VwGH vom 14.12.2006, 2005/14/0099
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde des E F in I, vertreten durch Mag. Dr. Ursula Rauch, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Stafflerstraße 1/I, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Innsbruck, vom , GZ. RV/0263-I/04, betreffend Einkommensteuer 1997, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.171,20 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist am nach Österreich zugezogen und seither in Österreich ansässig. Er bezog im Jahr 1997 eine Rente in Österreich von der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten. Daneben bezog er "zwei Renten" aus Deutschland in Höhe von insgesamt 45.083 DM.
Im Einkommensteuerbescheid für 1997 ging das Finanzamt von einer ganzjährig bestehenden unbeschränkten Steuerpflicht des Beschwerdeführers aus und berücksichtigte die deutschen Rentenbezüge für Zwecke des Progressionsvorbehaltes.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Die in Deutschland ausbezahlten Renten seien in Deutschland nur mit ihrem Ertragsanteil steuerpflichtig. Auch in Österreich seien daher zur Berechnung der Progression die deutschen Renten nur mit ihrem Ertragsanteil heranzuziehen. Der Ertragsanteil sei im Einkommensteuerbescheid des Finanzamtes München II mit 6.756 DM und 5.415 DM ausgewiesen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung nur in der Weise Folge, dass es lediglich die in der Zeit vom 1. März bis zum bezogenen (und nicht die im Jänner und im Februar bezogenen) deutschen Renten für Zwecke des Progressionsvorbehaltes berücksichtigte. Der Beschwerdeführer sei seit seinem Zuzug aus Deutschland am in Österreich wohnhaft und unbeschränkt steuerpflichtig. Neben einer inländischen Rente habe er aus Deutschland eine Rente von der "Versorgungsanstalt der deutschen Bundespost", einer "rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts" und weitere "Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung" bezogen. Die Zahlungen seien unbestritten als "Bezüge aus der gesetzlichen Sozialversicherung Deutschlands" anzusehen und folglich nach Art. 10 Abs. 2 Z 1 des Doppelbesteuerungsabkommens Deutschland-Österreich in der für 1997 anzuwendenden Fassung in Österreich unter Progressionsvorbehalt von der Besteuerung freizustellen.
Rechtsgrundlage für den Progressionsvorbehalt seien die Tarifvorschriften des innerstaatlichen Rechts. Die deutschen Bezüge seien daher für Zwecke des Progressionsvorbehaltes mit den nach österreichischem Recht maßgebenden Beträgen anzusetzen. Eine Aufteilung der deutschen Renteneinkünfte in einen steuerfreien Tilgungsanteil und einen steuerpflichtigen Ertragsanteil, wie dies in § 22 Nr. 1 Satz 3 lit. a des deutschen EStG vorgesehen sei, sei daher für Zwecke des Progressionsvorbehaltes in Österreich nicht möglich.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in welcher er sich gegen die Berechnung des Progressionsvorbehaltes wendet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen zutreffend davon aus, dass die vom Beschwerdeführer aus Deutschland bezogenen Renten "Bezüge aus der gesetzlichen Sozialversicherung" im Sinne des Art. 10 Abs 2 Z 1 des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Österreich und Deutschland, BGBl 221/1955 (DBA), sind, sodass das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland als Quellenstaat zukommt.
Aus Art 15 Abs 1 DBA ergibt sich, dass Österreich als Wohnsitzstaat des Beschwerdeführers für solche Bezüge kein Besteuerungsrecht zukommt. Zufolge Art 15 Abs 3 DBA werden allerdings die von Österreich zu erfassenden Einkünfte mit dem Satz zu besteuern, der dem Gesamteinkommen des Beschwerdeführers entspricht (Progressionsvorbehalt).
Bei Anwendung des Progressionsvorbehaltes wird das (Gesamt)Einkommen nach den Vorschriften des österreichischen EStG ermittelt (vgl. das hg Erkenntnis vom , 96/15/0234 VwSlg 7230/F).
Gemäß § 25 Abs. 1 Z 3 lit a EStG 1988 gehören Pensionen aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit; besondere Steigerungsbeträge aus der Höherversicherung in der Pensionsversicherung und Höherversicherungspensionen sind allerdings nur mit 25 % zu erfassen. Gemäß § 25 Abs 1 Z 3 lit. c EStG 1988 gehören Pensionen aus einer ausländischen gesetzlichen Sozialversicherung, die einer inländischen gesetzlichen Sozialversicherung entspricht, zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , 2299/79, ausgesprochen, dass Altersrenten aus einer ausländischen Sozialversicherung wiederkehrende Bezüge im Sinne des § 29 Z. 1 EStG darstellen können. Sie können auch im Sinne des § 29 Z. 1 EStG die Gegenleistung für die Übertragung von Wirtschaftsgütern bilden - diesfalls sind sie erst nach Übersteigen des kapitalisierten Wertes steuerlich zu erfassen -, wenn sie auf Beitragsleistungen (Übertragung von Wirtschaftsgütern) beruhen und eine wechselseitige Leistungsbeziehung nach Art eines entgeltlichen Rechtsgeschäftes vorliegt. In einem solchen Fall kann der Erwerb eines Rentenanspruches einerseits und die Hingabe von Wirtschaftsgütern durch die Beitragszahlung andererseits in dem vom Gesetz geforderten Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stehen.
