VwGH vom 29.04.2011, 2008/09/0371
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2008/09/0375
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerden des ET in M, vertreten durch Dr. Kurt L. Breit und Dr. Thomas Mayr, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Dominikanerbastei 22, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom ,
1. Senat-MD-06-1218 (zur Zl. 2008/09/0371) und 2. Senat-MD-06-1217 (zur Zl. 2008/09/0375), betreffend Bestrafungen wegen Übertretungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (weitere Parteien: 1. Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, 2. Bundesminister für Finanzen), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 2.652,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wurde der Beschwerdeführer als handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der T. GmbH wegen Übertretungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), näherhin mit dem erstangefochtenen Bescheid wegen Beschäftigung des polnischen Staatsangehörigen M.P. (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof) vom bis zum sowie des polnischen Staatsangehörigen J.P. vom bis zum und mit dem zweitangefochtenen Bescheid wegen Beschäftigung des polnischen Staatsangehörigen K.G.S. vom bis zum für schuldig erkannt, weil für die Beschäftigung dieser Ausländer keine nach dem AuslBG erforderliche Bewilligung oder Bestätigung vorgelegen sei. Der Beschwerdeführer habe § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a iVm § 3 Abs. 1 AuslBG übertreten; über ihn wurden gemäß § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a AuslBG mit dem erstangefochtenen Bescheid hinsichtlich der Beschäftigung des M.P. eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 3.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von drei Tagen) und hinsichtlich der Beschäftigung des J.P. eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 4.000,--
(Ersatzfreiheitsstrafe vier Tage) und mit dem zweitangefochtenen Bescheid hinsichtlich der Beschäftigung des K.G.S. eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe zwei Tage) verhängt und ihm die Bezahlung von Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens auferlegt.
Begründet wurden die angefochtenen Bescheide im Wesentlichen damit, dass die Ausländer anlässlich einer Baustellenkontrolle auf einer Baustelle am bei Verspachtelungsarbeiten in verschmutzter Arbeitskleidung betreten worden seien. Die Ausländer hätten jeweils ein Formblatt, welches zahlreiche einfache, in polnischer Sprache abgefasste Fragen enthalte, ausgefüllt und unterschrieben. Die Ausländer hätten in diesen Formblättern angegeben, EUR 15,-- pro Stunde als Lohn zu erhalten, für die vom Beschwerdeführer vertretene GmbH zu arbeiten, bei einer täglichen Arbeitszeit von 7.00 Uhr bis 15.30 Uhr bzw. bei einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden. Als Chef hätten zwei Arbeitskräfte den Sohn des Beschwerdeführers angegeben, ein Ausländer hätte bei der Bezeichnung des Chefs nur unwesentliche Angaben gemacht, aber vermeint, dass die Arbeitstätigkeit vom Sohn des Beschwerdeführers beobachtet werde. Die Ausländer M.P. und K.G.S. seien in der Folge als Auskunftspersonen in Anwesenheit einer Polnischdolmetscherin unter Wahrheitspflicht bei der Polizeiinspektion K einvernommen worden. M.P. habe angegeben, dass der Bauleiter der vom Beschwerdeführer vertretenen GmbH die Baustelle vermessen habe und gelegentlich auf die Baustelle komme. Die nötigen Arbeitsanweisungen würden zu Beginn der Arbeitstätigkeit an einer Baustelle ebenfalls von diesem Bauleiter erteilt, welche auch die Arbeit des M.P. und des J.P. kontrolliere. Der Beschwerdeführer sei der Auffassung, dass die Arbeitskräfte als selbständige Unternehmer tätig geworden seien, die Arbeitskräfte verfügten jedoch über kein eigenes Büro und hätten auch keine eigenen Firmentafeln. Als Arbeitszeit sei - so sei angegeben worden - die tägliche Arbeitszeit von 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr bezeichnet worden mit einer halben Stunde Pause. Die Arbeitszeit sei immer die gleiche. Wenn auf Quadratmeterbasis gearbeitet werde, würde ein Lohn von EUR 3,-- und EUR 3,50 pro m2 bezahlt werden, ansonsten ein Stundenlohn zwischen EUR 15,-- und EUR 16,--. Der Bauleiter der vom Beschwerdeführer vertretenen GmbH kontrolliere die Arbeiten. Werkzeug verwendeten die Arbeitskräfte ihr eigenes, das Arbeitsmaterial werde von der vom Beschwerdeführer vertretenen GmbH zur Verfügung gestellt. Auch K.G.S. habe ähnliche Angaben gemacht und insbesondere ebenso ausgeführt, in Österreich keine Steuernummer zu besitzen, kein eigenes Büro, kein Faxgerät und keinen Computer. Die Angaben der Ausländer im erstinstanzlichen Verfahren seien in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde verlesen worden.
