VwGH vom 17.10.2013, 2012/21/0193

VwGH vom 17.10.2013, 2012/21/0193

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (nunmehr: Landespolizeidirektion Wien) gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-01/30/1488/2012-5, betreffend Festnahme und Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres; mitbeteiligte Partei: J), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit die Festnahme des Mitbeteiligten am für rechtswidrig erklärt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Im Übrigen, nämlich insoweit, als damit der Schubhaftbescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom und die darauf gegründete Anhaltung des Mitbeteiligten bis für rechtswidrig erklärt wurden, wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein algerischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise am einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom vollinhaltlich abgewiesen. Unter einem wurde die Ausweisung des Mitbeteiligten nach Algerien verfügt. Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an den Asylgerichtshof, der das Rechtsmittelverfahren in der Folge wegen unbekannten Aufenthalts des Mitbeteiligten gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 einstellte.

Am wurde der Mitbeteiligte im Zuge einer Personenkontrolle in W gemäß § 39 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG festgenommen. Im Anschluss an seine niederschriftliche Vernehmung wurde über ihn mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) und zur Sicherung der Abschiebung (§ 46 FPG) verhängt. Die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft dauerte bis zu seiner Enthaftung am .

Mit Schriftsatz vom , der dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien am direkt per Telefax übermittelt wurde, erhob der Mitbeteiligte durch seinen bevollmächtigten Vertreter eine Beschwerde gemäß § 82 FPG, mit der er "die Anhaltung in Schubhaft durch die BPD Wien" bekämpfte und mit näherer Begründung die "Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme" behauptete. Abschließend wurde beantragt, "die Anhaltung des BF (= Mitbeteiligten) für rechtswidrig zu erklären". Als Beilage war eine vollständige Ausfertigung des Schubhaftbescheides vom angeschlossen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (der belangte UVS) dieser Administrativbeschwerde Folge und stellte fest, dass die Festnahme des Mitbeteiligten am , der Schubhaftbescheid vom selben Tag und die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft bis rechtswidrig gewesen seien.

Im angefochtenen Bescheid vertrat der belangte UVS in der rechtlichen Beurteilung die Auffassung, der Beschwerde sei Folge zu geben, ohne dass auf die dort erstatteten Ausführungen des Mitbeteiligten näher einzugehen sei. Der am um

18.30 Uhr durch Zustellung an den Mitbeteiligten erlassene, in Beschwerde gezogene Schubhaftbescheid (Blatt 354, 355 der vorgelegten Akten) enthalte nämlich außer den "verba legalia" keine Begründung und auch keine Rechtsmittelbelehrung. Der Umstand, dass der Mitbeteiligte durch eine "solchermaßen fehlende Begründung" an der "Verteidigung" seiner Rechte gehindert sei, bedeute einen wesentlichen Verfahrensmangel, der die Nichtigkeit des Schubhaftbescheides zur Folge habe. Daraus folge "weiterhin", dass die Verhaftung und die Inschubhaftnahme am "jedweder Rechtsgrundlage entbehren". In diesem Sinne führte der belangte UVS an späterer Stelle im angefochtenen Bescheid ergänzend aus, "die Ausfertigung (Akt Blatt 354, 355)" verfüge über eine Zustellbestätigung, enthalte jedoch keine Begründung. Fehle einer behördlichen Erledigung die gebotene Begründung, so sei "eine Zurechnung" nicht möglich und der betreffende Akt nichtig. Mangels der vom Gesetz verlangten Begründung der angefochtenen Erledigung durch den Genehmigenden sei davon auszugehen, dass das in der vorliegenden Verwaltungssache zur Entscheidung berufene "Einzelorgan der Erstinstanz" noch "zu keinem Entschluss gekommen" sei, sondern vielmehr bloß der Entwurf einer allenfalls beabsichtigten Erledigung - also ein "Nichtrechtsakt" - von der Erstbehörde ausgefertigt worden sei. Da derartige Mängel vom Fehlerkalkül der Verwaltungsverfahrensgesetze nicht erfasst seien, stelle der angefochtene "Schubhaftbescheid" somit "keinen dem Rechtsbestand zurechenbaren Bescheid" dar, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (nunmehr: Landespolizeidirektion Wien), über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:

In der Amtsbeschwerde wird vorgebracht, dem Mitbeteiligten sei der drei Seiten umfassende Schubhaftbescheid ausgefolgt worden. Das ergebe sich auch daraus, dass der Schubhaftbeschwerde eine Ablichtung des vollständigen Schubhaftbescheides angeschlossen gewesen sei. Ein Schubhaftbescheid werde immer dreifach ausgefertigt; so sei auch im vorliegenden Fall das "Original" für den Mitbeteiligten, eine Ausfertigung für das Polizeianhaltezentrum und eine Ausfertigung (samt Beurkundung über die erfolgte Zustellung) für den fremdenpolizeilichen Akt bestimmt gewesen. Der dem UVS übermittelte Verwaltungsakt habe auf den Seiten 354 bis 356 die Seite 1 des Schubhaftbescheides und irrtümlich zweimal die Seite 3 enthalten. Die Ausfertigung für das Polizeianhaltezentrum hingegen habe die Seite 1 und irrtümlich zweimal die Seite 2 umfasst. Dem Mitbeteiligten sei das "Original" des Schubhaftbescheides (Seite 1 bis 3) ausgefolgt worden. Dieser Bescheid enthalte sehr wohl eine Begründung, eine Rechtsmittelbelehrung und eine Genehmigung. Das habe sich - wie erwähnt - zweifelsfrei aus der an den UVS gerichteten Beschwerde ergeben. Der Umstand, dass im fremdenpolizeilichen Akt die Seite 2 offensichtlich nur aufgrund eines Versehens gefehlt habe, wäre somit für den UVS "unverkennbar" gewesen. Der UVS hätte daher diesbezüglich seiner amtswegigen Ermittlungspflicht nachkommen und die Erstbehörde zu einer Stellungnahme auffordern müssen.