Pensionen aus einer ausländischen gesetzlichen Sozialversicherung sind gemäß § 25 Abs 1 Z 3 lit c EStG 1988 dann Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, wenn sie einer inländischen gesetzlichen Sozialversicherung entsprechen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers sieht das Gesetz nicht vor, dass derartige Pensionseinkünfte nur mit einem bestimmten Anteil zu erfassen wären.
Die Pensionsversicherung im Rahmen der österreichischen gesetzlichen Sozialversicherung ist grundsätzlich ein System der Pflichtversicherung mit Pflichtbeiträgen, auch wenn einzelne Elemente der Freiwilligkeit im Bereich der Höher- und Weiterversicherung gegeben sind. Eine ausländische Sozialversicherung entspricht daher nur dann einer inländischen gesetzlichen Sozialversicherung, wenn zumindest grundsätzlich eine Pflichtversicherung mit Pflichtbeiträgen vorliegt. Der Inhalt dieses Tatbestandsmerkmales ist aber im Auslegungsweg noch weiter einzuschränken:
Der Regelung des § 25 Abs 1 Z 3 lit a EStG 1988 betreffend die nur quotenmäßige Erfassung von Höherversicherungspensionen und dem durch § 18 Abs. 3 Z. 2 lit. a EStG 1988 ohne Begrenzung eingeräumten Abzug von Beiträgen für eine freiwillige Weiterversicherung in der gesetzlichen Pensionsversicherung liegt die Wertungsentscheidung des Gesetzgebers zu Grunde, dass Sozialversicherungspensionen, die auf nur beschränkt abzugsfähige Pensionsbeiträge zurückgehen, nicht zur Gänze steuerpflichtiges Einkommen darstellen sollen (Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuerhandbuch, § 25 Tz 22). Dieser Wertungsentscheidung widerspricht § 25 Abs 1 Z 3 lit c EStG 1988 dann nicht, wenn der Bestimmung die Bedeutung beigemessen wird, dass sie nur solche Pensionen aus einer ausländischen Sozialversicherung erfasst, die auf Pflichtbeiträge zurückzuführen sind. Beiträge zu einer ausländischen Pflichtversicherung sind nämlich gemäß § 16 Abs. 1 Z. 4 lit. f EStG 1988 als Werbungskosten abzugsfähig (vgl. Hofstätter/Reichel, § 16 Abs. 1 Z. 4 EStG 1988, Tz 7). Bei auf freiwillige Beiträge zurückzuführenden Pensionen stellt aber die Besteuerung nach § 29 Z. 1 dritter Satz EStG 1988 sicher, dass ein Steuerpflichtiger im Rahmen des Pensionsbezuges nicht den Rückfluss jener Beträge als Einkommen zu versteuern hat, die er ohne Möglichkeit auf entsprechende einkommensmindernde Berücksichtigung in die Pensionsversicherung eingezahlt hat. Aus diesem Grunde hält der Verwaltungsgerichtshof die in der Literatur (vgl. Quantschnigg/Schuch, Einkommenssteuerhandbuch, § 25 Tz 24) vertretene Auffassung, Pensionseinkünfte aufgrund freiwillig entrichteter Beiträge zu einer ausländischen Sozialversicherung würden vom Tatbestand des § 25 Abs. 1 Z. 3 lit. c EStG 1988 nicht erfasst, für zutreffend (vgl das hg Erkenntnis vom , 96/15/0234, Slg 7230/F).
