VwGH vom 13.12.2012, 2012/21/0181

VwGH vom 13.12.2012, 2012/21/0181

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der S in L, vertreten durch DDr. Hanspeter Schwarz, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Museumstraße 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-730329/6/SR/Wu, betreffend Aufenthaltsverbot (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine slowenische Staatsangehörige, gemäß § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG (in der Fassung vor dem FrÄG 2011) ein auf sieben Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Diese Maßnahme wurde mit folgenden Verurteilungen der Beschwerdeführerin begründet:

1. vom durch das Bezirksgericht Linz wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall Suchtmittelgesetz - SMG zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe in der Höhe von EUR 300,-- (60 Tagessätze) und

2. vom durch das Landesgericht Linz wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 2. und 3. Fall SMG, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall und Abs. 2 Z 3 SMG, teilweise als Beitragstäterin gemäß § 12

3. Fall StGB, und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 1. und 2. Fall SMG zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwanzig Monaten und einer Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.200,-- (240 Tagessätze).

Zur ersten Verurteilung war es gekommen, weil die Beschwerdeführerin im Zeitraum März bis Anfang Mai 2006 Suchtgift in Form von insgesamt ca. 5 Gramm Amphetamin erworben und besessen hatte. Der zweiten Verurteilung lagen folgende, im Jahr 2009 begangene Tathandlungen zugrunde:

1. die Ausfuhr aus Slowenien und Einfuhr nach Österreich von Suchtgift (Heroin und Kokain) in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) mehrfach übersteigenden Menge in zwei Schmuggelfahrten in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit V. (dem damaligen Lebensgefährten der Beschwerdeführerin);

2. das Überlassen von Suchtgift (Heroin) an andere Personen, und zwar in vierzehn Fällen als Beitragstäterin (wobei das Fünfzehnfache der Grenzmenge überschritten wurde) und in zwei Fällen als unmittelbare Täterin; die Beitragshandlungen bestanden im Zurverfügungstellen der gemeinsamen Wohnung zur Lagerung des Heroins, in der Entgegennahme von Anrufen der Abnehmer und der Organisation von Treffen zur Abwicklung der Verkäufe;

3. der Erwerb und Besitz von Suchtgift nicht ausschließlich zum persönlichen Gebrauch.

Hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin stellte die Bundespolizeidirektion Linz fest, dass sie seit 2003 in Österreich lebe und - laut Versicherungsdatenauszug vom - bis zum einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen sei. Auch ihre Mutter und ihr Bruder lebten in Österreich.

Gegen das erstinstanzliche Aufenthaltsverbot erhob die Beschwerdeführerin Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde aus, dass der Berufung "mit der Maßgabe stattgegeben" werde, dass das Aufenthaltsverbot auf eine Befristung von drei Jahren herabgesetzt werde; im Übrigen werde der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

Begründend erklärte sie nach der Darstellung des bisherigen Verfahrensgangs, sie habe durch Einsichtnahme in den von der erstinstanzlichen Behörde vorgelegten Verwaltungsakt und das EKIS sowie durch Anfrage beim Landesgericht Linz Beweis erhoben. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, weil eine solche nicht erforderlich gewesen sei, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergebe, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig sei und die Akten erkennen ließen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine "tiefgreifende Klärung der Sache" nicht erwarten lasse. Die belangte Behörde gehe vom von der Bundespolizeidirektion Linz festgestellten Sachverhalt aus. Darüber hinaus traf sie folgende Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin sei seit in einer Wohnung in Linz wohnhaft. Bei ihrem Unterkunftgeber handle es sich um ihren (laut Rechtsvertreter ehemaligen) Lebensgefährten V. Dieser verbüße seit dem eine Haftstrafe. Laut Versicherungsdatenauszug vom sei die Beschwerdeführerin "in den letzten Jahren" in der Zeit vom 13. Juli bis zum , vom bis zum , vom 23. bis zum und am beschäftigt gewesen. Seit Oktober 2010 komme sie der Verpflichtung auf Grund der Weisung laut Beschluss des Landesgerichtes Linz vom nicht mehr nach. Punkt 2. dieses Beschlusses laute wie folgt:

"Gemäß §§ 50, 51 StGB wird der Angeklagten die Weisung erteilt, die begonnene stationäre Drogenentzugstherapie im WJKH fortzusetzen, anschließend an deren Beendigung eine ambulante Nachbehandlung bezüglich der Drogenabhängigkeitstherapie zu beginnen und dem Gericht darüber jeweils unaufgefordert Bestätigungen vorzulegen, und zwar unverzüglich über den Beginn und sodann vierteljährlich."