Mit diesen Ausführungen ist die Amtsbeschwerdeführerin im Recht:

Der UVS hat mit der Annahme, dem Mitbeteiligten seien nur die Seiten 1 und 3 des Schubhaftbescheides - diese enthalten einerseits den Kopf samt Bezeichnung der Behörde und der Sache, den Spruch samt Übersetzung und unter der Überschrift "Begründung" die Wiedergabe des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG und des § 76 Abs. 2 Z 1 und Abs. 3 erster Satz FPG sowie andererseits die Unterschrift des Genehmigenden und die Bestätigung über die "ordnungsgemäße" Zustellung - ausgehändigt worden, einen neuen, in der Schubhaftbeschwerde nicht geltend gemachten Gesichtspunkt aufgegriffen. Das gründete sich auf den Inhalt der dem UVS vorgelegten Akten, in denen auf die Seite 1 des Schubhaftbescheides (Blatt 354) sofort die Seite 3 (Blatt 355) folgt. Dabei hätte allerdings auffallen müssen, dass die "Seite 2 von 3" fehlte, jedoch als nächstes Blatt 356 noch einmal die Seite 3 folgte. Der UVS hätte aber auch - wie die Amtsbeschwerde zu Recht geltend macht - deshalb Zweifel an seiner Annahme, dem Mitbeteiligten sei der Schubhaftbescheid ohne die Seite 2 ausgefolgt worden, haben müssen, weil ihm zusammen mit der Administrativbeschwerde eine vollständige Ausfertigung des Schubhaftbescheides, die sich offenbar im Besitz des Mitbeteiligten befunden hatte, vorgelegt wurde. Im Übrigen bezog sich der Mitbeteiligte in seiner Beschwerde auch inhaltlich auf die Begründung des Schubhaftbescheides, wie sie sich auf dessen Seite 2 findet. Auch das sprach somit dagegen, dass dem Mitbeteiligten der Schubhaftbescheid nur unvollständig - lediglich aus der ersten und der letzten Seite bestehend - übergeben worden sei.

Vor diesem Hintergrund hätte der belangte UVS somit nicht ohne Weiteres davon ausgehen dürfen, der Schubhaftbescheid sei dem Mitbeteiligten in dieser Form - somit ohne die wesentlichen Teile der Begründung und ohne Rechtsmittelbelehrung samt deren Übersetzung - zugestellt worden. Bei Durchführung entsprechender Ermittlungen hätte der belangte UVS zu einem anderen Ergebnis kommen können, sodass der Verfahrensmangel auch wesentlich ist.

Der belangte UVS hat aber auch die Rechtslage verkannt, indem er unterstellte, eine mangelhafte - nur die "verba legalia" enthaltende - Begründung eines Bescheides habe dessen absolute Nichtigkeit zur Folge. Für diese Auffassung führte der UVS auch keine Judikaturnachweise ins Treffen. Das einzige im angefochtenen Bescheid zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 96/21/0392, ist dafür jedenfalls kein Beleg, wurde doch dort ein Berufungsbescheid wegen mangelhafter Begründung aufgehoben und gerade nicht als absolut nichtig qualifiziert. Es kann auch keine Rede davon sein, dass "derartige Mängel vom Fehlerkalkül der Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht erfasst" seien (siehe dazu allgemein etwa Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger , Verwaltungsverfahrensrecht9, Rz 433 ff). Dass im gegenständlichen Fall - wie der UVS noch meint - "bloß ein Entwurf einer allenfalls beabsichtigten Erledigung" vorgelegen haben soll, ist an Hand der wiedergegebenen Aktenlage schließlich überhaupt nicht nachvollziehbar. Zur Vollständigkeit ist noch anzumerken, dass zwar der Schubhaftbescheid auch eine Rechtsmittelbelehrung und gemäß § 76 Abs. 3 dritter Satz FPG deren Übersetzung in einer dem Fremden verständlichen Sprache zu enthalten hat. Deren Fehlen bewirkt aber nicht die Unwirksamkeit der Bescheiderlassung (vgl. zu einem asylrechtlichen Fall das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/01/0191).

Nach dem Vorgesagten war der angefochtene Bescheid, soweit er die Schubhaftanordnung und die darauf gegründete Anhaltung des Mitbeteiligten für rechtswidrig erklärte, wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Bei der mit dem angefochtenen Bescheid auch vorgenommenen Rechtswidrigerklärung der Festnahme des Mitbeteiligten wurde vom belangten UVS übersehen, dass diese Maßnahme in der Administrativbeschwerde gar nicht bekämpft worden war. Der diesbezügliche Spruchteil war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des belangten UVS gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 FPG aufzuheben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0097).

Wien, am