VwGH vom 14.10.2011, 2008/09/0155
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde der SK in W, vertreten durch Heinke Skribe + Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 5, gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom , Zl. MA 2/648370 B, betreffend Antrag auf Aufhebung der Bezugskürzung im Fall der Suspendierung nach der Wiener Dienstordnung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die - in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Bundeshauptstadt Wien stehende - Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid der Disziplinarkommission vom gemäß § 94 Abs. 6 der Wiener Dienstordnung 1994 (DO) vom Dienst suspendiert. Die dagegen eingebrachte Berufung der Beschwerdeführerin wurde mit Berufungsbescheid vom abgewiesen.
Mit Schriftsatz vom stellte die Beschwerdeführerin den Antrag, gemäß § 94 Abs. 4 DO die mit der Suspendierung verbundene Kürzung ihrer Bezüge aufzuheben. Auf Grund der Suspendierung würden ihr lediglich EUR 1.089,45 monatlich netto - ohne Berücksichtigung der Kinderzulage - ausbezahlt und sie sei für einen 14-jährigen Sohn, der noch die Schule besuche, sorgepflichtig. Ihr Ehegatte habe seine Arbeit verloren und beziehe nur noch etwa EUR 759,50 monatlich an Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Die Beschwerdeführerin und ihr Ehegatte hätten gemeinsam zwei Kredite aufgenommen, nämlich für den Kauf einer gemeinsamen Ehewohnung (eine Eigentumswohnung) und den Kauf eines Pkw. An Kreditraten fielen dafür monatlich EUR 744,77 und monatlich EUR 482,47 an.
Mit Schreiben vom ergänzte die Beschwerdeführerin durch die Vorlage von Urkunden ihr Vorbringen, dass sie im Fall der Aufrechterhaltung der Verminderung ihrer Bezüge ab Juni 2008 unausweichlich im Zahlungsverzug geraten würde, was letztlich zum Verlust der Familienwohnung führen würde, in welcher sie auch hohe und nicht refundierbare Investitionen getätigt habe. Diese Wohnung diene der Befriedigung ihres dringenden Wohnbedarfes als auch des dringenden Wohnbedarfes ihres Ehegatten und der beiden Söhne. Die pfandrechtliche Verwertung der Wohnung wäre unausweichlich, wenn die Bezugskürzung aufrecht bliebe, es drohe daher ein nicht wieder gutzumachender Schaden im Sinne des § 94 Abs. 4 zweiter Satz DO. Eine Stundungsvereinbarung mit der Bank sei anlässlich der Arbeitslosigkeit des Ehegatten der Beschwerdeführerin bereits erfolgt. Für den unterhaltsberechtigten Sohn D. sei ein monatliches Schulgeld in der Höhe von EUR 122,-- fällig. Außer der genannten Eigentumswohnung und dem genannten Kraftfahrzeug seien keine weiteren Vermögenswerte oder Ersparnisse vorhanden.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 94 Abs. 4 DO keine Folge.
Sie führte zur Begründung aus, dass einer suspendierten Beamtin, die keinen Dienst leiste, eine Einschränkung der bisherigen Lebenshaltung durchaus zugemutet werden könne, zumal sie ohnehin gewisse Aufwendungen einspare, die ihr sonst bei der Dienstausübung entstünden. Die Aufhebung der Bezugskürzung könne jedenfalls nicht soweit gehen, dass der Beschwerdeführerin dadurch die Aufrechterhaltung des bisherigen Lebensstils ermöglicht werde. Vielmehr sei es durchaus zumutbar, dass eine Beamtin diesen auf die zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhaltes unbedingt erforderlichen Ausgaben reduziere und hinsichtlich der vor der Suspendierung eingegangenen Verpflichtungen und Verbindlichkeiten eine Lösung zur Überbrückung des durch die erfolgte Gehaltskürzung eingetretenen finanziellen Engpasses anstrebe.
Versicherungsleistungen und Kreditrückzahlungen dienten nicht der Sicherung des notwendigen Lebensunterhaltes, sondern vielmehr der Vermögensbildung bzw. Vermögenserhaltung. Demgegenüber habe der suspendierte Beamte zur Aufrechterhaltung des notwendigen Lebensunterhaltes durchaus auch sein eigenes Vermögen heranzuziehen und zu verwerten. Hinsichtlich der Kreditrückzahlung sei zu bemerken, dass mit den Gläubigern für die Dauer der Suspendierung eine Umschuldung, eine Aussetzung des Vertrages oder der Rückzahlungen oder andere Vereinbarungen getroffen werden könnten, welche die monatliche Zahlungsverpflichtung mindern oder beseitigen würden. Die Bestimmung des § 94 Abs. 4 zweiter Satz DO bezwecke den notwendigen Lebensunterhalt, somit die grundlegenden Bedürfnisse zu sichern, nicht aber die Rückzahlung einer in der Vergangenheit eingetretenen Schuld zu ermöglichen. Wie die Beschwerdeführerin aber selbst ausführe, solle die Aufhebung der Kürzung lediglich dem Zweck dienen, Vermögen anzusparen; gerade dafür könne aber eine Aufhebung der Kürzung nicht erfolgen.
