VwGH vom 25.02.2010, 2008/09/0181
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel sowie Senatspräsidentin Dr. Händschke und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des M O (geboren am ) in Wien, vertreten durch Mag. Reinhard Prugger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Oppolzergasse 6/10, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. LGSW/Abt.3/08115/2008, betreffend Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom beantragte der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, die Ausstellung einer Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG, weil er mit einer italienischen Staatsbürgerin verheiratet sei.
Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom wurde dieser Antrag abgewiesen, weil der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel nach dem NAG verfüge.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde dieser Berufung nach Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch Vorlage einer dem Beschwerdeführer ausgestellten Aufenthaltsberechtigungskarte nach § 15 AsylG 2005 gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 1 Abs. 2 lit. m sowie § 3 Abs. 8 AuslBG im Wesentlichen mit der Begründung keine Folge gegeben, der Beschwerdeführer sei gemeinsam mit seiner italienischen Ehegattin 1996 nach Österreich zugewandert. Er sei im Besitz einer Aufenthaltsberechtigungskarte nach § 15 Asylgesetz. Nach § 1 Abs. 2 NAG gelte dieses Gesetz nicht für Fremde, die nach dem Asylgesetz 2005 und nach asylrechtlichen Bestimmungen zum Aufenthalt berechtigt seien. Infolge des vom Beschwerdeführer erbrachten Nachweises sei davon auszugehen, das sein Aufenthalt in Österreich nicht auf dem NAG beruhe, da dieses auf Asylwerber nicht anzuwenden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sowie die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte, und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 3 Abs. 8 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes - AuslBG, BGBl. Nr. 218/1975 in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2005, ist Familienangehörigen gemäß § 1 Abs. 2 lit. l und m auf deren Antrag von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eine Bestätigung auszustellen, dass sie vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes ausgenommen sind.
Gemäß § 1 Abs. 2 AuslBG in der am in Kraft getretenen Fassung BGBl. I Nr. 78/2007 sind die Bestimmungen des AuslBG nicht anzuwenden auf
l) freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder), die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sowie drittstaatsangehörige Eltern des EWR-Bürgers und seines Ehegatten, denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sofern sie zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 berechtigt sind.
Nach der bis zum in Geltung gestandenen Rechtslage (FrG 1997) unterlagen Angehörige von EWR-Bürgern, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, der Sichtvermerkspflicht (§ 47 Abs. 1 FrG).
Nach § 47 Abs. 2 FrG genossen Ehegatten von EWR-Bürgern Niederlassungsfreiheit, sofern die EWR-Bürger zur Niederlassung berechtigt sind. Solche Fremde konnten Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen.
Gemäß § 1 Abs. 2 Z. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005 gilt dieses Bundesgesetz nicht für Fremde, die nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, und nach vorigen asylgesetzlichen Bestimmungen zum Aufenthalt berechtigt sind, soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt.
Gemäß § 52 NAG Z. 1 sind Angehörige von freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51), die selbst EWR-Bürger sind, zur Niederlassung berechtigt, wenn sie Ehegatte sind, und diesen begleiten oder zu ihm nachziehen.
Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Angehörige von freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51), die nicht EWR-Bürger sind und die die in § 52 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, zur Niederlassung berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Daueraufenthaltskarte für die Dauer von zehn Jahren auszustellen. Dieser Antrag ist spätestens nach Ablauf von drei Monaten ab ihrer Niederlassung zu stellen.
In der Beschwerde wird (u.a.) geltend gemacht, der Beschwerdeführer sei Drittstaatsangehöriger, der mit seiner Ehegattin, einer italienischen Staatsangehörigen, die ihr Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen habe, nach Österreich gezogen sei und daher alle Anspruchsvoraussetzungen des § 54 NAG für die Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte erfülle. Daran ändere auch nichts, dass sein Aufenthaltsrecht sich bis zur Beendigung seines Asylverfahrens auf § 15 AsylG stütze, da es sich bei den von diesen beiden Gesetzen geregelten Materien um gänzlich unterschiedliche handle.
Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht.
Die bis zum umzusetzende Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten ("Unionsbürger-Richtlinie") gewährt in ihrem Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Z. 2 lit. a einem drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Unionsbürgers, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, das unmittelbare Recht, sich wie dieser frei zu bewegen und aufzuhalten, wenn er diesen begleitet oder ihm nachzieht.
In seiner Entscheidung vom in der Rechtssache C-551/07 (Sahin) hat der EuGH im Anschluss an sein Urteil vom , C-127/08 (Metock) klargestellt, dass die Art. 9 Abs. 1 und 10 der Richtlinie 2004/38 einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach Familienangehörige eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und denen kraft Gemeinschaftsrecht, insbesondere nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie, ein Recht auf Aufenthalt zukommt, allein deshalb keine Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers erhalten können, weil sie nach den asylgesetzlichen Bestimmungen des Aufnahmemitgliedstaats vorläufig zum Aufenthalt in diesem Staat berechtigt sind.
Da die genannten Bestimmungen der Unionsbürger-Richtlinie unmittelbar anwendbar sind, verdrängen sie kraft des dem unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrecht zukommenden Anwendungsvorranges entgegenstehende nationale Bestimmungen, wie hier § 1 Abs. 2 Z. 1 NAG (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0671). Das in § 55 Abs. 1 iVm den §§ 51, 52 und 54 NAG genannte Niederlassungsrecht ist unmittelbar im Gemeinschaftsrecht begründet und wird innerstaatlich nicht verliehen, sondern nur dokumentiert (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2006/21/0330, Kutscher/Poschalko/Schmalzl, Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht, 2006, 40ff; siehe auch etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2000/19/0017, und vom , Zl. 2008/22/0064). Die belangte Behörde durfte daher nicht auf den Umstand abstellen, ob dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt war, sie hatte sich vielmehr damit zu befassen, ob er im Hinblick darauf, dass seine italienische Ehegattin ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, nach dem NAG wie der Angehörige einer EWR-Bürgerin zu behandeln und sein Recht auf Niederlassung als gegeben zu erachten war.
Unter Zugrundelegung dieser Auslegung der Unionsbürger-Richtlinie und in Anwendung des § 54 Abs. 1 NAG kommt dem Beschwerdeführer als Ehegatten einer italienischen Staatsangehörigen, die auf Grund ihres Zuzugs nach Österreich offenkundig von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, unabhängig von seinem derzeitigen Aufenthaltsstatus die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG jedenfalls zugute (so auch schon das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/09/0121, mwN).
Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
GAAAE-76711