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VwGH vom 20.03.2013, 2010/11/0078

VwGH vom 20.03.2013, 2010/11/0078

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des K S in H, vertreten durch Dr. Erwin Bajc, Dr. Peter Zach und Mag. Dr. Reinhard Teubl, Rechtsanwälte in 8600 Bruck/Mur, Mittergasse 28, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats für die Steiermark vom , betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, Lenkverbot und begleitende Maßnahmen (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag vom wurde die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers für die Dauer von fünf Monaten, gerechnet "ab Rechtskraft des Bescheides" entzogen (Spruchpunkt I). Gleichzeitig wurde für fünf Monate ein Verbot für das Lenken von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen und Invalidenkraftfahrzeugen verhängt (Spruchpunkt II). Außerdem wurde angeordnet, dass sich der Beschwerdeführer während der Entziehungsdauer einer Nachschulung zu unterziehen (Spruchpunkt III) und ein amtsärztliches Gutachten über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen sowie eine verkehrspsychologische Stellungnahme beizubringen (Spruchpunkt IV) habe.

Auf Grund der dagegen erhobenen Berufung (welcher die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt worden war) setzte die belangte Behörde die Entziehungsdauer (Spruchpunkt I) auf vier Monate herab und behob Spruchpunkt III (Anordnung einer Nachschulung) ersatzlos. Im Übrigen bestätigte sie den erstinstanzlichen Bescheid. Der angefochtene Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am zugestellt.

In der Begründung stellte die belangte Behörde als entscheidungsrelevanten Sachverhalt fest, dem Beschwerdeführer sei mit Bescheid vom bereits einmal die Lenkberechtigung für 6 Monate entzogen worden, da er ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (1,07 mg/l Atemluftalkoholgehalt) gelenkt habe. Der Beschwerdeführer leide bereits seit Jahren an starken Schmerzen und Depressionen, weshalb er seit 2006 regelmäßig bestimmte Medikamente einnehme, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigten. Dass sich diese Wirkung bei Alkoholkonsum verstärke, habe der Beschwerdeführer seit Langem durch ärztliche Informationen und persönliche Erfahrungen gewusst.

Am habe der Beschwerdeführer, obwohl er durch das Zusammenwirken seiner Medikamente mit dem von ihm konsumierten Alkohol fahruntüchtig gewesen sei, seinen PKW gelenkt und dabei bereits 300 Meter nach Fahrtantritt einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem er sich eine Kopfverletzung zugezogen habe. Die Atemluftkontrolle habe er verweigert. Das Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen der StVO 1960 sei zwar mit Bescheid der belangten Behörde vom wegen mangelnder Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers zur Tatzeit eingestellt worden, jedoch sei er insofern zurechnungsfähig iSd § 3 Abs. 1 VStG gewesen, als er nach der Medikamenteneinnahme mit seinem PKW auf öffentlichen Straßen ein Lokal aufgesucht und dort trotz seines Wissens um die diesbezügliche Wirkung Alkohol konsumiert habe.

Nach Wiedergabe der einschlägigen Rechtsvorschriften führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe sich schuldhaft in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand versetzt, weshalb - wenn auch nicht wegen Übertretung des § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960, sondern vielmehr des § 83 SPG - eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z 1 FSG vorliege. Da deshalb die Verkehrsunzuverlässigkeit erwiesen sei, sei die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers zu entziehen. Die besondere Verwerflichkeit der Wiederholung von Alkoholdelikten falle im Rahmen der Bemessung der Entziehungszeit besonders ins Gewicht, sodass bei der Wertung des gegenständlichen - für sich genommen bereits in hohem Maße unverantwortlichen, verwerflichen und gefährlichen - Verhaltens auch länger zurückliegende Alkoholdelikte und Entziehungen der Lenkberechtigung zu Lasten des Betreffenden zu berücksichtigen seien. Dies treffe auf die Entziehung aus dem Jahr 2002 zu, weshalb sie für eine Prognose der Verkehrsunzuverlässigkeit mit heranzuziehen sei. Zwar könne, da der Beschwerdeführer eine Übertretung des § 83 SPG und nicht des § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960 begangen habe, nicht die in § 26 Abs. 2 FSG festgesetzte Mindestentziehungsdauer von vier Monaten herangezogen werden. Auch die Anordnung der Nachschulung habe deshalb zu entfallen. Ausgehend von der in § 25 Abs. 3 FSG festgesetzten Mindestentziehungsdauer von drei Monaten erscheine aufgrund der Wertung jedoch eine Entziehung von vier Monaten bis zur Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit erforderlich. Dies gelte sinngemäß auch für das ausgesprochene Lenkverbot.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Bestimmungen des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 31/2008, lauten auszugsweise:

"§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:


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1.
…,
2.
verkehrszuverlässig sind (§ 7),

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder …

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

1. ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen und hiebei eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 bis 1b StVO 1960 begangen hat, auch wenn die Tat nach § 83 Sicherheitspolizeigesetz - SPG, BGBl. Nr. 566/1991, zu beurteilen ist;

...

(4) Für die Wertung der in Abs. 1 genannten und in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, …

(5) Strafbare Handlungen gelten jedoch dann nicht als bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1, wenn die Strafe zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens getilgt ist. Für die Frage der Wertung nicht getilgter bestimmter Tatsachen gemäß Abs. 3 sind jedoch derartige strafbare Handlungen auch dann heranzuziehen, wenn sie bereits getilgt sind.

