VwGH vom 20.12.2013, 2012/21/0182
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des IU, vertreten durch Dr. Christian Nurschinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 14/4A, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-01/22/3999/2012- 8, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste 2003 nach Österreich ein. Unmittelbar nach seiner Einreise stellte er einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen wurde; außerdem wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom als unbegründet ab.
Ab wurde der Beschwerdeführer strafgerichtlich angehalten. Am wurde er aus der Strafhaft bedingt entlassen und in der Folge (erstmals) in Schubhaft genommen. Diese dauerte bis zum (Entlassung wegen Haftunfähigkeit infolge Hungerstreiks) an.
Am wurde der Beschwerdeführer anlässlich einer Polizeikontrolle in einem Lokal in 1170 Wien angetroffen, einer fremdenpolizeilichen Überprüfung unterzogen und dann festgenommen. Noch am selben Tag verhängte die Bundespolizeidirektion Wien hierauf gegen ihn abermals Schubhaft, und zwar gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) iVm § 57 Abs. 1 AVG zur Sicherung seiner Abschiebung.
Der Beschwerdeführer erhob Schubhaftbeschwerde.
Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom gab der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) dieser Beschwerde keine Folge und sprach aus, dass die Anordnung der Schubhaft, die Inschubhaftnahme sowie die Aufrechterhaltung der Schubhaft mit der Maßgabe für rechtmäßig erklärt werden, dass sich die Maßnahmen auf § 76 Abs. 2a Z 1 FPG stützten. Unter einem wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vorlägen. Außerdem wurde der Beschwerdeführer zum Kostenersatz verpflichtet.
Dieser Entscheidung legte die belangte Behörde insbesondere zugrunde, dass der Beschwerdeführer noch im Stande der Strafhaft am einen ersten Asylfolgeantrag eingebracht habe. Dieser sei - in Verbindung mit einer Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 - letztlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom gemäß § 68 AVG zurückgewiesen worden. Am habe der Beschwerdeführer dann einen weiteren Asylfolgeantrag eingebracht. Dieses Asylverfahren sei noch "offen", nach dem Akteninhalt und der eingeholten Information werde die Asylbehörde diesen Folgeantrag allerdings ebenfalls nach § 68 AVG zurückweisen und eine Ausweisung nach Nigeria verfügen.
Rechtlich führte die belangte Behörde - soweit im Folgenden wesentlich - aus, dass über den letzten Asylfolgeantrag des Beschwerdeführers noch nicht rechtskräftig abgesprochen worden sei; dem Beschwerdeführer komme daher zur Zeit der Status eines Asylwerbers zu. Es sei (somit) zur Klärung der Rechtmäßigkeit der Erlassung des gegenständlichen Schubhaftbescheides und der nachfolgenden Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft sachverhaltsbezogen nicht die Bestimmung des § 76 Abs. 1 FPG, sondern jene des § 76 Abs. 2a Z 1 FPG heranzuziehen. Danach habe die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber (u.a.) Schubhaft anzuordnen, wenn ihm gemäß § 12a Abs. 1 AsylG 2005 ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukomme. Das sei hier der Fall, weil dem nunmehrigen - bereits zweiten - Folgeantrag eine rechtskräftige zurückweisende Entscheidung nach § 68 Abs. 1 AVG samt Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 vorangegangen sei. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die gegenständlichen Schubhaftmaßnahmen nach § 76 Abs. 2a Z 1 FPG lägen demgemäß vor, weshalb in diesem Sinn deren Rechtmäßigkeit mit der vorgenommenen "Bemaßgabung" festzustellen gewesen sei. Da sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Entscheidung noch in Schubhaft befinde und die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen unverändert vorlägen, sei - so wird dann am Ende des bekämpften Bescheides weiter ausgeführt - der vorgenommene Abspruch im Sinn des § 83 Abs. 4 FPG über das Vorliegen der maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorzunehmen gewesen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Die belangte Behörde ging - dem diesbezüglichen Vorbringen in der Administrativbeschwerde folgend - davon aus, dass der Beschwerdeführer bei Anordnung der gegenständlichen Schubhaft noch Asylwerber gewesen sei. Sie erkannte richtig, dass die Schubhaft demnach nicht auf § 76 Abs. 1 FPG hätte gestützt werden dürfen. Schubhaft gegen Asylwerber kommt nämlich nur bei Vorliegen einer der besonderen Tatbestände des § 76 Abs. 2 oder Abs. 2a FPG in Betracht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/21/0037).
Der auf § 76 Abs. 1 FPG gegründete Schubhaftbescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom und die darauf gegründete Anhaltung waren daher rechtswidrig. Diese Rechtswidrigkeit konnte - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - nicht dadurch saniert werden, dass sie in ihrem Abspruch über die Administrativbeschwerde den ursprünglich verfehlt herangezogenen Schubhafttatbestand nach § 76 Abs. 1 FPG durch jenen des § 76 Abs. 2a Z 1 FPG ersetzte. Damit vermochte sie nämlich an dem Umstand, dass der Beschwerdeführer auf Basis einer unzutreffenden Rechtsgrundlage in Schubhaft genommen und angehalten worden war, nichts mehr zu ändern (vgl. in diesem Sinn etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0046).
Hinzu tritt, dass auch der ins Treffen geführte § 76 Abs. 2a Z 1 FPG nicht erfüllt gewesen ist. Gemäß dieser Bestimmung hat die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde - bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen - über einen Asylwerber Schubhaft anzuordnen, wenn gegen ihn eine mit einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 verbundene durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde oder ihm gemäß § 12a Abs. 1 AsylG 2005 ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt.
Eine zurückweisende Entscheidung nach § 5 AsylG 2005 war gegen den Beschwerdeführer nie erlassen worden. Das entzieht freilich nicht nur der Anwendbarkeit der ersten Alternative des eben zitierten Schubhafttatbestandes den Boden, sondern auch jener der zweiten Alternative. Der dabei angesprochene § 12a Abs. 1 AsylG 2005 setzt nämlich ebenfalls eine zurückweisende Entscheidung nach § 5 AsylG 2005 voraus und kommt von vornherein nur dann zum Tragen, wenn "der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG" gestellt hat. § 12a Abs. 1 AsylG 2005 liegt also, anders als die belangte Behörde zum Ausdruck brachte, nicht schon dann vor, wenn es (irgend)eine zurückweisende Entscheidung nach § 68 Abs. 1 AVG gibt, sondern setzt voraus, dass eine solche zurückweisende Entscheidung im Hinblick auf eine bereits erfolgte Entscheidung nach § 5 AsylG 2005 getroffen wurde. Das ist gegenständlich, wie schon erwähnt, aber nicht der Fall.
Für die Beurteilung der belangten Behörde, die Anordnung der Schubhaft, die Inschubhaftnahme sowie die Aufrechterhaltung der Schubhaft seien rechtmäßig, ist das eben Dargelegte nach dem oben Gesagten nicht mehr von Relevanz. Diese Maßnahmen wären im Hinblick auf die verfehlte Vorgangsweise der Bundespolizeidirektion Wien jedenfalls für rechtswidrig zu erklären gewesen. Die belangte Behörde legte aber auch dem gemäß § 83 Abs. 4 FPG erlassenen Fortsetzungsausspruch erkennbar die Verwirklichung des Schubhaftgrundes nach § 76 Abs. 2a Z 1 FPG zugrunde. Von daher erweist sich auch dieser Fortsetzungsausspruch als rechtswidrig, sodass der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am