor Inanspruchnahme der Hilfeleistung nicht möglich gewesen sei, wobei der Gesetzgeber nicht definiere, wer zur Verständigung verpflichtet sei. Nach Ansicht der belangten Behörde handle es sich bei einer Geburt um keine akute Erkrankung bzw. Notfallbehandlung, und zwar auch nicht bei vorzeitigem Blasensprung. Eine Geburt sei für eine Frau nicht unvorhersehbar wie etwa ein Unfall. Für Felicia R. wäre es unstrittig möglich gewesen, im Laufe der Schwangerschaft rechtzeitig einen Antrag beim Sozialhilfeträger einzubringen.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes setze der Rückersatzanspruch eine derart dringend erforderliche Hilfegewährung voraus, dass eine vorhergehende Verständigung des Sozialhilfeträgers nicht möglich sei. Die Verpflichtung öffentlicher Krankenanstalten zur Aufnahme und Behandlung von unabweisbaren Patienten habe mit der Frage der Rückersatzpflicht nichts zu tun. Das Risiko der Uneinbringlichkeit treffe auch in solchen Fällen die Krankenanstalt. Ebenso irrelevant sei, ob eine Reiseversicherung die Tragung der Behandlungskosten ablehne.
Im vorliegenden Fall könne die Hilfsbedürftigkeit von Felicia R. angenommen werden, doch sei die Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 lit. b StmkSHG nicht gegeben. "Die Frage, ob der Dritte die Kosten der Hilfe nicht selbst zu tragen gehabt hätte, wird verneint."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Zur Begründung führt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, dass es sich bei einem vorzeitigen Blasensprung um einen Notfall handle, der binnen weniger Stunden zu Infektionen führen könne und das Risiko einer Früh- oder Fehlgeburt zur Folge habe. Hätte die belangte Behörde - wie bereits in der Berufung vorgebracht - einen medizinischen Sachverständigen beigezogen, der auch den Zustand des Kindes vor der Geburt berücksichtigt hätte, so wäre hervorgekommen, dass die Verständigung des Sozialversicherungsträgers vor Hilfeleistung wegen Dringlichkeit nicht möglich gewesen sei.
Es dürften keine zu hohen Anforderungen an die Pflicht des Patienten zur Verständigung des Sozialhilfeträgers gestellt werden. Überdies komme es darauf an, ob der hilfeleistende Dritte von einem Notfall ausgehen musste. Dies sei vorliegend nicht der Fall, weil Felicia R. in gutem Glauben auf ihre Reiseversicherung verwiesen habe.
Eine Verständigungspflicht des Krankenhausträgers bei Aufnahme eines behandlungsbedürftigen Mittellosen bestehe nach den Bestimmungen des StmkSHG nicht. Eine derartige Verständigungspflicht würde der ärztlichen Schweigepflicht widersprechen. Es sei nicht zumutbar, vor Durchführung einer Behandlung die Einkommens- und Vermögenssituation zu erheben. Überdies bestehe die Möglichkeit von unrichtigen Patientenangaben, die für den Krankenhausträger nicht überprüfbar seien. Es widerspreche der gesetzlichen Pflicht zur Aufnahme und Behandlung von Patienten, wenn zuvor eine Verständigung des Sozialhilfeträgers erfolgen müsse. Die Dringlichkeit einer Behandlung lasse sich oft erst nach - bereits Kosten verursachender - Diagnose feststellen. An Wochenenden sei eine Verständigung des Sozialhilfeträgers nicht möglich. Weiters sei es nicht zumutbar, nach Kenntnisnahme der Mittellosigkeit des Patienten bzw. der mangelnden Dringlichkeit einer erforderlichen und allenfalls bereits begonnenen Behandlung eine Verschlechterung bzw. Komplikationen durch Zuwarten in Kauf zu nehmen.
