VwGH vom 28.02.2019, Ra 2018/07/0451
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofrätin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Agrargemeinschaft N, vertreten durch Mag. Markus Abwerzger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Wilhelm-Greil-Straße 21, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , Zl. LVwG-2017/44/1407-4, betreffend eine Streitigkeit aus dem Mitgliedschaftsverhältnis einer Agrargemeinschaft (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde; mitbeteiligte Partei: R M in U), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde verpflichtete - im Rahmen eines Verfahrens über eine Streitigkeit aus dem Mitgliedschaftsverhältnis - mit Bescheid vom die revisionswerbende Agrargemeinschaft zur Zahlung eines Betrages von EUR 1.986,92 samt 4% Zinsen an den Mitbeteiligten, weil diesem als Mitglied dieser Agrargemeinschaft durch eine Weiderechtsverweigerung (fehlende Bekanntgabe eines Auftriebstermins) ein Schaden in dieser Höhe erwachsen sei. Dabei wurden die Fütterungs- und Betreuungskosten für zwei Rinder, ein Pauschalbetrag für die erfolglose Suche nach einer Ersatzalm und Entgang von Fördergeldern der Agrarmarkt Austria berücksichtigt.
2 Dagegen erhob die revisionswerbende Agrargemeinschaft Beschwerde und wies unter anderem darauf hin, dass kein Fehlverhalten des Obmanns vorliege, weil er der mitbeteiligten Partei einen Auftriebstermin für die Agrargemeinschaft W-Alpe bekannt gegeben habe. Es habe somit die Möglichkeit der Übersömmerung auf dieser Alpe bestanden. Außerdem habe die revisionswerbende Agrargemeinschaft seit 1968 keine Beweidung und Behirtung mehr durchgeführt.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol die Beschwerde der revisionswerbenden Agrargemeinschaft ab. Begründend verwies es in mehreren Punkten auf die bereits bestehende umfangreiche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im vorliegenden Fall (, 2008/07/0013; , 2009/07/0018, 0021; , 2010/07/0059).
4 Soweit hier von Relevanz, vertrat das LVwG in der Begründung den Standpunkt, es handle sich vorliegendenfalls allein um die Verletzung der Rechte des Mitbeteiligten als Mitglied der revisionswerbenden Agrargemeinschaft. Durch die Bekanntgabe eines Auftriebstermins an den Revisionswerber als Mitglied einer anderen Agrargemeinschaft (der Agrargemeinschaft W-Alpe und auf deren Flächen) sei der Obmann der revisionswerbenden Agrargemeinschaft seiner Verpflichtung zur Bekanntgabe eines Auftriebstermins nicht nachgekommen, auch wenn die Flächen beider Agrargemeinschaften eine weidewirtschaftliche Einheit bildeten (siehe dazu auch , 2008/07/0013). Demnach bestehe der Schadenersatzanspruch dem Grunde nach.
5 Im Zusammenhang mit der Höhe des Schadenersatzes befasste sich das LVwG mit der auf den Auftrieb von zwei Rindern lautenden Berechtigung des Mitbeteiligten, mit der Frage der Lehnviehaufnahmemöglichkeit und der Nutzung freier Auftriebsrechte und gelangte mit näherer Begründung zur Abweisung der Beschwerde.
6 Die Revision gegen diese Entscheidung ließ das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf bestehende Rechtsprechung nicht zu.
7 In der gegen dieses Erkenntnis erhobenen außerordentlichen Revision macht die revisionswerbende Agrargemeinschaft Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
8 Die mitbeteiligte Partei und die Agrarbehörde erstatteten Revisionsbeantwortungen. Die Agrarbehörde beantragte die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 In den gemäß § 28 Abs. 3 VwGG bei einer außerordentlichen Revision gesondert vorzubringenden Gründen ist konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung über die Revision zu lösen hätte (, mwN).
14 2. Die revisionswerbende Agrargemeinschaft bringt eingangs der Zulassungsbegründung vor, der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom , 2007/07/0100, 2008/07/0013, einen anderen Sachverhalt als hier zu beurteilen gehabt, weil im dortigen Fall kein Auftriebstermin auf die Flächen der revisionswerbenden Agrargemeinschaft bekannt gegeben worden sei. Daher stelle sich die Rechtsfrage, ob die Bekanntgabe eines Auftriebstermins für die Flächen der benachbarten Agrargemeinschaft, die weidewirtschaftlich eine Einheit mit den Flächen der revisionswerbenden Agrargemeinschaft bildeten, die Erfüllung der Verpflichtung des Obmanns zur rechtzeitigen Bekanntgabe des Auftriebstermins ersetzen könne.
15 Damit übersieht die Revisionswerberin aber, dass sich der Verwaltungsgerichtshof bereits in dem zitierten Erkenntnis mit dieser Frage beschäftigt hat. Damals war mit einem Schreiben der Agrarbehörde vom dem Mitbeteiligten (bzw. seinem Rechtsvorgänger) ein Auftriebstermin auf die Flächen der benachbarten Agrargemeinschaft mitgeteilt worden.
16 Im genannten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes heißt es dazu (letzter Absatz des Punktes 2.4.):
"Darauf, ob überhaupt bzw. wann den Antragstellern der Auftriebstermin auf die W-Alpe (= benachbarte Agrargemeinschaft) bekannt gegeben wurde, kommt es bei der Beurteilung, ob der Obmann der AG ABW (= revisionswerbende Agrargemeinschaft) rechtswidrig gehandelt hat, aber nicht an. Auch das Schreiben der AB vom konnte daher die Erfüllung der Verpflichtung des Obmannes zur rechtzeitigen Bekanntgabe des Auftriebstermins auf die G-alpe (der revisionswerbenden Agrargemeinschaft) gegenüber den Antragstellern nicht ersetzen."
