VwGH vom 19.03.2013, 2012/21/0082

VwGH vom 19.03.2013, 2012/21/0082

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des X M in L, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-730353/3/SR/Jo, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste am nach Österreich ein und stellte einen erfolglos gebliebenen Asylantrag. Im Hinblick auf die am mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossene Ehe wurde ihm zunächst eine bis befristete Niederlassungsbewilligung erteilt.

Nach Erhebungen im Zuge des Verfahrens über einen Verlängerungsantrag erließ die Bundespolizeidirektion Linz gegen den Beschwerdeführer wegen des Eingehens einer sogenannten "Scheinehe" mit Bescheid vom ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Über die dagegen erhobene Berufung entschied die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich mit dem - nach Aufhebung eines ersten Berufungsbescheides mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom - im zweiten Rechtsgang erlassenen Bescheid vom wie folgt (Hervorhebungen im Original):

"Gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Zi. 6 sowie den §§ 63 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, i.d.g.F., wird Ihrer Berufung keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt. "

Die dagegen eingebrachte Beschwerde, der aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, wies der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0624, als unbegründet ab.

Mittlerweile hatte der Beschwerdeführer mit anwaltlichem Schriftsatz vom den Antrag gestellt, "die Bundespolizeidirektion Linz möge das durch den Bescheid vom erlassene Aufenthaltsverbot aufheben." Nach Darstellung des bisherigen Verfahrensganges verwies der Beschwerdeführer in der Begründung einleitend darauf, dass die am , somit vor mehr als fünf Jahren geschlossene Ehe mittlerweile mit gerichtlichem Beschluss vom geschieden worden sei. Nach Wiedergabe des § 65 Abs. 1 FPG, wonach ein Aufenthaltsverbot auf Antrag aufzuheben ist, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt hatten, weggefallen sind, brachte der Beschwerdeführer dazu vor, sich "seither" wohlverhalten und kein anderes fremdenrechtliches Fehlverhalten gesetzt zu haben. Er sei überdies seit sieben Jahren bei demselben Unternehmen beschäftigt und habe seit einem Jahr eine Beziehung mit einer österreichischen Lebenspartnerin. Er wolle mit ihr ein "geordnetes und sorgsames Leben" führen. Außerdem sei seine kranke Mutter auf die Hilfe des Beschwerdeführers angewiesen.

Dieser Antrag wurde von der Bundespolizeidirektion Linz mit Bescheid vom gemäß § 65 Abs. 1 FPG abgewiesen.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer eine Berufung, die der Unabhängige Verwaltungssenat für das Land Oberösterreich (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid vom mit der Maßgabe abwies, dass der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides wie folgt zu lauten habe:

"Der Antrag vom auf Aufhebung des mit Bescheid der BPD Linz vom , Zl. 1030299/FRB, zugestellt am , gegen den Antragsteller erlassenen auf 5 Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes wird zurückgewiesen."

In dem die vorgenommene Antragszurückweisung tragenden Begründungsteil führte die belangte Behörde aus, ihr sei eine inhaltliche Entscheidung in Form der Aufhebung des Bescheides des Sicherheitsdirektors von Oberösterreich vom verwehrt, weil der Beschwerdeführer ausdrücklich die Aufhebung eines rechtlich nicht mehr existenten Bescheides der Bundespolizeidirektion Linz begehrt habe. Durch die Erlassung des genannten Bescheides des Sicherheitsdirektors von Oberösterreich habe der Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom bereits jede selbständige rechtliche Außenwirkung verloren und sei rechtlich nicht mehr existent. Ein im Verwaltungsverfahren ergangener Berufungsbescheid habe die aus § 66 Abs. 4 AVG resultierende Wirkung, dass der erstinstanzliche Bescheid in der Berufungsentscheidung aufgegangen und dass diese Berufungsentscheidung, sobald sie erlassen und solange sie aufrecht sei, der alleinige und ausschließliche Träger des Bescheidinhaltes sei. Im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer ausdrücklich die Aufhebung des von der Bundespolizeidirektion Linz erlassenen Bescheides beantragt habe, der zum Zeitpunkt der Antragstellung rechtlich nicht mehr existent gewesen sei, sei die Berufung entsprechend der erfolgten Spruchkorrektur abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen hat:

In der Beschwerde wird geltend gemacht, dass nach dem gesamten Inhalt des Antrages vom kein Zweifel hätte bestehen können, dass der Parteiwille des Beschwerdeführers darauf gerichtet gewesen sei, das gegen ihn "tatsächlich aufrechte und bestehende Aufenthaltsverbot aufgehoben zu erhalten". Jede andere Auslegung seines Antrages würde diesem einen denkunmöglichen Inhalt geben. Es könne kein Zweifel bestehen, dass er die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes, "erlassen am von der BPD Linz, in der Fassung des Berufungsbescheides der Sicherheitsdirektion vom , Zl. St 237/04, beantragt habe."