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde sodann aus, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine slowenische Staatsangehörige handle, die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe, indem sie sich in Österreich niedergelassen habe, also um eine Person des in § 67 Abs. 1 erster Satz FPG angesprochenen Adressatenkreises. Es sei - im Hinblick auf diese Bestimmung - nun zu prüfen, ob ihr Verhalten auch aus derzeitiger Sicht geeignet erscheine, die öffentliche Ordnung oder Sicherheit zu gefährden, und eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Da die Beschwerdeführerin seit Juli 2003 im Bundesgebiet aufhältig sei, komme der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG zum Tragen.

Für die belangte Behörde stehe zweifelsfrei fest, dass das Verhalten der Beschwerdeführerin ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Dieses sei darin gelegen, strafbare Handlungen gegen das SMG zu verhindern. Im Hinblick auf die Gefährdungsprognose sei im konkreten Einzelfall zu analysieren, ob davon ausgegangen werden könne, dass sich die Beschwerdeführerin künftig rechtskonform verhalten werde. Aus dem "Vorlageakt" und der Berufung ließen sich Rückschlüsse auf den verwerflichen Charakter der Beschwerdeführerin ziehen. Diese Beurteilung und die Gefährlichkeitsprognose habe sie durch ihr Vorbringen nicht entkräften können.

Die strafbaren Handlungen der Beschwerdeführerin zeigten ihre kriminelle Energie auf und ließen auch eine deutliche Steigerung erkennen. Aus ihrem Verhalten sei zu ersehen, dass die Einhaltung von Rechtsvorschriften für sie keinen hohen Stellenwert einnehme, da sie trotz der ersten, bedingten Strafe in der Folge schwere Verstöße gegen das SMG begangen habe. Der Tatzeitraum, der der zweiten Verurteilung zugrunde gelegen sei, habe sich von Mitte April bis Mitte Dezember 2009 erstreckt. Die kriminelle Energie, die seit der ersten Verurteilung Ende 2006 eine wesentliche Steigerung erfahren habe, komme besonders im Tatverhalten der Beschwerdeführerin zum Ausdruck. In bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit ihrem Lebensgefährten V. habe sie Suchtgift in einer die Grenzmenge nach § 28b SMG mehrfach übersteigenden Menge in zwei Schmuggelfahrten von Slowenien aus- und nach Österreich eingeführt. In Linz habe sie "Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich insgesamt 302,3 bis 332,4 Gramm Heroin, anderen Personen (überlassen), wobei die Straftat nach Abs. 1 in Bezug auf Suchtgift in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Mange (großen Menge)" begangen worden sei; dabei habe die Beschwerdeführerin als unmittelbare Täterin gehandelt, indem sie Suchtgift an mehrere Abnehmer verkauft und übergeben habe. Sie habe auch zu den Tathandlungen ihres Lebensgefährten beigetragen, indem sie die gemeinsame Wohnung zur Lagerung des Heroins zur Verfügung gestellt, Anrufe der Abnehmer entgegen genommen und Treffen zur Abwicklung der Verkäufe organisiert habe. Darüber hinaus habe sie im Zeitraum Sommer 2009 bis Mitte Dezember 2009 ca. 50 Gramm Heroin "konsumiert".

Die Tathandlungen und nachfolgende Verantwortung ließen eindeutige Rückschlüsse auf "seinen besonders verwerflichen Charakter" zu und zeigten über "einen langen Zeitraum (2006 und April bis Dezember 2009)" auf, dass die Beschwerdeführerin nicht geneigt sei, die Rechtsordnung ihres Gastlandes zu respektieren. Die kriminelle Motivation habe nicht bloß punktuell und kurzfristig bestanden. Auch wenn die Beschwerdeführerin in der Berufungsschrift ihre Verbrechen und Vergehen abzuschwächen suche, indem sie ihr strafrechtlich relevantes Verhalten auf die Lebensgemeinschaft mit V. zurückführe, dürfe nicht übersehen werden, dass sie einen Großteil der Verbrechen als unmittelbare Täterin und nur einen geringen Anteil als Beitragstäterin begangen habe. Die "umfassenden Tathandlungen" (Bereitstellen der Wohnung als Lagerraum, Entgegennahme der Anrufe, Organisation der Treffen zur Abwicklung der Verkäufe) zeigten die Einbindung der Beschwerdeführerin in den Suchtgiftverkauf und ihr eigenständiges Agieren auf.