Die Frage, ob die Beschwerdeführerin die Kosten selbst zu tragen habe, sei ohne jede Begründung verneint worden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 31 Abs. 1 StmkSHG hat der Sozialhilfeträger demjenigen, der einem Hilfsbedürftigen Hilfe geleistet hat,
Rückersatz zu leisten, wenn:
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a) | eine Gefährdung des Lebensbedarfs (§ 7) gegeben war; | |||||||||
b) | die Hilfe des Sozialhilfeträgers nicht rechtzeitig gewährt werden konnte; | |||||||||
c) der Dritte nicht selbst die Kosten der Hilfe zu tragen hatte. | ||||||||||
Die belangte Behörde hat die Hilfsbedürftigkeit von Felicia R. - und damit das Vorliegen der Voraussetzung für den Rückersatz gemäß § 31 Abs. 1 lit. a StmkSHG - bejaht. | ||||||||||
Die Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 lit. b StmkSHG ist erfüllt, wenn die Hilfegewährung durch den Dritten so dringend erfolgen musste, dass der zuständige Sozialhilfeträger nicht (vor Hilfegewährung) verständigt werden konnte. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Dringlichkeit der Gewährung der Hilfe eine vorherige Benachrichtigung nicht zuließ. Den Dritten - auch Krankenanstalten, die medizinische Hilfe leisten - trifft bei sonstigem Verlust des Rückersatzanspruches die Obliegenheit zur Verständigung des Sozialhilfeträgers vor Gewährung der Hilfe, es sei denn, der Rechtsträger der Krankenanstalt wusste nichts von der Notlage der Person, der Krankenhilfe gewährt werden muss, oder die Verständigung des Sozialhilfeträgers vor Gewährung der Hilfeleistung war wegen Dringlichkeit nicht möglich (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2004/10/0200, mwN). | ||||||||||
Die belangte Behörde hat das Vorliegen dieser Voraussetzung mit der Begründung verneint, dass es sich bei einer Geburt - wenn auch mit vorzeitigem Blasensprung - um ein vorhersehbares Ereignis handle; Felicia R. sei es daher möglich gewesen, rechtzeitig einen Sozialhilfeantrag zu stellen. | ||||||||||
Die belangte Behörde hat sich somit ausschließlich mit der Frage auseinander gesetzt, ob es der Patientin möglich gewesen wäre, rechtzeitig einen Sozialhilfeantrag zu stellen. Damit hat sie verkannt, dass § 31 Abs. 1 lit. b StmkSHG eine Obliegenheit des Dritten, der die Hilfeleistung erbringt, zur Verständigung des Sozialhilfeträgers, vorliegend also der Beschwerdeführerin, begründet und die Unterlassung der Antragstellung durch den Hilfsbedürftigen dem Rückersatzanspruch des Dritten nicht entgegen gehalten werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/10/0186). | ||||||||||
Im Übrigen sei dazu festgehalten, dass das Beschwerdevorbringen keinen Anlass bietet, von der ständigen Judikatur abzugehen, wonach die genannte Obliegenheit den Dritten trifft. Die ärztliche Verschwiegenheitspflicht gemäß § 54 Ärztegesetz 1998, BGBl. I Nr. 169, steht der Erfüllung dieser Obliegenheit schon deshalb nicht entgegen, weil diese Pflicht gemäß § 54 Abs. 2 Z. 2 leg. cit. nicht besteht, wenn Mitteilungen oder Befunde des Arztes an die Sozialversicherungsträger und Krankenfürsorgeanstalten oder sonstigen Kostenträger in dem Umfang, als er für den Empfänger zur Wahrnehmung der ihm übertragenen Aufgaben eine wesentliche Voraussetzung bildet, erforderlich sind. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, dass sie in bestimmten Fällen erst nach Beginn der Behandlung von der Hilfsbedürftigkeit Kenntnis erlangen könne, ist sie darauf zu verweisen, dass vor der Kenntnisnahme von der Hilfsbedürftigkeit auch keine Obliegenheit zur Verständigung des Sozialhilfeträgers besteht (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2005/10/0186). Die Fortsetzung einer erforderlichen Behandlung nach Kenntnisnahme von der Mittellosigkeit bzw. der mangelnden Dringlichkeit hindert den Ersatzanspruch nicht; es genügt, wenn der Krankenhausträger nach Kenntnisnahme unter Fortsetzung der Behandlung der Obliegenheit nachkommt. | ||||||||||
Die Voraussetzung für den Rückersatz gemäß § 31 Abs. 1 lit. b StmkSHG wäre daher erfüllt, wenn die Hilfeleistung so dringend erforderlich gewesen wäre, dass der Sozialhilfeträger von der Beschwerdeführerin vorher nicht mehr hätte verständigt werden können, wie dies in der Berufung vorgebracht worden ist. Infolge der dargestellten Verkennung der Rechtslage hat sich die belangte Behörde mit diesem Vorbringen nicht auseinander gesetzt. | ||||||||||
Die belangte Behörde hat auch ausgeführt, dass "die Frage, ob der Dritte die Kosten der Hilfe nicht selbst zu tragen gehabt hätte, zu verneinen" sei. Sollte sie damit zum Ausdruck bringen haben wollen, dass die Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 lit. c StmkSHG nicht erfüllt sei, so wäre dies - worauf die Beschwerde zutreffend hinweist - gänzlich unbegründet geblieben. Dazu sei festgehalten, dass diese Voraussetzung nur dann nicht erfüllt ist, wenn der Dritte die Kosten der Hilfe auf Grund gesetzlicher oder vertraglicher Verpflichtung und somit aus anderen Gründen als der Nichterfüllung der Voraussetzungen nach § 31 Abs. 1 lit. a oder lit. b leg. cit. selbst zu tragen hat. | ||||||||||
Auf Grund der dargestellten Verkennung der Rechtslage war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. | ||||||||||
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2. | ||||||||||
Wien, am |
Fundstelle(n):
KAAAE-77242