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VwGH vom 24.03.2011, 2008/09/0216

VwGH vom 24.03.2011, 2008/09/0216

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des H, vertreten durch Mag. Mathias Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4, gegen den Bescheid des Unabhängiger Verwaltungssenates in Tirol vom , Zl. uvs- 2008/K3/0020-3, betreffend Antrag auf nachträgliche Strafmilderung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Jahr 2005 wurde der Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck mit mehreren Straferkenntnissen wegen mehrerer Übertretungen nach §§ 81 Abs. 1 und 82 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz für schuldig erkannt und sowohl Primärarreststrafen als auch Geldstrafen über ihn verhängt. Diese Verwaltungsstrafbescheide wurden rechtskräftig.

Mit Schreiben vom teilte die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck dem Beschwerdeführer mit, dass - neben Geldstrafen - insgesamt noch Primärfreiheitsstrafen im Ausmaß von 51 Tagen und zwei Stunden zu verbüßen seien. Hinsichtlich der Geldstrafen wurde zwischen der Erstbehörde und dem Beschwerdeführer Ratenzahlung vereinbart.

Der Beschwerdeführer hatte einen Teil der Arreststrafen verbüßt und einen Teil der Geldstrafen bezahlt. Mit Bescheiden vom , vom und letztlich vom hatte die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck dem Beschwerdeführer einen Aufschub des Strafvollzuges der insgesamt 51 Tage und zwei Stunden bis zum gewährt.

Mit einer an die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck gerichteten Eingabe vom beantragte der Beschwerdeführer eine Umwandlung der Primärfreiheitsstrafen in Geldstrafen (in analoger Anwendung des § 31a StGB) und begründete dies damit, dass er zwischenzeitlich sein Leben völlig verändert habe. Er sei in seiner Jugendzeit in die sogenannte "Punker-Szene" integriert gewesen und habe während dieser Zeit verschiedenste Delikte gesetzt, die zu Verwaltungsstrafen geführt hätten. Er habe aber zwischenzeitlich sein Leben völlig verändern können und gehe einer regelmäßigen Beschäftigung nach, mit welcher er ein durchschnittliches Einkommen von EUR 1.300,-- monatlich (netto) verdiene. Er habe eine eigene Wohnung anmieten und sich auch privat in einer Lebensgemeinschaft etablieren können. Kontakt zu seiner früheren Szene bestehe keiner mehr, er habe sich erfolgreich von dort lösen können und sein heutiges Leben stehe in einem auffallenden Widerspruch zu seiner früheren, auch von ihm selbst verurteilten Verhaltensweise.

Gemäß § 31a StGB habe das Strafgericht die verhängte Strafe angemessen zu mildern, wenn nachträglich Umstände eintreten, oder bekannt werden, die zu einer milderen Bemessung der Strafe geführt hätten. Als nachträgliche Strafmilderung könne das Gericht dabei die Dauer der Freiheitsstrafe oder die verhängte Tagessätze herabsetzen, statt der Freiheitsstrafe könne eine Geldstrafe verhängt werden bzw. die Strafe bedingt nachgesehen werden. Die Anwendung dieser Bestimmung liege nicht im Ermessen des Richters. Zu einer derartigen nachträglichen Strafmilderung komme es unter anderem dann, wenn zwischen dem Tatbegehungszeitpunkt und den nunmehrigen Umständen ein entsprechend langer Zeitraum sowie ein nachvollziehbarer, völliger Bruch mit den bisherigen Lebensgewohnheiten stehe. Unter diesen Umständen könne sogar eine verhängte, zum Vollzug unmittelbar anstehende Freiheitsstrafe nachträglich in eine bedingte Geldstrafe umgewandelt werden. Es bestehe eine im Hinblick auf den Gleichheitssatz (Art. 7 B-VG) und das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 5 EMRK) bedenkliche Ungleichbehandlung gegenüber Personen, die von einem Strafgericht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden seien.

Mit Bescheid vom wies die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck den Antrag vom auf Umwandlung der Primärarreststrafe in eine Geldstrafe zurück und begründete dies damit, dass es an einer Bestimmung fehle, wonach eine nachträgliche Strafmilderung, insbesondere die Umwandlung einer Primärarreststrafe in eine Geldstrafe möglich wäre.

