VwGH vom 19.12.2018, Ra 2018/03/0110

VwGH vom 19.12.2018, Ra 2018/03/0110

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Nedwed als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , Zl. LVwG-2017/12/2824-2, betreffend Übertretungen des Tiroler Landes-Polizeigesetzes (mitbeteiligte Partei: G S in T), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom wurde der Mitbeteiligte der Übertretung des § 11 Tiroler Landes-Polizeigesetz (Verletzung des öffentlichen Anstands) in fünf Fällen für schuldig erkannt und mit Geldstrafen von jeweils EUR 50,-- (jeweils 46 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) bestraft.

2 Ihm wurde - zusammengefasst - zur Last gelegt, zu fünf unterschiedlichen Tatzeitpunkten jeweils von seinem damaligen Wohnsitz in H aus in der Facebook-Gruppe "C" Kommentare mit folgenden Inhalten verfasst und veröffentlicht zu haben:

3 1.): "Arschlochrichterin, aber die Deutschen mit Bagatellfällen verknacken, hoffentlich fickt sie mal ein Maximalpigmentierter in den Arsch den sie nicht in der Hose hat!"; 2.): "Ich bin neugierig wie sich der Arschlochrichter entscheidet"; 3.): "Staatsanwalt Du bist ein absolut riesengroßes Arschloch"; 4.): "Den Richtern habe sie wirklich ins Hirn geschissen, aber sie sind ja meistens selbst pädophil"; 5.):

"Sollten sich die Arschlochrichter mal vor Augen halten, dass dasselbe mit ihrer Tochter wäre, ich hätte den in der nächsten Kläranlage entsorgt, ohne Beweise, sprich der Leiche kann ich nicht angeklagt werden!!!".

4 Die Behörde ging davon aus, dass der Mitbeteiligte durch diese öffentlich einsehbaren Kommentare, die einen groben Verstoß gegen die in der Öffentlichkeit zu beachtenden allgemein anerkannten Grundsätze der Schicklichkeit dargestellten, den öffentlichen Anstand verletzt habe.

5 Der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Landesverwaltungsgericht Tirol mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge, hob das Straferkenntnis auf, stellte das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein und erklärte die Revision für nicht zulässig.

6 Begründend führte das Landesverwaltungsgericht - mit näherer Begründung - aus, die Kommentare des Mitbeteiligten hätten zwar den öffentlichen Anstand verletzt und seien "öffentlich" erfolgt. Gegenstand des § 11 Tiroler Landes-Polizeigesetzes könnten aus verfassungsrechtlichen Gründen aber nur Anstandsverletzungen sein, deren Hintanhaltung im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet sei, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden. Unter Berücksichtigung der eingeschränkten Zuständigkeit des Landesgesetzgebers nur für die örtliche Sicherheitspolizei könne daher nur ein Verhalten im Tiroler Landes-Polizeigesetz geregelt werden, das in einer "Öffentlichkeit" stattfinde, die in einer "örtlichen Gemeinschaft" gelegen sei. Wenn nun dem Mitbeteiligten "Postings" auf einer deutschsprachigen Facebook-Seite vorgeworfen würden, seien diese Äußerungen zwar an die "Öffentlichkeit" gelangt, doch sei eine Facebook-Gruppe mit 12.176 Personen, die durch einfachen Knopfdruck Mitglied würden, nicht mehr auf eine örtliche Gemeinschaft beschränkt bzw. liege der Inhalt der "Postings" nicht im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft und sei die Hintanhaltung einer solchen Anstandsverletzung letztlich auch nicht geeignet, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden. Dem § 11 Tiroler Landes-Polizeigesetz könne daher aus kompetenzrechtlichen Überlegungen nicht ein Inhalt unterstellt werden, wonach auch ein Verhalten, das auf die beschriebene Art und Weise an eine über eine örtliche Gemeinschaft hinausgehende Öffentlichkeit trete, nach dieser Bestimmung strafbar sei. Die dem Mitbeteiligten vorgeworfenen fünf Übertretungen seien daher nicht unter § 11 Abs. 1 Tiroler Landes-Polizeigesetz subsumierbar.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. In ihr wird zur Zulässigkeit und in der Sache geltend gemacht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob ein Verhalten, welches geeignet sei, eine strafbare Handlung innerhalb einer Gemeinschaft im Sinne des Art. 15 Abs. 2 B-VG darzustellen, dann nicht mehr strafbar sei, wenn die Auswirkungen dieses grundsätzlich strafbaren Verhaltens die Grenzen der beschriebenen Gemeinschaft überschritten. Nach Rechtsansicht der Revisionswerberin könne ein strafbares Verhalten nicht von vornherein ausgeschlossen werden, wenn sich die Auswirkungen des Verhaltens über eine örtliche Gemeinschaft hinaus entfalteten. Das Verhalten bleibe - wie auch im vorliegenden Fall -

