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VwGH vom 21.05.2019, Ra 2018/03/0117

VwGH vom 21.05.2019, Ra 2018/03/0117

Betreff



Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Nedwed als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Dr. M S in W, vertreten durch Mag. Jan Gruszkiewicz, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schwindgasse 7/6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW-001/016/3507/2018-42, betreffend eine Übertretung nach § 57 Abs. 2 RAO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Unstrittig ist, dass der Revisionswerber für zwei ihm bekannte Personen (E.K. und S.K.) im Laufe des Jahres 2015 rechtfreundliche Vertretungsleistungen erbracht hat, ohne in die Liste der Rechtsanwälte eingetragen zu sein.

2 Aus diesem Grund wurden gegen ihn vom Magistrat der Stadt Wien zwei Verwaltungsstrafverfahren mit dem Vorwurf geführt, er habe unbefugt gewerbsmäßig Tätigkeiten ausgeübt, die nach der Rechtsanwaltsordnung (RAO) den Rechtsanwälten vorbehalten seien. 3 Mit Straferkenntnis vom wurde ihm deshalb zur Last gelegt, in einem näher umschriebenen Zivilverfahren des Bezirksgerichtes Josefstadt einen vorbereitenden Schriftsatz und eine Widerklage für S.K. und E.K. verfasst und eingereicht habe. Er habe dadurch gegen § 57 Abs. 2 RAO verstoßen und es wurde über ihn eine Geldstrafe von EUR 700,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag und 18 Stunden) verhängt.

4 Mit Straferkenntnis vom wurde der Revisionswerber ebenfalls wegen Verletzung des § 57 Abs. 2 RAO mit einer Geldstrafe von EUR 700,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag und 18 Stunden) bestraft, weil er am unter Bezugnahme auf die von S.K. und E.K. erteilte Prozessvollmacht vom eine Meldeauskunft bei der Magistratsabteilung 62 im Hinblick auf einen anhängigen Zivilprozess eingeholt habe. 5 Gegen beide Straferkenntnisse brachte der Revisionswerber Beschwerden an das Verwaltungsgericht Wien ein, die dort unterschiedlichen Gerichtsabteilungen zugewiesen wurden. 6 Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom (schriftlich ausgefertigt am ), Zl. VGW- 001/076/7149/2018-25, hob das Verwaltungsgericht Wien das Straferkenntnis der belangten Behörde vom auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein. Dabei ging das Verwaltungsgericht im Wesentlichen davon aus, dass die Vertretungsleistung des Revisionswerbers für E.K. und S.K. unentgeltlich und daher nicht gewerbsmäßig erfolgt sei. Gegen dieses Erkenntnis wurde keine Revision erhoben.

7 Mit dem im gegenständlichen Revisionsverfahren angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde des Revisionswerbers gegen das Straferkenntnis der belangten Behörde vom als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

8 Begründend stellte das Verwaltungsgericht fest, der Revisionswerber sei infolge eines Vertrages mit E.K. und S.K. vom zumindest ab diesem Tage als deren Rechtsvertreter in einer gerichtsanhängigen Bestandsache vor dem Bezirksgericht Josefstadt tätig gewesen. Im Zuge dessen habe er u. a. Schriftsätze bei Gericht eingebracht. Für seine Vertretungsleistungen habe er Beträge von insgesamt EUR 1.245,-- überwiesen erhalten. Erst aufgrund einer Zusatzvereinbarung vom , wonach sämtliche Dienstleistungen für die Vertretenen unentgeltlich erbracht würden, habe er EUR 1.100,-- zurückerstattet. Aus diesem Sachverhalt folgerte das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht, dass die rechtsfreundliche Vertretung von E.K. und S.K. durch den Revisionswerber jedenfalls im Zeitpunkt der Erbringung der Leistung entgeltlich und damit gewerbsmäßig erfolgt sei. Der Revisionswerber habe dadurch (objektiv und subjektiv) gegen § 57 Abs. 2 RAO verstoßen. Dem Einwand des Revisionswerbers, er dürfe infolge des Grundsatzes "ne bis in idem" nach Einstellung des parallel geführten Verwaltungsstrafverfahrens nicht mehr verfolgt werden, hielt das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung entgegen, dass in dem parallel geführten Verfahren andere, in ihren wesentlichen Elementen unterschiedliche Sachverhalte zur Beurteilung angestanden seien. Im gegenständlichen Verfahren gehe es allein um die Vertretung von E.K. und S.K. durch den Revisionswerber vor dem Bezirksgericht Josefstadt.