Die belangte Behörde führte im Wesentlichen unter Nennung des ungekürzten und gekürzten Nettobezuges (der zuzüglich Kinderzulage ca. EUR 1.380,-- betrage) unter Zugrundelegung der §§ 12 und 13 des Wiener Sozialhilfegesetzes (WSHG), LGBl. für Wien Nr. 11/1973, idF LGBl. für Wien Nr. 58/2006, sowie der in der Verordnung der Wiener Landesregierung betreffend die Festsetzung der Richtsätze in der Sozialhilfe (SHRS-VO), LGBl. für Wien Nr. 13/1973, idF LGBl. Nr. 60/2006 für den Bezugszeitraum vor dem und idF LGBl. Nr. 18/2007 für den Bezugszeitraum ab angeführten Beträge aus, dass das gekürzte Nettoeinkommen über dem Bereich der Beträge liege, die nach dem WSHG und der SHRS-VO als Aufwand für den notwendigen Lebensunterhalt gälten. Dieser liege bei EUR 891,-- (in der Heizperiode) bzw. bei EUR 849,-- (außerhalb der Heizperiode). Sie bezog den Ehegatten der Beschwerdeführerin auf Grund dessen eigenen Einkommens und den im gemeinsamen Haushalt lebenden Sohn S. mangels Unterhaltsverpflichtung nicht in diese Berechnung ein. Die belangte Behörde führte im Einzelnen aus, welche der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Ausgaben aus welchen Gründen nicht dem notwendigen Lebensunterhalt zugeordnet würden. Die belangte Behörde wies auf das Vorliegen von Vermögen hin sowie dass der suspendierten Beschwerdeführerin, die keinen Dienst leiste, eine Einschränkung der bisherigen Lebenshaltung zugemutet werden dürfe. Zu dem aus einer allfälligen Nichtzahlung von Verbindlichkeiten drohenden Schaden führte sie aus, dass mit den Gläubigern für die Dauer der Suspendierung eine Umschuldung, eine Aussetzung des Vertrages bzw. der Rückzahlung oder andere Vereinbarungen getroffen werden könne, welche die monatliche Zahlungsverpflichtung mindern oder beseitigen würden. In der Regel sei es auch möglich, die Prämienzahlung für Versicherungen über Vereinbarung mit dem Versicherungsunternehmen für einen gewissen Zeitraum auszusetzen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 94 Abs. 4 DO verkürzt sich der Monatsbezug des Beamten - unter Ausschluss der Familienzulage - während der Dauer einer Suspendierung um ein Drittel. Der Magistrat kann auf Antrag des Beamten die Kürzung vermindern oder aufheben, wenn und soweit dies zur Aufrechterhaltung des notwendigen Lebensunterhaltes des Beamten und seiner Familienangehörigen, für die er sorgepflichtig ist, oder zur Vermeidung eines nicht wiedergutzumachenden Schadens erforderlich ist.
Die Beschwerdeführerin hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil ihre Kreditrückzahlungen für ihre Wohnung nicht - wie die belangte Behörde meine - dem Ansparen von Vermögen diene, sondern vielmehr der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses ihrer Familie. Die Kreditrückzahlung diene der Abwendung eines nicht wieder gutzumachenden Schadens, da bei einer Verletzung der Rückzahlungsverpflichtung die pfandweise Verwertung und somit der Verlust der Ehewohnung drohe, welche der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses der Beschwerdeführerin und ihrer Familie diene. Auch führe die Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin für die Dauer ihrer Suspendierung eine Umschuldung, eine Aussetzung des Vertrages oder der Rückzahlungen hätte treffen können, welche ihre monatliche Zahlungsverpflichtungen hätten mindern können. Dies entspreche jedoch nicht der Aktenlage, weil die Beschwerdeführerin bereits einmal eine einmalige Aussetzung der Rückzahlungen ausverhandelt habe und ihr diese Erleichterung nur unter der Voraussetzung gewährt worden sei, dass sie ab Juni 2008 höhere Raten zu bezahlen habe.
