VwGH vom 13.12.2012, 2012/21/0037

VwGH vom 13.12.2012, 2012/21/0037

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2013/21/0059 E

2013/21/0048 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom , Zl. UVS 30.20-1/2012-2, betreffend Behebung eines in Angelegenheiten des Fremdenpolizeigesetzes 2005 ergangenen erstinstanzlichen Straferkenntnisses und Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens (mitbeteiligte Partei: J, vertreten durch Dr. Peter Philipp, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 17; weitere Partei:

Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis vom verhängte die Bundespolizeidirektion Leoben über den Mitbeteiligten, einen brasilianischen Staatsangehörigen, gemäß § 120 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG eine Geldstrafe. Sie führte dazu aus, der Mitbeteiligte habe sich als pass- und sichtvermerkspflichtiger Fremder am von 20.15 Uhr bis 21.30 Uhr in einem näher bezeichneten Bordellbetrieb in Leoben aufgehalten, ohne im Besitz eines (für einen Aufenthalt zu Erwerbszwecken notwendigen) Aufenthaltstitels (Aufenthaltsbewilligung oder Niederlassungsbewilligung) zu sein. Er sei schon zum Zweck einer Erwerbstätigkeit außer im Rahmen von Geschäftsreisen eingereist und habe sich im Bundesgebiet aufgehalten, obwohl er dafür einen Aufenthaltstitel benötigt hätte. Dadurch habe er die Bestimmungen des § 31 Abs. 1 Z. 3 und 4 sowie § 120 Abs. 1a FPG verletzt.

Dagegen erhob der Mitbeteiligte Berufung, in der er vorbrachte, mit einem spanischen Staatsangehörigen verheiratet zu sein und daher (als dessen Familienangehöriger) über einen (laut beigelegter Kopie bis gültigen) Aufenthaltstitel für Spanien zu verfügen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde dieser Berufung gemäß § 24 VStG Folge, behob das angefochtene Straferkenntnis und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG ein.

In der Begründung erachtete sie es als erwiesen, dass der Mitbeteiligte über den behaupteten spanischen Aufenthaltstitel, gültig bis , verfüge. Er komme seit rund einem Jahr nach Österreich, um hier (gewerbsmäßig) die Prostitution auszuüben. Ende September 2011 sei er nach Brasilien ausgereist und Ende Oktober 2011 über Madrid nach Europa zurückgekehrt. Anfang November 2011 sei er wiederum nach Österreich eingereist und habe sich mit Hauptwohnsitz in Wien gemeldet, wo auch regelmäßig die (nach der Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit und Umweltschutz vom , BGBl. Nr. 314/1974, erforderlichen) Untersuchungen stattgefunden hätten. Für den Mitbeteiligten bestehe zudem ein Aufenthaltsverbot für die Bundesrepublik Deutschland.

Rechtlich bejahte die belangte Behörde das Vorliegen der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Z. 1 FPG für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet:

Der Mitbeteiligte habe über einen gültigen brasilianischen Reisepass verfügt und sei damit rechtmäßig iSd § 15 Abs. 1 FPG eingereist. Ob die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels überschritten worden seien, sei "einerlei", weil Einreisetitel gemäß der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 FPG Visa, Bewilligungen zur Wiedereinreise während der Gültigkeitsdauer eines Aufenthaltsverbotes und besondere Bewilligungen während achtzehn Monaten nach einer Zurückweisung, einer Zurückschiebung oder einer Ausreise auf Grund einer Ausweisung seien. Keiner dieser ex lege genannten Einreisetitel sei hier schlagend, weil der Mitbeteiligte weder als brasilianischer Staatsangehöriger noch als Familienangehöriger eines EWR-Bürgers der Visumspflicht iSd § 15 Abs. 2 FPG unterliege. Die grundsätzlich erlaubte Aufenthaltsdauer von drei Monaten sei nicht überschritten worden, sodass die Erfordernisse des § 31 Abs. 1 Z. 1 FPG zu bejahen seien.