9 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache u.a. geltend macht, das Verwaltungsgericht habe gegen den Grundsatz "ne bis in idem" verstoßen. Gegen den Revisionswerber sei nämlich in der Sache seiner Vertretung für E.K. und S.K. bereits entschieden worden, indem das Verwaltungsgericht Wien mit dem mündlich verkündeten Erkenntnis vom das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt habe. Die mit dem angefochtenen Erkenntnis erfolgte Bestrafung in derselben Sache sei somit nicht zulässig gewesen.

10 Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie den Rechtsstandpunkt vertrat, dass die beiden in Rede stehenden Verwaltungsstrafverfahren nicht dieselbe Straftat betroffen hätten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Die Revision ist zulässig und begründet.

12 Gemäß Art. 4 Abs. 1 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden (Grundsatz "ne bis in idem"). Auch die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens nach § 45 VStG hat nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Folge, dass eine Bestrafung wegen derselben Tathandlung den Grundsatz "ne bis in idem" verletzt und deshalb inhaltlich rechtswidrig ist (vgl. , mit weiteren Nachweisen). 13 Dem Revisionswerber wird zur Last gelegt, unbefugt eine durch die RAO den Rechtsanwälten vorbehaltene Tätigkeit gewerbsmäßig ausgeübt und dadurch gegen § 57 Abs. 2 RAO verstoßen zu haben. Dem liegt zugrunde, dass der Revisionswerber zwei namentlich angeführte Personen (E.K. und S.K.) rechtsfreundlich vertreten hat und für sie zum einen Vertretungsleistungen in einem zivilrechtlichen Verfahren vor dem Bezirksgericht Josefstadt vorgenommen hat und zum anderen eine Meldeauskunft im Zusammenhang mit einem (nicht näher umschriebenen) Zivilverfahren bei der Magistratsabteilung 62 eingeholt hat.

14 Vom Magistrat der Stadt Wien wurden wegen dieser Tätigkeiten zwei Verwaltungsstrafverfahren gegen den Revisionswerber geführt, und zwar einerseits in Bezug auf die gegenüber dem Bezirksgericht Josefstadt erbrachten Beratungs- und Vertretungsleistungen und andererseits in Bezug auf die gegenüber der Magistratsabteilung 62 vorgenommene Dienstleistung. Diese Vorgangsweise begründete der Magistrat der Stadt Wien in einer Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Wien vom damit, dass es sich in den beiden Verfahren um unterschiedliche Verfahrensgegenstände handle, weil die Tathandlungen sowohl ihrer Art nach als auch nach ihren Tatzeitpunkten voneinander abwichen. An diesem Rechtsstandpunkt hält der Magistrat der Stadt Wien auch im vorliegenden Revisionsverfahren fest.

15 Fest steht, dass die beiden Verwaltungsstrafverfahren unterschiedliche Verfahrensausgänge nahmen. Während das Verwaltungsstrafverfahren betreffend die Einholung einer Meldeauskunft bei der Magistratsabteilung 62 mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG (endgültig) eingestellt wurde, bestätigte das Verwaltungsgericht Wien mit dem angefochtenen Erkenntnis vom das Straferkenntnis der belangten Behörde in Bezug auf die vom Revisionsweber erbrachten Leistungen im Zivilprozess vor dem Bezirksgericht Josefstadt.

16 Das Verwaltungsgericht Wien sah sich zu dieser unterschiedlichen Vorgangsweise in beiden Beschwerdeverfahren berechtigt, weil die in den beiden Verwaltungsstrafverfahren behandelten Delikte seiner Rechtsansicht nach nicht dieselbe Straftat betroffen hätten und daher auch nicht dem Grundsatz "ne bis in idem" unterlägen.

17 Diese Rechtsauffassung vermag der Verwaltungsgerichtshof anhand des festgestellten Sachverhalts nicht ohne Weiteres zu teilen:

18 Nach § 57 Abs. 2 RAO begeht eine Verwaltungsübertretung, wer unbefugt eine durch dieses Bundesgesetz den Rechtsanwälten vorbehaltene Tätigkeit gewerbsmäßig anbietet oder ausübt. 19 Gemäß § 8 Abs. 1 RAO erstreckt sich das Vertretungsrecht eines Rechtsanwaltes auf alle Gerichte und Behörden der Republik Österreich und umfasst die Befugnis zur berufsmäßigen Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen, in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten. Die Befugnis zur umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung im Sinne des Abs. 1 ist gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. den Rechtsanwälten vorbehalten. Die Berufsbefugnisse der Notare, Patentanwälte, Wirtschaftstreuhänder und Ziviltechniker werden hiedurch nicht berührt.

