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VwGH vom 20.08.2013, 2012/22/0039

VwGH vom 20.08.2013, 2012/22/0039

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des K, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 318.129/14-III/4/12, betreffend Aufenthaltskarte, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines bosnischen Staatsangehörigen, auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte gemäß § 54 und § 10 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe am persönlich einen Antrag auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte eingebracht. Dieser Antrag gelte seit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 als solcher auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte. Der Vater des Beschwerdeführers habe in Deutschland sein Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen, was ihm auch bescheinigt worden sei. Weiters habe der Beschwerdeführer nachgewiesen, dass er von seinem Vater monatliche Unterhaltsleistungen erhalte.

Der Beschwerdeführer habe bereits im September 2008 Österreich verlassen (Grund dafür sei eine von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich verfügte Ausweisung (Anm.: Diese wurde mit hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0586, vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben) des Beschwerdeführers gewesen) und lebe seither in Bosnien-Herzegowina. Ihm sei mitgeteilt worden, dass gemäß § 55 Abs. 1 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate nur so lange bestehe, wie die Voraussetzungen erfüllt blieben. Gemäß § 10 Abs. 3 NAG würden Aufenthaltstitel und Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gegenstandslos, wenn die Abwesenheitsdauer des Fremden, dem eine Bescheinigung des Daueraufenthalts oder eine Daueraufenthaltskarte ausgestellt wurde, vom Bundesgebiet mehr als zwei aufeinanderfolgende Jahre betrage. Wenn nun sogar das unionsrechtliche Daueraufenthaltsrecht untergehe, gelte dies umso mehr für das (bloße) Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate. Wäre dem Beschwerdeführer bereits vor seiner Ausreise aus Österreich im September 2008 ein Aufenthaltsrecht dokumentiert worden, wäre dies ohnehin zwischenzeitlich ex lege ohne eigenes behördliches Verfahren verloren gegangen. Unbeschadet dessen habe der Beschwerdeführer jederzeit die Möglichkeit der neuerlichen Einreise nach Österreich sowie der neuerlichen Beantragung einer Aufenthaltskarte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im Jänner 2012 die Bestimmungen des NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 112/2011 anzuwenden sind.

Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind, unter bestimmten Voraussetzungen zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt und es ist ihnen auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen.

Gemäß § 57 NAG findet diese Bestimmung u.a. auch auf Angehörige von Österreichern Anwendung, sofern der Österreicher sein unionsrechtliches oder das ihm auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in einem anderen EWR-Mitgliedstaat oder in der Schweiz in Anspruch genommen hat und im Anschluss an diesen Aufenthalt nach Österreich nicht bloß vorübergehend zurückkehrt.

§ 54a NAG sieht für Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern unter weiteren Voraussetzungen nach einem fünfjährigen ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet die Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte vor.

Gemäß § 10 Abs. 3 NAG wird unter anderem eine Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gegenstandslos, wenn die Abwesenheitsdauer des Fremden, dem eine Bescheinigung des Daueraufenthalts oder eine Daueraufenthaltskarte ausgestellt wurde, vom Bundesgebiet mehr als zwei aufeinanderfolgende Jahre beträgt (Z 5).

Die belangte Behörde geht davon aus, dass der Beschwerdeführer als volljähriger Sohn eines Österreichers, der ihm Unterhalt gewährt und der seinerseits sein Recht auf unionsrechtliche Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, selbst zum Personenkreis des § 57 NAG gehört. Aus der wiedergegebenen Bescheidbegründung ist weiters ersichtlich, dass die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zugesteht, nach Wiedereinreise nach Österreich eine Aufenthaltskarte beantragen zu dürfen. Den vorliegenden Antrag auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte, der nach Inkrafttreten des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 als auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gerichtet gewertet werden durfte, wies die belangte Behörde mit der Begründung ab, dass wegen der Ausreise des Beschwerdeführers nach Antragstellung eine Dokumentation seines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ohnedies gegenstandslos geworden wäre, wäre ihm eine solche Dokumentation bereits erteilt worden.

Diese Rechtsansicht der belangten Behörde ist - abgesehen von der Denkunmöglichkeit, eine Dokumentation als gegenstandslos geworden zu betrachten, wenn eine solche noch gar nicht ausgestellt wurde - gesetzlich nicht gedeckt.

Die belangte Behörde unterstellt nämlich dem Gesetzgeber zu Unrecht, dass die genannte Gegenstandlosigkeit nach § 10 Abs. 3 NAG nicht nur Daueraufenthaltskarten, sondern auch Aufenthaltskarten betrifft.

Grundsätzlich gilt gemäß Art. 7 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG - deren Umsetzung die Bestimmungen der §§ 51 ff NAG dienen - das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist es nicht von Bedeutung, wann und wie der Familienangehörige selbst in den Aufnahmemitgliedstaat einreist (vgl. das Urteil vom , Rechtssache C-127/08 "Metock u.a."). Weder das Unionsrecht noch das österreichische Recht sehen eine Einschränkung etwa in der Art vor, dass der Familienangehörige innerhalb einer bestimmten Zeit sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht auch tatsächlich ausüben muss. Schon von daher kann es einem Fremden nicht verwehrt werden, auf seine unionsrechtliche Freizügigkeit vorübergehend zu verzichten, den Aufnahmemitgliedstaat zu verlassen und in der Folge dieses Unionsrecht wieder in Anspruch zu nehmen. Einzig das Recht auf Daueraufenthalt nach den Art. 18 ff der genannten Richtlinie bzw. § 54a NAG fordert einen rechtmäßigen fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat. Dieses Daueraufenthaltsrecht kann durch ein längeres Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats untergehen, weshalb im Sinn des § 10 Abs. 3 NAG die diesbezügliche Dokumentation gegenstandslos wird. Keinesfalls kann dies auf das grundsätzliche Unionsrecht auf Aufenthalt übertragen werden. Dadurch, dass die belangte Behörde diese Gegenstandslosigkeit auch auf das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers an sich bezogen hat, hat sie die Rechtslage verkannt.

Sollte die belangte Behörde der Ansicht sein, dass die begehrte Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts einen durchgehenden Inlandsaufenthalt von der Antragstellung bis zur Ausstellung der Dokumentation voraussetzt, ist ihr zu entgegnen, dass eine solche Voraussetzung weder im Unionsrecht noch im nationalen Recht aufgestellt ist.

Letztlich ist auf das hg. Erkenntnis vom , 2009/21/0378, zu verweisen, in dem dargelegt wurde, dass die Niederlassungsbehörde, sollte sie der Ansicht sein, dass die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts nachträglich weggefallen sind, nach § 55 NAG vorzugehen hat und nicht zur Antragsabweisung berechtigt ist. Daran ändert auch nichts, dass sich der Beschwerdeführer im Ausland aufhält, weil mit der im Weg des § 55 NAG herbeigeführten Entscheidung insbesondere auch über den von ihm gestellten Antrag entschieden wird (vgl. das zur Ausweisung nach § 54 FPG ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0389, mit Hinweis auf Rechtsprechung zum Fremdengesetz 1997.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am