Aus § 31 Abs. 1a FPG folge, dass von einem unrechtmäßigen Aufenthalt nur dann die Rede sein könne, wenn alle im § 31 Abs. 1 FPG alternativ genannten Tatbestände zu verneinen seien. Aus der Erfüllung der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Z. 1 FPG folge somit, dass der Aufenthalt des Mitbeteiligten im vorgeworfenen Zeitraum nicht unrechtmäßig gewesen sei. Eine Bestrafung nach § 120 Abs. 1a FPG komme daher nicht in Betracht.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Amtsbeschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage sowie Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und den Mitbeteiligten in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Auszugehen ist von der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom , Abl. L 81/1, die gemäß ihrem Art. 1 Abs. 2 Staatsangehörige derjenigen Drittländer, die in der Liste ihres Anhanges II angeführt sind (das ist u.a. Brasilien), von der Visumpflicht nach Abs. 1 für einen Aufenthalt, der insgesamt drei Monate nicht überschreitet, befreit. Der Mitbeteiligte ist als Staatsangehöriger Brasiliens somit grundsätzlich zur visumsfreien Einreise und zu einem Aufenthalt, der insgesamt drei Monate nicht überschreitet, berechtigt.

Art. 4 Abs. 3 dieser Verordnung lautet allerdings:

"(3) Die Mitgliedstaaten können für Personen, die während ihres Aufenthalts einer Erwerbstätigkeit nachgehen, Ausnahmen von der Visumbefreiung gemäß Artikel 1 Absatz 2 vorsehen."

Art. 1 des mit Brasilien (durch Notenwechsel zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung von Brasilien) bilateral abgeschlossenen Abkommens über die Abschaffung des Sichtvermerkzwanges, BGBl. Nr. 332/1967, ordnet an:

"Artikel 1

Österreichische und brasilianische Staatsbürger, die einen von den zuständigen Behörden ihres Landes ausgestellten gültigen gewöhnlichen Reisepass besitzen, dürfen zu einem nicht Erwerbszwecken dienenden Aufenthalt sichtvermerkfrei in das Gebiet des anderen Vertragsstaates einreisen und sich dort drei Monate aufhalten. Die Aufenthaltsberechtigung kann gemäß den geltenden Gesetzen von den zuständigen Behörden verlängert werden."

§ 24 Abs. 1 FPG (in der hier maßgeblichen Fassung des FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38) führt aus:

"Sonderbestimmungen zur Erteilung von Visa zu Erwerbszwecken

§ 24. (1) Die Aufnahme

1. einer bloß vorübergehenden selbständigen Erwerbstätigkeit (§ 2 Abs. 4 Z 16);

2. einer bloß vorübergehenden unselbständigen Tätigkeit (§ 2 Abs. 4 Z. 17) oder

3. einer Tätigkeit, zu deren Ausübung eine Beschäftigungsbewilligung nach § 5 AuslBG Voraussetzung ist,

im Bundesgebiet ist nur nach Erteilung eines Visums möglich. In diesem Fall ist dem Fremden, abhängig von der beabsichtigten Tätigkeitsdauer, ein Visum C oder ein Visum D zu erteilen, wenn im Fall der Anwendbarkeit des Ausländerbeschäftigungsgesetzes eine Sicherungsbescheinigung nach § 11 AuslBG vorliegt und kein Visumversagungsgrund gegeben ist."

§ 31 Abs. 1 Z. 1 FPG lautet:

"Voraussetzung für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet

§ 31. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben; …"

Der Mitbeteiligte unterlag als Staatsangehöriger Brasiliens im angelasteten Tatzeitraum (am ) gemäß Art. 4 Abs. 3 der zitierten Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom iVm § 24 Abs. 1 FPG und Art. 1 des bilateralen Abkommens BGBl. Nr. 332/1967 infolge der festgestellten, bereits bei der Einreise beabsichtigten (vorübergehenden) Erwerbstätigkeit der Visumspflicht (vgl. nunmehr inhaltsgleich Art. 3 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Föderativen Republik Brasilien vom , Abl. L 255/4). Der Mitbeteiligte verfügte allerdings über keinen ihm ausgestellten Einreisetitel nach § 2 Abs. 1 FPG, sodass sich seine Einreise - entgegen den Überlegungen der belangten Behörde - unter dem Blickwinkel des § 31 Abs. 1 Z. 1 FPG als nicht rechtmäßig darstellt.

Von daher erweist sich die Annahme der belangten Behörde, sein Aufenthalt sei am nach Maßgabe des genannten Tatbestandes rechtmäßig gewesen, als verfehlt. Dass der Aufenthalt des Mitbeteiligten unter anderen Gesichtspunkten (insbesondere nach der Z. 3 des § 31 Abs. 1 FPG) rechtmäßig gewesen sein könnte, hat die belangte Behörde nicht angenommen.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Wien, am