In der Berufungsverhandlung habe sich der Beschwerdeführer damit verantwortet, dass die Tätigkeit der Ausländer jeweils auf Grund von Werkverträgen erfolgt sei und die Ausländer als selbständige Subunternehmen, nämlich als Einmannbetriebe tätig geworden seien. Die belangte Behörde wertete diese Ausführungen nicht als überzeugend und sie führte aus, dass der Beschwerdeführer zwar entsprechende Werkverträge vorgelegt hätte, in diesen Werkverträgen jedoch wesentliche Vereinbarungen fehlten, welche diese als echte Werkverträge qualifizieren ließen. In den Werkverträgen sei das Bauvorhaben, an welchem die Ausländer tätig geworden seien, nicht konkretisiert, es fehle zumindest das theoretische Ausmaß der zu verspachtelnden Trennwände in Quadratmetern. Überdies sei weder der Beginn noch der Fertigstellungstermin des in Auftrag gegebenen Werkes diesen Verträgen zu entnehmen. Aus allenfalls angegebenen Pauschalpreisen könne kein Rückschluss auf ein vereinbartes Werk gezogen werden. Der Satz "Die Pauschalpreise gelten als Festpreise bis Beendigung des Bauvorhabens" stelle sich als eine floskelhafte inhaltsleere Zeitangabe dar, weil kein Fertigstellungstermin aus dem vorgelegten Vertragswerk zu entnehmen sei. Das Wort Verspachtelung finde sich im ganzen Vertrag nicht ein einziges Mal. Kalkulationsunterlagen seien weder vorgelegt noch erläutert worden. Die Ausländer seien auch deswegen nicht als selbständige Unternehmer zu betrachten, weil sie über keine Steuernummer bei einer österreichischen Steuerbehörde verfügten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde erwogen:
Der vorliegende Fall gleicht zwar in Ansehung des von der belangten Behörde festgestellten Sachverhaltes und der von der belangten Behörde gezogenen Schlussfolgerungen in mancher Hinsicht jenem Sachverhalt und jenen Schlussfolgerungen, die dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/09/0345, zu Grunde lagen, unterscheidet sich von dem des angeführten Erkenntnisses jedoch wesentlich dadurch, dass der belangten Behörde in den vorliegenden Beschwerdefällen Verfahrensfehler unterlaufen sind:
Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung die Einvernahme der drei polnischen Arbeitskräfte in der öffentlichen mündlichen Verhandlung zum Beweis des von ihm behaupteten Sachverhaltes beantragt. Die belangte Behörde hat die drei Ausländer als Zeugen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde zwar unter Adressen im Inland geladen. Die Ausländer sind diesen Ladungen als Zeugen jedoch nicht nachgekommen und zur öffentlichen mündlichen Verhandlung nicht erschienen. Obwohl der Beschwerdeführer die neuerliche Ladung der Zeugen und deren Einvernahme beantragt hatte, stützte die belangte Behörde ihre Bescheide - wie dargelegt - auf die in der öffentlichen mündlichen Verhandlung verlesenen von den Ausländern ausgefüllten Formblätter sowie weiters auf die niederschriftlichen Angaben der Ausländer vor der Polizeiinspektion K, die als Teil der Akten des Verwaltungsverfahrens in der öffentlichen mündlichen Verhandlung deren Protokollen zufolge verlesen wurden.
Eine Begründung dahingehend, weshalb nicht eine neuerliche Ladung der Zeugen versucht wurde, ist den angefochtenen Bescheiden nicht zu entnehmen.