strafbar, wenn die Tathandlung innerhalb der geforderten Gemeinschaft gesetzt worden sei (Tatort und Tatzeit seien nicht bestritten) und Auswirkungen auf diese habe, und zwar unabhängig davon, ob die Auswirkungen auch über die Gemeinschaft hinaus wirkten.

8 Der Mitbeteiligte erstattete zu dieser Amtsrevision eine Revisionsbeantwortung in der er beantragte, das angefochtene Erkenntnis bestehen zu lassen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Die Revision ist im Sinne der Zulassungsbegründung der

Amtsrevision zulässig und sie ist im Ergebnis auch begründet.

10 Gemäß § 11 Abs. 1 Tiroler Landes-Polizeigesetz ist es

verboten, den öffentlichen Anstand zu verletzen. Als Verletzung des öffentlichen Anstandes gilt nach § 11 Abs. 2 Tiroler Landes-Polizeigesetz jedes Verhalten, das einen groben Verstoß gegen die in der Öffentlichkeit zu beachtenden allgemein anerkannten Grundsätze der Schicklichkeit darstellt.

11 Zu Recht ging das Landesverwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung davon aus, dass der Mitbeteiligte durch seine unflätigen Kommentare auf der näher bezeichneten Facebook-Seite die in der Öffentlichkeit zu beachtenden allgemein anerkannten Grundsätze der Schicklichkeit verletzt hat (vgl. zur Verletzung des öffentlichen Anstandes im Allgemeinen etwa , mwN, , 2008/09/0272, , 2009/09/0154).

12 Richtig ist auch, dass die Tatbegehung jeweils öffentlich erfolgte (vgl. dazu , Rn. 23, und aus jüngerer Zeit ).

13 Strittig ist allerdings die Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichts, § 11 Tiroler Landes-Polizeigesetz könne aus kompetenzrechtlicher Sicht nicht ein Inhalt unterstellt werden, wonach auch ein Verhalten, das unter Verwendung von Facebook an eine über die örtliche Gemeinschaft hinausgehende Öffentlichkeit trete, nach dieser Bestimmung strafbar sei.

14 Dazu ist Folgendes zu erwägen:

15 Nach der Kompetenzverteilung des B-VG ist die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, einschließlich der ersten allgemeinen Hilfeleistung, mit Ausnahme der örtlichen Sicherheitspolizei gemäß Art. 10 Abs. 1 Z 7 B-VG Aufgabe des Bundesgesetzgebers.

16 Gemäß Art. 15 Abs. 2 B-VG fallen Angelegenheiten der örtlichen Sicherheitspolizei in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Dabei handelt es sich nach dem Wortlaut der Norm um jenen Teil der Sicherheitspolizei, der im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet ist, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden wie die Wahrung des öffentlichen Anstandes und die Abwehr ungebührlicherweise hervorgerufenen störenden Lärmes.