Im gegenständlichen Fall kommt sohin entscheidende Bedeutung der Frage zu, ob Einkünfte im Sinne des § 29 Z. 1 (dritter Satz) EStG 1988 oder solche im Sinne des § 25 Abs. 1 Z. 3 lit. c leg. cit. vorliegen. Von dieser Zuordnung hängt es ab, ob bzw. in welchem Ausmaß die Rentenbezüge aus Deutschland progressionserhöhend anzusetzen sind. Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid offenkundig davon ausgegangen, dass eine ausländische gesetzliche Sozialversicherung stets einer inländischen vergleichbar ist. Sie hat damit die Rechtslage verkannt. Aufgrund dieses Rechtsirrtums hat sie es unterlassen, Erhebungen darüber anzustellen, ob im gegenständlichen Fall das im § 25 Abs. 1 Z. 3 lit. c EStG 1988 geforderte Entsprechen einer inländischen gesetzlichen Sozialversicherung gegeben ist. Diese Beurteilung erfordert Feststellungen in der Richtung, ob die geleisteten ausländischen Versicherungsbeiträge ihrer Art nach auf Grund der in den Streitjahren geltenden Rechtslage (EStG 1988) in voller Höhe einkommensmindernd berücksichtigt werden könnten (§ 16 Abs. 1 Z. 4 lit. f EStG). Es kommt jedoch nicht darauf an, ob die Beiträge in den Jahren der Beitragszahlung tatsächlich einkommensmindernd zu berücksichtigen waren oder berücksichtigt worden sind.
Zum Beschwerdevorbringen betreffend die Gemeinschaftswidrigkeit der im Beschwerdefall anzuwendenden Regelung betreffend Progressionsvorbehalt ist zu sagen:
Personen, die ihre Berufstätigkeit in dem Mitgliedstaat, dem sie angehören, ausgeübt und vom Recht zum Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat erst nach ihrem Eintritt in den Ruhestand und ohne jede Absicht, dort einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nachzugehen, Gebrauch gemacht haben, können sich nicht auf die durch Artikel 39 EG garantierte Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen. Da der Beschwerdefall somit nicht unter Artikel 39 EG fällt, ist die Anwendbarkeit von
Artikel 18 EG (allgemeine Freizügigkeit der Unionsbürger) zu prüfen (vgl , Pirkko Marjatta Turpeinen).
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt, der grundlegende Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der es denjenigen unter ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, erlaubt, im sachlichen Geltungsbereich des Vertrages unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unbeschadet der insoweit ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen die gleiche rechtliche Behandlung zu genießen.
Zu den Situationen, die in den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, gehören diejenigen, die sich auf die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten beziehen, und insbesondere auch die, in denen es um das durch
Artikel 18 EG verliehene Recht geht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.
Da ein Unionsbürger in allen Mitgliedstaaten Anspruch auf die gleiche rechtliche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats hat, die sich in der gleichen Situation befinden, wäre es mit dem Recht auf Freizügigkeit unvereinbar, wenn ein Mitgliedstaat ihn weniger günstig behandelte, als wenn er nicht von den Erleichterungen Gebrauch gemacht hätte, die ihm der Vertrag in Bezug auf die Freizügigkeit gewährt.
Allerdings garantiert der EG-Vertrag einem Unionsbürger nicht, dass die Verlagerung seiner Tätigkeit in einen anderen Mitgliedstaat als demjenigen, in dem er bis dahin gewohnt hat, hinsichtlich der Besteuerung neutral ist. Auf Grund der Unterschiede im Steuerrecht der Mitgliedstaaten kann eine solche Verlagerung je nach dem Einzelfall auch Vor- oder Nachteile bei der Besteuerung haben (vgl das , Schempp).
Zudem ist zu beachten, dass das Gemeinschaftsrecht in seinem gegenwärtigen Stand in Bezug auf die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft keine allgemeinen Kriterien für die Verteilung der Kompetenzen der Mitgliedstaaten untereinander vorschreibt. Von Bereichen abgesehen, die der Beschwerdefall nicht berührt (insbesondere Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, Abl. L 225, S. 6), ist bis heute im Rahmen des Gemeinschaftsrechts keine Maßnahme der Vereinheitlichung oder Harmonisierung zum Zweck der Beseitigung von Doppelbesteuerungstatbeständen erlassen worden (vgl. das , Mark Kerckhaert).
Die in Rede stehenden nationalen Regelungen betreffend die steuerliche Erfassung ausländischer Einkünfte im Wege des Progressionsvorbehaltes benachteiligen nicht Personen, weil sie von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, sich in Österreich oder in einem anderen Mitgliedstaat frei zu bewegen und aufzuhalten. Das österreichische Steuerrecht behandelt die aus anderen Mitgliedstaaten bezogenen Pensionen nicht schlechter als Pensionen aus Österreich. Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers verstößt damit die Berechnung des Progressionsvorbehaltes nicht gegen Gemeinschaftsrecht.
Da im Hinblick auf die zitierten Entscheidungen des EuGH Zweifel an der Beurteilung der gemeinschaftsrechtlichen Frage nicht bestehen, wurde im Sinne der Rechtsprechung C.I.L.F.I.T. (, Slg. 1982, S. 3415 ff) von einem Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EGV abgesehen.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der angefochtene Bescheid dennoch mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet ist. Er war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am