VwGH vom 20.02.2013, 2010/11/0077
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführerin Mag. Zöchling, über die Beschwerde der SS in K, vertreten durch Mag. Norbert Langmayr, Rechtsanwalt in 6322 Kirchbichl, Rofanstraße 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom , Zl. uvs-2009/33/3719- 4, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, Lenkverbot und begleitende Maßnahmen (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde die der Beschwerdeführerin erteilte Lenkberechtigung für die Dauer von zehn Monaten, gerechnet vom Tag der Zustellung des vorangegangenen Mandatsbescheides (welche am erfolgte), entzogen und im Hinblick auf die Befristung dieser Lenkberechtigung bis gemäß § 25 Abs. 1 FSG ausgesprochen, dass der Beschwerdeführerin bis zum keine neue Lenkberechtigung erteilt werden darf. Daran anknüpfend wurden - für dieselbe Zeit - ein Lenkverbot ausgesprochen und das Recht aberkannt, von einer ausländischen Lenkberechtigung in Österreich Gebrauch zu machen, sowie begleitende Maßnahmen (Nachschulung und Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens) angeordnet.
In der Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, aufgrund eines rechtskräftigen Straferkenntnisses stehe fest, dass die Beschwerdeführerin am an näher genannter Örtlichkeit ein Motorrad in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (Blutalkoholgehalt 1,4 %o) gelenkt und dadurch eine Übertretung des § 99 Abs. 1a StVO 1960 begangen habe. Dies sei als bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 FSG anzusehen, wobei im Rahmen der Wertung gemäß § 7 Abs. 4 FSG zu berücksichtigen sei, dass die Beschwerdeführerin "bereits im Jahre 2006 ein KFZ in einem alkoholisierten Zustand gelenkt" habe. Da die Beschwerdeführerin somit innerhalb von drei Jahren nunmehr am ein zweites Alkoholdelikt begangen habe, sehe sich die belangte Behörde veranlasst, die von der Erstbehörde festgesetzte Entziehungsdauer von zehn Monaten zu bestätigen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt und auf eine Gegenschrift verzichtet hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Da, wie der erwähnte Mandatsbescheid zeigt, das gegenständliche Entziehungsverfahren am anhängig war, war es gemäß § 41 Abs. 9 Z. 3 in der Fassung BGBl. I Nr. 93/2009 nach der Rechtslage vor dieser Novelle fortzuführen.
Die im vorliegenden Fall maßgebenden Bestimmungen des FSG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 93/2009 lauten:
"Verkehrszuverlässigkeit
§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen
1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder
2. sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.
(2) Handelt es sich bei den in Abs. 3 angeführten Tatbeständen um Verkehrsverstöße oder strafbare Handlungen, die im Ausland begangen wurden, so sind diese nach Maßgabe der inländischen Rechtsvorschriften zu beurteilen.
(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:
1. ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen und hiebei eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 bis 1b StVO 1960 begangen hat, auch wenn die Tat nach § 83 Sicherheitspolizeigesetz - SPG, BGBl. Nr. 566/1991, zu beurteilen ist;
…
Dauer der Entziehung
§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. Endet die Gültigkeit der Lenkberechtigung vor dem Ende der von der Behörde prognostizierten Entziehungsdauer, so hat die Behörde auch auszusprechen, für welche Zeit nach Ablauf der Gültigkeit der Lenkberechtigung keine neue Lenkberechtigung erteilt werden darf.
…
Sonderfälle der Entziehung
§ 26. (1) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges erstmalig eine Übertretung gem. § 99 Abs. 1b StVO 1960 begangen, so ist, wenn es sich nicht um einen Lenker eines Kraftfahrzeuges der Klasse C oder D handelt und zuvor keine andere der in § 7 Abs. 3 Z 1 und 2 genannten Übertretungen begangen wurde, die Lenkberechtigung für die Dauer von einem Monat zu entziehen. Wenn jedoch
1. auch eine der in § 7 Abs. 3 Z 3 bis 6 genannten Übertretungen vorliegt, oder
2. der Lenker bei Begehung dieser Übertretung einen Verkehrsunfall verschuldet hat, so hat die Entziehungsdauer mindestens drei Monate zu betragen. § 25 Abs. 3 zweiter Satz ist in allen Fällen sinngemäß anzuwenden.
(2) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges eine Übertretung gem. § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, so ist die Lenkberechtigung für die Dauer von mindestens vier Monaten zu entziehen; § 25 Abs. 3 zweiter Satz ist sinngemäß anzuwenden.
…
(5) Eine Übertretung gemäß Abs. 1 gilt als erstmalig, wenn eine vorher begangene Übertretung der gleichen Art zum Zeitpunkt der Begehung der neuerlichen Übertretung getilgt ist.
…
Besondere Verfahrensbestimmungen für die Entziehung
§ 29. …
(4) Wurde der Führerschein gemäß § 39 vorläufig abgenommen und nicht wieder ausgefolgt, so ist die Entziehungsdauer ab dem Tag der vorläufigen Abnahme zu berechnen.
….