17 Die diesbezügliche rechtliche Beurteilung des Verwaltungsgerichts, wonach die Bekanntgabe des Auftriebstermins auf die W-Alpe nichts an der Rechtswidrigkeit der Nichtbekanntgabe des Auftriebstermins auf die Alpe der revisionswerbenden Agrargemeinschaft ändert, steht daher in Übereinstimmung mit der Rechtslage und der zitierten Rechtsprechung.
18 Die Zulässigkeit der Revision wird mit diesem Vorbringen daher nicht dargetan.
19 3. Soweit die Revision in den Zulassungsgründen weiters die Frage aufwirft, ob überhaupt die zivilrechtlichen Grundsätze des Schadenersatzrechtes heranzuziehen seien, insbesondere, ob ein Verschulden iSd § 1295 ABGB Voraussetzung für eine allfällige Ersatzpflicht der revisionswerbenden Agrargemeinschaft sei, übersieht sie ebenfalls die diesbezüglich bereits ergangenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zur Schadenersatzpflicht im Falle von Auftriebsverweigerungen der vorliegenden Art (wie etwa , 2008/07/0013, oder vom gleichen Tag, 2007/07/0150, 0157).
20 Die Revision legt auch nicht näher dar, weshalb es im Fall der hier zu beurteilenden Weiderechtsverweigerung für das Jahr 2009 am Verschulden des Obmann mangeln sollte, mussten diesem doch nicht nur die von ihm einzuhaltenden Rechtsgrundlagen, sondern insbesondere auch das mehrfach zitierte hg. Erkenntnis vom , 2007/07/0100, 2008/07/0013, das einen vergleichbaren Sachverhalt behandelt und in dem seine Pflichten gerade in einer Situation wie der vorliegenden näher dargestellt werden, bekannt sein.
21 Auch unter diesem Aspekt erweist sich die Revision als unzulässig.
22 4. Die Revision bringt allerdings auch vor, es hätte für den Mitbeteiligten eine Schadensminderungspflicht im Sinne des § 1304 ABGB bestanden; er hätte auf die W-Alpe auftreiben und daher den Schaden minimieren können. Diese Frage betrifft die Zuerkennung von Schadenersatz der Höhe nach.
23 4.1. Nun trifft es zwar zu, dass der Verwaltungsgerichtshof im (die auch hier beteiligten Agrargemeinschaften betreffenden) Erkenntnis vom , 2007/07/0100, 2008/07/0013, darauf hingewiesen hat, dass die Rechte der Mitglieder der beiden Agrargemeinschaften in Bezug auf die jeweils zu beweidenden Orte und Zeiträume unterschiedlich sind und dass es für die Rechtswidrigkeit des Handelns des Obmanns keine Rolle spiele, ob der Mitbeteiligte bzw. sein Rechtsvorgänger die ihnen aus ihrer Rechtsposition als Mitglieder der benachbarten Agrargemeinschaft erfließenden Rechte zur Weide nutzten oder nicht bzw. aus welchem Grund sie dies nicht taten.
24 Bei diesen Ausführungen ging es um den Aspekt der Rechtswidrigkeit des Handelns des Obmanns und damit um einen Aspekt der Schadenersatzpflicht dem Grunde nach; für das Entstehen des Schadenersatzanspruchs selbst war die Frage der offenstehenden, aber nicht genutzten Weiderechte auf der W-Alpe demnach ohne Belang.
25 4.2. Dies gilt aber nicht für die Ermittlung der konkreten Schadenshöhe; hier ist die den Geschädigten treffende Verpflichtung zur Schadensminimierung gemäß § 1304 ABGB zu beachten.
26 Zu dieser Verpflichtung zur Schadensminimierung (in einem ein anderes Mitglied der revisionswerbenden Agrargemeinschaft betreffenden Fall) hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , 2007/07/0150, 0157, die Ansicht vertreten, dass ein Antragsteller dann, wenn ihm eine andere Auftriebsmöglichkeit offen steht, verpflichtet ist, von dieser Auftriebsmöglichkeit Gebrauch zu machen, um den Schaden, den er durch das rechtswidrige Verhalten des Obmannes erlitten hat, möglichst gering zu halten. Einem Schadenersatzanspruch war daher damals nur der Zeitraum zwischen der Auftriebsverhinderung und der Ermöglichung des Auftriebs auf die W-Alpe zugrunde zu legen.
27 Auch im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass der Mitbeteiligte auch Mitglied der Agrargemeinschaft W-Alpe ist und ihm gegenüber am der Auftriebstermin auf die W-Alpe () bekannt gegeben worden war. Ebenso unstrittig ist der Umstand, dass der Auftrieb des Viehs zur dortigen gemeinschaftlichen Weide am stattgefunden hat. Die Möglichkeit des Auftriebs auf die W-Alpe (im Rahmen seiner Anteilsrechte an der Agrargemeinschaft W-Alpe) stand dem Antragsteller daher offen, sie wurde jedoch von ihm nicht genützt.
28 4.3. Mit diesem Aspekt hat sich das LVwG bei der Berechnung der Höhe des Schadenersatzes - insofern in Verkennung der Rechtslage - nicht befasst. Dadurch wurden aber Rechte der revisionswerbenden Agrargemeinschaft verletzt, weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben war.
29 5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018070451.L00 |
Schlagworte: | Besondere Rechtsgebiete |
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