VwGH 09.03.2018, Ra 2018/06/0021
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | MRK Art6 Abs1 VwGVG 2014 §24 VwGVG 2014 §24 Abs1 VwGVG 2014 §24 Abs4 12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 |
RS 1 | Nachbarrechte im Baubewilligungsverfahren stehen in so engem Zusammenhang mit Auswirkungen des Bauvorhabens auf das Nachbargrundstück und dessen Wert bzw. auf den ungestörten Genuss des Eigentums am Nachbargrundstück, dass sie als "civil rights" anzusehen sind (Hinweis E vom , Ro 2015/05/0004, mwH auf die Judikatur des EGMR). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2015/05/0051 E RS 5 |
Normen | |
RS 2 | Zweck einer Verhandlung vor dem VwG ist grundsätzlich nicht nur die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör zu diesem, sondern auch das Rechtsgespräch und die Erörterung der Rechtsfragen (vgl. , mwN). Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Rechtslage während des Verfahrens in einem entscheidungswesentlichen Punkt ändert, sich daraus eine Rechtsfrage ergibt, die im bisherigen Verfahren noch nicht erörtert wurde und zu der die Revisionswerberin noch keine Gelegenheit zu einer Äußerung hatte. |
Normen | BauG Stmk 1995 §26 Abs1 Z1 ROG Stmk 2010 §26 Abs1 |
RS 3 | Nach der Rechtsprechung des VfGH (vgl. , und , E 1328/2016) kann eine Baubehörde in einem Fall, in dem eine für eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines beantragten Bauvorhabens notwendige Verordnung fehlt, im Verfahren über ein Rechtsmittel eines Nachbarn, der sich gegen die Erteilung der Baubewilligung wendet, nicht zum Ergebnis kommen, dass das Rechtsmittel abzuweisen sei. Der VfGH sah es in beiden Fällen (in der Entscheidung vom im Besonderen hinsichtlich § 26 Abs. 1 Z 1 Stmk BauG 1995, der auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist) als entscheidend an, dass das Fehlen der betreffenden Verordnungen Auswirkungen auf die subjektiven Rechte des (jeweils) beschwerdeführenden Nachbarn haben kann. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der C (geboren 1935), der gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , LVwG 50.24-202/2016-22, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: Mag. K; weitere Partei:
Steiermärkische Landesregierung), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 30 Abs. 3 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.
Begründung
1 Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat bis zur Vorlage der Revision das Verwaltungsgericht, ab Vorlage der Revision der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Die Unverhältnismäßigkeit des Nachteils ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes schon im Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konkret auszuführen. Erst die ausreichende und zudem glaubhaft dargetane Konkretisierung ermöglicht die vom Gesetz gebotene Interessenabwägung.
2 Nach § 30 Abs. 3 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ab Vorlage der Revision Beschlüsse gemäß Abs. 2 von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei aufheben oder abändern, wenn er die Voraussetzungen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung anders beurteilt oder wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Revision maßgebend waren, wesentlich geändert haben.
3 Im Fall eines Antrages nach § 30 Abs. 3 VwGG ist - wenn eine wesentliche Änderung der für die Entscheidung über den Antrag auf aufschiebende Wirkung maßgeblichen Voraussetzungen nicht behauptet wird - grundsätzlich nur die Begründung des ursprünglichen Antrages maßgeblich. Das Verfahren nach § 30 Abs. 3 VwGG dient nicht dazu, dem Antragsteller eine "Nachbegründung" seines Antrages zu erlauben; vielmehr soll es einerseits eine Überprüfung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf Basis der diesem bereits vorliegenden Entscheidungsgrundlagen und andererseits die Berücksichtigung von wesentlichen Änderungen, die auch die Stellung eines neuen Antrages rechtfertigen würden, ermöglichen (vgl. etwa den Beschluss vom , Ra 2015/15/0049, m.w.N.).
4 Im vorliegenden Fall enthielt schon die Revision einen Antrag, ihr die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass "angesichts der aufgezeigten schweren Rechtsfehler der revisionsgegenständlichen Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts" die Gefahr bestehe, dass im Fall einer Beschwerde durch die Mitbeteiligte der auf dem nicht als Bauland gewidmeten Grundstück errichteten Wohnhauses für den Betrieb der Revisionswerberin belastende und nachteilige Auflagen vorgeschrieben würden und sie sich auch mit zivilrechtlichen Klagen wehren müsse, zumal die Mitbeteiligte über eine rechtskräftige Baubewilligung verfüge. Zwingende öffentliche Interessen stünden der Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.
