VwGH vom 01.07.2010, 2008/09/0192

VwGH vom 01.07.2010, 2008/09/0192

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel sowie Senatspräsidentin Dr. Händschke und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der Mag. D B in W, vertreten durch Dr. Georg Röhsner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 12, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. LGSW/Abt. 3/08117/2008, betreffend Ausstellung einer Freizügigkeitsbestätigung nach § 32a AuslBG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom beantragte die Beschwerdeführerin, eine slowakische Staatsangehörige, die Ausstellung einer Freizügigkeitsbestätigung gemäß § 32a Abs. 2 und 3 AuslBG.

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom wurde dieser Antrag im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, sie erfülle die zeitlichen Voraussetzungen des § 32a Abs. 2 AuslBG nicht.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben.

Nach Zitierung der §§ 32a Abs. 1 und 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) sowie Darstellung des bisherigen Verfahrensverlaufs kam die belangte Behörde rechtlich zu dem Schluss, zum Erwerb der Freizügigkeit nach § 32a Abs. 2 Z. 1 AuslBG führten nur Tätigkeiten, auf welche in einem Zulassungsverfahren zum Arbeitsmarkt die Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes anzuwenden seien. Auf Tätigkeiten, die auf Grund anderer Bestimmungen ohne Anwendung des AuslBG hätten erfolgen können, werde in § 32a Abs. 2 Z. 1 AuslBG nicht Bezug genommen, da in diesem Fall über keine Zulassung zum Arbeitsmarkt abgesprochen bzw. entschieden werde und die Zulassungsvoraussetzungen für einen Zugang zum regulären Arbeitsmarkt im AuslBG geregelt seien. Die Beschwerdeführerin besitze die fachliche Ausbildung zur Apothekerin; ihr sei mit Bescheiden vom für die Zeit vom bis (einschließlich einer mit Bescheid vom vorliegenden Unterbrechung in der Zeit vom bis ) sowie für die Zeiträume bis und bis die Tätigkeit als Aspirantin in einer Apotheke genehmigt worden. Auf Grund dieser Genehmigungen sei die Beschwerdeführerin laut Abfrage ihrer Versicherungsdaten beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger in der Zeit vom bis , somit über ein Jahr als Aspirantin beschäftigt gewesen. Ebenfalls über ein Jahr, nämlich vom bis habe die Beschäftigung in einer anderen Apotheke gedauert.

Mit Bescheid des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen vom sei der Beschwerdeführerin die Genehmigung erteilt worden, in der Zeit vom bis in einer öffentlichen Anstaltsapotheke als vertretungsberechtigte Apothekerin gemäß § 1 Abs. 3 der pharmazeutischen Fachkräfteverordnung tätig zu sein. Beschäftigungsbewilligungen seien von ihren jeweiligen Arbeitgebern jedoch nicht eingeholt worden, obwohl mit der Erteilung von Beschäftigungsbewilligungen infolge des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt Leistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz bezogen habe, grundsätzlich zu rechnen gewesen wäre. Auf die bisherigen Beschäftigungen seien gemäß § 2 Abs. 2 lit. b AuslBG auf Grund sonstiger Vorschriften die Bestimmungen des AuslBG bis zum nicht anzuwenden gewesen. Ab dem hätten bereits begonnene Fortbildungsmaßnahmen gemäß § 3 Abs. 7 AuslBG in der bescheidmäßig ausgewiesenen Dauer beendet werden können. Auf Grund des Umstandes, dass auf die bisherigen Beschäftigungen der Beschwerdeführerin gemäß § 2 Abs. 2 lit. b AuslBG auf Grund sonstiger Vorschriften die Bestimmungen des AuslBG nicht anzuwenden gewesen seien und ihre Berechtigungen unter Außerachtlassung des Arbeitsmarktes zu erteilen gewesen seien, die Zulassung zum Arbeitsmarkt jedoch im AuslBG geregelt sei, könne sie sich auf keine Beschäftigungen berufen, in deren Zusammenhang über eine Zulassung zum Arbeitsmarkt entschieden worden sei. Da sich § 32a Abs. 2 Z. 1 AuslBG auf Beschäftigungen beziehe, für die eine Zulassung zum Arbeitsmarkt vorausgesetzt werde, könnten ihre Beschäftigungen für die Ausstellung einer Freizügigkeitsbestätigung nicht berücksichtigt werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte, und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 2 lit. l des Ausländerbeschäftigungsgesetzes - AuslBG, BGBl. Nr. 218/1975 in der von der belangten Behörde anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 78/2007, sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes nicht anzuwenden auf freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder), die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sowie drittstaatsangehörige Eltern des EWR-Bürgers und seines Ehegatten, denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sofern sie zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, berechtigt sind.

