VwGH vom 11.06.2013, 2012/21/0255
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2012/21/0256
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerden 1.) der MA und 2.) der NS, beide in Kairo und vertreten durch die Marschall Heinz Rechtsanwalts-Partnerschaft, 1010 Wien, Goldschmiedgasse 8, gegen die Bescheide der Österreichischen Botschaft Beirut je vom , betreffend Verweigerung eines Visums, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von je EUR 1.326,40 (insgesamt somit EUR 2.652,80) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die 1993 geborene Erstbeschwerdeführerin ist die Tochter der 1951 geborenen Zweitbeschwerdeführerin. Beide sind syrische Staatsangehörige und beantragten bei der Österreichischen Botschaft Beirut am die Erteilung eines für 30 Tage gültigen "Schengen-Visums". Als Zweck wurde im englischsprachigen Formular "Visiting Family or Friends" angekreuzt, als einladende Person wurde jeweils Dr. S. mit einer Adresse in 1230 Wien angegeben.
Dr. S. ist der Onkel der Erstbeschwerdeführerin und der Bruder der Zweitbeschwerdeführerin. Er ist österreichischer Staatsbürger und gab für die beiden Beschwerdeführerinnen bei der Bundespolizeidirektion Wien jeweils eine elektronische Verpflichtungserklärung ab. In diesen Erklärungen ist festgehalten, dass Dr. S. selbstständiger Geschäftsmann in Syrien, Libyen und Ägypten sei, ein Nettoeinkommen von EUR 150.000,-- erziele und über keinen Hauptwohnsitz in Österreich verfüge. Überdies ist unter der Rubrik "Details zur Verpflichtungserklärung" als Reisegrund jeweils einerseits "Kultur" und andererseits "Familie" angekreuzt. Die dabei jeweils weiter angegebene "Unterkunftsanschrift" ist jene, die in den Antragsformularen als Adresse des Dr. S. (in 1230 Wien) bekannt gegeben wurde. Dabei handle es sich - so ist eine weitere Eintragung zu deuten - um eine im Eigentum des Dr. S. stehende Wohnung.
Aus Anlass ihrer Antragstellungen legten die Beschwerdeführerinnen u.a. Flugreservierungen für die Route Beirut - Istanbul - Wien - Istanbul - Beirut vor, die Zweitbeschwerdeführerin außerdem einen Eigentumsnachweis über eine Wohnung in Damaskus.
Nach Konsultation des Bundesministeriums für Inneres erging an die Beschwerdeführerinnen jeweils eine mit datierte formularmäßige Mitteilung, wonach seitens der Österreichischen Botschaft Beirut keine weiteren Dokumente mehr benötigt würden. Eine Prüfung habe aber ergeben, dass den Anträgen gemäß den Bestimmungen des Visakodex (Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom ) "bzw. des österreichischen Fremdenpolizeigesetzes" nicht stattgegeben werden könne. Zur Begründung wurden nur folgende Textbausteine angekreuzt:
"Sie haben nicht den Nachweis erbracht, dass Sie über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts oder für die Rückkehr in Ihren Herkunfts- oder Wohnsitzstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat verfügen, in dem Ihre Zulassung gewährleistet ist, oder Sie sind nicht in der Lage, diese Mittel rechtmäßig zu erlangen.
…
Ihre Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen, konnte nicht festgestellt werden."
Formularmäßig zu beiden Textbausteinen jeweils vorgesehene alternative Zusatzbegründungen blieben ausgespart. Es wurde den Beschwerdeführerinnen aber "vor einer endgültigen Entscheidung" über ihre Anträge die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb von sieben Kalendertagen eine abschließende Stellungnahme einzubringen.
Hierauf reagierte der Einlader der beiden Beschwerdeführerinnen zunächst mit E-Mail vom und dann mit einem weiteren E-Mail vom . Darin wurde im Ergebnis den Einwänden der Österreichischen Botschaft Beirut widersprochen und insbesondere auf die abgegebenen Verpflichtungserklärungen verwiesen.
Mit den beiden angefochtenen Bescheiden jeweils vom wies die Österreichische Botschaft Beirut (die belangte Behörde) ungeachtet dieser Stellungnahmen die Visumsanträge der beiden Beschwerdeführerinnen ab. Sie bediente sich dabei des im Visakodex vorgesehenen Formblattes, in dem einerseits Punkt 3. ("Sie haben nicht den Nachweis erbracht, dass Sie über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts oder für die Rückkehr in Ihren Herkunfts- oder Wohnsitzstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat verfügen, in dem Ihre Zulassung gewährleistet ist, oder Sie sind nicht in der Lage, diese Mittel rechtmäßig zu erlangen.") und andererseits Punkt 9. ("Ihre Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen, konnte nicht festgestellt werden.") angekreuzt waren.