Es könne wohl von einem veränderten Lebenswandel gesprochen werden. Über den Beschwerdeführer hätten jedoch die Primärarreststrafen verhängt werden müssen. Trotz der mehrfach über ihn verhängten Freiheitsstrafen habe er sich scheinbar erst jetzt einsichtig gezeigt. Die so über ihn verhängten Primärfreiheitsstrafen seien aus spezial- und generalpräventiven Gründen gerechtfertigt.

Die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid von der belangten Behörde nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgewiesen.

Nach Darstellung des erstinstanzlichen Verwaltungsverfahrens und des Berufungsvorbringens führte die belangte Behörde aus, dass eine Bestimmung wie § 31a StGB, welche sich auf Bestrafungen durch die Strafgerichte beziehe, dem Verwaltungsstrafrecht fremd sei. Ein wesentlicher Strafzweck bestehe darin, den Täter von der Begehung künftiger Straftaten abzuhalten und dementsprechend auch die Lebensführung betreffende Dispositionen zu treffen. Die Rechtsordnung setze daher voraus, dass ein Täter nach der Bestrafung von sich aus Maßnahmen setze, die ein Wohlverhalten sicherstellten. Dazu zähle wohl auch der Bruch mit einem Personenkreis, der regelmäßig in Konflikt mit der Rechtsordnung komme. Es fehle daher am nachträglichen Eintritt von Umständen, die eine nachträgliche Umwandlung der Primärarreststrafen in Ersatzfreiheitsstrafen rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer sei von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck mit Straferkenntnis vom wegen Übertretungen nach § 11 Abs. 1 Tiroler Landespolizeigesetz, begangen am , mit drei Geldstrafen bestraft worden. Der vom Beschwerdeführer behauptete Eingriff in die Grundrechte nach Art. 5 EMRK und Art. 7 B-VG liege nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, in der inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bestreitet seine neuerlichen Bestrafungen wegen Übertretungen nach § 11 Abs. 1 Tiroler Landespolizeigesetz nicht, er meint aber, die belangte Behörde hätte wegen eines einzelnen Vorfalls nicht weitere Feststellungen zu seiner persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Situation unterlassen dürfen.

Damit zeigt der Beschwerdeführer schon deswegen keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, weil der Umstand seiner Bestrafung wegen Übertretungen im Jahr 2007 für den angefochtenen Bescheid nicht von Bedeutung war.

§ 31a des Strafgesetzbuches (StGB), BGBl. Nr. 60/1974, idF BGBl. Nr. 762/1996, lautet:

"Nachträgliche Milderung der Strafe, der Abschöpfung der Bereicherung und des Verfalls

§ 31a. (1) Wenn nachträglich Umstände eintreten oder bekannt werden, die zu einer milderen Bemessung der Strafe geführt hätten, hat das Gericht die Strafe angemessen zu mildern.

(2) Verschlechtern sich nachträglich die persönlichen Verhältnisse oder die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines zu einer Geldstrafe Verurteilten nicht bloß unerheblich, so hat das Gericht für die noch aushaftende Geldstrafe die Höhe des Tagessatzes innerhalb der Grenzen des § 19 Abs. 2 neu zu bemessen, es sei denn, daß der Verurteilte die Verschlechterung vorsätzlich, und sei es auch nur durch Unterlassung einer zumutbaren Erwerbstätigkeit, herbeigeführt hat.

(3) Befriedigt ein zur Abschöpfung der Bereicherung Verurteilter nachträglich zivilrechtliche Ansprüche aus der Tat oder treten sonst Umstände ein, bei deren Vorliegen im Zeitpunkt des Urteils nicht auf Abschöpfung der Bereicherung oder nur auf Zahlung eines geringeren Betrages zu erkennen gewesen wäre, so hat das Gericht die Entscheidung entsprechend zu ändern. Ebenso ist vorzugehen, wenn solche Umstände nachträglich bekannt werden.

(4) Wenn nachträglich Umstände eintreten oder bekannt werden, bei deren Vorliegen im Zeitpunkt des Urteils nicht auf Verfall oder nur auf Verfall geringerer Vermögenswerte zu erkennen gewesen wäre, hat das Gericht die Entscheidung entsprechend zu ändern."

