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VwGH vom 03.10.2013, 2012/22/0003

VwGH vom 03.10.2013, 2012/22/0003

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2012/22/0004

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerden 1. der E und 2. der S, beide vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres je vom ,

1.) Zl. 320.795/18-III/4/11 und 2.) Zl. 320.795/19-III/4/11, jeweils betreffend Nichtigerklärung eines Aufenthaltstitels, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Bei den Beschwerdeführerinnen handelt es sich um Schwestern. Sie stammen aus dem Kosovo.

Den Beschwerdeführerinnen wurde über ihren Antrag von der Bezirkshauptmannschaft S jeweils ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" ausgestellt. Beide Aufenthaltstitel wiesen eine Gültigkeit von bis auf. Die Bezirkshauptmannschaft S ging bei ihrer Entscheidung über die Anträge davon aus, dass die Erteilung der Aufenthaltstitel jeweils im Grunde des Art. 8 EMRK geboten gewesen sei.

Mit den angefochtenen Bescheiden erklärte die Bundesministerin für Inneres (die belangte Behörde) die Erteilung dieser Aufenthaltstitel gemäß § 68 Abs. 4 Z 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) iVm § 3 Abs. 5 Z 2 und § 44b Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) für nichtig.

Begründend führte die belangte Behörde - auf das hier Wesentliche zusammengefasst und in beiden Bescheiden gleichlautend - aus, die Beschwerdeführerinnen seien am gemeinsam mit ihren Eltern in das Bundesgebiet eingereist. Am selben Tag hätten sie Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Den Asylbegehren sei letztlich vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom keine Folge gegeben worden. Auch seien die Beschwerdeführerinnen aus dem Bundesgebiet in die Republik Kosovo ausgewiesen worden. Diese Entscheidungen seien seit dem rechtskräftig. Der Verfassungsgerichtshof habe die Behandlung der diesbezüglich an ihn erhobenen Beschwerden mit Beschluss vom abgelehnt.

Am hätten die Beschwerdeführerinnen bei der Bezirkshauptmannschaft S Anträge auf Erteilung jeweils einer "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" gemäß § 43 Abs. 2 NAG gestellt. Die daraufhin eingeleiteten Verfahren seien ab Inkrafttreten des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 (FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38) als Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 NAG weitergeführt worden.

Den Beschwerdeführerinnen sei auf Grund ihrer Anträge jeweils ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" mit Gültigkeit vom bis erteilt worden. Die Bezirkshauptmannschaft S sei dabei den Antragsbegründungen, wonach die Aufenthaltstitel wegen eines aus Art. 8 EMRK resultierenden Anspruches zu erteilen wären, gefolgt.

Im Weiteren wird in den angefochtenen Bescheiden die jeweilige Antragsbegründung der Beschwerdeführerinnen wiedergegeben. Daraus ergibt sich zusammengefasst das Vorbringen, dass sich die Beschwerdeführerinnen seit ihrem ersten bzw. vierten Lebensjahr - mit bloß kurzzeitiger Unterbrechung - im deutschen Sprachraum aufgehalten hätten, in diesem Sprachraum "sozialisiert und kultiviert" wären, in B in einem Hotel eine Anstellung gefunden hätten, für die auch Beschäftigungsbewilligungen vorlägen, über beste Deutschkenntnisse verfügen würden und unbescholten wären sowie dass sich ihre Integration in Österreich in "einem jahrelangen Prozess entwickelt" hätte.

Allerdings habe - so die belangte Behörde in ihrer Begründung zur Nichtigerklärung der Aufenthaltstitel weiter - der Asylgerichtshof in seinen Entscheidungen vom ausgesprochen, dass die Beschwerdeführerinnen aus dem Bundesgebiet in die Republik Kosovo ausgewiesen werden. Dabei habe er "unter anderem" bereits den langjährigen Aufenthalt der Beschwerdeführerinnen im deutschsprachigen Raum, ihre Deutschkenntnisse, die damals bestehende Beschäftigung, die Situation "als 'Roma - Minderheit'" im Heimatland und den Umstand, dass die Beschwerdeführerinnen gemeinsam mit ihren Eltern im Jahr 2006 in Österreich eingereist seien, gewürdigt. Der Asylgerichtshof sei bei der Prüfung nach Art. 8 EMRK zum Ergebnis gekommen, dass die Ausweisung der Beschwerdeführerinnen in die Republik Kosovo zulässig sei. Diese Entscheidungen seien am in Rechtskraft erwachsen.

Im Verfahren vor der Niederlassungsbehörde erster Instanz habe die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg in ihrer Stellungnahme vom ausgeführt, dass ihrer Ansicht nach keine maßgebliche Änderung des Sachverhalts im Hinblick auf Art. 8 EMRK vorliegen würde.

Nach Einräumung von Parteiengehör und einer ergänzenden Stellungnahme der Beschwerdeführerinnen sei die Bezirkshauptmannschaft S letztlich aber dennoch davon ausgegangen, es läge in beiden Fällen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt vor, und habe den Beschwerdeführerinnen den von ihnen beantragten Aufenthaltstitel erteilt.