Die Lebensführung der Beschwerdeführerin sei für eine Beamtin ihrer Besoldungsgruppe und -klasse absolut angemessen (vier Personen lebten in einer 70 m2-Wohnung, ein gemeinsames Familienauto auf Abzahlung sei vorhanden). Die belangte Behörde hätte grundsätzlich nicht die Normen des Wiener Sozialhilfegesetzes zur Auslegung des § 94 DO heranziehen dürfen, sondern vielmehr auf ein sozial adäquates Einkommen abstellen müssen.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zu der vergleichbaren Bestimmung des § 112 Abs. 4 BDG 1979 - die gleichfalls an der Aufrechterhaltung des "notwendigen Lebensunterhaltes des Beamten und seiner Familienangehörigen, für die er sorgepflichtig ist", orientiert ist - ausgesprochen hat, kommt eine Verminderung oder Aufhebung der Bezugskürzung nicht in Betracht, wenn und soweit sie zur Aufrechterhaltung des notwendigen Lebensunterhaltes des genannten Personenkreises nicht unbedingt erforderlich ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/09/0238, mwN). An die alternative Voraussetzung des § 94 Abs. 4 zweiter Satz DO ("... Vermeidung eines nicht wiedergutzumachenden Schadens erforderlich") ist ein vergleichbar strenger Maßstab anzulegen. Die Aufhebung bzw. Verminderung der Bezugskürzung ist nur als letzter Ausweg zu sehen, einen nicht wiedergutzumachenden Schaden abzuwenden.
Des Weiteren entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass einer suspendierten Beamtin, die keinen Dienst leistet, eine Einschränkung der bisherigen Lebenshaltung durchaus zugemutet werden kann (vgl. auch dazu z. B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/09/0238).
Der Verwaltungsgerichtshof hat des Weiteren in ständiger Rechtsprechung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/09/0186) die Heranziehung der Sätze der Existenzminimum-Verordnung (vgl. nunmehr § 292a EO) und der Sozialhilferichtsätze als Maßstab für die Berechnung des notwendigen Lebensunterhaltes u. a. im Sinne des § 94 Abs. 4 DO anerkannt.
Außerdem hat der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom , Zl. 95/09/0186, dargelegt, er halte eine Berechnungsmethode nicht für rechtswidrig, bei der das Einkommen des Ehegatten zum Einkommen der Beschwerdeführerin hinzugerechnet werde und dieses Familieneinkommen mit den Sätzen der ExMinVO oder den Sozialhilferichtsätzen verglichen werde.
Des Weiteren ist auch das Vermögen zur Deckung des Lebensunterhaltes heranzuziehen und zu verwerten (vgl. mit näherer Begründung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/09/0118; vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/09/0142).
Die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass es bei Anwendung des Begriffes "Aufrechterhaltung des notwendigen Lebensunterhaltes des Beamten" auf einen "sozial adäquaten, dem Status des betreffenden Beamten entsprechenden Lebensstandard" ankommt, entspricht nach der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sohin nicht dem Gesetz.
Auch entspricht es grundsätzlich der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass vom suspendierten Beamten erwartet werde kann, dass er Bestandteile seines Vermögens zur Sicherung seines Lebensunterhaltes heranzieht und bei bestehenden Kreditverbindlichkeiten - etwa durch eine Änderung der Ratenvereinbarung - eine Verbesserung seiner Einkommenssituation erwirkt (vgl. das bereits genannte hg. Erkenntnis vom ).
Bei Anlegung dieser Maßstäbe kann nicht ersehen werden, dass die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten verletzt wäre. Die Beschwerdeführerin ist ihrer Obliegenheit, dass der mit ihrer Suspendierung gekürzte Bezug ihren notwendigen Unterhalt bei einem eingeschränkten Lebensstil nicht zu decken vermag, nicht nachgekommen und sie hat auch nicht ersichtlich gemacht, inwiefern ihr bei Aufrechterhaltung der Bezugskürzung ein nicht wiedergutzumachender Schaden drohe.
Auch wenn man nämlich annimmt, dass der Beschwerdeführerin bei Nichtbezahlung der Kreditraten für ihre Eigentumswohnung ein nicht wiedergutzumachender Schaden im Sinne des § 94 Abs. 4 DO 1994 drohte, verbleibt bei Zugrundelegung ihres durch die Bezugskürzung verminderten Einkommens und des Einkommens ihres Ehegatten einschließlich der Kinderzulage nämlich ein Familieneinkommen, das selbst unter Berücksichtigung dieser Rückzahlungsraten über dem Richtsatzbetrag von EUR 849,00 bzw. EUR 891,00 (in der Heizperiode) liegt. Die Beschwerdeführerin lässt bei ihrer Berechnung außer Acht, dass in das Familieneinkommen auch das Einkommen ihres Ehegatten mit einzurechnen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/09/0117). Anhaltspunkte dafür, dass die Nichtbezahlung der Rückzahlungsraten für einen PKW für die Beschwerdeführerin die Aufrechterhaltung des notwendigen Lebensunterhaltes der Beschwerdeführerin gefährden oder zu einem nicht wiedergutzumachenden Schaden im Sinne des § 94 Abs. 4 DO 1994 führen würde, sind im Beschwerdefall aber nicht zu ersehen.
Nach dem Gesagten wurde die Beschwerdeführerin sohin nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am