VwGH vom 16.06.2020, Ra 2018/04/0151
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision des Mag. R K in W, vertreten durch die Preslmayr Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Universitätsring 12, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW-172/V/008/14520/2017-2, betreffend Antrag auf öffentliche Bestellung zum Steuerberater gemäß § 232 WTBG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Kammer der Wirtschaftstreuhänder), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
11. Mit Bescheid der belangten Behörde vom wies diese den Antrag des Revisionswerbers vom auf öffentliche Bestellung zum Steuerberater gemäß § 232 WTBG ab.
22. Mit dem hier angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab. Die Revision gegen diese Entscheidung erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.
3In seiner Begründung traf das Verwaltungsgericht die Feststellungen, der Revisionswerber sei polnischer und österreichischer Staatsbürger. Er verfüge seit über einen Studienabschluss an der Universität Wien in Rechtswissenschaften. Er sei unbeschränkt haftender Gesellschafter einer bestimmt bezeichneten Steuerberatungsgesellschaft ohne Vertretungsbefugnis gewesen. Seit sei der Revisionswerber berechtigt, in Polen einen Wirtschaftstreuhandberuf auszuüben und verfüge über eine aufrechte Steuerberaterbefugnis in Polen. In Österreich sei er als Bilanzbuchhalter registriert. Der Revisionswerber sei voll handlungsfähig, besondersvertrauenswürdig und verfüge über geordnete wirtschaftliche Verhältnisse.
4Es hätten keine Feststellungen zu einer allfälligen Tätigkeit des Revisionswerbers oder dessen konkreter Tätigkeit in der Steuerberatungsgesellschaft getroffen werden können, da sich im Akt keine Nachweise darüber befänden.
5In rechtlicher Hinsicht begründete das Verwaltungsgericht seine Entscheidung dahingehend, es liege zwar mit dem Universitätsabschluss ein Nachweis im Sinne des Art. 11 lit. d der Richtlinie 2005/36/EG vor. Es sei jedoch darüber hinaus der Nachweis über den Abschluss einer beruflichen Ausbildung notwendig. Ein in Polen tätiger Steuerberater sei nicht mit den einschlägigen österreichischen Normen befasst. Der Revisionswerber verfüge trotz seines Studienabschlusses in Österreich nicht über eine praktische Berufserfahrung in diesen Rechtsgebieten. Auch seine sechzehnjährige Berufspraxis in der Steuerberatungsgesellschaft oder die Tätigkeit als Bilanzbuchhalter seien einer Tätigkeit als vertretungsbefugter Steuerberater nicht gleichzuhalten. Aufgrund der Gesamtbeurteilung der Nachweise für die Vergleichbarkeit der Berufsqualifikation sei insgesamt davon auszugehen, dass dem Antrag auf öffentliche Bestellung zum Steuerberater gemäß § 232 WTBG nicht stattgegeben werden könne.
63. Gegen diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
7Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.
84. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
94.1. Die Revision bringt zur Begründung der Zulässigkeit unter anderem vor, das Verwaltungsgericht habe seine Verhandlungspflicht gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG verletzt, da im gegenständlichen Fall eine mündliche Verhandlung vom Revisionswerber in der Beschwerde beantragt worden sei und die mündliche Erörterung im Hinblick auf das Parteienvorbringen eine weitere Klärung der Rechtssache habe erwarten lassen bzw. zu einer anderen Entscheidung habe führen können, weshalb gemäß § 24 VwGVG sowie Art. 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) die Durchführung einer mündlichen Verhandlung geboten gewesen sei.
10Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und auch begründet.
114.2. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht - soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist - ungeachtet eines Parteienantrages von der Durchführung einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen. Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um „civil rights“ oder „strafrechtliche Anklagen“ im Sinn des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird (vgl. etwa , mwN).
12Bei einem rechtswidrigen Unterlassen einer nach Art. 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen. Diese zu Art. 6 EMRK entwickelte Rechtsprechung findet in gleicher Weise für das auf Art. 47 GRC gestützte Recht auf mündliche Verhandlung Anwendung (vgl. etwa , mit Verweis auf , ua).
13Eine Entscheidung, mit welcher wie hier über die Berechtigung zur Berufsausübung entschieden wird, betrifft das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsfreiheit (Art. 6 StGG), mithin ein „civil right“ im Sinne des Art. 6 MRK (vgl. RIS-Justiz RS0107410 und RS0120797, sowie , mwN; ebenso , zur Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung).
14Dass hier besondere Umstände vorlägen, die das Absehen von einer mündlichen Verhandlung rechtfertigten, begründete das Verwaltungsgericht nicht. Dies ist schon im Hinblick auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung, es könnten aus dem bloßen Akteninhalt keine Feststellungen über die konkrete Tätigkeit des Revisionswerbers in der Steuerberatungsgesellschaft getroffen werden, auf welche dieser in der Beschwerde ausdrücklich verwiesen habe, nicht ersichtlich.
15Das Verwaltungsgericht hat demnach gegen die Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung verstoßen. Bereits aus diesem Grund war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
16Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018040151.L00 |
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