In der Berufungsschrift behaupte die Beschwerdeführerin allgemein gehalten, dass sie die Lebensgemeinschaft mit V. (durch den sie Kontakt mit Suchtgift gehabt hätte) unmittelbar nach der Betretung mit dem Suchtgift beendet hätte (und seither kein Suchtgift mehr konsumiert hätte). "Bedenklich" an dieser Aussage erscheine, dass die Beschwerdeführerin nach wie vor an der gemeinsamen Wohnadresse gemeldet sei und der (ehemalige) Lebensgefährte als Unterkunftgeber aufscheine. Im Hinblick darauf, dass dieser aufgrund seiner Verbrechen nach dem SMG eine dreijährige Freiheitsstrafe zu verbüßen habe, sei eine Lebensgemeinschaft in ihrer typischen Ausprägung überhaupt nicht möglich.

Die Beschwerdeführerin habe in der Berufungsschrift eine ständige Beratung bei der Beratungsstelle "Point" behauptet, diesbezügliche Nachweise sei sie aber schuldig geblieben. Selbst wenn Beratungen stattgefunden haben sollten, hätten sie lediglich den Charakter eines "Beratungsgespräches" gehabt. Bedeutsamer und aussagekräftiger wäre die Absolvierung einer "Drogenabhängigkeitstherapie". Entgegen der gerichtlichen Weisung vom sei die Beschwerdeführerin aber ab Oktober 2010 ihrer Verpflichtung nicht mehr nachgekommen und habe keinerlei Nachweise über die Teilnahme an der Therapie vorgelegt. Im Hinblick auf die Berufungsausführungen sei davon auszugehen, dass sie Beratungsgespräche der Drogenabhängigkeitstherapie vorgezogen habe. Dass sie der gerichtlichen Weisung auch noch nach dem Sommer 2010 Folge geleistet habe, habe sie in der Berufungsschrift nicht einmal ansatzweise behauptet. Die Missachtung der gerichtlichen Weisung sei daher evident. Damit zeige die Beschwerdeführerin aber erneut ihre negative Einstellung zur österreichischen Rechtsordnung auf.

Mit ihrem teilweise allgemein gehaltenen Vorbringen sei es der Beschwerdeführerin auch nicht gelungen, darzulegen, dass das beschriebene Gefährdungspotential gegenwärtig und auch zukünftig von ihr nicht mehr ausgehen werde. Ein geradezu klassisches Beispiel für eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr bilde fraglos der Suchtgifthandel, was nicht nur der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, sondern auch der Verwaltungsgerichtshof festgestellt habe. Auch wenn die Beschwerdeführerin seit der letzten Tatbegehung wegen keiner einschlägigen Tat angezeigt worden sei, lasse ihr Persönlichkeitsbild aufgrund des bisher gezeigten Verhaltens (u.a. Missachtung der gerichtlichen Weisung seit zumindest Oktober 2010) keinesfalls den Schluss zu, dass sie nunmehr als geläutert anzusehen sei.

Ihrer Interessenabwägung nach § 61 FPG legte die belangte Behörde zugrunde, dass die Beschwerdeführerin neun Jahre lang durchgehend rechtmäßig in Österreich aufhältig gewesen sei. Zum Zeitpunkt ihrer Einreise sei sie bereits volljährig gewesen. Das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens sei im Verfahren nicht hervorgekommen. Auch wenn die Beschwerdeführerin bis Mai 2010 überwiegend einer Beschäftigung nachgegangen sei, sei sie seit dem insgesamt nur mehr sieben Tage beschäftigt gewesen. Merkmale für eine weitere soziale Integration seien im Verfahren nicht hervorgekommen. Die Beschwerdeführerin bringe zwar vor, dass die Kernfamilie, die Verwandten und Bekannten in Österreich lebten; dies werde nicht bezweifelt, die allgemein gehaltene Aussage lasse aber "gerade nicht auf intensive Kontakte schließen". Sie vermöge auch keine "entsprechende Beteiligung am gesellschaftlichen Leben (Vereinszugehörigkeit oä)" nachzuweisen.

Bei einer Gesamtbetrachtung sei eine "tiefgehende Integration der (Beschwerdeführerin) ins Gesellschaftsgefüge der Republik Österreich" nicht gegeben.