5 Das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) gab dem Antrag mit Beschluss vom nicht statt und begründete dies im Wesentlichen damit, dass es sich bei seiner Entscheidung auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes () und des Verwaltungsgerichtshofes () gestützt habe. Durch die Aufhebung der Flächenwidmung für das Baugrundstück durch den Verfassungsgerichtshof seien der Immissionsschutz und damit auch die Voraussetzung für die Geltendmachung eines Nachbarrechts entfallen. Darüber hinaus habe das Ermittlungsverfahren des Gemeinderates der Gemeinde Proleb ergeben, dass mit keinen relevanten Immissionen aus dem landwirtschaftlichen Betrieb der Revisionswerberin auf das Wohnbauprojekt zu rechnen sei.
6 Dem nunmehr an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Antrag auf Abänderung dieser Entscheidung gemäß § 30 Abs. 3 VwGG ist keine wesentliche Änderung der Voraussetzungen zu entnehmen. Angesichts dessen, dass es im Provisorialverfahren betreffend die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht um die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erkenntnisses, sondern einzig und allein um die Auswirkungen eines (möglichen) sofortigen Vollzuges dieses Erkenntnisses geht (vgl. etwa , mwN), eine allfällige Vorschreibung von Auflagen betreffend den landwirtschaftlichen Betrieb der Revisionswerberin jedoch keine unmittelbare Folge des Vollzugs des angefochtenen Erkenntnisses ist, kann die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das LVwG im Ergebnis nicht als rechtswidrig erkannt werden.
7 Dem Antrag war daher nicht stattzugeben.
Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungsdatum:
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Dr. Bayjones, Mag.a Merl und Mag. Rehak sowie den Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revisionen der C P in P, bei Einbringung der Revisionen vertreten durch Dr. Gerhard Lebitsch, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Rudolfskai 48, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Steiermark jeweils vom , LVwG 50.24-202/2016-22 und LVwG 50.24-203/2016-23, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei zu Ra 2018/06/0021: Mag. K K in G; mitbeteiligte Parteien zu Ra 2018/06/0022: 1. G G in P, 2. M M in E; belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht jeweils: Gemeinderat der Gemeinde Proleb, vertreten durch die Neger/Ulm Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Parkstraße 1; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Die Gemeinde Proleb hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 2.692,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Mitbeteiligten beantragten - ebenso wie zwei weitere Bauwerber auf benachbarten Grundstücken, die Mitbeteiligte in den Verfahren über weitere Revisionen der Revisionswerberin gegen Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Steiermark (LVwG), die zu Ra 2018/06/0016 und 0017 protokolliert wurden, sind - die Erteilung einer Baubewilligung für jeweils ein Einfamilienwohnhaus mit einer überdachten Abstellfläche für einen PKW auf den Grundstücken Nr. X/5 (Ra 2018/06/0021) und Nr. Y (Ra 2018/06/0022), beide KG K.
2 Die Revisionswerberin betreibt eine Landwirtschaft auf dem östlich unmittelbar an das Baugrundstück Nr. X/5 angrenzenden Grundstück Nr. Z und dem westlich in einer Entfernung von etwa 35 m zum Baugrundstück Nr. X/5 bzw. 5 m zum Baugrundstück Nr. Y gelegenen Grundstück Nr. B. Die beiden verfahrensgegenständlichen sowie die beiden anderen geplanten Wohnhäuser liegen zwischen den von der Revisionswerberin landwirtschaftlich bewirtschafteten Flächen. Die Revisionswerberin wandte sich unter dem Gesichtspunkt der heranrückenden Wohnbebauung gemäß § 26 Abs. 4 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk BauG) gegen die Bauvorhaben.
3 Nach mehreren Entscheidungen der Baubehörden, des LVwG, des Verwaltungs- und des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) leitete der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen (neuerlich) ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit von drei Verordnungen des Gemeinderates der Gemeinde Proleb (im Folgenden: Behörde) auf dem Gebiet der örtlichen Raumordnung ein und hob mit Beschluss vom , V 29-40/2017, die mit Verordnung vom beschlossene Anpassung an den Rechtsbestand des Örtlichen Entwicklungskonzeptes Nr. 3.00 sowie die Flächenwidmungsplan-Änderung, Verfahrensfall Nr. 3.06, zur Gänze und die mit Verordnung vom beschlossene Flächenwidmungsplan-Änderung, Verfahrensfall Nr. 3.06 „K Au“, soweit sie die Grundstücke Nr. Y, A, X/5 und X/6 betrifft, und die mit Verordnung gemäß § 23 Abs. 3 Steiermärkisches Raumordnungsgesetz 1974 (Stmk ROG) vom beschlossene Teilaufhebung des Aufschließungsgebietes für Reines Wohnen gemäß § 23 Abs. 3 iVm Abs. 5 lit. a und § 26c Stmk ROG 1974 mit näheren Festlegungen betreffend die Bebauungsdichte unter anderem für die Grundstücke Nr. Y, A, X/5 und 138/6 zur Gänze als gesetzeswidrig auf. Mit Erkenntnis vom selben Tag, E 820-823/2016, hob der VfGH auch die vom LVwG auf Basis der als gesetzwidrig aufgehobenen Verordnungen erteilten Baubewilligungen auf.