...

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

(3) Bei der Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung kann die Behörde begleitende Maßnahmen (Nachschulung und dgl.) oder die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung anordnen. …

Im Rahmen des amtsärztlichen Gutachtens kann die Beibringung der erforderlichen fachärztlichen oder einer verkehrspsychologischen Stellungnahme aufgetragen werden. …

§ 25. …

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens 3 Monaten festzusetzen. …

§ 26. ...

(2) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges ein Delikt gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, so ist die Lenkberechtigung auf die Dauer von mindestens vier Monaten zu entziehen; ...

§ 32. (1) Personen, die nicht im Sinne des § 7 verkehrszuverlässig oder nicht gesundheitlich geeignet sind, ein Motorfahrrad, ein vierrädriges Leichtkraftfahrzeug oder ein Invalidenkraftfahrzeug zu lenken, hat die Behörde unter Anwendung der §§ 24 Abs. 3 und 4, 25, 26, 29 sowie 30a und 30b entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit das Lenken eines derartigen Kraftfahrzeuges

1. ausdrücklich zu verbieten,

…"

Eine Verwaltungsübertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960 begeht, wer sich bei Vorliegen der in § 5 bezeichneten Voraussetzungen (Beeinträchtigung durch Alkohol oder Suchtgift) weigert, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen oder sich vorführen zu lassen, oder sich bei Vorliegen der bezeichneten Voraussetzungen nicht der ärztlichen Untersuchung unterzieht.

Gemäß § 83 SPG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer sich in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand versetzt und in diesem Zustand eine Tat begeht, die ihm außer diesem Zustand als Verwaltungsübertretung zugerechnet würde.

2. Die Beschwerde ist begründet.

2.1. Im vorliegenden Beschwerdefall ist die belangte Behörde nach schlüssiger Beweiswürdigung zur Feststellung gelangt, der Beschwerdeführer habe nach der Medikamenteneinnahme mit seinem PKW auf öffentlichen Straßen ein Lokal aufgesucht und dort trotz seines seit Langem durch ärztliche Informationen und persönliche Erfahrungen bestehenden Wissens um die diesbezügliche Wirkung Alkohol konsumiert. Die Beurteilung, der Beschwerdeführer habe sich schuldhaft in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand versetzt und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 83 SPG begangen (vgl. hierzu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/11/0185), was wiederum das Vorliegen einer bestimmten Tatsache iSd § 7 Abs. 3 Z 1 FSG bewirke, begegnet daher keinen Bedenken. Die belangte Behörde ging - mangels Vorliegens eines Delikts gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 - auch zu Recht von der Unanwendbarkeit des § 26 Abs. 2 FSG aus.

2.2. Mit der im angefochtenen Bescheid geäußerten Ansicht, die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers sei, ausgehend von der in § 25 Abs. 3 FSG festgesetzten Mindestentziehungsdauer von drei Monaten (jedenfalls) zu entziehen, da seine Verkehrsunzuverlässigkeit erwiesen sei, verkennt die belangte Behörde jedoch die Rechtslage. § 25 Abs. 3 erster Satz FSG ermöglicht die Entziehung der Lenkberechtigung nur unter der Voraussetzung und nur für die Dauer einer von der Behörde festzustellenden Verkehrsunzuverlässigkeit. Trifft die Annahme, der Betroffene werde für einen Zeitraum von mindestens drei Monaten verkehrsunzuverlässig sein, nicht (mehr) zu, so darf eine Entziehung der Lenkberechtigung nicht ausgesprochen bzw. von der Berufungsbehörde nicht bestätigt werden (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2003/11/0036, und vom , Zl. 2007/11/0042). Die somit erforderliche Prognose der Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers, insbesondere eine Berücksichtigung der seit der Anlasstat verstrichenen Zeit und des Verhaltens während dieser Zeit (§ 7 Abs. 4 FSG), hat die belangte Behörde allerdings unterlassen.

2.3. Nach dem Spruch des Bescheides der belangten Behörde, die den Bescheid der Behörde erster Instanz insofern bestätigte, wurde dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Dauer von vier Monaten, gerechnet "ab Rechtskraft des Bescheides", entzogen; das würde in Anbetracht der Tatbegehung am und der Erlassung des angefochtenen Bescheides mit seiner Zustellung am bedeuten, dass nach Einschätzung der belangten Behörde der Beschwerdeführer insgesamt 13 ½ Monate verkehrsunzuverlässig wäre. Für das ausgesprochene Lenkverbot würde sich sogar eine Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit von 14 ½ Monaten ergeben, da der Spruch des angefochtenen Bescheides keine Herabsetzung der fünfmonatigen Dauer des erstinstanzlich verfügten Lenkverbotes enthält. Da die belangte Behörde bei ihrer Wertung (auch mit der Berücksichtigung einer bereits sieben Jahre vor der Anlasstat gelegenen Vorentziehung) keine besonderen Umstände aufgezeigt hat, die die Annahme einer derart langen Verkehrsunzuverlässigkeit rechtfertigen, vermag der Verwaltungsgerichtshof diese Einschätzungen nicht zu teilen.

2.4. Die aufgezeigte Rechtswidrigkeit bewirkt auch die Rechtswidrigkeit der darauf aufbauenden Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens und einer verkehrspsychologischen Stellungnahme gemäß § 24 Abs. 3 FSG.

3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf den § 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
NAAAE-76807