VwGH vom 16.05.2012, 2012/21/0085

VwGH vom 16.05.2012, 2012/21/0085

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde von 1. S 2. T 3. T und 4. A, alle vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Glawitsch, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zlen. UVS-02/12/4323/2009, UVS- 02/12/4449/2009, UVS-02/12/4452/2009 und UVS-02/12/4456/2009, betreffend Zurückweisung einer Maßnahmenbeschwerde (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin und ihre drei minderjährigen Kinder, die anderen Beschwerdeführer, sind alle russische Staatsangehörige (der tschetschenischen Volksgruppe). Sie beantragten nach ihrer Einreise am die Gewährung von internationalem Schutz. Diese Anträge wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurückgewiesen; unter einem wurde ihre Ausweisung nach Polen, den nach der Dublin-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat, verfügt. Dagegen erhobene Beschwerden wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom ab.

Nachdem die Bundespolizeidirektion Linz zur Sicherung der Abschiebung das gelindere Mittel der täglichen Meldung bei einer näher bezeichneten Polizeidienststelle angeordnet hatte und Abschiebungsversuche gescheitert waren, erteilte die Bundespolizeidirektion Linz am den Auftrag, die Beschwerdeführer gemäß § 77 Abs. 5 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG festzunehmen und in das Polizeianhaltezentrum Wien zu überstellen. Auf Grund dessen wurden die Beschwerdeführer am festgenommen und dann bis zum angehalten; an diesem Tag erfolgte ihre Abschiebung nach Polen am Landweg über Tschechien.

Mit Schriftsatz vom erhoben sie gegen die Anhaltung gerichtete Beschwerden an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich. Zu deren Erledigung kann auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zlen. 2009/21/0214, 0224, verwiesen werden.

Mit Schriftsatz vom selben Tag hatten die Beschwerdeführer auch eine Maßnahmenbeschwerde beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien mit dem Antrag eingebracht, "die am um 3.00 Uhr begonnene, auf dem Landweg über Tschechien nach Polen durchgeführte Abschiebung für rechtswidrig zu erklären". Da die Abschiebung - so das diesbezügliche Vorbringen in der Administrativbeschwerde - "vom PAZ Wien/Roßauer Lände am begann", sei der angerufene Unabhängige Verwaltungssenat Wien für diese Beschwerde auch örtlich zuständig.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) "gemäß

§ 67a Abs. 1 Z 2 iVm § 67c Abs. 3 AVG" die Beschwerde ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück. Dazu verwies die belangte Behörde auf

§ 67c Abs. 1 AVG, wonach Beschwerden nach § 67a Z 2 AVG wegen Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt bei dem unabhängigen Verwaltungssenat einzubringen seien, in dessen Sprengel dieser Verwaltungsakt gesetzt wurde. Daran anknüpfend führte die belangte Behörde im Wesentlichen nur aus, die von den Beschwerdeführern "behauptete zwangsweise Abschiebung erfolgte beginnend durch Verhaftung der Erstbeschwerdeführerin in der Landesfrauenklinik Linz, somit nicht im Sprengel des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien, sondern in Oberösterreich".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten der belangten Behörde erwogen hat:

In der Beschwerde wird geltend gemacht, die Abschiebung beginne (so wie die Zurückschiebung) mit dem Zeitpunkt, zu dem die Verbringung an die Grenze des Bundesgebietes ihren tatsächlichen Anfang nehme. Auf Basis der Prozessbehauptungen sei das beim Polizeianhaltezentrum in Wien der Fall gewesen. Die Verhaftung der Erstbeschwerdeführerin in Linz sei für die örtliche Zuständigkeit nicht maßgeblich. Es komme einzig und allein auf den tatsächlichen Beginn der Abschiebung an. Eine Zurückweisung der Beschwerde wegen örtlicher Unzuständigkeit hätte im Übrigen nach Meinung der Beschwerdeführer auch schon deshalb nicht erfolgen dürfen, weil die belangte Behörde auch bei Zugrundelegung ihrer Rechtsansicht die Beschwerde gemäß § 6 Abs. 1 AVG an die ihrer Auffassung nach zuständige Behörde hätte weiterleiten müssen.

Gegen die Beschwerdeführer war eine (rechtskräftige und) durchsetzbare asylrechtliche Ausweisung erlassen worden. Gemäß § 46 Abs. 1 FPG können Fremde in diesem Fall (unter in den Z 1 bis 4 noch näher genannten alternativen Bedingungen) von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag der Fremdenpolizeibehörde "zur Ausreise verhalten werden (Abschiebung)". Die Abschiebung ist jene Maßnahme, die der Durchsetzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, also eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung dient (so die Materialien zum Fremdenrechtspaket 2005, RV 952 BlgNR 22. GP 94).

Gemäß § 67a Z 2 AVG entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein. Es ist zulässig, im Wege einer solchen Beschwerde die Rechtmäßigkeit einer Abschiebung als Maßnahme unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durch den unabhängigen Verwaltungssenat prüfen zu lassen (siehe des Näheren das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0056). Nach § 67c Abs. 1 AVG sind Beschwerden nach § 67a Z 2 AVG bei dem unabhängigen Verwaltungssenat einzubringen, in dessen Sprengel dieser Verwaltungsakt gesetzt wurde. Für die hier allein strittige Frage, welcher unabhängige Verwaltungssenat für die Erledigung einer solchen Beschwerde örtlich zuständig ist, kommt es daher darauf an, in wessen Sprengel der Verwaltungsakt gesetzt wurde.