17 Der Verfassungsgerichtshof hat erkannt, dass der Begriff der örtlichen Sicherheitspolizei unter Anknüpfung an den allgemeinen Sicherheitspolizeibegriff nach Art. 10 Abs. 1 Z 7 B-VG sowie unter Anknüpfung an die Kriterien des Interesses und der Eignung im Sinne des Art. 118 Abs. 2 B-VG definiert werde. Zwischen der allgemeinen, in den Kompetenzbereich des Bundes fallenden, und der örtlichen, in den Kompetenzbereich der Länder fallenden Sicherheitspolizei, bestehe kein Unterschied grundsätzlicher Natur. Die Abgrenzung zwischen allgemeiner und örtlicher Sicherheitspolizei werde verfassungsrechtlich nach denselben Kriterien vorgenommen wie nach jenen, durch die der eigene Wirkungsbereich der Gemeinden bestimmt werde. Es komme im zweiten Fall primär darauf an, ob es um Angelegenheiten der Sicherheitspolizei gehe, die "das Interesse der Gemeinde berühr(en)", "ob räumliche Grundlage des geschützten Interesses nur das Gemeindegebiet oder ein Teil davon ist", und schließlich, "ob die Gemeinde die Angelegenheit innerhalb ihrer Grenzen durch eigene Kräfte besorgen kann" (VfSlg. 9653/1983 mwN). Die Anwendung der Kriterien des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde zur Abgrenzung der Zuständigkeiten (VfSlg. 8155/1977) ergebe, dass Maßnahmen zum Schutz von "nur den örtlichen Verhältnissen zuzuordnenden Rechtsgütern" sowie zum Schutz vor "in sachlicher (sowie) in persönlicher Hinsicht" mit den lokalen Verhältnissen notwendig verknüpften Beeinträchtigungen für die Zuordnung zur Zuständigkeit der örtlichen Sicherheitspolizei sprächen (VfSlg. 11.195/1986). Allein der Umstand, dass eine Gefahr, der zu begegnen der örtlichen Sicherheitspolizei obliege, auch an anderen Orten auftreten könne und auch auftrete, könne nicht dazu führen, dass damit automatisch eine Subsumtion zur Materie "örtliche Sicherheitspolizei" ausscheide (vgl. zum Ganzen VfSlg. 19.665/2012).

18 Werden diese verfassungsrechtlichen Erwägungen auf den vorliegenden Fall übertragen, so ist dem Landesverwaltungsgericht im Ansatz zuzustimmen, dass es die verfassungskonforme Auslegung des § 11 Tiroler Landes-Polizeigesetz gebietet, den Anwendungsbereich der Norm auf jene Fälle zu beschränken, die nach der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung in die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers fallen. Dementsprechend können von den in § 11 Tiroler Landes-Polizeigesetz umfassten öffentlichen Anstandsverletzungen nur solche gemeint sein, die der "örtlichen Sicherheitspolizei" zu unterstellen sind.

19 Allerdings greift es zu kurz, eine Angelegenheit der örtlichen Sicherheitspolizei allein deshalb zu verneinen, weil ein den Anstand verletzender Kommentar auf einer öffentlich einsehbaren Facebook-Seite über das Gebiet der örtlichen Gemeinschaft hinaus gelesen werden kann. Umgekehrt kann aber auch nicht ausschließlich deshalb, weil ein inkriminiertes "Posting" auf Facebook von einem Standort innerhalb des Gemeindegebiets abgegeben wird, auf eine Angelegenheit der örtlichen Sicherheitspolizei geschlossen werden.

20 Entscheidend ist vielmehr, ob durch den in Rede stehenden Kommentar auf Facebook ausschließlich oder zumindest überwiegend das Interesse der Gemeinde berührt wird und ob die Gemeinde die Angelegenheit innerhalb ihrer Grenzen durch eigene Kräfte besorgen kann. Wie der Verfassungsgerichtshof dargelegt hat, ist dabei von Bedeutung, dass die örtliche Sicherheitspolizei Maßnahmen erfassen soll, die dem Schutz von den örtlichen Verhältnissen zuzuordnenden Rechtsgütern sowie dem Schutz vor in sachlicher und in persönlicher Hinsicht mit den lokalen Verhältnissen notwendig verknüpften Beeinträchtigungen dienen.

21 Bezieht sich der den Anstand verletzende öffentliche Kommentar auf Facebook daher auf Rechtsgüter, die nur oder zumindest überwiegend dem Gebiet der örtlichen Gemeinschaft zuzuordnen sind, oder weist er einen in sachlicher und in persönlicher Hinsicht mit den lokalen Verhältnissen notwendig verknüpften Inhalt auf, kann er auch im Rahmen der örtlichen Sicherheitspolizei geahndet werden.

22 Im vorliegenden Fall lassen die Feststellungen der Behörde und des Landesverwaltungsgerichts nicht erkennen, ob die Insultationen des Mitbeteiligten einen ausreichenden Bezug zu den lokalen Verhältnissen im Sinne des bisher Gesagten aufwiesen, etwa, weil sie justizielle Strafverfahren oder Amtsträger betrafen, die einen Bezug zur örtlichen Gemeinschaft hatten. In Ermangelung dieser notwendigen Sachverhaltselemente ist der gegenständliche Fall nicht entscheidungsreif. Die Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichts, eine Bestrafung des Mitbeteiligten komme fallbezogen jedenfalls nicht in Betracht, erweist sich allerdings als nicht zutreffend.

23 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018030110.L00
Schlagworte:
Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3

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