VwGH vom 11.06.2013, 2012/21/0010

VwGH vom 11.06.2013, 2012/21/0010

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS- 02/11/4551/2011-23, betreffend Abschiebung (mitbeteiligte Partei:

H R, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der vom Mitbeteiligten, einem Staatsangehörigen von Afghanistan, nach seiner Einreise gestellte Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurückgewiesen. Unter einem wurde festgestellt, dass zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz Ungarn zuständig sei, und die Ausweisung des Mitbeteiligten nach Ungarn verfügt. Die Ausweisung war gemäß § 36 Abs. 1 AsylG 2005 mit ihrer Erlassung durchsetzbar; mangels Erhebung einer Beschwerde wurde der Bescheid des Bundesasylamtes in der Folge rechtskräftig.

Da gegen den Mitbeteiligten eine mit einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 verbundene durchsetzbare Ausweisung erlassen worden war, wurde über ihn von der Bezirkshauptmannschaft Baden am gemäß § 76 Abs. 2a Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung verhängt. Die Schubhaft wurde im Polizeianhaltezentrum Wien vollzogen. Am brachte der Mitbeteiligte eine an den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich gerichtete Schubhaftbeschwerde ein.

Am , um 10.00 Uhr, wurde der Mitbteiligte sodann in Vollziehung der asylrechtlichen Ausweisung und in Umsetzung eines Abschiebeauftrages der Bezirkshauptmannschaft Baden vom nach Ungarn überstellt. Am Nachmittag desselben Tages (gegen 14.30 Uhr) wurde der Bezirkshauptmannschaft Baden der Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich übermittelt, mit dem die Verhängung der Schubhaft über den Mitbeteiligten und die darauf gegründete Anhaltung für rechtswidrig erklärt wurden; weiters wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung nicht vorlägen.

Mit der an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien am erhobenen Beschwerde begehrte der Mitbeteiligte, seine Abschiebung nach Ungarn für rechtswidrig zu erklären.

Darüber entschied der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen, nach mündlicher Verhandlung erlassenen Bescheid vom gemäß § 67c Abs. 3 AVG dahin, dass "der bekämpfte Verwaltungsakt, die faktische Abschiebung vom durch die Bezirkshauptmannschaft Baden für rechtswidrig erklärt" wurde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde der Bundesministerin für Inneres, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und den Mitbeteiligten erwogen hat:

In der Begründung des angefochtenen Bescheides verwies die belangte Behörde darauf, dass der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich im Bescheid vom ausdrücklich die Anordnung und Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft für rechtswidrig erklärt und das Vorliegen der Voraussetzungen für die weitere Anhaltung explizit verneint habe. Vor diesem Hintergrund könne "ein aus dieser Rechtswidrigkeit erfließender Verwaltungsakt (die bekämpfte faktische Abschiebung selben Tags) ebenfalls nur mit Rechtswidrigkeit behaftet sein". Die auf Basis einer rechtswidrig angeordneten und rechtswidrig vollzogenen Schubhaft ergangene faktische Abschiebung sei daher auch als rechtswidrig zu beurteilen. Verwaltungsakte, die in einem Zusammenhang stünden, seien nämlich als einheitliche Verwaltungsakte zu beurteilen und "einzelne daraus derivierende Teilhandlungen" müssten "das rechtliche Schicksal der Gesamthandlung, des einen Verwaltungsaktes, teilen". Zufolge der "Vollstreckung" der bekämpften faktischen Abschiebung unmittelbar aus der für rechtswidrig beurteilten Anordnung und Anhaltung in Schubhaft sei auch der "faktische Vollzug der Abschiebung (als Derivat des einen rechtswidrigen Verwaltungsaktes der Schubhaft)" mit Rechtswidrigkeit behaftet.

Dem hält die Amtsbeschwerde entgegen, die Abschiebung sei eine an die Schubhaft anschließende faktische Maßnahme und keine Teilhandlung der Schubhaft. Daher könne in Bezug auf die Schubhaft und die Abschiebung nicht von einem einheitlichen Verwaltungsakt und somit von keinem einheitlichen rechtlichen Schicksal ausgegangen werden. Demzufolge sei die Annahme der Rechtswidrigkeit der Abschiebung allein aus dem Grund der Rechtswidrigkeit der Schubhaft nicht rechtens gewesen.