Über die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden, die wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden wurden, hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung weitgehend inhaltsgleicher Gegenschriften durch die belangte Behörde erwogen:
Die angefochtenen Bescheide stützen sich erkennbar zum einen auf den Verweigerungsgrund des Art. 32 Abs. 1 lit. a sublit. iii Visakodex, wonach ein Visum - verkürzt formuliert - zu verweigern ist, wenn der Antragsteller nicht den Nachweis erbringt, dass er über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes sowohl für die Dauer des geplanten Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunfts- oder Wohnsitzstaat verfügt, und zum anderen auf jenen des Art. 32 Abs. 1 lit. b Visakodex, wonach ein Visum (insbesondere) dann zu verweigern ist, wenn begründete Zweifel an der vom Antragsteller bekundeten Absicht bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen.
In ihren Gegenschriften hat die belangte Behörde zu diesen Verweigerungsgründen ausgeführt, es sei kein Nachweis über ausreichende finanzielle Mittel erstattet worden. Die Tragfähigkeit der von Dr. S. in Österreich abgegebenen elektronischen Verpflichtungserklärungen sei (nämlich) mangels Hauptwohnsitzes in Österreich "als nicht gegeben angesehen" worden; was aber die Eigentumswohnung der Zweitbeschwerdeführerin anlange, so sei ein Eigentumsnachweis einer Immobilie in Syrien mangels Überprüfbarkeit und Wertfeststellbarkeit auf Grund des herrschenden Bürgerkriegs "nicht als solcher angesehen" worden. Bezugnehmend auf den Nachweis der gesicherten Wiederausreise führte die belangte Behörde aus, dass die vorgelegten Flugreservierungen nicht aussagekräftig seien; die Beschwerdeführerinnen seien nämlich bereits kurz nach Antragstellung nach Kairo verzogen, wo sie sich noch aufhielten. Eine Ausreise in den Libanon sei somit nicht glaubwürdig, eine beabsichtigte Rückreise nach Syrien sei auf Grund des dort herrschenden Bürgerkriegs auszuschließen.
Zu diesen Überlegungen ist zunächst anzumerken, dass sie erstmals in den behördlichen Gegenschriften formuliert wurden. Zwar hat die belangte Behörde den Beschwerdeführerinnen formal Parteiengehör gewährt, konkretisierte Vorhalte im Sinn des nunmehr in den Gegenschriften erstatteten Vorbringens unterblieben jedoch. Das stellt einen Verfahrensmangel dar (vgl. insbesondere die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2012/21/0100, und zuletzt vom , Zl. 2012/21/0158).
Dieser Verfahrensmangel ist relevant, weil in den Beschwerden weitere Vermögenswerte angesprochen werden und weil die Beschwerdeführerinnen - die Erstbeschwerdeführerin verweist ua. auch auf eine geplante Hochzeit in Ägypten - nach wie vor bestreiten, Österreich nicht rechtzeitig verlassen zu wollen.
Es sind die von der belangten Behörde in den Gegenschriften angestellten Erwägungen aber auch nicht stichhaltig:
Was die Frage der zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel betrifft, so bleibt nämlich ausgeblendet, dass die Beschwerdeführerinnen erkennbar in der Eigentumswohnung des Dr. S. in 1230 Wien Unterkunft nehmen können. Dass dieser in Österreich über keinen Hauptwohnsitz verfügt (in den Beschwerden wird allerdings vorgebracht, er lebe in Österreich), ist insofern ohne Bedeutung.
Bezüglich Wiederausreiseabsicht mag einem fehlenden Wohnsitz des Dr. S. in Österreich Gewicht zukommen, zumal er sich nach der Aktenlage (zumindest zeitweise) wie die beiden Beschwerdeführerinnen in Kairo befand. Damit hat die belangte Behörde in diesem Zusammenhang aber nicht argumentiert, sondern nur auf die - überholten - Flugreservierungen verwiesen; die Beschwerdeführerinnen seien nach Kairo verzogen, weshalb eine beabsichtigte Ausreise in den Libanon nicht glaubwürdig sei. Das mag ebenso zutreffen wie die Ansicht, dass eine Rückreise nach Syrien auf Grund des dort herrschenden Bürgerkriegs auszuschließen sei. Unbeachtet blieb allerdings die Möglichkeit, dass die Beschwerdeführerinnen auch nach Kairo zurückfliegen könnten (vgl. dazu insbesondere die behauptete Hochzeitsabsicht der Erstbeschwerdeführerin), wo sie sich jedenfalls zuletzt aufgehalten haben.
Nach dem Gesagten leiden die bekämpften Bescheide auch an inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Sie waren daher, weil dieser Gesichtspunkt vorrangig wahrzunehmen ist, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
UAAAE-76955