Die belangte Behörde habe die gegenständlichen Fälle im Rahmen der Ausübung ihres Aufsichtsrechts überprüft und gelange zum Ergebnis, es liege in den gegenständlichen Fällen keine seit Rechtskraft der Ausweisungsentscheidungen maßgebliche Änderung des Sachverhalts im Sinn des § 44b Abs. 1 NAG vor. Den von den Beschwerdeführerinnen im Rahmen des Niederlassungsverfahrens geltend gemachten Umständen könne keine solche Bedeutung beigemessen werden, die eine derartige Annahme gerechtfertigt hätte. Dies sei aber Voraussetzung dafür, dass die Notwendigkeit einer Neubewertung im Hinblick auf Art. 8 EMRK bestanden hätte. Das Vorliegen eines maßgeblich geänderten Sachverhalts im Sinn des § 44b Abs. 1 NAG stelle eine besondere Erteilungsvoraussetzung des zweiten Teiles des NAG dar. Aus diesem Grund sei es auch zulässig, die Erteilung der Aufenthaltstitel nach § 3 Abs. 5 Z 2 NAG als nichtig zu erklären.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden, die auf Grund ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden wurden, nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass das NAG im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide (jeweils ) in der Fassung des BGBl. I Nr. 112/2011 in Geltung stand.

Gemäß § 3 Abs. 5 Z 2 NAG kann der Bundesminister für Inneres die Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 8 NAG) und die Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthalts und Niederlassungsrechts (§ 9 NAG) in Ausübung seines Aufsichtsrechtes nach § 68 Abs. 4 Z 4 AVG mit Bescheid als nichtig erklären, wenn die Erteilung oder Ausstellung trotz Fehlens einer besonderen Voraussetzung des zweiten Teiles erfolgte. In diesem Fall ist gemäß § 3 Abs. 5 letzter Satz NAG die Nichtigerklärung nur binnen drei Jahren nach Erteilung oder Ausstellung zulässig.

§ 41a Abs. 9 NAG sieht - sowohl in der im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide als auch im Zeitpunkt der Erteilung der Aufenthaltstitel geltenden Fassung (nach dem FrÄG 2011) gleichlautend - vor, dass im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen (§ 44a NAG) oder auf begründeten Antrag (§ 44b NAG) der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" zu erteilen ist, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, Z 2 oder Z 4 vorliegt (Z 1), dies gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 2) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung (§ 14a NAG) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine Erwerbstätigkeit ausübt (Z 3).

Gemäß § 44b Abs. 1 NAG sind, wenn kein Fall des § 44a Abs. 1 NAG vorliegt, Anträge gemäß § 41a Abs. 9 oder § 43 Abs. 3 NAG als unzulässig zurückzuweisen, wenn u.a. gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde (Z 1) und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

Schon aus dem Wortlaut des § 41a Abs. 9 und des § 44b Abs. 1 NAG, wonach der letztgenannten Bestimmung zufolge in den dort genannten Fällen ua. nach § 41a Abs. 9 NAG gestellte Anträge als unzulässig zurückzuweisen sind, geht zweifelsfrei hervor, dass der Gesetzgeber mit der Bestimmung des § 44b Abs. 1 NAG keine Erteilungsvoraussetzung, sondern eine Prozessvoraussetzung festgelegt hat. Auch ist der Verwaltungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung vor dem Hintergrund der in § 44b Abs. 1 NAG enthaltenen Voraussetzungen für die Antragszurückweisung davon ausgegangen, dass der in Rede stehende Zurückweisungsgrund jenem wegen entschiedener Sache (§ 68 Abs. 1 AVG) nachgebildet ist (vgl. statt vieler etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2011/22/0127, und vom , Zl. 2012/22/0119, mwN).

Somit kann - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - nicht davon ausgegangen werden, es handle sich beim von ihr für die Nichtigerklärungen hier herangezogenen Tatbestand um eine für die Erteilung des Aufenthaltstitels im zweiten Teil des NAG enthaltene besondere Erteilungsvoraussetzung im Sinn des § 3 Abs. 5 Z 2 NAG. Schon aus diesem Grund leiden die angefochtenen Bescheide an inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Sollte die belangte Behörde zudem die Ansicht vertreten, in den vorliegenden Fällen sei jeweils die Voraussetzung nach § 41a Abs. 9 Z 2 NAG nicht gegeben, ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass eine derartige Annahme erfordert hätte, sich mit der diesbezüglichen Voraussetzung unter Bedachtnahme auf die in § 11 Abs. 3 NAG enthaltenen Kriterien im Einzelnen auseinanderzusetzen. Eine derartige Begründung enthält der angefochtene Bescheid allerdings nicht, sondern verweist lediglich auf das nach Meinung der belangten Behörde bestehende Hindernis nach § 44b Abs. 1 NAG. Dass die belangte Behörde eine Auseinandersetzung mit den in § 11 Abs. 3 NAG genannten Kriterien als entbehrlich erachtete, geht aber schließlich auch zweifelsfrei aus den Ausführungen in ihrer Gegenschrift hervor. Darin bekräftigt sie nämlich ihre - nach dem oben Gesagten rechtlich verfehlte - Auffassung, bei der in § 44b Abs. 1 NAG enthaltenen Vorschrift handle es sich "de facto um keine verfahrensrechtliche Bestimmung, sondern um eine besondere Erteilungsvoraussetzung".

Sohin waren die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am

Fundstelle(n):
VAAAE-76985