20 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zielt die in Rede stehende Strafbestimmung des § 57 Abs. 2 RAO darauf ab, unbefugte Personen von der gewerbsmäßigen Erbringung auch nur einzelner aus dem Gesamtspektrum der den Rechtsanwälten vorbehaltenen Tätigkeiten abzuhalten. Zur Verwirklichung des Tatbildes des § 57 Abs. 2 in Verbindung mit § 8 RAO ist es daher nicht erforderlich, dass der Täter gewerbsmäßig im Sinne einer umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung tätig wird, also alle den Rechtsanwälten vorbehaltenen Tätigkeiten gewerbsmäßig ausübt. Nach dem Vorgesagten genügt vielmehr die gewerbsmäßige Ausübung einzelner oder auch nur einer einzigen derartigen Tätigkeit (vgl. etwa , mit weiteren Nachweisen). 21 Werden von einer Person unbefugt mehrere Tätigkeiten im soeben beschriebenen Sinne erbracht, hat die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht im Fall der Vorsatzdelinquenz (vgl. ) darauf Bedacht zu nehmen, ob es sich dabei um gesonderte Verwaltungsstraftaten oder bloß um ein fortgesetztes Delikt handelt. Das fortgesetzte Delikt ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Reihe von Einzelhandlungen vermöge der Gleichartigkeit der Begehungsform, der Ähnlichkeit der äußeren Begleitumstände und der zeitlichen Kontinuität zu einer Deliktseinheit zusammentreten (vgl. auch dazu , mit weiteren Nachweisen). Im Falle der Fahrlässigkeitsdelinquenz kann die wiederholte Verwirklichung des gleichen Tatbestandes im Rahmen eines erkennbaren zeitlichen und einer diesbezüglichen gesamtheitlichen Sorgfaltswidrigkeit zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zusammentreten, sodass nur eine Tat zu verantworten ist (vgl. dazu , und ). Liegt ein fortgesetztes Delikt oder eine tatbestandliche Handlungseinheit vor, so ist die Anwendung des in § 22 Abs. 2 VStG normierten Kumulationsprinzips ausgeschlossen (vgl. ). Es handelt es sich dann um ein- und dieselbe Straftat, sodass auch nur ein Verwaltungsstrafverfahren geführt werden darf, das entweder mit einer Bestrafung oder einer Verfahrenseinstellung enden kann.

22 Läge daher im gegenständlichen Fall ein fortgesetztes Delikt oder eine tatbestandliche Handlungseinheit im oben dargestellten Sinne vor, wäre es nicht zulässig gewesen, zwei Verwaltungsstrafverfahren gegen den Revisionswerber zu führen. In jedem Fall würde aber der zeitlich frühere endgültige Abschluss eines der beiden Verfahren (hier: die Verfahrenseinstellung mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom ) dazu führen, dass nach dem Grundsatz "ne bis in idem" keine anderslautende Entscheidung im parallel geführten zweiten Verwaltungsstrafverfahren ergehen dürfte.

23 Ob - anders als die belangte Behörde und das Verwaltungsgericht vermeinen - in Bezug auf die in beiden Verwaltungsstrafverfahren angelasteten Taten ein fortgesetztes Delikt oder eine tatbestandliche Handlungseinheit vorlag, lässt sich auf der Grundlage der getroffenen Sachverhaltsfeststellungen nicht abschließend beurteilen.

24 Gegen die Annahme eines fortgesetzten Delikts oder eine tatbestandliche Handlungseinheit spricht nicht schon der Umstand, dass die vom Revisionswerber erbrachten Vertretungsleistungen gegenüber unterschiedlichen Behörden und zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgten. Wäre davon auszugehen, dass sämtliche Vertretungstätigkeiten auf ein- und demselben Auftrag der Mandanten des Revisionswerbers beruhten (worauf zwar einzelne Ausführungen in der Begründung der beiden betroffenen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts hindeuten, aber keine klaren diesbezüglichen Feststellungen getroffen wurden) und alle Vertretungstätigkeiten in einem inhaltlichen Zusammenhang standen (wozu gekl��rt werden müsste, ob die eingeholte Meldeauskunft das bestandrechtliche Zivilverfahren vor dem Bezirksgericht Josefstadt betraf), lägen nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes fallbezogen hinreichende Gründe vor, um von einer Deliktseinheit auszugehen.

25 Da das Verwaltungsgericht Wien diese notwendigen Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung aufgrund einer Rechtsansicht, die vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt wird, nicht getroffen hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben. 26 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018030117.L00

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