VwGH vom 18.05.2010, 2008/09/0327
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Rosenmayr und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der JM in Z, vertreten durch Kinberger-Schuberth-Fischer, Rechtsanwälte-GmbH in 5700 Zell am See, Salzachtal Bundesstraße 13, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom , Zl. UVS-33/10305/7-2008, betreffend
1. Versagung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und
2. Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes
(weitere Parteien: Bundesminister für Finanzen, Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt 2. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis vom verhängte die Bezirkshauptmannschaft Z gegen die Beschwerdeführerin wegen der Übertretung gemäß § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a und § 3 Abs. 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz in drei Fällen eine Geldstrafe von jeweils EUR 1.500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von jeweils 101 Stunden) und erlegte einen Kostenbeitrag zum Verwaltungsstrafverfahren in der Höhe von EUR 450,-- auf. Dieses Straferkenntnis wurde nach erfolglosem zweimaligen Zustellversuch am 17. und beim Zustellpostamt hinterlegt. Am wurde dieses unbehoben an die Behörde retourniert.
Mit Antrag vom begehrte die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung und führte gleichzeitig die Berufung aus. Dazu brachte sie vor, vom bis zum ortsabwesend gewesen zu sein. (Sie habe ihre Rückkehr aus dem Ausland kurzfristig vom auf den verschoben und sei anschließend bis zum bei Verwandten ihres Exmannes in I geblieben.) Sie sei am an die Abgabestelle zurückgekehrt und habe erst am Kenntnis vom Straferkenntnis erhalten.
Die Bezirkshauptmannschaft Z wies mit Bescheid vom den Antrag auf Wiedereinsetzung als unbegründet ab und wertete die Ausführungen der Beschwerdeführerin als unglaubwürdig. Dazu führte sie aus, dass die Beschwerdeführerin am und somit vor Ablauf der Hinterlegungsfrist an die Abgabestelle zurückgekommen sei. Die Nichtbehebung einer RSa-Sendung während eines laufenden Verwaltungsstrafverfahrens stelle keine Sorgfaltswidrigkeit dar, die auch einem sorgfältigen Menschen gelegentlich passiere. Auch stelle der kurzfristig verlängerte Auslandsaufenthalt kein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis dar.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gegen den Bescheid über die Wiedereinsetzung vom keine Folge (Spruchpunkt 1.) und wies die Berufung gegen das Straferkenntnis vom als verspätet zurück (Spruchpunkt 2.).
Die belangte Behörde ging dabei hinsichtlich des Spruchpunktes 1. davon aus, dass die Beschwerdeführerin in der Zeit vom bis einschließlich wegen eines Aufenthaltes in Marokko von ihrer Abgabestelle abwesend gewesen sei. Das Straferkenntnis sei am hinterlegt worden. Das Straferkenntnis sei am mangels Behebung an die belangte Behörde retourniert worden. Die belangte Behörde führte aus: "Der Versuch der Beschwerdeführerin, den Zeitpunkt der Rückkehr an die Abgabestelle erst per , somit nach Ablauf der Abholfrist, unter Beweis zu stellen, ist misslungen, da das betreffende Vorbringen erst im Berufungsverfahren erstattet wurde." Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entbinde der im Verwaltungsstrafverfahren herrschende Grundsatz der amtswegigen Ermittlung der materiellen Wahrheit einen Wiedereinsetzungswerber nicht von der Pflicht, alle Wiedereinsetzungsgründe innerhalb der gesetzlichen Frist vorzubringen und glaubhaft zu machen. Die Einvernahme der namhaft gemachten Tante habe daher ebenso entfallen können, wie die Einvernahme des Ex-Ehegatten der Beschwerdeführerin. Sie sei trotz ausdrücklicher Aufforderung nicht zur Berufungsverhandlung erschienen und habe damit gegen die sie treffenden Mitwirkungspflichten verstoßen. Die von ihrem Rechtsvertreter vorgelegte schriftliche "eidesstättige Erklärung" sei zufolge des Unmittelbarkeitsprinzips im Verfahren vor der belangten Behörde als nicht ausreichend zu qualifizieren, um ihre Behauptung ausreichend unter Beweis zu stellen. Zudem habe sie auch bloß eine Kopie einer Reisepass-Seite vorgelegt, die mangels Reisepass-Nummer und weiterer Daten sowie Lichtbild der Beschwerdeführerin nicht eindeutig zuordenbar sei. "In freier Beweiswürdigung geht der erkennende Senat daher davon aus, dass die Berufungswerberin in der Zeit vom bis einschließlich wegen eines Aufenthaltes in Marocco von ihrer Abgabestelle ..., abwesend war. Die Abholfrist endete am ."