Mit dieser Vorgangsweise hat die belangte Behörde die angefochtenen Bescheide mit einer - vom Beschwerdeführer zu Recht gerügten - Rechtswidrigkeit belastet.
Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG), BGBl. Nr. 52/1991 idF BGBl. I Nr. 3/2008, lauten:
"Beweisaufnahme
§ 51g. (1) ...
...
(3) Niederschriften über die Vernehmung des Beschuldigten
oder von Zeugen sowie die Gutachten der Sachverständigen dürfen
nur verlesen werden, wenn
1. die Vernommenen in der Zwischenzeit gestorben sind,
ihr Aufenthalt unbekannt ist oder ihr persönliches Erscheinen
wegen ihres Alters, wegen Krankheit oder Behinderung oder wegen
entfernten Aufenthaltes oder aus anderen erheblichen Gründen nicht
verlangt werden kann oder
2. die in der mündlichen Verhandlung Vernommenen in
wesentlichen Punkten von ihren früheren Aussagen abweichen oder
3. Zeugen, ohne dazu berechtigt zu sein, oder
Beschuldigte die Aussage verweigern oder
4. alle anwesenden Parteien zustimmen.
...
Unmittelbarkeit des Verfahrens
§ 51i. Wenn eine Verhandlung durchgeführt wurde, dann ist bei der Fällung des Erkenntnisses nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in dieser Verhandlung vorgekommen ist. Auf Aktenstücke ist nur insoweit Rücksicht zu nehmen, als sie bei der Verhandlung verlesen wurden, es sei denn, der Beschuldigte hätte darauf verzichtet, oder als es sich um Beweiserhebungen handelt, deren Erörterung infolge des Verzichts auf eine fortgesetzte Verhandlung gemäß § 51e Abs. 5 entfallen ist."
Den Akten des Verwaltungsverfahrens ist zwar zu entnehmen, dass der Zeuge J.P. 20 Tage vor der mündlichen Verhandlung an die belangte Behörde ein E-Mail gerichtet hat, wonach er aus persönlichen Gründen bei der Verhandlung nicht erscheinen könne und als Zeuge nicht aussagen könne. Er habe sich abgemeldet und verlasse in Kürze Österreich. Von zwei weiteren Zeugen sind Nachrichten in den Akten des Verwaltungsverfahrens nicht enthalten.
Die Einvernahme der Zeugen wurde vom Beschwerdeführer einerseits zu einem durchaus tauglichen Beweisthema beantragt. Die belangte Behörde durfte anderseits gemäß § 51i VStG bei der Fällung der angefochtenen Straferkenntnisse nur auf das Rücksicht nehmen, was in der Verhandlung vorgekommen ist. Sie hatte dabei gemäß § 51g Abs. 1 VStG die erforderlichen Beweise (selbst) aufzunehmen und durfte Niederschriften über die Vernehmung von Zeugen nur unter den Voraussetzungen des § 51g Abs. 3 VStG verlesen. Eine Begründung dafür, weshalb die vom Beschwerdeführer beantragte Einvernahme der Zeugen - verbunden mit der Möglichkeit für den Beschwerdeführer, Fragen an sie zu richten - unterblieben ist, hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht gegeben. Bei der gegebenen Sachlage hätte die belangte Behörde nicht ohne weiteres davon ausgehen dürfen, dass die Verlesung der Angaben in den Formblättern sowie der niederschriftlichen Angaben der Zeugen vor der Polizeiinspektion K in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde gemäß § 51g Abs. 3 Z. 1 VStG gerechtfertigt gewesen wäre. Eine Feststellung dahingehend, dass die Zeugen in der Zwischenzeit gestorben wären, ihr Aufenthalt unbekannt wäre oder ihr persönliches Erscheinen wegen ihres Alters, wegen Krankheit oder Behinderung oder wegen entfernten Aufenthaltes oder aus anderen erheblichen Gründen nicht verlangt hätte werden können, wurde nicht getroffen.
Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidungen über den Aufwandersatz beruhen auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
EAAAE-77205