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VwGH vom 19.03.2013, 2012/21/0120

VwGH vom 19.03.2013, 2012/21/0120

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des SA in R, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-730323/8/SR/ER/JO, betreffend Aufenthaltsverbot (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am geborene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina. Er gelangte 17- jährig nach Österreich und ist hier seit mit Hauptwohnsitz gemeldet. Am wurde ihm ein Wiedereinreisesichtvermerk erteilt, in der Folge verfügte er bis zuletzt über Aufenthaltstitel.

Am trat der Beschwerdeführer erstmals strafrechtlich in Erscheinung. Er wurde deshalb wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127 und 129 Z 1 und 2 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Es folgten weitere Verurteilungen vom wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach den §§ 127 und 130 erster Fall StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten und vom (insbesondere) wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und 2 sowie 130 zweiter Fall StGB zu einer 15-monatigen Freiheitsstrafe. Dem letztgenannten Urteil lag in erster Linie zugrunde, dass der Beschwerdeführer zwischen dem und dem gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin in insgesamt 24 Angriffen Gewahrsamsträgern verschiedener Gastronomieunternehmen vornehmlich durch Einbruch in die Lokalräumlichkeiten und Aufbrechen von Spielautomaten Bargeld und Zigaretten im Gesamtwert von EUR 14.511,-- weggenommen hatte.

Der Beschwerdeführer befand sich zehn Monate in Haft und wurde am bedingt entlassen.

Im Hinblick auf seine strafgerichtlichen Verurteilungen bzw. das diesen Verurteilungen zugrundeliegende strafbare Verhalten verhängte die Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid vom ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot. Dagegen erhob der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer Berufung, in der er insbesondere die Einvernahme seiner - österreichischen - Lebensgefährtin und seines Bewährungshelfers beantragte.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom gab der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (die belangte Behörde) dieser Berufung insofern statt, als die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf fünf Jahre herabgesetzt wurde; im Übrigen wurde der erstinstanzliche Bescheid - erkennbar nach Maßgabe des § 63 Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG in der Fassung des am in Kraft getretenen FrÄG 2011 - bestätigt. Von der Einvernahme der in der Berufung beantragten Zeugen und von der Durchführung einer Berufungsverhandlung sah die belangte Behörde ab. Letzteres begründete sie damit, dass eine Berufungsverhandlung nicht erforderlich gewesen sei, weil sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergebe, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig sei und weil die Akten erkennen ließen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lasse.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer macht u.a. geltend, dass die belangte Behörde eine mündliche Berufungsverhandlung hätte durchführen müssen.

Damit ist er im Recht.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0278, festgehalten hat, besteht in fremdenpolizeilichen Berufungsverfahren der vorliegenden Art - jedenfalls nach Maßgabe des § 67d AVG und allenfalls auch des § 9 Abs. 7 FPG - im Hinblick auf Art. 47 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (GRC) ein Anspruch auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung. Auf diesen Anspruch kann zwar verzichtet werden, was etwa dann anzunehmen ist, wenn der Berufungswerber keinen Verhandlungsantrag im Sinn des § 67d Abs. 3 AVG stellt. Auch im Anwendungsbereich des Art. 47 Abs. 2 GRC kann bei einer nicht rechtskundig vertretenen Partei aber nur dann vom Vorliegen eines derartigen - schlüssigen -

Verzichts ausgegangen werden, wenn sie über die ihr nach § 67d Abs. 1 AVG eingeräumte Möglichkeit einer Antragstellung auf Durchführung einer solchen Verhandlung belehrt wurde oder wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen (siehe auch dazu das zuvor genannte hg. Erkenntnis; vgl. ebenso das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/18/0057).

Im gegenständlichen Fall war der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren anwaltlich vertreten. Seine - noch vor Inkrafttreten des FrÄG 2011 und daher noch an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich erhobene - Berufung enthielt zwar keinen ausdrücklichen Verhandlungsantrag. In ihr war allerdings insbesondere die Einvernahme der österreichischen Lebensgefährtin des Beschwerdeführers und seines Bewährungshelfers beantragt worden. Vor diesem Hintergrund verbietet sich aber ungeachtet des bestehenden Vertretungsverhältnisses die Annahme, der Beschwerdeführer habe durch Unterbleiben eines ausdrücklichen Verhandlungsantrages den Verzicht auf die Durchführung einer Berufungsverhandlung zum Ausdruck gebracht. Vielmehr ist im Gegenteil jedenfalls ab Inkrafttreten des FrÄG 2011 mit und der seither auch im FPG selbst verankerten Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate als Berufungsbehörden in Angelegenheiten der vorliegenden Art nach § 9 Abs. 1a FPG davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Wege seiner Beweisanträge einen Verhandlungsantrag gestellt hat (siehe in diesem Sinn das zu § 51e VStG ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/02/0242). Das Vorbringen in der behördlichen Gegenschrift, eine Berufungsverhandlung sei nicht beantragt worden, erweist sich so betrachtet mithin als nicht zutreffend.

Dass auch die im bekämpften Bescheid für das Absehen von der Durchführung einer Berufungsverhandlung angestellten Erwägungen nicht tragfähig sind, wurde bereits im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0298, - einen in Bezug auf das Unterbleiben einer Berufungsverhandlung nahezu gleichlautend formulierten und ebenfalls einen in Angelegenheiten aufenthaltsbeendender Maßnahmen ergangenen Berufungsbescheid der belangten Behörde betreffend - zum Ausdruck gebracht. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG sei diesbezüglich des Näheren auf die Begründung des genannten hg. Erkenntnisses verwiesen, dessen Überlegungen fallbezogen noch ergänzend der Hinweis anzufügen ist, dass sich auch die Frage der Dauer der zu verhängenden aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht auf eine reine Rechtsfrage reduzieren lässt.

Aus dem soeben genannten hg. Erkenntnis ergibt sich darüber hinaus weiter, dass das Unterbleiben der nach dem Gesagten gebotenen Durchführung einer Berufungsverhandlung den bekämpften Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet (vgl. in diesem Sinn zuletzt auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/15/0196). Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
CAAAE-76815