Sowohl die belangte Behörde als auch die Beschwerdeführer stellten dabei auf den Beginn der Abschiebung ab, was jedenfalls nicht zu beanstanden ist. So judizierte der Verwaltungsgerichtshof zur Frage der örtlichen Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates nach § 67c Abs. 1 AVG für gegen Abschiebungen gerichtete Maßnahmenbeschwerden bereits im Erkenntnis vom , Zl. 94/02/0139, zur Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebung sei nur jener unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen örtlichem Wirkungsbereich die Abschiebung beginne.

Dazu führte der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf Beschwerden gegen eine im Wege der Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durchsetzbare Zurückschiebung eines Fremden sodann im Erkenntnis vom , Zlen. 98/02/0324, 0325 und 0327, aus, dass die Zurückschiebung in dem Zeitpunkt beginne, in dem die Verbringung des Fremden an die Grenze des Bundesgebietes ihren tatsächlichen Anfang nehme. Das sei in Fällen, in denen Fremde in Schubhaft angehalten werden, der Zeitpunkt, in dem sie vom Vollzugsort der Schubhaft zum Zweck des Transportes an die Grenze abgeholt werden. Daraus folge, dass für Beschwerden gegen Zurückschiebungen derjenige unabhängige Verwaltungssenat zuständig sei, in dessen örtlichem Zuständigkeitsbereich die Zurückschiebung tatsächlich begonnen habe (vgl. daran anschließend auch das Erkenntnis vom , Zl. 2000/02/0233). Das gilt sinngemäß auch für Abschiebungen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichthofes vom , B 159/00, Punkt II.3.1. der Entscheidungsgründe, in dem auf das genannte hg. Erkenntnis Zl. 94/02/0139 Bezug genommen wird).

Bei der Übertragung dieser Vorjudikatur auf andere Konstellationen ist allerdings zu beachten, dass den zitierten Erkenntnissen jeweils Fälle zugrunde lagen, in denen der Fremde davor in Schubhaft angehalten wurde. Das war in der vorliegenden Konstellation aber gerade nicht der Fall. Zu seiner Beurteilung ist daher auf die allgemeinen Überlegungen des Gerichtshofes in dem schon genannten Erkenntnis vom , Zl. 94/02/0139, zurückzukommen, wonach "das Verhalten zur Ausreise" am tatsächlichen Aufenthaltsort des Fremden beginne. Dort setze der gegen ihn gerichtete behördliche Zwang ein und setze sich bis zum Passieren einer Grenzkontrollstelle fort. Die Abschiebung sei insofern eine Einheit, als alle ihre Elemente auf den Endzweck ausgerichtet seien, den Fremden zum Verlassen des Bundesgebietes zu verhalten, gleichgültig, wo sich diese Einzelelemente ereignen. Sie alle gingen auf den Willen derjenigen Fremdenpolizeibehörde zurück, die die Abschiebung veranlasst habe.

Wird demnach gegen einen Fremden nach der Festnahme nicht die Schubhaft verhängt, sondern wird er wie hier - wenn auch unter Ausnützung des sich aus § 77 Abs. 5 FPG ergebenden zeitlichen Spielraums von 72 Stunden - nach seiner Festnahme "direkt" abgeschoben, dann beginnt die Abschiebung bereits mit dieser Festnahme. Dass nach den Ausführungen in dem bereits erwähnten, ebenfalls die Beschwerdeführer betreffenden Erkenntnis vom , Zlen. 2009/21/0214, 0224, gegen ihre Festnahmen und Anhaltungen als eigene Maßnahmen im Rahmen der Abschiebung eine Beschwerde nach § 82 Abs. 1 Z 1 und 2 FPG zulässig erhoben werden konnte, ergibt keine andere Beurteilung.

Demzufolge war für die Frage, welcher unabhängige Verwaltungssenat zur Prüfung der gegen die Abschiebung der Beschwerdeführer gerichteten Beschwerde zuständig ist, der Ort der Festnahme in Linz maßgeblich. An der durch den Festnahmeort begründeten Zuständigkeit änderte sich im vorliegenden Fall auch dadurch nichts, dass nur der in einer späteren Phase erfolgte Transport der Beschwerdeführer vom Polizeianhaltezentrum in Wien und deren anschließende Verbringung außer Landes zum Gegenstand der vorliegenden Beschwerde gemacht wurden. Daher hat die belangte Behörde ihre Zuständigkeit zu Recht verneint.

Das führt aber nicht zur Abweisung der Beschwerde, weil der weitere Einwand der Beschwerdeführer zutrifft, dass die belangte Behörde die Maßnahmenbeschwerde jedenfalls nicht hätte zurückweisen dürfen, sondern an den ihrer Ansicht nach zuständigen unabhängigen Verwaltungssenat hätte weiterleiten müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/01/0445).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Gemäß § 53 Abs. 1 VwGG ist im vorliegenden Fall, in dem mehrere Beschwerdeführer einen Bescheid gemeinsam in einer Beschwerde angefochten haben, nur einmal Schriftsatzaufwand zuzuerkennen. Das darüber hinausgehende, auf den Zuspruch von vierfachem Schriftsatzaufwand gerichtete Begehren war daher abzuweisen.

Wien, am