4 Mit den nunmehr angefochtenen Erkenntnissen wies das LVwG mit inhaltlich gleichlautenden Entscheidungen die Beschwerden der Revisionswerberin neuerlich ab und erklärte eine ordentliche Revision jeweils für unzulässig.
Begründend führte das LVwG im Wesentlichen aus, der VfGH habe die Verordnungen betreffend den Flächenwidmungs- und Bebauungsplan für die Baugrundstücke aufgehoben; frühere raumordnungsrechtliche Festlegungen lebten nicht wieder auf (Hinweis auf ) und die Gemeinde Proleb habe auf Anfrage mitgeteilt, dass sie nach der höchstgerichtlichen Aufhebung der raumordnungsrechtlichen Verordnungen hinsichtlich der gegenständlichen Baugrundstücke keine weiteren raumordnungsrechtlichen Verordnungen erlassen und kein Bauverbot verfügt habe. Da somit für die Baugrundstücke keine Widmung vorliege, die einen Immissionsschutz gewähre (§ 26 Abs. 4 iVm Abs. 1 Z 1 Stmk BauG), komme der Revisionswerberin kein Mitspracherecht zu; aus dem Nichtvorliegen einer Flächenwidmung könne ein Immissionsschutz unzweifelhaft nicht abgeleitet werden. Im Übrigen sei auch das LVwG an seine in Rechtskraft erwachsenen Beschlüsse jeweils vom [gemeint wohl: ] gebunden, mit denen die Berufungsbescheide des Gemeinderates der Gemeinde Proleb (im Folgenden: Behörde) vom behoben und die Angelegenheit an die Behörde zurückverwiesen worden seien. Darin sei der Behörde aufgetragen worden, im fortgesetzten Verfahren jedenfalls ein schalltechnisches sowie ein immissionstechnisches Gutachten einzuholen. „Die in dieser verwaltungsgerichtlichen Entscheidung dargelegte Rechtsansicht bindet nicht nur die Behörde im dritten Rechtsgang, sondern als Ausfluss der materiellen Rechtskraft auch das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Beschwerdeverfahren.“ Die Behörde habe nach einem umfangreichen Ermittlungsverfahren festgestellt, dass aus dem landwirtschaftlichen Betrieb der Revisionswerberin mit keinen relevanten Lärm- und Geruchsimmissionen zu rechnen sei. Diesem Verfahrensergebnis trete die Revisionswerberin in der Beschwerde nicht entgegen.
5 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die außerordentlichen Revisionen wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
6 Die Behörde beantragte jeweils die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revisionen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Die Revisionen erweisen sich angesichts der Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung zum Abweichen des LVwG von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung als zulässig.
8 § 24 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:
„Verhandlung
§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. ...
(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. ...
(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom S. 389 entgegenstehen. ...“
9 Das LVwG begründete das Absehen von der Durchführung einer Verhandlung in beiden Verfahren wortident damit, dass bereits aufgrund der Aktenlage ersichtlich gewesen sei, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtslage nicht erwarten lasse und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstünden, weil von der Revisionswerberin keine Rechtsfragen aufgeworfen worden seien, deren Erörterung in einer Verhandlung erforderlich wäre (Hinweis auf ), und der seitens der Berufungsbehörde treffend festgestellte Sachverhalt von Seiten der Revisionswerberin gegenständlich in der Beschwerde auch nicht bestritten worden sei. „Fallbezogen ist aufgrund des Vorbringens der Beschwerdeführerin davon auszugehen, dass letzteres von vornherein nicht geeignet ist, einen rechtlichen Anspruch der Nachbarn auf Abweisung des das Beschwerdeverfahren einleitenden Bauansuchens im Rahmen des baurechtlichen, der Nachbarin eingeräumten, Mitspracherechtes zu begründen.“
10 § 26 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk BauG), LGBl. Nr. 59/1995, idF LGBl. Nr. 61/2017, lautet auszugsweise:
„§ 26
Nachbarrechte
(1) Der Nachbar kann gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv-öffentlichrechtliche Einwendungen). Das sind Bestimmungen über
1. die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan und einem Bebauungsplan, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist
2. ...