Damit ist der Beschwerdeführer im Recht:

Der belangten Behörde ist zwar einzuräumen, dass nach der von ihr zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (siehe dazu etwa auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/07/0040, mwN) ein Berufungsbescheid in jeder Hinsicht an die Stelle des erstinstanzlichen Bescheides tritt; letzterer verliert durch die Erlassung des Berufungsbescheides jede selbstständige rechtliche Wirkung nach außen. Ein das erstinstanzliche Verfahren abschließender Bescheid existiert daher nicht mehr. Aus der Bestimmung des § 66 Abs. 4 AVG, wonach die Berufungsbehörde berechtigt ist, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, wird in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch gefolgert, dass eine Berufungsentscheidung die rechtliche Wirkung hat, dass der erstinstanzliche Bescheid in der Berufungsentscheidung aufgegangen ist und diese, sobald sie erlassen und so lange sie aufrecht ist, der alleinige und ausschließliche Träger des Bescheidinhaltes ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/04/0008, mwN). Eine Formulierung der Berufungsbehörde, die zum Ausdruck bringt, der Berufung werde nicht Folge gegeben, ist daher im Allgemeinen als Erlassung eines mit dem erstinstanzlichen Bescheid spruchmäßig übereinstimmenden Bescheides anzusehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/19/1758); dies gilt auch, wenn zum Ausdruck gebracht wird, dass der erstinstanzliche Bescheid von der Berufungsbehörde bestätigt werde (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/04/0046).

Darauf kommt es - abgesehen davon, dass die belangte Behörde mit der im bekämpften Bescheid vorgenommenen Abänderung des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides den dargestellten Grundsätzen auch nicht zur Gänze Rechnung getragen hat - im vorliegenden Fall aber nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, wie der Antrag des Beschwerdeführers vom zu verstehen war.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2009/08/0058 (unter Bezugnahme auf Hengstschläger/Leeb , AVG § 13 Rz 38 f, mit Nachweisen aus der hg. Rechtsprechung), zur Auslegung von "Anbringen" Folgendes ausgeführt (vgl. daran anschließend zuletzt auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/12/0005):

"Bei der Ermittlung von Rechtsqualität und Inhalt eines Anbringens kommt es nicht auf die Bezeichnung durch den Einschreiter, sondern auf den Inhalt der Eingabe, also auf das daraus erkenn- und erschließbare Ziel des Einschreiters an. Entscheidend ist, wie das Erklärte, also der Wortlaut des Anbringens unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Im Zweifel darf nicht davon ausgegangen werden, dass eine Partei einen von vornherein sinnlosen oder unzulässigen Antrag gestellt hat. Bei eindeutigem Inhalt eines Anbringens sind aber davon abweichende, nach außen nicht zum Ausdruck gebrachte Absichten und Beweggründe ohne Belang. Es ist unzulässig, entgegen dem erklärten Willen der Partei ihrem Begehren eine Deutung zu geben, die aus dem Wortlaut des Begehrens nicht unmittelbar erschlossen werden kann, mag auch das Begehren, so wie es gestellt worden ist, von vornherein aussichtslos oder gar unzulässig sein. Weist ein Anbringen einen undeutlichen Inhalt auf, so hat die Behörde durch Herbeiführung einer entsprechenden Erklärung den wahren Willen des Einschreiters festzustellen. Keinesfalls ist es der Behörde gestattet, einem unklaren Antrag von vornherein einen für den Antragsteller ungünstigen Inhalt zu unterstellen."

Am Maßstab dieser Rechtsprechung hätte die belangte Behörde nach dem gesamten, oben wiedergegebenen Inhalt des Antrages vom aber keinen Zweifel haben dürfen, dass der Beschwerdeführer die Aufhebung des gegen ihn bestehenden Aufenthaltsverbotes gemäß dem damals geltenden § 65 Abs. 1 FPG (idF vor dem FrÄG 2011) anstrebte. Eine nur an der Formulierung des Aufhebungsbegehrens orientierte Deutung des Antrags, die ihm einen unzulässigen, die vorgenommene Zurückweisung zur Folge habenden Inhalt unterstellte, widerspricht der oben genannten Pflicht, einem in diese Richtung nicht eindeutigen Anbringen keinen solchen Inhalt beizumessen. Angesichts dessen erweist sich die im bekämpften Bescheid ausgesprochene Antragszurückweisung als rechtswidrig.

Im angefochtenen Bescheid finden sich auch noch Überlegungen, wonach das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot nach dem Inkrafttreten des FrÄG 2011 (am ) als Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot anzusehen und somit auf den gegenständlichen Fall § 60 Abs. 1 FPG (idF des FrÄG 2011) anzuwenden sei. Nach dieser Bestimmung sei aber nur die Herabsetzung der Dauer eines Einreiseverbotes und nicht dessen Aufhebung vorgesehen. Soweit damit auch die vorgenommene Antragszurückweisung hätte begründet werden sollen, sind dem die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/21/0159, mit dem eine auch diese Ansicht vertretende Amtsbeschwerde abgewiesen wurde, entgegen zu halten. Dort kam der Verwaltungsgerichtshof vielmehr zu dem Ergebnis, dass vor dem Inkrafttreten des FrÄG 2011 erlassene Aufenthaltsverbote nach § 69 Abs. 2 FPG (idF des FrÄG 2011) im Sinn der dort getroffenen Anordnung aufzuheben sind, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Die dargestellte weitere Begründung der belangten Behörde wäre daher ebenfalls nicht geeignet gewesen, die Zurückweisung des Aufhebungsantrages des Beschwerdeführers vom zu rechtfertigen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am