Das öffentliche Interesse an der Unterbindung des Suchtgifthandels sei "besonders hoch anzusiedeln". Zwar sei der Beschwerdeführerin durch ihre Aufenthaltsdauer im Inland von knapp neun Jahren ein "untergeordnetes Maß an Integration bzw. ein gewisses Interesse am Weiterverbleib im Bundesgebiet zuzubilligen". Die vorhandene, zuletzt schwach ausgeprägte soziale Integration sei jedoch schon dadurch zu relativieren, dass seit der letzten rechtskräftigen Verurteilung die Ausübung einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit de facto nicht bestanden habe. Wesentlich für eine Gesamtabwägung zulasten der Beschwerdeführerin sei jedoch vor allem, dass sie durch die von ihr mit beachtlicher krimineller Energie verwirklichten strafrechtlichen Delikte unter Beweis gestellt habe, von einer Integration in die Rechts- und Gesellschaftsordnung des Gastlandes weit entfernt zu sein. Dies stelle sie auch durch die Missachtung der gerichtlichen Weisung eindeutig unter Beweis. Darüber hinaus scheine eine Reintegration im Heimatland der Beschwerdeführerin, in welchem sie den überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht habe, keineswegs unzumutbar. Insgesamt müsse also den öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK im konkreten Einzelfall eindeutig der Vorrang vor den privaten Interessen der Beschwerdeführerin gegeben werden. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, weshalb grundsätzlich die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen die Beschwerdeführerin gerechtfertigt sei.

Zur Dauer des verhängten Aufenthaltsverbotes führte die belangte Behörde aus, dass entgegen der Ansicht der erstinstanzlichen Behörde die Verhängung eines auf drei Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes als ausreichend angesehen werde. Es könne nicht damit gerechnet werden, dass vor diesem Zeitpunkt eine positive Zukunftsprognose erstellt werden könnte.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:

1. Gegen die Beschwerdeführerin war mit erstinstanzlichem Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom ein auf § 86 Abs. 1 FPG (in der Fassung vor dem FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38) gestütztes, auf sieben Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Der nunmehr angefochtene Bescheid wurde nach Inkrafttreten des FrÄG 2011 (mit ) erlassen. Da für die Berufungsbehörde grundsätzlich die (Sach- und) Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung maßgeblich ist, war von der belangten Behörde somit mangels abweichender Übergangsbestimmungen bereits die neue Rechtslage anzuwenden (die folgenden Gesetzeszitate beziehen sich auf das FPG in der Fassung des FrÄG 2011).

2. § 66 Abs. 1 FPG lautet unter der Überschrift "Ausweisung":

"(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt."

§ 67 Abs. 1 FPG lautet unter der Überschrift "Aufenthaltsverbot":

"(1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."

3. Die belangte Behörde hat grundsätzlich zutreffend § 67 FPG als Rechtsgrundlage für das Aufenthaltsverbot gegenüber der Beschwerdeführerin, einer Unionsbürgerin, herangezogen. Richtigerweise ist sie auch davon ausgegangen, dass für die Gefährdungsprognose nicht der Maßstab des fünften Satzes dieser Bestimmung - der eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik verlangt - anzuwenden war, weil die Beschwerdeführerin ihren Aufenthalt noch nicht seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte.

Dennoch erweist es sich als rechtswidrig, dass die belangte Behörde den Maßstab der ersten beiden Sätze des § 67 Abs. 1 FPG - die (bloße) Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch ein Verhalten, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt - für maßgeblich erachtete. Auf Basis der Feststellungen der belangten Behörde, wonach die Beschwerdeführerin seit 2003 - also zum Bescheiderlassungszeitpunkt seit rund neun Jahren - (offenbar rechtmäßig) in Österreich aufhältig und bis Mai 2010 fast durchgehend erwerbstätig war, war nämlich davon auszugehen, dass sie das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben hatte (vgl. Art. 16 der Richtlinie 2004/38/EG - Unionsbürgerrichtlinie sowie § 53a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG). Für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die das Recht auf Daueraufenthalt genießen, bestimmt aber Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie, dass eine Ausweisung nur aus "schwerwiegenden" Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt werden darf, wobei zwar auch hier gemäß Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie auf das persönliche Verhalten abzustellen ist, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, insgesamt aber ein größeres Ausmaß an Gefährdung verlangt wird. Diese Vorgaben der Unionsbürgerrichtlinie wurden im FPG insofern umgesetzt, als nach dessen § 66 Abs. 1 die Ausweisung von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen, die bereits das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nur dann zulässig ist, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. § 67 Abs. 1 FPG enthält zwar nur zwei Stufen für die Gefährdungsprognose, nämlich einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens vorliegen muss, und andererseits (nach dem fünften Satz) die nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen mit mindestens zehnjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet (bzw. im Fall von Minderjährigen). Es muss aber angenommen werden, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern (arg. a minori ad maius) auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie und § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Maßstab - der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG angesiedelt ist - heranzuziehen ist. Dies gebietet im Anwendungsbereich der Unionsbürgerrichtlinie eine unionsrechtskonforme Interpretation, weil das Aufenthaltsverbot eine Ausweisungsentscheidung im Sinn der Richtlinie beinhaltet. Zum gleichen Ergebnis führt eine verfassungskonforme Interpretation, weil die Anwendung eines weniger strengen Maßstabes für Aufenthaltsverbote als für bloße Ausweisungen sachlich nicht zu rechtfertigen wäre.