(4) Bei Neu- oder Zubauten sowie Nutzungsänderungen, die dem Wohnen dienen, sind auch Einwendungen im Sinn des § 26 Abs. 1 Z 1 zu berücksichtigen, mit denen Immissionen geltend gemacht werden, die von einer/einem genehmigten benachbarten:
1. ...
3. land- oder forstwirtschaftlichen Betriebsanlage ausgehen und auf das geplante Bauvorhaben einwirken (heranrückende Wohnbebauung). Dies gilt jedoch nur in Bezug auf rechtmäßige Emissionen, deren Zulässigkeit vom Nachbarn zu belegen ist.“
11 Nachbarrechte im Baubewilligungsverfahren stehen in so engem Zusammenhang mit Auswirkungen des Bauvorhabens auf das Nachbargrundstück und dessen Wert bzw. auf den ungestörten Genuss des Eigentums am Nachbargrundstück, dass sie als „civil rights“ im Sinn des Art. 6 EMRK anzusehen sind (vgl. etwa , mwH auf die Judikatur des EGMR).
12 In Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG hielt der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt fest, dass der Gesetzgeber als Zweck einer mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus auch die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen hatte (vgl. zum Ganzen etwa , mwN). Zweck einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist grundsätzlich nicht nur die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör zu diesem, sondern - entgegen der in der Revisionsbeantwortung der Behörde vertretenen Rechtsansicht - auch das Rechtsgespräch und die Erörterung der Rechtsfragen (vgl. , mwN).
13 Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Rechtslage während des Verfahrens in einem entscheidungswesentlichen Punkt ändert, sich daraus eine Rechtsfrage ergibt, die im bisherigen Verfahren noch nicht erörtert wurde und zu der die Revisionswerberin noch keine Gelegenheit zu einer Äußerung hatte.
14 Fallbezogen hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom die die verfahrensgegenständlichen Baugrundstücke betreffenden raumordnungsrechtlichen Verordnungen als gesetzwidrig auf. Dadurch entfiel die Widmung „Bauland - Reines Wohngebiet“ gemäß § 23 Abs. 5 lit. a Stmk ROG; eine neue Flächenwidmung legte die Gemeinde Proleb - den unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis zufolge - nicht fest. Für die Baugrundstücke bestanden somit - entgegen der in § 26 Abs. 1 Stmk ROG festgelegten Verpflichtung, das gesamte Gemeindegebiet in einem Flächenwidmungsplan räumlich zu gliedern und die Nutzungsart für alle Flächen entsprechend den räumlich funktionalen Erfordernissen festzulegen - zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses keine Festlegungen in einem Flächenwidmungsplan. Die vor dem LVwG angefochtenen Bescheide der Behörde jeweils vom stützten sich hingegen noch auf die die Baugrundstücke betreffende Widmung „Reines Wohngebiet gem. § 23 (5) lit. a) Stmk ROG 1974 idgF mit einem gebietstypischen Bebauungsdichterahmen von 0,2-0,4“.
15 Diese Änderung der Rechtslage ist von erheblicher Bedeutung für die Rechtstellung der Revisionswerberin, zumal das LVwG aus dem Entfall der Widmungsfestlegung folgerte, dass kein Immissionsschutz gegeben sei und die Revisionswerberin somit keine Nachbarrechte geltend machen könne.
16 Vor diesem Hintergrund wären die - in den Beschwerden jeweils vom auch beantragten - mündlichen Verhandlungen vor dem LVwG durchzuführen gewesen.
17 Ist eine Verhandlung - wie in den vorliegenden Fällen - gemäß Art. 6 EMRK geboten, ist eine Prüfung der Relevanz des Verfahrensmangels der Unterlassung einer solchen Verhandlung nicht durchzuführen (vgl. auch dazu , mwN).
18 Die angefochtenen Erkenntnisse waren somit schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
19 Für das Folgeverfahren wird auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. , und , E 1328/2016) hingewiesen, wonach eine Baubehörde in einem Fall, in dem eine für eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines beantragten Bauvorhabens notwendige Verordnung fehlt, im Verfahren über ein Rechtsmittel eines Nachbarn, der sich gegen die Erteilung der Baubewilligung wendet, nicht zum Ergebnis kommen kann, dass das Rechtsmittel abzuweisen sei. Der Verfassungsgerichtshof sah es in beiden Fällen (in der Entscheidung vom im Besonderen hinsichtlich § 26 Abs. 1 Z 1 Stmk BauG, der auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist) als entscheidend an, dass das Fehlen der betreffenden Verordnungen Auswirkungen auf die subjektiven Rechte des (jeweils) beschwerdeführenden Nachbarn haben kann.
20 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II NR. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am
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Normen | VwGG §30 Abs2; VwGG §30 Abs3; |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018060021.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
KAAAE-77041