Nach Wiedergabe von Bestimmungen des ZustellG ging die belangte Behörde davon aus, dass die Abwesenheit der Beschwerdeführerin von der Abgabestelle noch vor Ablauf der Abholungsfrist geendet habe und sie vom Zustellvorgang betreffend das Straferkenntnis vom rechtzeitig Kenntnis erlangen habe können, um das für sie hinterlegte Schriftstück beim Postamt innerhalb der Abholungsfrist zu beheben. Die Ortsabwesenheit der Beschwerdeführerin habe vor dem Tag des ersten Zustellversuches begonnen, aber vor Ablauf der Abholfrist geendet. Durch die Hinterlegung des Straferkenntnisses sei daher verfahrensgegenständlich eine rechtswirksame Zustellung gemäß § 17 Abs. 3 letzter Halbsatz ZustellG am Tag nach der Rückkehr, somit am bewirkt worden.
Weiters führte die belangte Behörde aus, dass es die Beschwerdeführerin an der erforderlichen Sorgfalt bei der Wahrnehmung ihrer Verteidigungsrechte fehlen lassen habe. Bei gehöriger Aufmerksamkeit habe ihr klar sein müssen, dass bereits die Hinterlegung unabhängig vom Zeitpunkt der Abholung der Sendung als Zustellung gelte. Wenn es die Beschwerdeführerin unterlassen habe, sich in einer auch für sie als juristischen Laien zumutbaren Weise Kenntnis über das für die Zustellung des Straferkenntnisses maßgeblichen Hinterlegungsdatum zu verschaffen, um so in weiterer Folge die Wahrung ihrer rechtlichen Interessen als Beschuldigte in einem Verwaltungsstrafverfahren sicherstellen zu können, so treffe sie eine den Grad der leichten Fahrlässigkeit jedenfalls übersteigende Sorgfaltsverletzung. Die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags sei somit zu Recht erfolgt.
Zu Spruchpunkt 2. führte die belangte Behörde aus, dass die Frist zur Berufungserhebung mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides, im Fall bloß mündlicher Verkündung mit dieser, beginne. Im vorliegenden Fall sei das angefochtene Straferkenntnis der Beschwerdeführerin am zugestellt worden. Die Berufungsfrist von zwei Wochen habe daher mit Ablauf des geendet. Da die Berufung erst am eingebracht worden sei, sei sie als verspätet zurückzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche Beschwerde in der die Beschwerdeführerin dessen Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend macht.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 71 AVG ist ein Rechtsbehelf, der auf die Beseitigung der Rechtsnachteile, die einer Partei daraus erwachsen, dass sie im Verfahren eine Frist oder einen Termin zur Vornahme einer Prozesshandlung versäumt hat, abzielt. Eine Frist ist versäumt, wenn sie zu laufen begonnen hat und ungenützt verstrichen ist. Hängt der Fristenlauf von der Zustellung eines behördlichen Schriftstücks an die Partei ab, so beginnt die Frist dann nicht zu laufen - und kann deshalb auch nicht versäumt werden - wenn die Zustellung wegen Mängel unwirksam ist (vgl. dazu Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, 2. Auflage 1998, FN 2 § 71 AVG, 1539).
Die Beschwerdeführerin hat ihren Wiedereinsetzungsantrag damit begründet, dass sie zum Zeitpunkt der Zustellung und der Hinterlegung des Strafbescheids vom ortsabwesend gewesen sei und somit nicht rechtzeitig vom Strafbescheid Kenntnis erlangen habe können. Dieses Vorbringen kann keinen Wiedereinsetzungsgrund darstellen, da es im Kern darauf abzielt, dass der Bescheid der Beschwerdeführerin gegenüber nicht erlassen worden sei und sohin auch die Frist zur Einbringung der Berufung nicht zu laufen begonnen habe. Hat aber der Fristenlauf nicht begonnen, so konnte schon aus diesem Grund keine wiedereinsetzungsfähige Versäumnis vorliegen. Dem auf dieses Vorbringen gestützten Antrag auf Wiedereinsetzung war daher jedenfalls keine Folge zu geben, weshalb die vorliegende Beschwerde im Umfang der Anfechtung des Spruchpunktes 1. des angefochtenen Bescheides unbegründet ist.