Gemäß § 32a Abs. 1 AuslBG gilt § 1 Abs. 2 lit. l und m - mit Ausnahme der Staatsangehörigen der Republik Malta und der Republik Zypern - nicht für Staatsangehörige jener Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die am aufgrund des Vertrages über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (Beitrittsvertrag), Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 236 vom , Seite 17 und Nr. C 227 E vom , der Europäischen Union beigetreten sind, es sei denn, sie sind Ehegatten, Kinder, Eltern oder Schwiegereltern eines freizügigkeitsberechtigten Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR), der bereits vor In-Kraft-Treten des Beitrittsvertrages dem EWR angehörte, oder sie sind Ehegatten oder Kinder eines österreichischen Staatsbürgers oder eines Staatsangehörigen eines anderen EWR-Mitgliedstaates, der sein Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch nimmt.

Nach Abs. 2 dieser Bestimmung ist den EU-Bürgern gemäß Abs. 1 vom Arbeitsmarktservice das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt schriftlich zu bestätigen, wenn sie

1. am Tag des Beitritts oder nach dem Beitritt rechtmäßig im Bundesgebiet beschäftigt sind und ununterbrochen mindestens zwölf Monate zum Arbeitsmarkt zugelassen waren oder

2. die Voraussetzungen für einen Befreiungsschein (§ 15) erfüllen oder

3. seit fünf Jahren im Bundesgebiet dauernd niedergelassen sind und über ein regelmäßiges Einkommen aus erlaubter Erwerbstätigkeit verfügen.

Gemäß § 2 Abs. 2 lit. b AuslBG gilt (u.a.) als Beschäftigung die Verwendung in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis, sofern die Tätigkeit nicht auf Grund gewerberechtlichen oder sonstiger Vorschriften ausgeübt wird.

Punkt 1. Freizügigkeit Punkt 2. des Anhanges XIV: Liste nach

Artikel 24 der Beitrittsakte: Slowakei bestimmt, dass abweichend von den Artikeln 1 bis 6 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und bis zum Ende eines Zeitraums von zwei Jahren nach dem Tag des Beitritts werden die derzeitigen Mitgliedstaaten nationale oder sich aus bilateralen Abkommen ergebende Maßnahmen anwenden, um den Zugang slowakischer Staatsangehöriger zu ihren Arbeitsmärkten zu regeln. Die derzeitigen Mitgliedstaaten können solche Maßnahmen bis zum Ende eines Zeitraums von fünf Jahren nach dem Tag des Beitritts weiter anwenden.

Slowakische Staatsangehörige, die am Tag des Beitritts rechtmäßig in einem derzeitigen Mitgliedstaat arbeiten und für einen ununterbrochenen Zeitraum von 12 Monaten oder länger zum Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats zugelassen waren, haben Zugang um Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats, aber nicht zum Arbeitsmarkt anderer Mitgliedstaaten, die nationale Maßnahmen anwenden.

Slowakische Staatsangehörige, die nach dem Beitritt für einen ununterbrochenen Zeitraum von 12 Monaten oder länger zum Arbeitsmarkt eines derzeitigen Mitgliedstaats zugelassen waren, genießen die selben Rechte.

Die in den Unterabsätzen 2 und 3 genannten slowakischen Staatsangehörigen verlieren die dort gewährten Rechte, wenn sie den Arbeitsmarkt des derzeitigen Mitgliedstaats freiwillig verlassen.

Slowakischen Staatsangehörigen, die am Tag des Beitritts oder während eines Zeitraums, in dem nationale Maßnahmen angewandt werden, rechtmäßig in einem derzeitigen Mitgliedstaat arbeiten und weniger als 12 Monate zum Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats zugelassen waren, werden diese Rechte nicht gewährt.

In Ausführung der Beschwerde macht die Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes zunächst geltend, zu Unrecht habe die belangte Behörde die Bestimmung des § 2 Abs. 2 lit. b AuslBG in der vor der Novelle BGBl. I Nr. 101/2005 geltenden Fassung herangezogen, zumal es sich bei jenen Tätigkeiten, die die Beschwerdeführerin auf Grund der Genehmigungen durch das Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen bzw. Bundesministerium für Gesundheit und Frauen gemäß § 1 Abs. 3 der pharmazeutischen Fachkräfteverordnung ausgeübt hat, nicht um arbeitnehmerähnliche Tätigkeiten im Sinne des § 2 Abs. 2 lit. b AuslBG, sondern um Arbeitsverhältnisse im Sinne der lit. a dieser Gesetzesbestimmung gehandelt habe. Damit fielen diese Beschäftigungsverhältnisse jedenfalls in den Anwendungsbereich des AuslBG. Diese Tatsache werde auch dadurch unterstrichen, dass die Beschwerdeführerin Leistungen des Arbeitsmarktservice in den zwischen diesen Beschäftigungsverhältnissen liegenden Zeiträumen bezogen habe. Die zeitlichen Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 Z. 1 AuslBG habe die Beschwerdeführerin jedenfalls erfüllt und als Angehörige eines der neuen Mitgliedstaaten der EU damit jedenfalls das Recht auf Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt.