Dem ist beizupflichten:

Die Verhängung der Schubhaft und die Abschiebung sind verschiedene Maßnahmen, für deren Anwendung unterschiedliche Voraussetzungen normiert sind. Gemäß § 76 Abs. 1 FPG können Fremde festgenommen und in Schubhaft angehalten werden, sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (Rückkehrentscheidung, Ausweisung, Aufenthaltsverbot) oder um die Abschiebung zu sichern; Asylwerber nur dann, wenn die in Abs. 2 oder Abs. 2a angeführten Tatbestände verwirklicht sind. Demgegenüber sind die Voraussetzungen für eine Abschiebung in § 46 Abs. 1 FPG geregelt. Danach sind Fremde, gegen die eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar geworden ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag der Behörde zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn die in den Z 1 bis 4 noch näher genannten alternativen Bedingungen gegeben sind. Die Abschiebung ist jene Maßnahme, die der Durchsetzung einer aufenthaltsbeendenden Entscheidung (Rückkehrentscheidung, Ausweisung, Aufenthaltsverbot) dient. Die Schubhaft dient der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung oder der Sicherung der Abschiebung, ist dieser also vorgelagert. Die Abschiebung beginnt nämlich (erst) in dem Zeitpunkt, in dem die Verbringung des Fremden an die Grenze des Bundesgebietes ihren tatsächlichen Anfang nimmt. Das ist in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Fremde in Schubhaft angehalten wurde, der Zeitpunkt, in dem er vom Vollzugsort der Schubhaft zum Zweck des Transportes an die Grenze abgeholt wird. Wurde keine Schubhaft verhängt, dann beginnt "das Verhalten zur Ausreise" am tatsächlichen Aufenthaltsort des Fremden; dort setzt der gegen ihn gerichtete behördliche Zwang ein. In diesem Fall einer - wenn auch unter Ausnützung des sich aus § 77 Abs. 5 FPG ergebenden zeitlichen Spielraums von 72 Stunden - nach der Festnahme vorgenommenen "direkten" Abschiebung beginnt sie bereits mit dieser Festnahme (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/21/0085, mwH). Schließlich wird auch in Bezug auf die Anfechtungsmöglichkeiten zwischen den beiden Maßnahmen unterschieden: Schubhaft ist mit Beschwerde gemäß § 82 Abs. 1 FPG, die Abschiebung als Maßnahme unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt mit Beschwerde gemäß § 67a Z 2 AVG bekämpfbar.

Aus diesen Ausführungen folgt nicht nur, dass es sich bei Schubhaft und Abschiebung um voneinander inhaltlich und zeitlich zu unterscheidende Maßnahmen handelt, sondern auch, dass einer Abschiebung die Anhaltung in Schubhaft nicht immer vorausgehen muss. Eine Abschiebung kann daher auch dann zulässig sein, wenn die Voraussetzungen für die Anordnung von Schubhaft nicht vorlagen und sie daher auch nicht verhängt wurde (siehe zur Abgrenzung auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/21/0301, dessen Überlegungen auch für die aktuelle Rechtslage gelten).

Die Unzulässigkeit/Rechtswidrigkeit von Schubhaft hat daher - anders als die belangte Behörde meint - nicht zwangsläufig die Rechtswidrigkeit einer Abschiebung zur Folge. Das gilt vor allem in einer Konstellation, wie sie hier gegeben ist, in der die gegen den Mitbeteiligten verhängte Schubhaft vom Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich nur deshalb für rechtswidrig erachtet wurde, weil seiner Ansicht nach kein ausreichender Sicherungsbedarf vorlag. Diese Frage steht evident in keinem Zusammenhang mit der Frage der Rechtmäßigkeit der Abschiebung des Mitbeteiligten nach Ungarn. Es bestand daher im vorliegenden Fall - entgegen der im angefochtenen Bescheid weiters geäußerten Meinung - auch keine Verpflichtung, mit der Abschiebung des Mitbeteiligten bis zur Entscheidung über seine Schubhaftbeschwerde zuzuwarten.

Die weitere Überlegung der belangten Behörde, die Abschiebung sei rechtswidrig gewesen, weil dadurch dem Mitbeteiligten die Teilnahme an der von ihr durchgeführten mündlichen Verhandlung unmöglich gemacht worden sei, stellt einen nicht tragfähigen Zirkelschluss dar. Darauf ist nicht weiter einzugehen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am