Die Beschwerde ist aber teilweise begründet und führt zur Aufhebung des Spruchpunktes 2. des angefochtenen Bescheides: Für das Wirksamwerden der Zustellung gemäß § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustellG kam es im vorliegenden Fall nämlich darauf an, ob die Beschwerdeführerin derart rechtzeitig an ihre Abgabestelle zurückgekehrt ist, dass sie noch Gelegenheit hatte, die hinterlegte Sendung innerhalb der Abholfrist zu beheben. Dies war dann der Fall, wenn die Beschwerdeführerin zumindest am vorletzten Tag der Abholfrist zurückgekehrt ist. Die belangte Behörde hätte daher eine eindeutige Feststellung hinsichtlich des Endes der auf der Hinterlegungsanzeige vorgesehenen Abholfrist treffen müssen (vgl. dazu etwa den hg. Beschluss vom , Zl. 97/14/0087, und die weitere von Hauer/Leukauf, Das österreichische Verwaltungsverfahren, 6. Auflage 2003, zu § 10 ZustellG zu E 54 ff dargestellte hg. Rechtsprechung). Dies hat die belangte Behörde jedoch verabsäumt, indem sie im angefochtenen Bescheid einmal zum Ausdruck bringt, die Abholfrist sei bereits am abgelaufen gewesen, und im selben Absatz der Begründung des angefochtenen Bescheides meint, das Ende der Abholfrist sei erst der gewesen.
Geht man davon aus, dass die Abholfrist die von § 17 Abs. 3 ZustellG vorgesehene Mindestdauer von zwei Wochen betrug, so muss die Abholfrist angesichts der am erfolgten postamtlichen Hinterlegung am Freitag, dem , geendet haben. Auf die Annahme dieser Abholfrist dürfte die belangte Behörde ihre Begründung aufbauen. Sie hat in Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides die Berufung als verspätet zurückgewiesen, weil sie - mit Berufung auf ihre freie Beweiswürdigung - davon ausgegangen ist, dass der Strafbescheid vom - infolge der Rückkehr der Beschwerdeführerin an ihre Abgabestelle am - am zugestellt worden sei, weil er an diesem Tag von der Beschwerdeführerin behoben hätte werden können. Die belangte Behörde hat die Einvernahme des Ex-Ehegatten der Beschwerdeführerin, dessen Einvernahme im Übrigen bereits im Wiedereinsetzungsantrag vom zur Bescheinigung der Ortsabwesenheit begehrt wurde, für nicht notwendig erachtet, da ein entsprechendes Vorbringen erst im Berufungsverfahren erstattet worden sei. Auch die übrigen von der Beschwerdeführerin angebotenen Beweismittel, wie insbesondere die Kopie einer Reisepassseite, wurden von der belangten Behörde ohne überzeugende Begründung nicht herangezogen; die diesbezüglich im angefochtenen Bescheid geäußerten Zweifel betreffend die Authentizität der darin enthaltenen Eintragungen hätte die belangte Behörde allenfalls klären müssen. Eine tragfähige Begründung dafür, weshalb die Einvernahme der Verwandten der Beschwerdeführerin, bei welcher sie sich bis zum aufgehalten haben will, nicht erforderlich gewesen sei, ist im angefochtenen Bescheid ebenfalls nicht enthalten, der Umstand, dass die Beschwerdeführerin zur mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde nicht erschienen ist, entbindet die Behörde von einer solchen erforderlichen Einvernahme nämlich nicht.
Aus der von der belangten Behörde vorgenommenen Beweiswürdigung lässt sich daher nicht schlüssig nachvollziehen, auf welcher Beweisbasis sie zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Beschwerdeführerin am zurückkehrte und von der Hinterlegung Kenntnis erhielt. Der in § 45 AVG aufgestellte Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nämlich lediglich, dass die Behörde bei ihrer Beweiswürdigung nicht an Beweisregeln gebunden ist, alle Beweismittel grundsätzlich gleichwertig sind und die gleiche abstrakte Beweiskraft haben. Dafür, ob eine Tatsache als erwiesen anzusehen ist oder nicht, hat aber allein der "innere Wahrheitsgehalt" der Ergebnisse des Beweisverfahrens ausschlaggebend zu sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/09/0246). Ein solcher ist hinsichtlich der im angefochtenen Bescheid erfolgten Feststellung, die Beschwerdeführerin sei am an ihre Abgabestelle zurückgekehrt, jedoch nicht zu ersehen.
Daher war der Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.
Wien, am