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht die Beschwerdeführerin geltend, die belangte Behörde habe es unterlassen, Erhebungen dahingehend zu pflegen, bei welchen Dienstgebern für welche Zeiträume die Beschwerdeführerin ab dem beschäftigt gewesen sei.

Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt. Dass die Beschwerdeführerin nämlich mit jeweils über ein Jahr andauernden ununterbrochenen Beschäftigungszeiten die zeitlichen Voraussetzungen des § 32a Abs. 2 Z. 1 AuslBG erfüllt, wird auch von der belangten Behörde nicht bestritten. Diese mit dem EU-Erweiterungs-Anpassungsgesetz BGBl. I Nr. 28/2004 neu eingeführte Bestimmung dient der Umsetzung der - insoweit gleichlautenden - Übergangsregelungen des Beitrittsvertrages der Slowakei zur Europäischen Union mit Wirksamkeit vom (Anhang XIV Z. 1 Abs. 2, 2. Unterabsatz zur Beitrittsakte), wonach es auf eine Zulassung zum Arbeitsmarkt auf Grund einer rechtmäßigen Beschäftigung durch einen ununterbrochenen Zeitraum von mindestens 12 Monaten ankommt. Dieses Erfordernis gilt daher für alle EU-Mitgliedstaaten gleichermaßen. Eine Auslegung dieser Bestimmung und der sie umsetzenden Regelung des § 32a Abs. 2 AuslBG hat daher nicht ausschließlich unter Gesichtspunkten des AuslBG zu erfolgen; die Regelung des AuslBG ist vielmehr in Übereinstimmung mit den insofern auch unmittelbar anwendbaren Regelungen der Beitrittsakte zu verstehen. Auf Grund dieser unionsrechtlichen Bestimmung ist eine "Zulassung" zum Arbeitsmarkt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch immer schon dann gegeben, wenn nach den jeweils maßgeblichen innerstaatlichen Bestimmungen ein Ausländer durch den genannten Zeitraum sowie am Tag des Beitritts eine unselbständige Tätigkeit ausüben durfte. Auf die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nach dem AuslBG kommt es dabei nicht notwendigerweise an; entscheidend ist vielmehr, ob ein Zugang zum Arbeitsmarkt - auf welcher Rechtsgrundlage auch immer - vorlag.

Im gegenständlichen Fall war die Beschwerdeführerin nach den Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid (zuletzt) in der Zeit vom bis auf Grund einer Genehmigung nach § 1 Abs. 3 der Pharmazeutischen Fachkräfteverordnung unselbständig - in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis - beschäftigt. In dieser Zeit (nämlich bis zum ) galt der § 2 Abs. 2 lit. b AuslBG in der Stammfassung, wonach als Beschäftigung im Sinne des AuslBG die Verwendung in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis nicht galt, "sofern die Tätigkeit auf Grund gewerberechtlicher oder sonstiger Vorschriften ausgeübt" wurde. Nach den Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung (1451 BlgNR 13. GP 20) sollte mit dieser Einschränkung dem Verlangen Rechnung getragen werden, u.a. "ausländische pharmazeutische Fachkräfte, die gemäß § 1 Abs. 3 der Pharmazeutischen Fachkräfteverordnung, BGBl. Nr. 40/1930, in inländischen Apotheken beschäftigt sind, vom Geltungsbereich dieses Gesetzesentwurfes auszunehmen". Damit unterlag aber die im Zeitpunkt des Beitritts der Slowakei zur EU () länger als 12 Monate ununterbrochen dauernde Tätigkeit der Beschwerdeführerin nicht der Bewilligungspflicht nach dem AuslBG und war auch ohne eine Beschäftigungsbewilligung als rechtmäßig anzusehen. Die Beschwerdeführerin war somit auf Grund der Ausnahmebestimmung des § 2 Abs. 2 lit. b AuslBG in Verbindung mit der ihr erteilten Genehmigung nach § 1 Abs. 3 der Pharmazeutischen Fachkräfteverordnung im Sinne des § 32a Abs. 2 AuslBG zum Arbeitsmarkt zugelassen. Die Ansicht der belangten Behörde, Rechtmäßigkeit der Tätigkeit der Beschwerdeführerin liege nur vor, wenn über die Genehmigung des zuständigen Bundesministers nach § 1 Abs. 3 der Pharmazeutischen Fachkräfteverordnung hinaus noch eine - nach Prüfung der Arbeitsmarktlage auszustellende - Beschäftigungsbewilligung eingeholt worden wäre, erweist sich aus diesen Gründen als inhaltlich rechtswidrig.

Da die belangte Behörde daher ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastete, war er gemäß § 42 Abs. 1 Z. 2 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am