Die belangte Behörde hat daher die Rechtslage verkannt, indem sie ihre Gefährdungsprognose auf § 67 Abs. 1 erster (und zweiter) Satz FPG gestützt hat. Richtigerweise hätte sie prüfen müssen, ob im weiteren Aufenthalt der Beschwerdeführerin eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im dargestellten Sinn läge.

4. Die Bejahung einer solchen Gefährdung ist auch nicht ohne weiteres durch die Feststellungen der belangten Behörde gedeckt.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom in der Rechtssache C-145/09 ( Panagiotis Tsakouridis ) ausgesprochen, dass die Bekämpfung der mit dem bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln verbundenen Kriminalität unter den Ausdruck "schwerwiegende Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" im Sinn der Unionsbürgerrichtlinie fällt. Der bandenmäßige Handel mit Betäubungsmitteln - woraus sich demnach jedenfalls eine entsprechende Gefährdung ergäbe - wurde der Beschwerdeführerin aber nicht angelastet. Sie hat zwar mit Heroin gehandelt, allerdings weder in einer kriminellen Vereinigung noch gewerbsmäßig und vor allem - wie sich dem Urteil des Landesgerichtes Linz vom entnehmen lässt - entgegen den Feststellungen der belangten Behörde in der weit überwiegenden Zahl der Fälle als Beitragstäterin zu Tathandlungen ihres damaligen Lebensgefährten; auch die Qualifikation des § 28a Abs. 2 Z 3 SMG (Begehung in Bezug auf Suchtgift in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge) war nur hinsichtlich der als Beitragstäterin verübten Taten erfüllt. Zu berücksichtigen war im Beschwerdefall auch, dass nur eine zur Gänze bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe verhängt wurde (vgl. zur Maßgeblichkeit der verhängten Strafe bei der Anwendung der Unionsbürgerrichtlinie abermals das Urteil in der Rechtssache C-145/09, Rn 50).

Dazu kommt, dass der Beschwerdeführerin für den Zeitraum der letzten zweieinhalb Jahre vor Erlassung des angefochtenen Bescheides kein strafbares Verhalten mehr angelastet wurde. Die belangte Behörde hat sich bei der Bejahung der Aktualität der Gefährdung zwar darauf gestützt, dass die Beschwerdeführerin einerseits die ihr vom Landesgericht Linz erteilte Weisung ab Oktober 2010 missachtet habe, indem sie keine Drogenabhängigkeitstherapie absolviert habe; andererseits sei ihre Behauptung, sich von ihrem Lebensgefährten getrennt zu haben, als "bedenklich" einzustufen, weil sie nach wie vor an der gemeinsamen Wohnadresse gemeldet sei und der Lebensgefährte als Unterkunftgeber aufscheine. Zu beiden Annahmen, die noch nicht Inhalt des erstinstanzlichen Bescheides waren, hat die belangte Behörde der Beschwerdeführerin aber kein Parteiengehör gewährt. In der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof führt die Beschwerdeführerin aus, sie hätte im Fall der Einräumung von Parteiengehör darlegen können, dass sie die gerichtliche Weisung sehr wohl befolgt habe, sie habe lediglich vergessen, dem Landesgericht Linz die Bestätigungen vorzulegen, dies aber nachgeholt. Zu ihrem ehemaligen Lebensgefährten habe sie keinerlei Kontakt mehr; sie sei auch bereits (seit einem vor Erlassung des angefochtenen Bescheides liegenden Zeitpunkt) Alleinmieterin der Wohnung, wozu sie eine Bestätigung der Hausverwaltung vom vorgelegt hat. Im Hinblick auf dieses Beschwerdevorbringen erweist sich die Verletzung des Parteiengehörs durch die belangte Behörde auch als relevant für den Ausgang des Verfahrens.

Schließlich hätte die belangte Behörde nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0277).

5. Der angefochtene Bescheid war sohin wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am