Der Beschwerdeführer will diese Vorschrift in seinem Fall angewendet wissen und bringt in der Beschwerde unter Bezugnahme auf §§ 11 und 19 VStG und § 32 Abs. 2 StGB zusammenfassend vor, dass seit dem Ergehen der Verwaltungsstrafbescheide nachträglich Umstände eingetreten seien, die zu einer milderen Bemessung der Strafe im Sinne des § 31a StGB geführt hätten, wenn sie in seinem Fall anzuwenden gewesen wäre. Da jedoch im VStG keine derartige Regelung bestehe, liege eine gegen das Gleichheitsgebot verstoßende unsachliche Differenzierung vor, weshalb im gegenständlichen Fall eine verfassungskonforme Auslegung geboten sei und § 31a StGB analog heranzuziehen sei. Er habe es geschafft, sich von seinen alten gesellschaftlichen Bindungen zu lösen und ein neues soziales Netz aufzubauen. Müsse er nun die Haftstrafe im Ausmaß von über sieben Wochen trotz der geänderten persönlichen Umstände tatsächlich absitzen, so hätte das zwangsläufig den Verlust seines Arbeitsplatzes und damit gravierende Beeinträchtigungen seiner wirtschaftlichen Existenz zur Folge.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem ähnlichen Fall, in welchem wegen geänderter persönlicher Verhältnisse (dort: Eintritt der Erwerbsunfähigkeit infolge einer Querschnittslähmung) die nachträgliche Herabsetzung einer Verwaltungsstrafe beantragt worden war, nämlich dargelegt, dass § 31a StGB - allenfalls in Verbindung mit den § 14 VStG und § 410 StPO - im Verwaltungsstrafverfahren nicht anzuwenden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/09/0014, in diesem Fall war die zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde von diesem ohne fallbezogene Begründung mit Beschluss vom , B 1546/02, abgelehnt worden). Mangels echter Gesetzeslücke ist eine analoge Anwendung des § 31a StGB im Verwaltungsstrafrecht auch nicht geboten. Der Gesetzgeber ist angesichts der Unterschiede zwischen dem Verwaltungsstrafrecht einerseits und dem gerichtlichen Strafrecht anderseits auch nicht gehalten, im Verwaltungsstrafrecht, in welchem etwa geringere Strafdrohungen und geringere Verjährungsfristen bestehen, dieselben Regelungen des gerichtlichen Strafrechts im Verwaltungsstrafrecht anzuordnen.

Soweit der Beschwerdeführer meint, die gegen ihn verhängten Freiheitsstrafen wären deswegen nachträglich zu mildern und insbesondere in Geldstrafen umzuwandeln gewesen, weil die Verbüßung der gesamten ausstehenden Arreststrafe zwangsläufig den Verlust seines Arbeitsplatzes und damit gravierende Beeinträchtigungen seiner wirtschaftlichen Existenz zur Folge hätte, so kann diesem Anliegen gerade in seinem Fall durchaus - jedenfalls teilweise - durch einen Aufschub und die Unterbrechung des Vollzuges von Freiheitsstrafen gemäß § 54a VStG Rechnung getragen werden. Nach dem Abs. 1 dieser Bestimmung kann die Behörde nämlich auf Antrag des Bestraften aus wichtigem Grund den Strafvollzug aufschieben, "insbesondere wenn 1. durch den sofortigen Vollzug der Freiheitsstrafe die Erwerbsmöglichkeit des Bestraften oder der notwendige Unterhalt der ihm gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen gefährdet würde oder

2. dringende Familienangelegenheiten zu ordnen sind". Nach dem Abs. 2 leg. cit. "kann auf Antrag des Bestraften aus wichtigem Grund (Abs. 1) auch die Unterbrechung des Vollzuges der Freiheitsstrafe bewilligt werden". Von dieser Möglichkeit wurde im Beschwerdefall nach der Aktenlage auch durchaus Gebrauch gemacht.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich im Beschwerdefall daher nicht veranlasst, § 31a StGB im Verwaltungsstrafrecht durch eine analoge Anwendung zur Geltung zu bringen oder die Frage der Nichtgeltung dieser Vorschrift im Verwaltungsstrafrecht an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

Nach dem Gesagten wurde der Beschwerdeführer sohin nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am