Vorläufige Abnahme des Führerscheines
§ 39. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Straßenaufsicht haben einem Kraftfahrzeuglenker, aus dessen Verhalten deutlich zu erkennen ist, dass er insbesondere infolge Alkohol- oder Suchtmittelgenusses, Einnahme von Medikamenten oder eines außergewöhnlichen Erregungs- oder Ermüdungszustandes nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt, den Führerschein, den Mopedausweis oder gegebenenfalls beide Dokumente vorläufig abzunehmen, wenn er ein Kraftfahrzeug lenkt, in Betrieb nimmt oder versucht, es in Betrieb zu nehmen. Weiters haben die Organe die genannten Dokumente vorläufig abzunehmen, wenn ein Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder mehr oder ein Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder mehr festgestellt wurde oder der Lenker eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b oder c StVO 1960 begangen hat, wenn der Lenker ein Kraftfahrzeug gelenkt hat, in Betrieb genommen hat oder versucht hat, es in Betrieb zu nehmen, auch wenn anzunehmen ist, dass der Lenker in diesem Zustand kein Kraftfahrzeug mehr lenken oder in Betrieb nehmen wird. …."
Im gegenständlichen Fall ist unstrittig, dass die Beschwerdeführerin wegen des Lenkens eines Kraftfahrzeuges am mit einem Blutalkoholgehalt von 1,4%o rechtskräftig einer Übertretung des § 99 Abs. 1a StVO 1960 schuldig erkannt wurde.
Zur Übertretung des § 99 Abs. 1a StVO 1960 hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl. 2009/11/0023, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, dass diese zwar in § 26 Abs. 1 FSG der (auch im vorliegenden Beschwerdefall maßgebenden) Fassung der 7. Führerscheingesetz-Novelle, BGBl. I Nr. 15/2005, nicht ausdrücklich erwähnt wird. Dies könne aber nicht dazu führen, dass diejenige Person, welche eine Übertretung nach § 99 Abs. 1a StVO 1960 begangen hat, insofern günstiger gestellt wäre als eine Person, die nur die weniger gravierende Übertretung nach § 99 Abs. 1b StVO 1960 begangen hat. Daher sei § 26 Abs. 1 erster Satz FSG in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung ist so zu verstehen, dass auch einer Person, die eine Übertretung nach § 99 Abs. 1a StVO 1960 begangen hat, die Lenkberechtigung jedenfalls für die Dauer von einem Monat zu entziehen sei.
Läge der Beschwerdeführerin daher nur die am begangene Übertretung nach § 99 Abs. 1a StVO 1960 zur Last, so wäre ihre Lenkberechtigung gemäß § 26 Abs. 1 erster Satz FSG lediglich für die in dieser Gesetzesstelle fix vorgegebene Dauer von einem Monat zu entziehen gewesen.
Die belangte Behörde hat jedoch eine Entziehung der Lenkberechtigung der Beschwerdeführerin für die Dauer von 10 Monaten bestätigt, dies ausschließlich mit dem begründenden Hinweis darauf, dass die Beschwerdeführerin im Jahre 2006 ein Kraftfahrzeug in alkoholisiertem Zustand gelenkt habe. Zu prüfen ist daher, ob dieser Umstand eine Überschreitung der genannten Entziehungsdauer von einem Monat auf das Zehnfache rechtfertigt.
Wie der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis Zl. 2009/11/0023 unter Hinweis auf seine ständige Judikatur ausgeführt hat, stehen die in § 26 Abs. 1 und 2 FSG normierten Mindestentziehungszeiten dem Ausspruch einer Entziehung für einen längeren Zeitraum dann nicht entgegen, wenn Umstände vorliegen, die auf Grund der Verwerflichkeit und Gefährlichkeit der strafbaren Handlung die Prognose der Verkehrsunzuverlässigkeit für einen über die Mindestentziehungszeit hinausreichenden Zeitraum rechtfertigen und somit die Festsetzung einer längeren Entziehungsdauer erforderlich machen. Die Festsetzung einer über die Mindestzeit des § 26 FSG hinausreichenden Entziehungsdauer hat nach der allgemeinen Regel des § 25 Abs. 3 FSG zu erfolgen, d. h. die Behörde darf über eine solche Mindestentziehungszeit hinaus nur insoweit hinausgehen, als der Betreffende noch im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt für einen die Mindestentziehungsdauer überschreitenden Zeitraum verkehrsunzuverlässig ist.
Soweit die belangte Behörde im Fall der Beschwerdeführerin einen solchen Umstand in dem im Jahre 2006 verwirklichten (somit bereits Jahre zurückliegenden) Lenken eines Kraftfahrzeuges in alkoholisiertem Zustand erblickt (nähere Feststellungen dazu finden sich im angefochtenen Bescheid nicht), ist ihr unter Zugrundelegung der hier noch maßgebenden Fassung des FSG zu entgegnen, dass sich angesichts der seit dem Vordelikt verstrichenen Zeit die Prognose, die Beschwerdeführerin werde ihre Verkehrszuverlässigkeit erst etwa 10 Monate nach dem Vorfall vom wieder erlangen, als überhöht erweist.
Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob auch der Einwand der Beschwerdeführerin zutrifft, im Jahr 2006 sei das Delikt in Deutschland verwirklicht worden, sodass sich die belangte Behörde mit den Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 FSG hätte auseinandersetzen müssen.
Bei diesem Ergebnis bedarf es auch keiner Auseinandersetzung mit der in der Beschwerde aufgeworfenen Frage, ob der Führerschein der Beschwerdeführerin iSd § 39 FSG abgenommen wurde und die Dauer der Entziehung daher gemäß § 29 Abs. 4 FSG ab dem Tag der vorläufigen Abnahme zu berechnen gewesen wäre.
Der angefochtene Bescheid war nach dem Gesagten somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
PAAAE-76802